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10 Seiten

With or without you - 11. Ortswechsel

Romane/Serien · Romantisches
© Conva
~Ortswechsel~

Ich hatte beabsichtigt, rückwärts in den Sessel zu sinken, doch der Comte vereitelte dies. Als er merkte, dass ich zu schwanken begann, fing er mich sofort auf – und so fand ich mich nur einen Moment später in seinen Armen wieder! Mein Gesicht lag an seiner Brust und durch den Stoff seiner Kleider hindurch spürte ich seine Wärme. Er hob mich scheinbar mühelos hoch und trug mich zu einem Sofa, wo er mich vorsichtig niederlegte. Mein Herz klopfte wie wild und es bereitete mir die allergrößten Schwierigkeiten, weiterhin eine Ohnmacht vorzutäuschen.
„Núphar?“ rief der Comte mit besorgter Stimme und fühlte mit der einen Hand meinen Puls.
Langsam schlug ich meine Augen wieder auf und schaute mich möglichst verwirrt um. „Was ist geschehen?“ Meine Stimme war leise und schwach und ich kam mir ziemlich schlecht vor, zu so einem erbärmlichen Trick zu greifen.
„Du hast kurz das Bewusstsein verloren. Es war wohl alles ein wenig viel für dich, was auch kein Wunder ist. Am Besten, du legst dich jetzt schlafen.“ antwortete der Comte ungewohnt sanft.
Das brachte mir einen alarmierenden Gedanken zu Bewusstsein: „Ich hoffe doch, ich habe ein eigenes Schlafzimmer!“ platzte ich heraus.
Der Comte schaute mich belustigt an. „Keine Sorge, du hast das Schlafzimmer für dich allein, schließlich sind wir noch nicht verheiratet.“
„Dann ist ja gut.“ sagte ich möglichst würdevoll, soweit meine roten Wangen es zuließen, und stand auf.
Der Comte zeigte mir die Tür, die direkt in mein Schlafzimmer führte und ich verschwand, seine Hilfe ablehnend, so schnell es mir mein Bein ermöglichte.
„Willst du nicht nach dem Dienstmädchen klingeln, damit es dir beim Auskleiden hilft?“ rief mir der Comte hinterher, doch ich schüttelte nur den Kopf.

Müde zog ich meinen Rock, meine Weste und meine Bluse aus. Nur noch in einem langen Hemd dastehend versuchte ich gerade, wenigstens mein Gesicht von dem Reisestaub reinzuwaschen, als es klopfte.
„Was ist?“ rief ich.
Unerwarteterweise öffnete sich die Tür und der Comte trat ein. Als er mich erblickte trat ein unergründlicher Ausdruck in seine Augen, doch er stellte nur das Fläschchen mit dem Laudanum und ein Wasserglas auf einen Tisch, verbeugte sich kurz und schloss die Tür wieder.
Ich hatte wie angewurzelt dagestanden, doch nun kam wieder Leben in mich. Während ich mal wieder tiefrot wurde humpelte ich zur Tür und drehte den Schlüssel im Schloss herum. Warum hatte ich nur nicht früher daran gedacht, dann wäre mir diese peinliche Situation erspart geblieben!

