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10 Seiten

With or without you - 10. Konfrontationen

Romane/Serien · Romantisches
© Conva
~Konfrontationen~

...Ich schwebte über ein Meer von Blumen, die sich in jeder Farbe zu ihrer vollen Pracht entfaltet hatten. In der Ferne erkannte ich die dunkle Linie eines Waldes, der rasch näher kam. Auf einmal war ich von Bäumen umgeben, deren silbrig glänzenden Stämme bis in den Himmel hinein zu ragen schienen. Auch ich schwebte höher und immer höher, bis ich plötzlich merkte, das ich in Wahrheit fiel. Unter mir war das Blau des Meeres. Ich fröstelte, als ich in sein kühles Wasser tauchte, doch dann breitete sich Wärme um mich herum aus. Sie hüllte mich ein und ich fühlte mich sicher und geborgen...
Langsam wurde ich wieder wach und öffnete beinahe wiederwillig die Augen. Ich wollte das Gefühl, das der Traum mir vermittelt hatte, nicht verlieren, doch eine innere Stimme sagte mir, dass ich es im wachen Zustand nicht würde bewahren können.
Als sich mein Blick klärte, erkannte ich, dass ich in einem Sessel in einem einfach eingerichteten Salon saß. Jemand hatte mich in eine Decke gewickelt und mein verletztes Bein sorgsam auf einen Fußhocker gelegt. Außer mir war nur eine weitere Person im Raum anwesend. Sie trug noch ihren Reitmantel und kniete mit dem Rücken zu mir vor dem Kamin, um dort ein Feuer anzuzünden.
Obwohl es in dem Raum ziemlich dunkel war, da er nur vom Licht einiger Kerzen erleuchtet war, erkannte ich die Person doch sofort. Es war der Comte.
Vor der nur angelehnten Tür waren Schritte zu vernehmen und gleich darauf klopfte es. Eine rundliche Frau trat ein und meldete: „Tróllius ist zu den Gypsóphila geschickt worden und Cáltha hat sich auf den Weg zum nächsten Arzt gemacht. Ich kann Euch nun Euer Essen bringen, wenn ihr erlaubt.“
“Gewiss doch, vielen Dank.“ antwortete der Comte mit seiner ruhigen, tiefen Stimme. Es war ihm gelungen, das Feuer zu entzünden und er erhob sich wieder. Er zog nun seinen Mantel aus und warf ihn achtlos über eine Stuhllehne.
Die Frau verschwand wieder und kehrte kurze Zeit später mit einem großen Tablett zurück. Ein verführerischer Duft wehte zu mir herüber, doch die Frau bat wiederholt um Entschuldigung. „Wir haben nicht damit gerechnet, zu dieser Zeit noch so hohe Gäste zu empfangen. Ich hätte ja Cáltha um etwas besseres zu essen geschickt, doch da Nigélla krank ist, gab es niemanden, der sonst zum Arzt hätte laufen können. Ich habe getan was ich konnte, aber ich fürchte, es ist nicht das, was Ihr sonst gewohnt seid.“
“Es ist schon gut. Das Essen duftet köstlich und ich bin sicher, es wird uns ebenso ausgezeichnet schmecken.“
“Ihr seid zu gütig, Euer Gnaden“ stammelte die Frau und versank in einem tiefen Knicks, bevor sie wieder verschwand.
“Hungrig?“ fragte der Comte und warf mir einen Blick zu.
Ich bejahte dies enthusiastisch und fragte mich kurz, wie er gemerkt hatte, dass ich wieder wach war. Der Duft des Essens ließ dies jedoch nebensächlich erscheinen.
Er füllte mir einen Teller und brachte diesen zu dem kleinen Beistelltisch neben mir herüber, den er so zurecht rückte, dass ich bequem essen konnte. Während ich begeistert damit begann, das Essen zu vernichten, zündete er weitere Kerzen an den Wandhaltern an, so dass der Raum schließlich gleichmäßig in warmes Licht getaucht war.
“Habt Ihr keinen Hunger?“ fragte ich schließlich irritiert. Ich kam mir etwas unhöflich vor, schon zu essen, während er sich noch nicht einmal gesetzt hatte.
