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213 Seiten

Die doppelten Chroniken von Christian und Brendan

Romane/Serien · Schauriges
Vorwort:

Das vorliegende Dokument entstammt der Feder zweier Autoren. Die eine Chronik handelt von Christian, dem Vampir, die andere von Brendan, dem Werwolf. Diese zwei Personen erzählen eine gemeinsame Geschichte. Aus wessen Feder der jeweilige Text stammt, erkennt der geneigte Leser an der Kapitelüberschrift, wo in Klammern der jeweilige Name hinterlegt ist. In den Dialogen verrät ein "C:" oder "B:" die jeweilige Herkunft. Christian wurde von Marc verfasst, der gehörlos ist und Brendan von Oliver.
Doch nun wünschen wir euch viel Spaß beim lesen!

Christians Prolog:
Guten Tag, ich bin Christian und auf der Suche nach meiner Familie. Ich wurde vor einigen Jahren von meiner Mutter und meinen Geschwistern verlassen, als ich zu einem Vampir wurde. Sie haben mich nur schweren Herzens verlassen, aber ich habe entschieden, dass es so das Beste ist, um mich mit meinem neuen Leben vertraut zu machen.
Als ich die erste Zeit ziellos durch die Nächte streifte, um Gefährten wie auch Opfer zu finden, stellte ich fest, dass auch dieses Leben nicht mein Leben war, und so legte ich mich zurück in meine letzte Ruhestätte und ließ die Jahre verstreichen.
Eigentlich bin ich jetzt nach irdischen Maßstäben 34 Jahre alt; da ich aber mit 16 Jahren verwandelt wurde, sehe ich heute aus wie ein 18Jähriger. Es stimmt nicht, dass wir Vampire unsterblich sind; wir altern nur pro Dekade um ein Jahr. Für Menschen scheint das jedoch unendlich zu sein.
Wir haben Gaben, aber auch Flüche. So ist etwa das Sonnenlicht eins davon.
Als eine Gabe empfinde ich es, dass wir Tiere beeinflussen können. Zu meinen Wächtern, wenn ich tagsüber tot bin, zählen meine Ratte Jimmy, mein Rabe Max und mein ganzer Stolz Akasha (der Name kommt von unserer Urmutter), ein Albino Python von 5 Metern Länge.
Sie beschützen entschlossen meinen Sarg, in dem ich ruhe. Zurzeit in einem wunderschönen Mausoleum auf einem alten, vergessenen Friedhof.
Eine weitere Gabe ist es, dass wir den Wind und somit auch die Wolken beeinflussen können; falls wir es mal nicht rechtzeitig an einen vor Sonnenlicht verborgenen Ort schaffen, können wir uns so eine gewisse Zeitspanne verschaffen.
Dann ist da noch das Fliegen. Richtig fliegen wie ein Vogel können wir natürlich nicht, aber wir können uns von der Erde loslösen und in den Nachthimmel hinaufgleiten und mit Hilfe des Windes dahingleiten, was aber, wenn man noch nicht viel Erfahrung hat, mehr als ein „Durch-die-Luft-wirbeln“ bezeichnet werden kann.
Ich persönlich finde es auch schön, dass ich viel stärker bin als normale Menschen, meine Fingernägel härter sind, mein Haar nicht wächst und ich von allen irdischen Krankheiten verschont bleibe.
Ebenso liebe ich es, dass wir Gegenstände berühren können und uns darauf zu konzentrieren, denn dann erleben wir das Gelebte des ursprünglichen Besitzers. Wenn es ein Gegenstand unserer Familie ist, so hilft es uns auch, unsere Familie zu finden. So zum Beispiel wenn sie in Not ist oder unsere Hilfe benötigt.
So habe ich von meiner Mutter eine Kette mit ihrer Fotografie, die auch schon meiner Urgroßmutter gehörte. Mit Hilfe dieser Kette hat meine Mutter mich gerufen, so dass sie sich in meine Gedanken verankerte und ich in ihre.

Aufgrund ihres Rufes machte ich mich auf die Reise zu meiner Mutter, meinem Bruder, meinem Stiefvater und meinem Halbbruder.
Es musste irgendetwas passiert sein und außerdem wollte ich die Chance nutzen, endlich Antworten auf meine Fragen zu bekommen; warum ich so bin und warum ich ein Vampir wurde.

Ich lade Dich ein auf eine außergewöhnliche Reise.