Am nächsten Morgen erwachte ich erst durch ein lautes Klopfen an der Tür. Ich war erst sehr spät in einen unruhigen Schlaf gefallen, da ich das Laudanum nicht hatte nehmen wollen. Noch immer völlig übermüdet und mit einem höllisch schmerzenden Bein war es kein Wunder, dass meine Laune nicht eben die Beste war.
“Núphar, wir wollen in zwei Stunden abfahren!“ erklang die Stimme des Comte. „Benötigst du Hilfe? Soll ich nach dem Dienstmädchen klingeln?“
„Ach verflixt, ich komme sehr gut alleine zurecht, hör auf mich wie eine Invalide zu behandeln!“ fauchte ich.
„Oho, welch sonniges Temperament!“
Grummelnd und fluchend wusch ich mich und zog dann meine Kleider wieder an. Ich würde froh sein, wenn ich endlich frische Sachen tragen konnte, doch hatte ich keine Wäsche zum Wechseln eingepackt, um mein Gepäck möglichst gering zu halten.
Als ich die Tür aufschloss und mein Zimmer verließ, roch ich den herrlichen Duft von frischen Brötchen. Der Comte war nirgends zu sehen. Da ich so hungrig war, beschloss ich, nicht auf ihn zu warten. Vielleicht hatte er ja auch schon gefrühstückt. In Windeseile hatte ich so viel Essen verdrückt, dass mir fast schlecht wurde. Aber ich wusste ja nicht, wohin wir nun fahren würden. Zurück nach Hause oder nach Cer? Oder vielleicht zu meinem Vater? Nein, das konnte nicht sein, er hatte ja gestern gesagt, er würde die Einladung des Comte annehmen. Dass mich niemand in die Pläne eingeweiht hatte, verstärkte meine schlechte Laune nur noch mehr.
Als der Comte eintrat und mir einen guten Morgen wünschte, würdigte ich ihn kaum eines Blickes.
Dann befahl ich jedoch: „Ich will zu Massai. Bring mich zu ihm!“ Es widerstrebte mir sehr, ihn um seine Hilfe zu fragen, doch musste ich einsehen, dass ich es alleine nicht bis in den Stall schaffen würde. Zumal, wie ich festgestellt hatte, unsere Räume im ersten Stock lagen.
„Wer könnte eine so anmutig vorgebrachte Bitte ablehnen.“ spottete der Comte. „Wie dem auch sei, ich fürchte, die Umstände lassen mir keine andere Wahl, auch wenn ich mir dann für immer deinen Zorn zuziehen werde.“
„Oh, das ist schon längst geschehen“ sagte ich giftig. „Aber wenn du mir nicht helfen willst, dann werde ich eben einen Dienstboten damit beauftragen.“
„Das wird nicht nötig sein. Wenn wir abreisen, wirst du uns sowieso helfen müssen, dein Pferd zum Mitkommen zu überreden. Er hat gestern fast den Stall kurz und klein geschlagen und ist auch heute Morgen noch ausgesprochen schlecht gelaunt. Der Stallknecht hat mir eine halbe Stunde lang mit seinen Beschwerden in den Ohren gelegen.“
„Du hättest ihn ja auch warnen können, du hast doch mitbekommen, dass Massai keine Fremden mag.“
„Ich muss zugeben, ich habe dein Pferd unterschätzt. Ich hätte nicht gedacht, dass er jemanden angreift, der nur Futter in seinen Trog schütten will.“
Nicht ohne Stolz erklärte ich: „Massai nimmt nur von mir oder meinem eigenen Stallburschen sein Futter an. Er vertraut niemandem außer uns. Und jetzt will ich endlich zu ihm!“
„Dein Vater wird jeden Moment kommen, darum ist jetzt nicht der beste Moment, um nach deinem Pferd zu sehen.“ erklärte der Comte.
Kaum hatte er ausgesprochen, da klopfte es auch schon. Von einem Dienstmädchen angemeldet trat mein Vater ein und wünschte uns einen guten Morgen.
„Ich hoffe, du hattest eine ruhige Nacht?“ fügte er an mich gewandt hinzu.
„Ich hatte schon ruhigere.“ brummte ich missmutig. “Und ich will endlich zu Massai!“
“Lass uns doch erst einmal frühstücken.“ meinte mein Vater.
„Ich habe schon gefrühstückt. Massai wurde verletzt und ich wurde bisher stets daran gehindert, mir seine Wunde anzusehen. Bitte lass mich zu ihm.“
„Also schön. Würdet Ihr meine Tochter begleiten, Comte?“
Es war eigentlich keine Frage mehr, sondern eher ein Befehl. Der Comte warf einen sehnsüchtigen Blick auf den Frühstückstisch, kam dann aber zu mir um mir aufzuhelfen. Er tat mir beinahe etwas Leid, doch schob ich den Gedanken sofort wieder zur Seite. An der Treppe wollte er mich die Stufen runtertragen, aber ich wehrte entschieden ab.