“Doch, habe ich, aber ich wollte erst für etwas mehr Licht sorgen.“ erwiderte er und füllte sich nun ebenfalls einen Teller, um sich dann einen Sessel mir gegenüber hinzuschieben.
“Warum habt Ihr nichts gesagt, ich hätte natürlich mit dem Essen auf Euch gewartet, wenn ich das gewusst hätte.“
“Oh, ich wollte dich nicht länger warten lassen, du schienst so hungrig zu sein.“ meinte er trocken.
Meine Antwort bestand aus einem wütendem Schnauben. Ich verspürte den dringenden Wunsch ihm die Zunge herauszustrecken – aber das wäre dann doch zu albern gewesen! Schweigend verzehrte ich den Rest meiner Mahlzeit und auch der Comte machte keine Anstalten, ein Gespräch anzufangen.
Erst als ich alles auf meinem Teller aufgegessen hatte, sah er mich mit einem amüsierten Funkeln in den (unglaublich grünen) Augen an: „Hast du noch Hunger? Ich hole dir gerne noch einen Teller.“
Bevor ich antworten konnte, klopfte es an der Tür. Die Wirtin trat ein und kündigte den Arzt an.
“Das ging ja schnell“ freute sich der Comte und begrüßte den Doktor. „Ich bin Senécio di Drýas und dies ist meine Frau Núphar. Ihr Bein ist gebrochen und muss neu verbunden und geschient werden, ich konnte dies leider nur notdürftig tun.“
“Es ist mir eine Ehre!“ sagte der Arzt steif und verbeugte sich. Er war ein dürrer Mann in den Sechzigern, der ganz offensichtlich den Umgang mit dem Hochadel nicht gewohnt war. „Ich bin Doktor Consólida, zu Euren Diensten, Euer Gnaden.“ Dann wandte er sich mir zu. „Mylady, habt ihr eine Zofe hier, die Euch beistehen kann?“ Seine Augen weiteten sich kurz vor Erstaunen, als ich verneinte.
Es war nun einmal nicht üblich, dass eine Dame alleine oder nur in Herrenbegleitung reiste. Darum hatte der Comte mich wohl auch als seine Ehefrau und nicht als seine Verlobte ausgegeben, so konnte wenigstens ein Rest Anstand der Außenwelt gegenüber bewahrt werden. Dennoch hatte ich ihm bei seinen Worten wütende Blicke zugeworfen.
Nun mischte er sich ein: „Ich werde meiner Frau beistehen, wenn Ihr erlaubt, Doktor.“
“Tja, das ist zwar ungewöhnlich, aber gut. Ich werde ihr zunächst den Verband abnehmen müssen, bevor ich mein weiteres Vorgehen planen kann. Mit Knochenbrüchen ist nicht zu spaßen, werden sie falsch geschient, kann es zu lebenslangen Beeinträchtigungen kommen. Ich werde jedoch alles in meiner Macht stehende tun, um dies zu verhindern. Es steht Euch natürlich frei, einen angeseheneren Arzt aus der Hauptstadt zu konsultieren, um eine zweite Meinung einzuholen.“
“Das wird bestimmt nicht nötig sein, ich habe volles Vertrauen in Eure Fähigkeiten, Doktor.“ warf ich ein. Meine Meinung der Modeärzte aus der Hauptstadt war, gelinde gesagt, eher gering. Einer von ihnen hatte mir das Bein geschient, als ich es mir in der Kapelle gebrochen hatte. Seine Arbeit war zwar gut gewesen, doch als er mich dann zu Ader lassen wollte ging mir das zu weit. Auch seine diversen Pulver und Tropfen zur Stärkung meiner Regenerationskräfte und zur Beruhigung (nachdem ich ihm ein Kissen an den Kopf geworfen hatte, weil er mir bis zur endgültigen Heilung meines Beines Bettruhe verordnen wollte und mir empfahl, mich mit Sticken und Nähen zu beschäftigen) hatte ich nicht angerührt. Der einfache Provinzarzt, der sich nun vorsichtig daran machte, den vom Comte angelegten Verband abzunehmen, flößte mir jedoch Vertrauen ein. Er schien sein Handwerk zu verstehen und ging fast ebenso vorsichtig wie Senécio zu Werk.
