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"Ich find deine Stimme schön" - Das Abendessen

Aktuelles und Alltägliches · Kurzgeschichten
Heute gehen wir guten Stockfisch essen", so sagte meine Wiener Freundin eines Abends frohgemut. Und frohgemut war sie immer, wenn sie etwas Besonderes im Schilde führte. Es war gerade 18:00 Uhr und augenscheinlich eine Zeit, in der selbst in Wien noch damit zu rechnen war, dass ein Restaurant uns Einlass gewähren würde. Etwas hungrig, also gerade in der richtigen Verfassung, stimmte ich zu. "Es ist auch nicht besonders weit", fügte sie hinzu. Warum sie dies betonte, wurde mir erst später klar.

Wir machten uns also auf den Weg, vorbei am Wienerwald, Straßenkreuzung für Straßenkreuzung dem Ziel näher rückend. Auf meiner Uhr waren 20 Minuten verstrichen, als ich das erste Mal Verdacht schöpfte. "Wie weit ist es denn eigentlich noch", fragte ich vorsichtig. "Hinter der nächsten Straßenkreuzung ist das Restaurant", antwortete sie bestimmt. Nun ja, das konnte passen oder wie sie immer so schön sagte: "Das geht sich auf." Aber weder die nächste Straßenkreuzung noch die 10 Minuten gingen sich "auf". 20 Minuten später standen wir vor einem Wald und einem kleinen Pfad, den keine Laterne erhellte. "Gut, dass du bei mir bist", sagte sie, "sonst hätte ich Angst in dieser Dunkelheit." Na ja, wenigstens war Vollmond und da ich sowieso nichts Besseres vorhatte, wartete ich weiter auf die nächste Straßenkreuzung.

Um 19:30 fanden wir sie dann endlich. Oder besser, wir standen vor einem verschlossenen Gatter, das uns die Wahl leicht machte. "Komisch", sagte sie, "sonst ist das immer offen". Dass hinter diesem Gatter ein Restaurant liegen könnte, konnte selbst ich in diesem Moment nicht mehr glauben. Fest stand, der Weg zur Rechten wurde immer enger und geradeaus ging's nicht weiter. "Ist es nicht eine herrliche Vollmondnacht ?", zärtlich klangen ihre Worte in meinem Ohr. Allein der Hunger ließ langsam nicht mehr mit sich spaßen. Vielleicht konnte ich deshalb der Romantik nicht so ganz folgen, die sie auf diesem dunklen Waldpfad zu entdecken glaubte. "Lass uns weitergehen", sagte ich nach einer kurzen Rast. Es war 20:00 Uhr und jeder hungrige Wiener hatte jetzt schon seinen Stockfisch vor sich stehen, nur ich nicht.

Die nächsten 2 Stunden verliefen einfach dunkel, erlebnislos und ermüdend. Aber am Ende öffnete sich der enge Pfad und mündete direkt in den Böhmischen Prater. "Habe ich es nicht gesagt", ließ sie sich triumphierend vernehmen. Wie gesagt, es war inzwischen für die, die rechnen können, 22:00 Uhr. Und wie das im Böhmischen Prater so üblich ist, schließen zu dieser Uhrzeit die Restaurants. Alle Wiener haben dann ihren Stockfisch gegessen und selbst die Pizzastuben sind dann nicht mehr bereit, einem hungrigen Mann noch eine Pizza zu verkaufen, nicht einmal auf die Hand für den verbleibenden Rückweg.

Natürlich kannte sie einen kürzeren Rückweg über die Laxenburger und der war auch mir bekannt. Diesmal war ich nicht der Orientierungslosigkeit ausgeliefert, nur meinem Hunger und meinen Füßen, die langsam nicht mehr wollten.

Vorbei an einer Brotfabrik, die gerade herrlich duftete, ging es geradewegs auf die Laxenburger zu. "Soll ich dir ein frisches Brot holen", fragte sie mit jenem unschuldigen Blick, den ich so mochte. "Ich will was Richtiges", antwortete ich etwas genervt und steuerte weiter dem Platz zu, wo mein Auto stand. Natürlich geschah dies nicht ohne Hintergedanken.


Ich war fest entschlossen, noch etwas Warmes aufzutreiben, um mein menschliches Bedürfnis zu befriedigen. Das mag etwas unromantisch klingen, aber der Vollmond hatte halt keine Chance gegen meinen Magen.


Die Laxenburger hoch ging es dann barfuß, da meine Füße einfach nicht mehr in den Schuhen laufen wollten. Gegen 23:30 öffnete ich dann endlich die Autotür. "Du wirst eh im 10. Bezirk kein offenes Restaurant finden", ließ sie sich vernehmen. Aber das war mir egal. Ich wollte es wenigstens versuchen.

Gegen 24:00 waren wir dann wieder in jenem netten Gartenhaus, das uns Herberge für die Nacht gewähren sollte. Ein Blick in den Kühlschrank ließ mich aufatmen. Da waren noch 2 Eier, und ich war fest entschlossen, die nicht zu teilen.

"War es nicht ein romantischer Abend ?" Irgendwie ist ein Mann der Eier statt Stockfisch gegessen hat nicht mehr unromantisch. Wenn erst mal der Magen zu seinem Recht gekommen ist, bricht auch der Vollmond wieder in das Gemüt. Fast hätte ich ihr jetzt zugestimmt, dass es ein romantischer Abend gewesen war.
 
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