„Es wäre aber doch viel einfacher und würde auch schneller gehen.“ versuchte er mich zu überzeugen.
„Ich bin keine Invalide! Vielleicht benötige ich etwas länger, bis ich unten bin, aber ich schaffe es sehr gut alleine!“
„Alleine sicher nicht. Sei doch nicht so stur, Núphar.“
„Danke, ich laufe. Abgesehen würde es sich bestimmt nicht schicken, wenn du mich trägst.“
„Jeder denkt doch, wir sind verheiratet. Und seit wann kümmerst du dich um die Meinung der Leute über dich.“ Und damit hob er mich einfach hoch.
Ich muss gestehen, dass ich sogar ein bisschen erleichtert darüber war. Mein Bein tat nach wie vor weh und mir fiel schon das Gehen auf ebenem Boden schwer, obwohl Senécio mich die ganze Zeit über stützte. Trotzdem musste ich natürlich gegen seine Handlungsweise protestieren, schließlich konnte er doch nicht so einfach meine Wünsche ignorieren! Seine einzige Antwort bestand darin, dass er mich am Fuß der Treppe wieder absetzte und meinte: „War doch gar nicht so schlimm, oder?“
Ich schwieg, auch wenn ich ihm insgeheim Recht geben musste. Es war alles andere als schlimm gewesen...
Sobald ich den Stall betrat begrüßte Massai mich mit einem lauten Wiehern. Er lief aufgeregt in seiner Box umher und scharrte mit den Hufen im Stroh, in dem noch das Futter des vorigen Abends verstreut war. Offensichtlich hatte der Stallknecht es nicht bis zum Trog in der Ecke der Box geschafft.
Ich begrüßte Massai zärtlich und besah mir sein Bein. Als ich zu meiner Erleichterung feststellen konnte, dass die Wunde gut aussah und schon begonnen hatte, zu heilen, ließ ich mir dann von einem staunenden Jungen einen Eimer mit Futter bringen.
„Das is’ ja ein Ding, dass der plötzlich so brav is’. Wie ein Lamm steht der jetzt da, dabei hat er sich gestern aufgeführt wie der leibhaftige Dämon!“ sagte der Junge.
Ich lächelte nur stolz und hielt meinem Pferd den Eimer hin. Sofort vergrub er seine Nase darin und ließ es sich schmecken. Zufrieden schnaubend tauchte sein Kopf dann und wann wieder auf, um zu kauen, bevor er wieder eifrig im Eimer verschwand.
„Es gibt doch nichts Schöneres, als einem Pferd beim Fressen zuzusehen!“ bemerkte ich gedankenverloren.
„Oh, da fällt mir doch so einiges ein. Zum Beispiel selbst endlich etwas zu essen!“ erwiderte der Comte.
„Du kannst ruhig gehen.“ meinte ich schuldbewusst. „Ich werde hier warten.“ Und als ich seinen forschenden Blick bemerkte fügte ich hinzu: „Keine Angst, ich werde nicht wieder davonlaufen.“
Nach einem letzten Blick nickte er und verschwand eilig. Er hatte wohl wirklich Hunger, dachte ich amüsiert.
Kurz war ich versucht, doch zu fliehen. Linária hätte mich sicher bei sich aufgenommen. Dann fiel mir jedoch ein, dass Linária frisch verheiratet war, und sicher lieber mit ihrem geliebten Mann allein war. Kurz war ich eifersüchtig auf Lord Órchis, doch dann schalt ich mich eine törichte Gans, die ihrer besten Freundin kein Glück gönnt. Außerdem hatte ich dem Comte versprochen, nicht zu fliehen.
Während Massai schnobernd im Eimer die letzten Haferkörner suchte, dachte ich über meine Zukunft nach. Es würde bestimmt nicht allzu schlimm sein, bisher hatte sich der Comte mir gegenüber überaus rücksichtsvoll und fürsorglich gezeigt. Von seinen gelegentlichen sarkastischen Bemerkungen natürlich einmal abgesehen! Und wenn ich ganz ehrlich sein wollte, musste ich zugeben, ihn sogar heiraten zu wollen. Andererseits mochte ich aber auch nicht von meinem Vorsatz, nur aus gegenseitiger Liebe zu heiraten, absehen. Und ich war mir ziemlich sicher, dass mich der Comte nicht liebte.
Missmutig ließ ich mich auf einen Ballen Stroh sinken, der neben Massais Box lag. Vielleicht sollte ich einfach das Beste aus der Situation machen. Ich hatte sowieso keine andere Wahl, als Senécio zu heiraten – aber dann zu meinen Bedingungen!