Dieser saß neben mir und nahm eine meiner Hände in seine. „Nun, Liebes, wenn du dem Arzt vertraust, dann tue ich dies auch. Und sag mir Bescheid, wenn die Schmerzen zu stark werden.“
Mein Herz pochte auf einmal spürbar in meiner Brust und das Blut schoss mir ins Gesicht. Doch es gelang mir kühl zu sagen: „Oh, es ist durchaus noch zu ertragen.“ Und zum Arzt gewandt fügte ich hinzu: „Ihr seid wirklich sehr vorsichtig.“ Ich versuchte, dem Comte meine Hand zu entziehen, doch dieser hielt sie fest in seiner. Natürlich war mir klar, dass er dies nur tat, um den Eindruck eines Ehepaares aufrecht zu erhalten.
Doch als der Doktor begann, vorsichtig mein Bein abzutasten, war ich doch froh um seine Hand. Ich fürchte, ich habe sie ziemlich fest gequetscht.
„Nun,“ sagte Doktor Consólida schließlich, „der Knochen scheint nicht gesplittert zu sein, doch um dies genau sagen zu können, müsste ich das Bein noch genauer untersuchen. Ihr solltet diesen Trank einnehmen. Es dauert zwar etwas, bis er wirkt, doch dann werdet ihr von den Schmerzen kaum noch etwas spüren.“
„Und aus was besteht der Trank?“ fragte ich misstrauisch. Nach den Erfahrungen mit den beruhigenden Tränken der Ärzte, die mein Bein beim ersten Mal versorgt hatten, verspürte ich keine große Lust auf eine weitere derartige Erfahrung. Die Tränke hatten mich einen ganzen Tag lang völlig benebelt sein lassen.
“Oh, es ist nichts Schlimmes,“ versicherte der Arzt fröhlich. „Lediglich einige Kräuter, die Euch beruhigen und in einen leichten Schlaf fallen lassen. Der Hauptbestandteil ist eine Pflanze, welche die Nerven ebenfalls beruhigt und so verhindert, dass ihr die Schmerzen spürt.“
“Mach dir keine Sorgen, meine Liebe,“ warf der Comte ein. „Ich bin ja da, um über die Schicklichkeit und die Arbeit des Arztes zu wachen.“ Er klang völlig ernst, doch ein gewisses Funkeln in seinen Augen zeigte Heiterkeit über die Ironie seiner Worte.
Ihm einen bösen Blick zuwerfend erklärte ich: „Über die Arbeit Doktor Consólidas mache ich mir keine Sorgen!“
„Es freut mich, dass zu hören. Dann trinkt dies bitte nun. In etwa zehn Minuten sollte die Wirkung eintreten.“ Der Doktor reichte mir ein Glas.
Dermaßen ausgetrickst trank ich widerwillig die bittere Flüssigkeit, während „mein Mann“ dem Arzt ebenfalls etwas zu trinken und zu essen anbot. Doktor Consólida trank jedoch lediglich etwas Wasser. Der Comte verwickelte ihn dann in ein Gespräch über die aktuellen politischen Ereignisse. Typisch , mich vergaß man dabei einfach! Dennoch hörte ich interessiert zu. Man hatte bei meiner Rettung zwar einen Teil der banditos gefangen, doch noch immer nicht alle. Auch ihr Anführer war noch auf freiem Fuß, weshalb die Gefahren durch diese Männer noch nicht vorüber war.
Langsam verwischten die Konturen, mein Blick wurde unscharf. Alles klang seltsam gedämpft und dann fiel ich in einen merkwürdigen Dämmerzustand. Ich bekam zwar mit, was um mich herum geschah, doch konnte mein Gehirn die Eindrücke nicht richtig zuordnen und es war mir unmöglich mich zu bewegen. Doch die Apathie, die der Trank des Doktors hervorrief, ging so weit, dass ich deshalb auch nicht in Panik geraten konnte. Es war, als würde all das einer anderen Person geschehen, die mir völlig gleichgültig war.