Willkommen!
Brendans Prolog:
Sie kennen sicherlich Geschichten von Vampiren, nehme ich an? Jene düsteren Kreaturen, die nachts die Friedhöfe unsicher machen und sich vom Blut ihrer Opfer ernähren. Unzählige Geschichten gibt es über sie. Es sind magische Kreaturen, die tatsächlich über unsere Erde wandeln, auch wenn viele Mythen und Gerüchte über sie doch eher der übersteigerten Phantasie ihrer Erzähler entstammen.
Obgleich es Blutsauger sind, sind es jene Geschöpfe, die unserer Vorstellung von Engeln noch am nächsten kommen. Sie fliegen durch die Lüfte und in jede ihrer Bewegungen liegt eine gewisse Anmut und Eleganz. Ja, wir kommen nicht umhin, sie zu bewundern.
Auch mir erging es so. Auch ich stamme von einem magischen Geschlecht ab, auch wenn ihr Ruf noch wesentlich schlecht ist, als der eines Vampirs.
Vielleicht haben Sie auch schon einmal von Werwölfen gehört. Wenn dem so ist, so ist es nichts gutes, fürchte ich. Monster, die sich jeden Vollmond in eine namenlose Bestie verwandeln. Fürchterliche Killermaschinen, deren einziges Verlangen das Töten und Morden ist.
Nun, ganz so einfach ist es nicht. Bedenkt man die vielen Geschichten vom bösen Wolf in den Märchen der Gebrüder Grimm, so ist es nicht verwunderlich, dass ein Werwolf noch schlechter weg kommt, als der arme Wolf, welcher trotz seines schlechten Rufes doch ein sehr soziales und intelligentes Wesen ist.
Ich bin ein Werwolf und vielleicht kann ich mit meiner Schilderung der Ereignisse dazu beitragen, ein wenig die Vorurteile abzubauen, die gegen uns herrschen. Es stimmt, dass wir Fleischfresser sind und uns demzufolge auch von Fleisch und insbesondere vom Herzen unserer Opfer ernähren. Es stimmt ebenfalls, dass menschliches Fleisch eine besondere Faszination auf uns hat. Aber auch im verwandelten Zustand, einmal im Monat zu Vollmond, sind wir durchaus noch Herr unserer Sinne, auch wenn das Tier in uns in diesen Momenten entsprechend dominant ist.
Ein Werwolf zu sein ist ein Fluch. Und wir übertragen diesen Fluch auf unsere Opfer. Beißen wir einen Menschen, ohne ihn zu töten, so verwandelt er sich zum nächsten Vollmond ebenfalls in einen Werwolf. Töten wir jedoch einen Menschen, so wandelt sein Geist als Untoter über die Erde und zwar so lange, bis der Werwolf, der ihn gebissen hat, tot ist. Dieser Untote kann wiederum nur vom Werwolf gesehen werden.
Die Folgen können Sie sich leicht ausdenken. Tötet ein Werwolf einen Menschen, so verfolgt ihn dessen Geist bis an sein Lebensende und wünscht ihm nichts sehnlicher, als den Tot.
Der gewöhnliche Werwolf wird also tunlichst davon Abstand nehmen, Menschen anzufallen – wie der gewöhnliche Wolf übrigens auch. Nur wenn der Hunger übermächtig wird, vergreift er sich auch an Menschen.
Wie bei den Menschen auch gibt es natürlich auch Werwölfe, die sich um derartige Nachstellungen seitens der untoten Geister nicht scheren und fleißig Menschen reißen. Ich will dies nicht verleugnen. Trotzdem bitte ich zu bedenken, dass nicht alle Werwölfe gleich sind.
Nun, diese Geschichte handelt also von mir, Brendan, einem Werwolf, der auf einen Vampir trifft. Vampire und Werwölfe nicht nur von ihrem Wesen sehr unterschiedlich, es gibt auch gewisse Spannungen zwischen beiden Gattungen, was diese Geschichte aber auch so interessant macht. Im Grunde könnten Vampire und Werwölfe sich hervorragend ergänzen und es gab auch eine Zeit, in der dies tatsächlich funktioniert hat.
Wenn ich Ihre Neugier geweckt haben sollte, so lade ich Sie hiermit ein, mich auf meiner Reise zu begleiten.
1 (Christian)

