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Vielleicht irgendwann einmal...

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
A: Haha, wie die Menschen doch miteinander umgehen. Es ist witzig.

B: Witzig findest du das?

A: Ja: witzig!

B: Also, mir bleibt da so manches Mal das Lachen im Halse stecken.

A: Weshalb denn?

B: Die Menschen gehen nicht gut miteinander um.

A: Warum sollten sie auch?

B: Wie meinst du das? Das liegt doch auf der Hand! Gehen wir gut mit anderen um, gehen die anderen auch gut mit uns um!

A: Von wegen. Wenn es doch nur so einfach wäre.

B: Ist es denn nicht?

A: Nein, ist es nicht.

B: Weshalb denn nicht?

A: Die Menschen gehen gar nicht miteinander um. Sie gehen mit Bildern um, die sie sich in ihrem Geist von ihren Mitmenschen gemacht haben. Das sind keine wahrhaftigen Personen, die da in den Köpfen rumspucken. Es sind Schemen, Geister, Gefühle – ja, vielleicht auch einfach nur Gefühlszustände. Es sind unvollendete Geschichten, an die angeknüpft wird; die vollendet werden wollen - oder zumindest sollen. Geschichten, die aber niemals vollendet werden, zumindest nicht innerhalb eines Lebens, weil mit dem Ende dieser Geschichten immer auch das Ende eines Lebens einhergeht.

B: Können wir diese Bilder, die über uns gemacht werden, und die wir uns über andere machen, denn überhaupt beeinflussen?

A: Ja und nein. Damit überhaupt irgendjemand Interesse für uns zeigt, oder wir für jemand anderen, muss schon ein Bild von uns in dessen Kopf und umgekehrt vorhanden sein. Also irgendetwas, an das das Neue andocken kann. Ansonsten gäbe es gar kein Interesse. Ansonsten würden wir gar nicht geschaut werden und würden nicht schauen. Vielleicht würden wir ansonsten noch nicht einmal wahrgenommen werden, und ebenso auch nicht wahrnehmen.

B: Und doch können wir es beeinflussen?

A: Ein bisschen, ja. Vielleicht. Zumindest in sehr geringem Maße. Aber die Rolle, die uns durch ein Bild in einem Kopf zugesprochen wird, und umgekehrt, können wir grundsätzlich gesehen nicht ändern. Etwas abwandeln. Etwas variieren. Aber die grundsätzliche Funktion des Bildes bleibt im Gesamten gesehen stets erhalten.

B: Wir werden instrumentalisiert?

A: Ja. Und instrumentalisieren in gleicher Weise.

B: Wir werden entmenschlicht?

A: Ja. Und entmenschlichen in gleicher Weise.

B: Wir werden verdinglicht?

A: Ja, werden wir. Und verdinglichen selbst. Aber stets nur bis zu einem bestimmten Grad.

B: Bis zu welchem Grad?

A: Bis genau zu jenem Grad, an dem es uns bewusstwerden könnte. Kurz davor hört es auf.

B: Weshalb?

A: Weil, wird es uns bewusst, hätte es keine Wirksamkeit mehr.

B: Nicht?

A: Nein. Derjenige, der durch jemand anderes mit einem fremden Bild von sich konfrontiert wird, der ist sich dieser Tatsache natürlich nur allzu bewusst. Denn es wirkt entfremdend. Es fühlt sich an, als würde uns eine andere Person, die wir gar nicht sind, übergestülpt werden. Demjenigen aber, der dieses Bild in seinem Kopf trägt, dem wird diese Tatsache niemals vollbewusst. Ansonsten wäre er ja dazu gezwungen, sein Bild anzupassen; seinen gewohnten Umgang damit abzuändern; eine vermeintlich funktionale Verhaltensweise aufzugeben. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies geschieht, ist äußerst gering. Zumindest geschieht es nicht von alleine. Es müsste von außen regelrecht erzwungen werden.

B: Du malst ein hoffnungsloses Bild der Menschheit.

A: Nein, es ist ein hoffnungsvolles. Denn es beinhaltet zumindest die Möglichkeit einer Veränderung.

B: Die aber niemals eintreten wird.

A: Vielleicht nicht. Vielleicht aber doch. Vielleicht irgendwann einmal. Vielleicht hat sich die Gesellschaft irgendwann derart weiterentwickelt, dass es doch möglich wird, unsere Bilder, die wir in uns tragen, an die Realität vernünftiger anzupassen, als es zumeist jetzt der Fall ist. Dies wäre gut, weil damit auch ein gerechteres System entstehen würde.

B: Ja, vielleicht. Vielleicht irgendwann einmal. [Er wird leise und blickt in sich hinein. Dann steht er irgendwann langsam auf und geht für sich und für seinen Kumpel mit irgendwie hängendem Kopf und irgendwie hängenden Schultern ein weiteres Bier holen. Er kommt mit zwei geöffneten Flaschen zurück, setzt sich wieder neben seinen Kumpel in den Sand, reicht ihm sein Bier, nippt an seinem eigenen und schließt seine Augen. Er lauscht der Brandung. Es ist Abend. Die Welt im Urlaub ist irgendwie eine ganz andere. Die Welt am Strand ist irgendwie eine ganz eigene. Hier tauchen Gedanken und Ideen auf, die ansonsten im Stress des Alltags sehr wahrscheinlich niemals auftauchen würden. Und die dann, ist man wieder zurück, nur allzu schnell wieder vergessen sind, verschwunden, verschüttet von den Anforderungen, denen man tagtäglich ausgeliefert ist. Er nippt ein weiteres Mal an seinem Bier. Die Brandung hat eine beruhigende Wirkung auf ihn. Es hilft ihm, mit der Ausweglosigkeit, die er gerade empfindet, irgendwie doch zurecht zu kommen. Dann öffnet er langsam wieder seine Augen und ist sogar ein wenig froh, dass er zumindest einmal in seinem Leben die Gelegenheit hatte, eine Wahrheit zu schauen, die normalerweise von den Menschen nur allzu gerne und allzu oft aus sehr naheliegenden Gründen verdrängt wird.]
 
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