Doktor Consólida untersuchte noch einmal genauer mein Bein, entfernte einige Holzsplitter, die dem Comte entgangen waren und verband die Wunde. Dann zogen er und der Comte beide an dem Bein, um den Knochen zu richten. Als dies zur Zufriedenheit des Arztes geschehen war, wurde das Bein geschient und verbunden.
„Geschafft“ hörte ich undeutlich den Arzt sagen. Er zog seine Taschenuhr hervor. „Und gerade rechtzeitig. Sie wird in einigen Minuten aufwachen...“
Da klopfte es und ein junges Dienstmädchen trat ein. Sie knickste und sagte zum Doktor gewandt: „Die Wirtin schickt mich. Unten ist jemand, um Euch zu holen. Es geht um die Geburt von...“
„Was, es ist schon soweit?“ Der Doktor schien sofort zu wissen um wen es sich handelte. „Ich komme sofort!“ Und an den Comte gewandt fügte er hinzu: „Verzeiht, doch ich muss fort. Hier habt Ihr noch etwas Laudanum, gebt das Eurer Gattin gegen die Schmerzen, die sie nach dem Aufwachen sicher hat. Doch nicht zuviel, fünf Tropfen auf ein Glas Wasser sollten genügen.“ Er verbeugte sich und verschwand so schnell, wie sein Alter es ihm erlaubte.
Ich war noch immer gefangen im Dämmerzustand zwischen Schlaf und Wachsein, doch es dauerte nicht lange, da fing ich an, wieder scharf zu sehen. Zunächst nur undeutlich war ich mir immer mehr eines dumpfen Schmerzes in meinem verletzten Bein bewusst. Doch noch immer weigerte sich mein Gehirn, wirklich klar zu denken.
Der Comte trat neben mich und sah mich einen Augenblick lang an. Dann zog er meinen Rock wieder herunter und setzte sich in den Stuhl mir gegenüber, geduldig auf mein endgültiges Erwachen wartend.
Da klopfte es wieder an die Tür. Das junge Dienstmädchen von eben trat ein und meldete – meinen Vater! Ruaki Koeléria, König der Gypsóphila! Er trug nicht die bunten Gewänder, die ich an ihm gewohnt war, sondern war ähnlich wie der Comte gekleidet. Nun trat er ein und musterte erst mich, dann den Comte.
Dieser verbeugte sich und sagte: „Es ist mir eine Ehre, Euch endlich persönlich kennen zu lernen.“
„Ich freue mich gleichfalls, Euch endlich zu treffen. Ich wünschte nur, es wäre unter glücklicheren Umständen geschehen.“ Er musterte mich erneut. „Geht es meiner Tochter gut?“
„Den Umständen entsprechend, ja. Sie hat vom Arzt eine schmerzstillende Arznei erhalten, sollte jedoch bald wieder zu klarem Bewusstsein kommen.“
„Was hat sie sich bloß dabei gedacht,“ seufzte mein Vater, legte seinen Mantel ab und setzte sich.
Ich schaffte es, ein „Hallo Vater“ zu röcheln, was meinen Vater sofort wieder aufspringen ließ.
„Núphar!“ rief er und eilte an meine Seite.
Auch der Comte wandte sich mir zu. „Wie geht es dir?“ fragte er sanft.
„Furchtbar!“ antwortete ich wahrheitsgemäß und fügte hinzu: „Und nun verschwindet und lasst mich mit meinem Vater allein!“
Dieser lachte und mahnte dann: „Aber Núphar, so kannst du doch nicht mit deinem Verlobten sprechen.“
„Woher weißt du von der Verlobung? Und warum weißt du, das ich hier bin?“ fragte ich mit rauer Stimme.
„Der Comte hat mir gleich einen Boten geschickt, als er dich fand, und mich über alle Geschehnisse informiert. Und was die Verlobung betrifft, so habe ich schon vor längerer Zeit mit dem König Cerínthes sowie dem Vater des Comte, dem Duke von Fritillária, darüber gesprochen.“
„WAS??“ entgeistert sah ich meinen Vater an. Er wusste von der Verlobung? Er hatte sie tatsächlich gutgeheißen?