Auf einmal wurde es hektisch im Stall und vier prachtvolle Braune wurden in den Hof geführt. Wie ich später erfuhr waren es Pferde, die dem Comte gehörten. Ein Diener hatte sie in der Nacht hergebracht. Sie wurden nun vor eine Kutsche gespannt, die ebenfalls dem Comte gehörte – sein Wappen war am Wagenschlag zu sehen.
Nun kamen auch Senécio und mein Vater in den Stall.
„Und, wie geht es Massai?“ fragte mein Vater.
„Es geht ihm gut. Er hat ja nur einen Streifschuss abbekommen, die Wunde ist bereits am Verheilen. Er scheint auch nicht sonderlich steif zu sein.“
„Das freut mich. Ich nehme an, du wirst ihn frei neben der Kutsche herlaufen lassen?“
Ich nickte und überlegte, ob ich fragen sollte, wohin wir fahren würden. Doch bevor ich dazu kam, fragte Senécio, ob mein Vater ebenfalls in der Kutsche fahren würde.
„Oh nein, ich ziehe es vor zu reiten, werde jedoch in Eurer Nähe bleiben.“
„Wie Ihr wünscht. Darf ich dir in die Kutsche helfen, Núphar?“
Ich erlaubte es ihm gnädig und trat von ihm gestützt auf den Hof hinaus. Massai folgte mir und wieherte den Kutschpferden herausfordernd zu. Diese waren jedoch zu nervös, um ihn weiter zu beachten, lediglich die Stute meines Vaters wieherte zurück. Der Comte half mir in den Wagen und ich musste dann erschrocken feststellen, dass er ebenfalls einstieg. Auf ein Zeichen von ihm hin fuhr der Kutscher los, die nervösen Braunen des Comte drängten machtvoll vorwärts. Neben dem Kutschfenster sah ich Massais Kopf auftauchen, der neben uns herlief. Auf der anderen Seite ritt mein Vater auf seiner Rappstute und hinter uns folgten die Männer des Comte.
„Es ist dir doch nicht unangenehm, mit mir allein in der Kutsche zu sein?“ bemerkte der Comte, der offensichtlich mein Erschrecken bemerkt hatte.
„Aber nein!“ schüttelte ich den Kopf. „Ich hatte lediglich nicht damit gerechnet, ich dachte du würdest es ebenfalls vorziehen zu reiten.“
„Normalerweise schon, doch ich muss gestehen, dass ich ziemlich erschöpft bin von den letzten Tagen. Und das Sofa im Wirtshaus war auch nicht gerade geeignet, um eine erholsame Nachtruhe zu haben.“
„Du hast auf dem Sofa geschlafen? Aber wieso denn das?“
„Na, du hast es doch recht deutlich gemacht, dass du das Schlafzimmer für dich alleine haben willst!“ scherzte Senécio.
Ich warf ihm einen bösen Blick zu und er ließ sich dazu herab, zu erklären: „Die Leute im Wirtshaus glaubten doch, wir seien verheiratet. Ich habe ihnen natürlich nicht meinen richtigen Namen gesagt, dennoch hätte es unangenehmes Gerede geben können, hätte ich auf zwei getrennten Schlafzimmern bestanden.“
Ich musste ihm Recht geben und fühlte mich ziemlich unwohl bei dem Gedanken, was er meinetwegen hatte ertragen müssen. Andererseits war er jedoch selbst Schuld! Warum bestand er auch darauf, ausgerechnet mich zu heiraten, obwohl er mich noch nicht einmal liebte!
“Ich hoffe, das Gerüttel der Kutsche ist nicht zu unangenehm für dein Bein!“ wechselte Senécio das Thema.
“Aber nein, die Kutsche ist wirklich ausgezeichnet gefedert. Man merkt ja kaum etwas.“ erwiderte ich höflich. Ich war fest entschlossen, keinen Streit mehr mit meinem zukünftigen Ehemann anzufangen, mit dem ich den Rest meines Lebens gemeinsam verbringen würde. Außerdem wollte ich ihn in eine milde Stimmung versetzen, damit er auf all meine Bedingungen zur Hochzeit eingehen würde.
“Es freut mich, dass sie dir gefällt. Aber die Straßen sind hier auch ausgezeichnet.“ Die Mundwinkel des Comte zuckten spöttisch, als habe er meine Absicht durchschaut.
Doch ich gab nicht auf: „In der Tat. Wir haben aber auch Glück mit dem Wetter. Bei der anhaltenden Trockenheit sind die Straßen natürlich viel bequemer.“
“Ich finde das Reisen bei gutem Wetter allgemein bequemer, auch wenn man reitet. Vor allem natürlich, wenn man gezwungen ist, in der freien Natur zu übernachten.“