Es war ein wunderschöner Abend, sternenklar, als ich wieder lebendig wurde. Ich setzte mich in meinem Sarg aufrecht hin und begrüßte meine Liebsten. Akasha hob den Kopf, gähnte genüsslich und entblößte dabei eine doppelte Reihe wunderschöner und messerscharfer Fangzähne, und ihr eleganter, muskulöser Körper fing an zu gleiten. Sie hatte seit ein paar Tagen nicht mehr gegessen und freute sich offensichtlich darauf, auf die Jagd zu gehen. Mit einem Auge beobachtete sie wie immer gerne Jimmy, der gerade auf meinem Bauch saß und sich genüsslich sein Fell putzte, Akasha weiß aber, das Jimmy tabu für sie ist und ich es ihr nie verzeihen würde, wenn sie ihn vertilgte. Das machte ich ihr auch an diesem Abend über meine Gedanken klar. Max kam auf meine Schulter geflogen, denn für ihn hatte ich immer ein bisschen Obst in meiner Tasche. Der wunderschöne blauschwarze Rabe kam jeden Abend, um sich dieses abzuholen. Für Jimmy hatte ich immer eine Nuss. Akasha konnte ich nie etwas anbieten. Es war unter ihrer Würde, von meiner Hand zu speisen. Sie hielt lieber unser Mausoleum rein von sämtlichen Ungeziefer. Jetzt, wo sie richtig Hunger hat, blickte sie mich aus ihren lidlosen, roten Augen an und ich erlaubte ihr, Beute zu jagen. Sie glitt lautlos davon in die Nacht.
Mit meinem Willen entzündete ich zwei Kerzen an einem kleinen Altar und stand auf, ohne Jimmy und Max zu stören. Ich stand vor dem kleinen Altar meiner längst verstorbenen Familienmitglieder und stellte fest, dass ich neue Blumen ihnen zu Ehren besorgen sollte. Nachdem ich dann meinen Hunger gestillt hätte, würde ich welche pflücken gehen. Ich mag es nicht, in Geschäfte einzubrechen, und ich mag auch nicht, sie vom Friedhof zu stehlen. Eigentlich mag ich überhaupt keine illegalen Machenschaften. Manchmal bleibt mir aber nichts anderes übrig, um zum Beispiel Geld zu besorgen. Mit meinen Gedanke schaffe ich es aber, Menschen zu verwirren, und wenn ich etwas kaufe, dann verwirre ich die Verkäufer, so dass sie dann das Geld zu meinen Gunsten falsch wechseln. Das ist auch nicht fair - aber lieber so als anders. Arbeiten kann ich ja nicht, obwohl ich gerne den Kontakt zu Menschen hätte. Einige meiner Spezies sehen in Menschen nur ihre Nahrungsquelle. Um mich zu ernähren, töte ich sie nicht, sondern nehme nur so viel Blut, wie ich benötige. In manchen Nächten sind es auch schon mal zwei oder drei. Ich hypnotisiere sie und öffne dann mit einem meiner Nägel eine Arterie und trinke. Mit meinem Speichel verschließe ich die Wunde wieder und lasse sie zurück. Nach einiger Zeit erwachen sie und wissen nicht, was passiert ist. Während der Mensch hilflos daliegt, schütze ich mich in einem Baum oder Hausnische und bewache sie, damit sie nicht erfrieren oder ausgeraubt werden.

Ich verscheuchte meine Gedanken und ging auf die Treppe der Gruft zu. Ein angenehmer Abendhauch kam mir entgegen; eine leichte Kühle und ein Geruch von uralten Bäumen und Blumen, die es kaum noch auf der Erde gibt. Die Sterne über mir funkelten wie Diamanten. Keine Wolke verdeckte ihren Blick auf mich. Ich, Christian, der Verdammte.

Die Stadt lag glitzernd in einigen Meilen Entfernung. Die hektische Großstadt, wo die Menschen leben, die ihre Urahnen hier begraben und sie dann vergessen. Ich habe auf dem Friedhof seit langer Zeit keinen Menschen mehr gesehen oder gehört. Es scheint hier eine andere Welt zu sein. Meine Welt. Zwischen der Stadt und mir einige Felder und kleine Farmen.

Was aber ist das für ein Geräusch? Lachende Menschen, Musik, ein süßer Geruch bringt der Westwind in meine empfindliche Nase. Die Erinnerung kommt zurück... Ich weiß, was das ist, und es ist so lange her... Ich spüre meine Tränen... keine Tränen aus Wasser und Salz rollen aus meinen Augen... sondern das Blut meiner Opfer und der Schmerz der Einsamkeit.


Es ist der Geruch von Zuckerwatte, Mandeln, Waffeln, Würstchen und Fisch. Es ist die Musik von Fahrgeschäften, Achterbahn, Riesenrad, Losbuden. Ein Jahrmarkt in meiner Nähe.
Ich war so lange nicht mehr auf einem Jahrmarkt. Das letzte Mal mit meiner Familie, da waren wir noch glücklich und mein Vater lebte auch noch. Ich hatte immer großen Spaß daran, mit meinem Bruder „Calypso“ zu fahren; ein Rundfahrtgeschäft, und es drehte sich in eine Richtung und die Gastkabinen in eine andere Richtung, und dann bei genügend Fahrt schwang es an einer Seite nach oben in die Luft. Das Ganze sah aus wie eine Hawaii-Hula-Tänzerin. Wir konnten damals Stunden fahren. Unser Vater fotografierte uns dann, wenn wir lachend in den Kabinen saßen.