„Nun, du weißt doch sicher über die aktuelle politische Lage Bescheid? Und deine Mutter hat dir sicher auch erklärt, welche Vorteile es für unsere beiden Völker, dem Volk der Gypsóphila und dem Volk Cerínthes, durch eure Hochzeit gibt?“
Ich nickte.
„Dann solltest du verstehen, warum wir so handeln. Marrúbium will nur das Beste für sein Volk, vergisst darüber aber leider oft die Anliegen und Rechte meines Volkes. Ich konnte die meisten Stämme beschwichtigen, aber es ist nur eine Frage der Zeit bis offener Krieg ausbricht, wenn wir die banditos nicht fassen können und es keine Änderungen im Königshaus von Cerínthe gibt. Das wirksamste Argument beim Versuch der Beschwichtigung war stets deine bevorstehende Verheiratung mit dem künftigen König des Volkes der Cerínthe.“
„Aber Vater, was ist mit mir? Mit meinen Wünschen?“
Mein Vater sah mich mitleidig an. „Es tut mir Leid, Núphar. Doch ich hoffe, du hast von mir gelernt, was Pflichterfüllung bedeutet, und nimmst dein Schicksal nicht nur gezwungenermaßen, sondern voller Stolz und Freude an. Ich habe dich schließlich dazu erzogen!“
Ich senkte den Kopf und ballte die Fäuste. Ich würde mir nicht die Blöße geben, vor den beiden Männern zu weinen!
„Und ich denke, du wirst mit einem so netten, gutaussehenden Mann wie dem Comte sehr glücklich werden können.“ fügte mein Vater in dem ungeschickten Versuch mich aufzuheitern hinzu.
„Was schert mich gutes Aussehen!“ rief ich erbittert aus. „Gerade du solltest doch wissen, das es in einer Ehe wichtigeres gibt, nämlich Liebe!“
„Es tut mir Leid, Núphar, doch du irrst dich. Gerade ich weiß, dass eine Ehe, die aus Liebe geschlossen wird, meist schnell zum Untergang verdammt ist. Wichtig sind vor allem Respekt und Verständnis, was aber nur die Zeit bringen kann. Und jetzt entschuldigt mich, ich muss mich noch um etwas anderes kümmern. Wir werden uns jedoch morgen wieder sehen.“
„Dann nehmt Ihr meine Einladung an?“ mischte sich der Comte zum erstenmal in die Unterhaltung ein.
„In der Tat, das tue ich. Ihr könnt mich zum Frühstück erwarten, dann können wir gemeinsam reisen. Ich nehme an, Ihr werdet Euch um einen angemessenen Transport für meine Tochter kümmern.“
Der Comte bestätigte dies und dann verließ uns mein Vater.
Ich war sprachlos vor Wut und Trauer, weil ich mich so sehr in meinen Erwartungen getäuscht sah.
Der Comte drehte sich zu mir um. „Es tut mir Leid,“ sagte er sanft, „ich weiß, dass du dir etwas anderes erhofft hast.“
„Du musst dich nicht so anstrengen und Mitleid heucheln!“ rief ich erbost. „Warum hat mir niemand früher gesagt, dass mein Vater die Heirat befürwortet, dann hätte ich mir diese dämliche Reise sparen können!“
„Immerhin siehst du nun ein, dass deine Flucht dämlich war.“ spottete der Comte. „Und was deinen Vater betrifft, so hättest du dir denken können, dass er die Heirat ebenso wünscht, wie der König. Immerhin ist er in erster Linie für sein Volk verantwortlich.“
„Wie hätte ich mir das denken sollen, ich bin doch nur ein dummes unwissendes Weib, und sollte als solches so wenig wie möglich nachdenken.“ konterte ich giftig. Ich spielte damit auf die allgemein vorherrschende Meinung an, dass eine Frau nur schön aussehen musste, und sich in Haushaltsangelegenheiten auskennen sollte, ansonsten aber keine eigene Meinung zu haben sollte, da sie angeblich dem Mann geistig unterlegen war. Was natürlich ausgemachter Blödsinn war!