“Da hast du vollkommen Recht. Trockenheit wäre wahrhaftig ein wünschenswerter Dauerzustand, wären nicht die Bauern auf Regen angewiesen, damit ihre Pflanzen wachsen.“ Auch ich musste ein Grinsen unterdrücken. „Allerdings darf es auch nicht zu trocken werden, sonst staubt alles so sehr!“
Nach einigen weiteren allgemeinen Bemerkungen zu der Landschaft, die wir durchfuhren, fragte ich schließlich: „Darf ich wohl erfahren, wohin wie fahren?“
“Wir fahren zu meinem Landsitz bei Caldésia. Er ist nur eine halbe Tagesreise entfernt von hier, was von großem Vorteil ist. Dort wirst du dich erholen können, bevor unsere Hochzeit in Cer stattfindet.“
Ich nickte nur und meinte lächelnd: „Ich freue mich, Caldésia kennen zu lernen. Ich habe schon viel davon gehört.“ Dies entsprach den Tatsachen, ich hatte schon viel über die hervorragenden Pferdezucht gehört, die Senécio dort betrieb, doch war mir nicht bewusst gewesen, dass es so nahe lag.
Der Comte schien überrascht, dass ich keine Proteste gegen seine Pläne und die Erwähnung der Heirat äußerte, doch forschte er nicht weiter nach.
Wir schwiegen nun und es dauerte nicht lange, da fielen mir die Augen zu. Durchaus verständlich, da ich in der Nacht kaum geschlafen hatte. Während ich döste zogen die Pferde die Kutsche in flottem Trab in Richtung Osten, wo das Anwesen des Comte lag. Ich erwachte als der Wagen langsamer wurde. Senécio war ebenfalls eingeschlafen. Tiefe Schatten lagen unter seinen Augen und er wirkte furchtbar erschöpft. Mir war dies nicht aufgefallen, als er wach war. Trotz allem hatte er immer eine gewissen Energie ausgestrahlt, wenn seine Augen blitzten wegen etwas, was ich gesagt hatte, wenn er diesen spöttischen Ausdruck im Gesicht hatte und eine bissige Bemerkung auf den Lippen.
Die Kutsche kam zum Stehen und der Comte wachte ebenfalls auf. Der Wagenschlag wurde geöffnet und mein Vater half mir hinaus. Was ich sah, verschlug mir den Atem.
Vor mir führten weiße Marmorstufen zu einer prächtigen Eingangstür hinauf, die mit dem Wappen des Comte verziert war. Dutzende von Fensterscheiben funkelten in der späten Mittagssonne. Die Auffahrt, die wir hinaufgefahren waren, wurde von alten Eichen gesäumt und führte auf einen großen Platz mit Springbrunnen in der Mitte. Rechts in der Ferne konnte ich einen See entdecken, während es nach links hin zu einem gepflegten Garten zu gehen schien. Blumenbeete zogen sich am Fuß des Hauses entlang und ein süßer Duft lag in der Luft.
Es war das schönste Anwesen, das ich je gesehen hatte!
Die Eingangstür flog auf und ein halbes Dutzend Diener erschien, um uns zu begrüßen.
“Es ist mir eine Freude, Euch wiederzusehen!“ sagte ein älterer Mann, der unzweifelhaft der Butler war.
“Danke schön, Crépis. Darf ich dir meine Verlobte vorstellen, Núphar Koeléria. Núphar, dies ist Crépis, mein Butler.“
Der Mann verbeugte sich und ich neigte mein Haupt. Crépis winkte ein Mädchen herbei, das schüchtern vor mir knickste. „Dies ist Túlipa, die Euch als Zofe zur Hand gehen wird. Sie ist sehr geschickt und wurde von der Zofe der Mutter des Comte persönlich ausgebildet.“
Ich lächelte dem Mädchen, das nur wenig jünger als ich zu sein schien, freundlich zu. Dann wandte ich mich an den Comte. „Ich möchte gerne Massai auf eine Weide bringen, wenn das möglich ist?“
Senécio seufzte. „Kann das niemand anderes tun?“
Ich schüttelte energisch den Kopf. Senécio wandte sich daraufhin an den Butler und sagte ihm irgendetwas, das ich nicht verstehen konnte. Crépis nickte und schickte zwei Diener ins Haus zurück. Kurze Zeit später kamen die Männer mit einem Stuhl wieder, an den Räder befestigt waren.
“Der Stuhl wurde für meine Amme angefertigt, als sich diese bei einem Sturz ebenfalls das Bein brach. Ich bin sicher, es wird für dich angenehmer sein, dich darin schieben zu lassen, als ständig durch die Gegend zu humpeln.“ erklärte der Comte.