Daddy, wie geht es Dir...?

Alte Erinnerungen wurden wieder in mir wach, und dennoch beschloss ich, diesen Jahrmarkt zu besuchen. Vielleicht finde ich auch ein leichtes Opfer...
Ich lief die Treppe zurück, zu einer Kiste, in der ich meine Sachen aufbewahrte und eine Zweite, in der meine restlichen Habseligkeiten verstaut waren.
Ich entschied mich für eine Jeans und ein T-Shirt mit Blumen und einem Schriftzug in der Mitte. Ich mag nicht die typischen Vampirklamotten. Man sieht darin aus wie ein Gothics und fällt nur unangenehm auf. Wenn man anders ist, ist es einfacher, mit der Masse zu gehen. Ich wählte dazu eine rote Jacke mit blauen Ärmeln und einer Kapuze. Dazu meine Sneaker, und ich war fertig für eine vielleicht spannende Nacht.

2 (Christian)

Ich näherte mich dem Kirmesplatz, und die Lichter flackerten in allen nur denkbaren Farben. Die Fahrgeschäfte waren viel schneller und höher als früher. Richtig wild! Ich ging auf die Menschenmasse zu und verschwand in der Menge wie in einem reißenden Fluss. Herrlich! Ich kam aus dem Staunen nicht mehr heraus. Wie hoch diese Dinger seit den 70ern geworden sind. Überall lachende und schreiende Menschen. Der Krach war mörderisch aber dennoch wie süße Musik in meinen Ohren. Ich entschied mich für eine Fahrt im Riesenrad und wollte diese Welt von oben sehen. Aufsteigen aus eigener Kraft wollte ich in dem Gewühl jetzt nicht.

Wie aufregend es schon war, in der Schlange anzustehen; dann bezahlte ich 2 Dollar, und schon war ich dran. Ein derb aussehender Mann wies mir eine Kabine zu und schickte noch drei weitere Menschen in die gleiche Kabine. Ich setzte mich und beobachtete sie. Zwei Jungs, vielleicht so um die 20 und ein Mädchen im gleichen Alter etwa.
Die Fahrt ging los, das schwere Eisengestell begann sich mit Leichtigkeit zu drehen und mit ein paar Rucken fuhren wir hoch in den Nachthimmel, den Sternen entgegen. Der Wind wehte an den Kleidern durch die offenen Kabinen. Unter uns ein glitzerndes Meer aus bunten Lichtern und Menschenmassen.
Wir drehten uns in dem Riesenrad, und während die beiden Jungen dem Mädchen die nahen Orte erklärten, ließ ich mich einfach von dem längst vergangenen Gefühl treiben.

Eigentlich waren wir eine ganz normale Familie. Mein Bruder Eddy und ich gingen zur Schule. Mein Vater arbeitete mit meiner Mutter in unserem eigenen Antiquitätenladen. Während mein Vater Sachen aus allen Jahrhunderten sammelte, blieb unsere Mutter im Laden und bei uns zuhause. Wir hatten eine sehr schöne Kindheit, denn beide kümmerten sich liebevoll um uns. Es war immer spannend, wenn mein Vater einige alte Sachen mitbrachte, und beim Säubern fand man in ihnen vergessene Besitztümer. Münzen, Geld, Briefe und Bücher. Ich neigte dann dazu, die vergessene Zeit zu romantisieren oder mir eine Geschichte über deren Besitzer auszudenken.
Das alles änderte sich schlagartig, als Vater nicht mehr nach Hause kam...