„Ach so? Ich hätte dich dennoch für klüger gehalten.“ Die Augen des Comte hatten sich verdunkelt und waren fast schwarz. Doch noch beherrschte er seine Wut und sprach weiterhin in leichtem Tonfall, was meine Wut nur noch mehr entfachte.
„Zum Teufel mit euch Männern! Immer bildet ihr euch ein, über alles und jeden bestimmen zu können. Aber niemand kann mich zwingen, dich zu heiraten! Und selbst wenn ihr es versucht, werde ich bei der erstbesten Gelegenheit wieder davon laufen!“
„Dann werden wir dich eben Tag und Nacht bewachen und wenn nötig einsperren. Begreif doch endlich, wie wichtig diese Heirat für das gesamte Königreich ist. Es ist nun einmal deine verd... deine Pflicht, deinem Volk und deinem Vater gegenüber!“ Seine Stimme war nun eiskalt und von gefährlicher Ruhe. Wäre ich nicht so wütend gewesen, hätte ich es vielleicht lustig gefunden, wie er selbst in diesem äußerst erregten Gemütszustand den Anstand bewarte und das Fluchen in Gegenwart einer Dame unterließ – so wie die Dinge jedoch standen, bemerkte ich es noch nicht einmal.
„Aber niemand kann mich zwingen, vor dem verdammten Altar mein Jawort zu geben!“ Es bedurfte meiner äußersten Willenskraft, nicht zu schreien und damit die Dienstboten anzulocken.
Ich war auf einmal furchtbar müde. Das alles – die anstrengende Reise, die Begegnung mit den banditos, der neuerliche Beinbruch, die enttäuschende Begegnung mit meinem Vater und nun dieser Streit – es war einfach zu viel für mich.
„Warum muss es denn ausgerechnet ich sein? Mein Vater hat doch noch so viele andere Töchter. Er müsste nur eine von ihnen anerkennen...“ flüsterte ich. Meine Hände zitterten und ich senkte den Kopf, damit der Comte nicht das verräterische Glitzern in meinen Augen sah.
„Du weißt davon?“ fragte er einigermaßen überrascht und vergaß darüber seinen Ärger.
Ich nickte. „Natürlich weiß ich es. Meine älteste Schwester ist kaum zwei Jahre jünger als ich. Wir sind gute Freundinnen und schreiben uns auch Briefe.“
Nachdem er den Schock verdaut hatte, dass ich von Vaters unehelichen Kindern wusste, sagte der Comte langsam: „Und du willst, dass diese Schwester von dir mich heiratet, obwohl sie mich überhaupt nicht kennt? Ein Schicksal, was dir selbst so furchtbar erscheint, dass du riskierst, in die Hände von banditos zu fallen, nur um vor mir zu flüchten?“
„So wie du das sagst klingt es furchtbar herzlos. Aber der Unterschied ist folgender: Ich kenne dich! Abgesehen davon hat sie einen viel liebenswerteren und vor allem nachgiebigeren Charakter als ich“ sagte ich, doch gelang es mir nicht, meinen Worten den nötigen Nachdruck zu verleihen.
Die Folge war, das der Comte in schallendes Gelächter ausbrach.
„Ich weiß gar nicht, was daran komisch ist!“ maulte ich. Wahrscheinlich waren es die Nachwirkungen der Medikamente, die mich so schnell die Stimmungen wechseln ließen. Und zweifellos war es auch ihr Einfluß, der mir den Gedanken in den Kopf trieb, wie gut der Comte doch aussah, wenn er so herzhaft lachte – am Liebsten hätte ich mitgelacht.
„Nun,“ meinte Senécio, als er sich wieder beruhigt hatte, „das ist etwas schwierig zu erklären.“
Ich fand, dass es nun genug war, und stand etwas unsicher auf, während ich beleidigt erwiderte: „Schon gut. Mein armer Verstand wäre mit der Erklärung sicher hoffnungslos überfordert!“
Senécio grinste höchst unverschämt, wie ich fand, und stützte mich, als ich schwankte. Dann wurde er übergangslos ernst.