Mein Vater nickte mir zu: „Eine ausgezeichnete Idee, nicht wahr, Núphar? So kannst du dich besser schonen und dein Bein verheilt schneller.“
Auch ich musste zugeben, dass der Stuhl recht praktisch war, auch wenn ich mir etwas merkwürdig vorkam, als ich darin Platz nahm und vom Comte Richtung Stall geschoben wurde. Massai folgte uns, sich dabei neugierig umsehend und witternd die Luft durch die Nüstern einzuziehen. Ein Stück entfernt vom Haus lagen die Stallungen, an die sich großzügige Weiden anschlossen. Als Massai die Stuten roch, wieherte er aufgeregt, warf den Kopf hoch und tänzelte prahlerisch.
“Angeber!“ lachte ich.
“Er hat auch allen Grund dazu!“ sagte mein Vater stolz. „Er ist eines der besten Pferde, die ich jemals gezüchtet habe.“
Ein kleiner verhutzelter Mann kam uns entgegen, den Senécio uns als seinen Stallmeister vorstellte. Massai bekam eine Weide zugewiesen und nachdem er sich gründlich umgesehen hatte, begann er friedlich zu grasen. Nur als wir gehen wollten, wurde er noch einmal nervös, doch beruhigte er sich bald wieder.
Mein Vater wechselte sich nun mit Senécio ab und schob mich zum Haus zurück, das wir durch eine Terrassentür, die in einen eher gemütlich denn elegant eingerichtete Salon führte, betraten.
„Möchtest du dich erst etwas frisch machen, bevor wir einen kleinen Imbiss zu uns nehmen?“ fragte der Comte.
Ich überlegte kurz, doch entschied ich mich dann: „Wenn es meinem Vater und dir Recht ist, möchte ich gleich essen. Ich fürchte, ich bin schon wieder hungrig.“
„Wie ein kleines Kind.“ spottete mein Vater und begann zu meinem Entsetzen dem Comte Anekdoten zu erzählen, wie ich als Kind stets hungrig gewesen war. Einmal hatte ich eine ganze Mahlzeit allein gegessen, die eine spezielle Freundin meines Vaters für uns drei gekocht hatte. Ein anderes mal zwang ich meinen Vater, mitten auf der Jagd auf einen großen Hirsch eine Pause zu machen, nur damit ich etwas essen konnte.
Während ich meinem Vater über mein Schulter hinweg wütende Blicke zuwarf, konnte sich der Comte das Lachen nur mühsam verkneifen. Währenddessen wurde ich in meinem Stuhl durch eine Menge weiterer Räume, teils elegant, teils eher gemütlich, geschoben. Endlich kamen wir in das sogenannte Frühstückszimmer, welches mit seinen gelben Tapeten und den mit gelbem Stoff bespannten Stühlen einen fröhlichen, sonnigen Eindruck machte. Auf einem kleinen Tisch an der Wand waren Tee und belegte Brote, sowie Obst aufgestellt. Mein Vater schob mich an den Esstisch und Senécio holte mir eine Auswahl an Essen. Dann holten auch er und mein Vater sich einen Teller und setzten sich zu mir. Schnell waren sie in eine Fachsimpelei über die Pferdezucht verwickelt, an der mich zu beteiligen ich keine Lust hatte. Statt dessen sah ich mich im Zimmer um. An den Wänden hingen fröhliche Landschaftsmalereien, die den sonnigen Charakter des Zimmers noch zu verstärken schienen. Ansonsten war das Zimmer schlicht aber elegant. Abgesehen von dem langen Esstisch in der Mitte des Zimmers und dem Buffet an der Wand, gab es keine weiteren Möbelstücke. Lediglich neben dem Kamin stand noch ein kleiner Tisch mit einer Glaskaraffe, die bestimmt Brandy enthielt. Was ich bisher von dem Haus gesehen hatte, gefiel mir ausgesprochen gut und ich war sicher, dass ich hier ganz angenehm leben konnte – wenn der Comte meinen Bedingungen zustimmte.
Nach dem Essen half mir der Comte auf mein Zimmer. Bis zu meiner Genesung würde ich einen umgestalteten Raum im Erdgeschoss bewohnen. Die Zofe Túlipa erschien und half mir aus meinen Kleidern und ins Bett. Bevor sie lautlos das Zimmer verließ, zog sie noch die Vorhänge zu, doch das bekam ich kaum noch mit. Nach der anstrengenden Reise und der schlaflosen Nacht war ich nun völlig erledigt und schlief beinahe sofort ein.