Ich vertrieb diese Gedanken. Ich wollte mir jetzt nicht den Abend verderben. Die Fahrt ging zu Ende, ich stieg nach meinen Begleitern aus und tauchte wieder in den Strom ein, vorbei an Buden und weiteren verrückten Fahrgeschäften.
Ich blieb vor einer Zuckerbäckerei stehen. Frische Waffeln mit Puderzucker, rote Paradiesäpfel, Mandeln, Früchtebrot und kandierte Obstspieße. Ich habe seit meinem Tod nichts mehr gegessen oder getrunken - außer frischem Blut. Ich war zu unvorbereitet und zu jung auf dieses neue Leben gestoßen. Und dennoch, ich wollte den süßen Geschmack der Vergangenheit schmecken und entschied mich für eine Waffel mit einer Kugel Vanille- und eine Kugel Schokoladeneis. Ich biss herzhaft hinein und erinnerte mich an meine Kindheit, wie meine Mutter immer sagte: „Esst vorsichtig und macht eure Kleidung nicht voll“. Diesmal klappte es ganz gut mit dem Essen und ich aß die Waffel mit dem Eis, ohne dass es Flecken auf meinem Shirt hinterließ. Vielleicht liegt es an meiner kalten Haut, dass das Eis nicht so schnell schmilzt und ich mich auch schneller bewege als ein Mensch, wenn ich will. Ich kann mich bei Bedarf schneller bewegen, als es das menschliche Auge wahrnimmt. Die alten Vampire nennen das „Huschen“. Sie setzen das auch ein, wenn sie fliehen müssen. Ich habe beim Laufen dann immer das Gefühl, dass nicht ich mich bewege, sondern sich die Welt unter meinen Füßen dreht.

Ich ging langsam weiter und merkte, dass ich einen Fehler in meinem Vampirdasein gemacht habe. Mir wurde schlagartig schlecht, und ich musste mich übergeben - rannte also zwischen zwei Buden auf eine dunkle Wiese und erbrach meine gerade gegessene Waffel. Diese menschliche Eigenschaft hatte ich schon ganz vergessen. Mein Magen rebellierte sofort, wenn ich etwas anderes als Blut zu mir nahm. Ich war so sehr mit mir beschäftigt, dass ich gar nicht merkte, dass ein Junge vor mir stand und mir ein Papiertaschentuch gab, ohne auch nur etwas zu sagen. Ich nahm es dankbar an und wischte meinen Mund ab. Ich schaute zu ihm auf und sah in ein wunderschönes Gesicht, braune Augen und dunkelblondes Haar. Ein leichter Flaum um seinen Mund verriet, dass er älter war als sein Äußeres vorgab. Eine Jeans und ein weißes Hemd mit aufgekrempelten Ärmeln umschlossen einen Körper, nicht Junge, nicht Mann. Ich blickte erneut zu ihm auf, wobei er einen Moment zurückwich. Ach ja, meine Augen ... helles Blau, die es mir erlaubten, in der dunkelsten Nacht zu sehen. Sie können jedes noch so kleine Licht ausnutzen und mich sehen lassen wie bei Sonnenschein. Ich stand langsam auf und bedankte mich für das Taschentuch.
„Ich bin Christian.“
„Brendan“ sagte er in einem ruhigen und gelassenen Ton. „Das Karussellfahren ist wohl nichts für dich“ - es war keine Frage, sondern eher eine Feststellung. Ich kam mir irgendwie blöd vor.
„Ja das kann sein. Bin es wohl nicht gewohnt. Danke für das Tuch.“
„Geht es dir besser, oder soll ich einen Sanitäter rufen?“
„Nein danke, es geht schon wieder. Ist wohl nur vom Fahren. Bin ja nicht krank“. Was rede ich da eigentlich? Ich habe so lange nicht mehr mit einem Menschen gesprochen...
„Na gut. Ich muss weiter arbeiten“ sagte er und ging zwischen den Buden entlang auf den Rummelplatz zu.
Ich sah ihm noch hinterher, aber da war er schon verschwunden. Ich ging den gleichen Weg und fühlte mich auch wieder ganz okay. Ich hatte dieses menschliche Verhalten schon ganz vergessen; wusste aber auch, dass ich nichts mehr essen würde. Nur ein bisschen die Menschen betrachten.

3 (Brendan)