„Ich verstehe dich nicht, Núphar. Als ich dir den Antrag machte, schienst du gar nicht abgeneigt, meine Frau zu werden. Und dann rennst du plötzlich einfach davon. Liegt es nur an dem Brief von Lady Òrchis oder gibt es noch einen anderen Grund?“
Errötend dachte ich daran, wie ich ihn umarmt hatte, ging darauf aber nicht ein. „Was weißt du von Linárias Brief? Hast du in meinen Sachen rumgeschnüffelt?“ rief ich statt dessen schon wieder aufgebracht.
„Nun, als du so plötzlich verschwunden warst, bat ich deine Mutter, mich in deinem Zimmer umsehen zu dürfen, was sie mir auch erlaubte. Ich fand den Brief im Papierkorb und schlussfolgerte dann, wohin du dich gewandt hattest.“
„Darum konntest du mich so schnell finden!“
„In der Tat, und gerade noch rechtzeitig. Aber du hast meine Frage nicht beantwortet. Gibt es vielleicht jemand anderen in deinem Leben oder warum hast du dich so plötzlich anders entschieden?“
Forschend blickte er in mein Gesicht. Er stützte mich nicht mehr, da ich mich nun an der Sessellehne festhielt, dennoch standen wir noch nahe beieinander. Unter seinem Blick wurde ich natürlich prompt rot, doch gelang es mir, ihm in die Augen zu sehen, als ich antwortete, dass es natürlich niemand anderen in meinem Leben gäbe. „Die Männer mögen mich im Allgemeinen nicht, jedenfalls nicht im romantischen Sinne. Denn meist bin ich für sie ein halb jungenhaftes Wesen, damit sie meine Überlegenheit zum Beispiel beim Bogenschießen oder Reiten ertragen können.“ fügte ich hinzu, als er mich misstrauisch ansah.
„Dann sind sie wohl blind.“ meinte er. – Was mich fast wieder um mein wackeliges Gleichgewicht brachte. Ich konnte nur hoffen, dass im Kerzenschein nicht auffiel, wie rot ich war. Dann sagte er: „Aber die Frage bleibt, warum du deine Meinung geändert hast.“ Warum musste er nur so beharrlich auf eine Antwort bestehen?
Ich biss mir auf die Lippe. Warum hatte ich meine Meinung geändert? Weil ich ihn nicht heiraten wollte, wenn er mich nicht liebte. Er hatte meine Umarmung nicht erwidert, also liebte er mich wohl nicht. Eine einfache Antwort, doch unmöglich, sie auszusprechen. In unserer Gesellschaft heiratete man nicht aus Liebe.
Da mir keine Antwort einfiel, tat ich, was alle jungen Damen (und auch ältere) tun, wenn sie in Bedrängnis sind: Ich täuschte eine plötzliche Ohnmacht vor, auch wenn ich mir dabei ungeheuer blöd vorkam. Doch war das wirklich eine gute Idee?


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Tróllius – Trollblume
Cáltha – Dotterblume
Nigélla – Schwarzkümmel
Consólida – Rittersporn ( allerdings wird der Hohe Rittersporn Delphínium elátum genannt)
 
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Senécio und Nuphár sind ja herrlich! Sie so temperamentvoll und freiheitsliebens, er geduldig doch einerseits nicht weniger stur. Und dann seine Annahme, sie könnte was für Linárias Bruder empfinden - Missverständnisse, Missverständnisse! Wie im richtigen Leben, hehe. Spannend ist diese Story durch die Ungeduld des Leser (oder jedenfalls von mir), wann und wie sich die beiden endlich annähern. Obwohl ich mir sicher bin, dass noch weitere Missverständnisse dazwischen kommen werden ...
LG


ISA (31.07.2005)

Hallo Conva!
Na, da bin ich ja mal gespannt wie sich der Comte und Nuphar einigen werden. Sind einfach süß die beiden.*Schmunzel!* Aber wer läßt sich das schon gefallen verheiratet zu werden, besonders wenn man so eine temperamentvolle junge Frau wie Nuphar ist.


Doska (02.04.2005)

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