Caldésia: Herzlöffel
Crépis: Pippau, Grundfeste
Túlipa: Tulpe
 
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Kommentare  

Schöne Beschreibung des Anwesens! Ich warte brennend auf eine kleine Annäherung der beiden Sturen
LG


ISA (31.07.2005)

Hallo Conva!
Endlich hast du wieder ein Kapitel von den beiden süßen Dickköpfen ins Netz gestellt. Wurde auch Zeit! Wirklich ein charmantes Kerlchen, dieser Comte. Nuphar ist zu beneiden! Aber sie scheint nicht zu wissen, wie sehr Senecio in Wahrheit auf sie steht. Na ja, am Anfang hat man das ja auch wirklich nicht so gemerkt und wer will sich schon so einfach verheiraten lassen? Auch er ist sich wohl nicht im klaren, was Nuphar wirklich über ihn denkt. Ganz süß vermittelnd dabei Nuphars Papa.
Und nun wollen wir hier mal nicht die Tiere vergessen. Hengst Massai vermittelt zwar nicht, aber er hat einen sehr eigenständigen Charakter. Ich konnte ihn mir so richtig empört vorstellen, wie er wild schnaufend den Stallknecht vertreibt. Sehr schön hast du auch das prächtige Anwesen des Comte beschrieben. Ha, da würde ich auch gerne mal zu Besuch kommen.
Liebe Grüße
Deine Doska


doska (12.06.2005)

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