Brendan lehnte sich an die Rückseite eines der vielen Schaugeschäfte des Jahrmarktes und versuchte, den Lärm und den Trubel aus seinem Kopf zu verbannen. Keine zehn Schritte hinter ihm drängten sich Menschenmassen durch die schmale Gasse, lachten und schrieen ausgelassen, während unzählige Lautsprecher sich gegenseitig zu übertönen versuchten, um zahlungswillige Kunden zu sich zu locken. Das alles vermischte sich zu einem einzigen, geräuschvollen Durcheinander, welches in meinen Ohren schmerzte. Wie sehr sehnte er sich in solchen Momenten nach der Ruhe und Stille tiefer Wälder, in denen das Rascheln einer Maus laut erscheint.
Auch in menschlicher Gestalt verfügen Werwölfe über hochsensible Ohren und einen außerordentlichen Geruchssinn, mit dessen Hilfe sie ihre Opfer auch über große Entfernungen aufspüren können. Dafür können sie Farben kaum auseinander halten; sie erscheinen in verschiedenen Grauschattierungen. Lediglich Bewegungen springen deutlich in ihr Gesichtfeld.
Brendan sieht aus wie ein Teenager, ist aber tatsächlich schon 28 Jahre alt. Ähnlich wie Vampire altern auch Werwölfe langsamer. Vampire. Einst haben die Werwölfe den Vampiren als Schutz über den Tag gedient. Doch schon seit Ewigkeiten herrscht eine Fehde zwischen den Werwölfen und den Vampiren. Er weiß nicht, wie sie ausgelöst worden ist, und es ist ihm auch egal. Auch mit seinesgleichen hat er wenig zu schaffen. Werwölfe ernähren sich am liebsten von den Herzen ihrer Opfer. Sie gehen in Rudeln auf die Jagd, am meist in den Wäldern, fernab der Städte.
Wenn Vollmond ist, sperrt ihn der fette Besitzer der Freakshow in einen seiner Käfige und er wird zu einer weiteren perversen Attraktion. Die Menschen halten ihn dann für eine Illusion oder einen mutierten Wolf oder so. Aber zumindest schadet er niemanden.
So lange er sich erinnern kann, zieht er mit dem Jahrmarkt umher; von Stadt zu Stadt. In dem Lärm und den Trubel der Städte, die ihm so zuwider sind. Der Geruch ist oft unerträglich.
Wie sehr vermisst er die Einsamkeit und vor allem die Ruhe der Wälder.
Er saugt den Duft der Wiese ein, die sich hinter den Jahrmarktsbuden erstreckt, und versucht sich vorzustellen, dass es nur diese Wiese geben würde, ohne diese laute, dreckige, grelle Welt hinter ihm, die mit ihren Lichtern in seinen Augen brennt und in den Ohren scheppert.

Plötzlich kam jemand zwischen den Buden hervor auf die Wiese gelaufen und erbrach sich. Sofort viel ihm seine schöne Gestalt und die Anmut seiner Bewegung auf. Offensichtlich hatte er etwas Falsches gegessen. Der Wind blies mir seinen Geruch herüber und mein erster Eindruck verstärkte sich noch: Dieser Mensch war anders, als das übliche, primitive Jahrmarktsvolk. Sein Jagdinstinkt war geweckt und so schlich er sich an ihn heran. Kein Mensch vermag einen Werwolf zu hören, der sich anschleicht; auch wenn er in menschlicher Gestalt daher kommt. Und so stand er bald direkt vor ihm und war für ihn doch immer noch ein Schatten auf der Wiese. Nun, es war auch besonders leicht, da er ja offensichtlich andere Probleme im Moment hatte, als seine Umwelt. Brendan griff in seine Jacke, zog ein Taschentuch hervor und durchbrach im gleichen Moment den Zauber. Sofort nahm er ihn wahr, was für einen Menschen sehr ungewöhnlich ist. Brendan hatte damit gerechnet, dass er noch einige Zeit hier hätte stehen können, bevor er ihn wahrnahm. Er erschrak auch nicht, sondern nahm nur dankbar das Taschentuch an, das Brendan ihm hinhielt. Er wischte sich den Mund ab und sah ihn an.
Brendan sah in sein Gesicht und erschrak fast vor der Schönheit, die sich ihm offenbarte. Sein erster Eindruck hatte ihn nicht getäuscht. Sein Gesicht glich dem eines Engels und seine Gestalt war von so makelloser Schönheit, dass er beschämt den Blick abwenden musste. Doch schon eine Sekunde später erlag er der Versuchung und schaute ihn wieder an. Ihre Blicke trafen sich diesmal und er sah in zwei helle Augen, die nicht von dieser Welt zu sein schienen. Das Universum schien sich in ihnen zu spiegeln, wie in keinem menschlichen Auge.
Brendan erschrak und wich einen Moment zurück. „Ein Vampir!“ schoss es ihm sofort durch den Kopf. Ein Engel der Nacht. Jetzt wusste er, warum sie so genannt wurden. Es hätte ihn nicht gewundert, wenn er sich jetzt in die Lüfte erheben und zu den Sternen davon fliegen würde, aus denen er geboren zu sein scheint.
Langsam erhob er sich. Hatte er mich erkannt? Von einem Moment auf den anderen bekam ich Angst. Was war mit der alten Fehde? Vampire und Werwölfe waren Todfeinde. Würde er ihn angreifen? Wäre Brendan dazu verdammt, gegen ihn zu kämpfen, wegen eines Jahrhunderte alten Streits? In dem gleichen Moment, wo ihm dieser Gedanke durch den Kopf schoss, wurde ihm klar, dass er es nicht tun würde. Er hatte nichts mit anderen Werwölfen zu tun, warum sollte er einem Streit folgen, der nicht der seine war? Alles, was er sah, war die Schönheit und die Anmut dieses Wesens, gegen das er ein räudiger Köter zu sein schien.
Brendan antwortete ihm so ruhig und gelassen, wie es ihm möglich war. Er schien mich nicht erkannt zu haben.
Er wunderte mich, wie es sein konnte, dass ein Vampir sich übergibt. Es würde dafür schon mehr nötig sein, als ein Karussell. Aber er wollte nicht riskieren, dass er ihn als Werwolf erkennt. Was würde ein Mensch jetzt sagen?
„Geht es dir besser oder soll ich einen Sanitäter rufen?“ Die Menschen schienen ständig einfach so umzufallen und so gab es auch immer Sanitäter auf den Jahrmärkten. Brendan ist das schon sehr früh aufgefallen. Oft konnten sie auch nicht richtig laufen oder sprechen und erzählten Dinge, die einfach keinen Sinn ergaben. Menschen waren merkwürdige Wesen.
Wieder sah der Vampir ihn an, als er antwortete und wieder versank Brendan in seinen Augen. Er spürte, wie sein Herz schneller schlug und sich Schweiß auf seiner Haut bildete. Es war beängstigend und wahrscheinlich auch gefährlich, sich mit einem Vampir zu unterhalten. Das Licht des Mondes spiegelte sich in Brendans Augen. Seine bloße Anwesenheit erregte Brendan und er musste seinen ganzen Willen aufbringen, um das ungestüme Temperament des Werwolfes in sich nicht aufkeimen zu lassen. Lange würde ihm seine wahre Natur wahrscheinlich nicht mehr verborgen bleiben. Wenn der Vampir ihn nicht schon längst durchschaut hatte.
Also verabschiedete Brendan sich schnell, verschwand eilig zwischen den Buden und tauchte erneut in das Gewimmel des Jahrmarktes ein.

4 (Christian)

In einem kleineren Teil des Platzes stand eine rote Bude, vor der sich viele Menschen tummelten und auf ein Podest schauten. Es hieß „Wunder der Erde“. Ich näherte mich und sah, dass sie dort abnorme Menschen zur Schau stellten. Jene armen Kreaturen, von der Welt und der Gesellschaft verstoßen, weil sie nicht der Norm entsprechen. Die Norm, was ist das überhaupt? Wer legt die Regel fest? Menschen, die keine andere Zukunft haben, als sich von einem Schausteller gegen wenig Geld zu versklaven, um überhaupt ein wenig in dieser Welt zurechtzukommen. Ich wurde wütend, und das merkte ich daran, dass meine Augen funkelten. Ich wollte sie befreien. Befreien, von was? Wenn ich die Bude zerstörte, den Eigentümer tot biss, welches Leben würde auf sie warten. Hunger? Einsamkeit? So wie ich? Weg von der Familie, ein Leben in der Schattenwelt. Welche Zukunft haben sie? Menschen nennen sie Freaks.

Nein, das ist nicht die Lösung!
Die Wut hatte mich wieder an mein eigenes Ich erinnert. Ich hatte Hunger; nicht nach einer Wurst oder anderer Nahrung für „normale“ Menschen, sondern nach warmem, frischem Blut.
Okay, einen Menschen auswählen, abdrängen, hypnotisieren und trinken. Am besten einen einzelnen Mann. Ich brauchte Kraft und eine gute Portion.
Da war einer der Maulhelden, der schrie: „Lasst die Freaks raus!“
Gut, du Ekel. Du willst einen Freak? Du wirst einem so nah sein wie noch nie in deinem feigen Leben!
Sieh mich! Sie mich an! Sie jetzt zu mir rüber! Meine Gedanken erreichten ihn, und er starrte in meine Richtung. Seine Augen trafen meine, und er stierte geradewegs in meine Pupillen.
Komm! Komm zu mir!
Ich ging langsam zurück. Hinter diese Bude. Er folgte mir mit seinen plumpen Schritten; er hatte wohl getrunken. Umso besser; dann geht es noch schneller. Er folgte mir wie in Trance, und als wir hinter der Bude waren, merkte ich schon den schmerzenden Hunger. Meine Augäpfel färbten sich blutrot. Ein leichtes Ziehen in meinem Oberkiefer verriet mir, dass sie wuchsen. Meine Fangzähne. Weiß wie Elfenbein, hart wie Stahl. Ich war bereit. Der Kerl war so benebelt, dass ich meine Zähne direkt in seine Halsschlagader drückte. Und da war es. Das warme, sprudelnde Blut in meinem Mund. Leicht rostig wie Metall und doch süßlich. Es strömte meinen Rachen und füllte meinen Magen. Mein Körper wurde wärmer, und mein Herz fing an zu pumpen. Ich musste aber aufhören. Ich wollte ihn nicht töten und wenn sein Herz aufhörte zu schlagen, würde er mich mit in den Tod ziehen.
Ich löste mich, spuckte auf seine Wunde und mein Selbstreinigungsprozess begann. Mein Kinn und mein Mund zogen das Blut in sich hinein. Nach ein paar Minuten sah man den tierischen Akt nicht mehr.


5 (Brendan)

Kaum um die Ecke, kletterte Brendan flink auf das Dach der Bude, an der er sich eben noch angelehnt hatte und fixierte den Vampir. Auch er ging wieder in die Gasse und bewegte sich durch die Menschenmasse. Er folgte ihm unbemerkt über die Dächer und Schatten der Schaustellerbuden. Der Vampir war auf der Jagd. Auch durch die vielen, aufdringlichen Gerüche hindurch konnte er seinen Hunger riechen.
Er hatte sich einen der Proleten ausgesucht, der vor der Freakshow stand. Nun, wenn heute Abend schon ein Mensch dem Hunger eines Vampirs erliegen musste, so traf es doch wohl einen, um den es nicht schade ist. Einen jener Gaffer, die sich am Leid seiner Mitmenschen belustigt und somit für die Existenz der „Wunder der Welten“ sorgte, wie die Freakshow hieß. Doch was beschwerte er sich? Schließlich arbeitete und lebte er dort. Ohne solche Menschen, die ihr Geld hier ließen, würde er nichts verdienen und hätte auch keine Unterkunft.
Nach kurzer Zeit kommt der Vampir wieder hinter der Bude hervor, in die er mit dem Mann verschwunden ist. Die Neugier packte ihn und er schlich an die Stelle, wo die beiden verschwunden sind. Zu seiner Überraschung lebte der Mann noch. Ein weiterer Betrunkener auf diesem Jahrmarkt. Nicht einmal einen Biss konnte er entdecken, nur die bleiche Gesichtsfarbe zeugte von seiner Begegnung. Oder war auch dies der Alkohol schuld? Er befürchtete, Christian zu verlieren und trat eilig wieder hinaus. Er war unvorsichtig und Christian registrierte ihn, drehte sich suchend um. Brendan schalt sich in Gedanken. Er sollte nicht vergessen, dass ich es mit einem Vampir zu tun habe, nicht mit einem plumpen Menschen! Seine Aufmerksamkeit war geweckt. Wenn er ihm weiter folgte, würde er ihn bemerken. Brendan entschloss sich dazu, zurück zu der verhassten Freakshow zu gehen, die seine Zuflucht darstellte.


6 (Cristian)

Ich ging wieder nach vorne in die Menschenmenge, warf nochmals ein Blick auf die Bühne und ging wieder auf die Hauptstraße der Kirmes. Auf einmal fühlte ich mich beobachtet, drehte mich um, aber nichts. Hmm. Was sollte ich jetzt noch hier? Es war auf einmal unerträglich laut für mich. Ich sehnte mich jetzt nach der Ruhe auf meinem Friedhof und dennoch hielt mich etwas zurück. Aber was könnte es sein? Ich lief planlos durch die Menge, auf der Suche nach etwas, nicht wissend nach was.
Meine Vergangenheit? Meine Zukunft? Nein. Was zum Teufel suche ich auf diesen Platz? Noch mal speisen? Nein, das ist es auch nicht. Brendan! Er arbeitet doch hier irgendwo. Warum will ich ihn noch mal sehen? Einen Gefährten habe ich mir schon lange gewünscht.
Ich griff in meine Hosentasche und es ist noch da. Sein Taschentuch. Ich berührte es, nahm es heraus, drückte es mit beiden Händen, hielt es gegen mein Herz und dachte: „Wo bist du? Führ mich zu dir hin.“ Meine Augen schlossen sich für einen Moment, und ich sah ihn vor mir, so wie ich ihn das erste Mal sah. Lasse „seine“ Zeit Rückwärtslaufen. Er geht in einen Camper, er schreit einen älteren, dickeren Mann an. Er fühlt Kummer und Leid.
Nein! Das wollte ich jetzt nicht sehen! Führ mich nur zu dir, du Kleinod von Taschentuch.
Meine Schritte drehten sich wie von selbst. Hier in der Gasse war ich doch eben gewesen, und meine Schritte führten mich auf die „Wunder der Erde“ zu. Er war hier in der Nähe. Ich konnte ihn spüren. Er wird doch nicht, nein bitte nicht! Was soll er denn darin machen? Sich amüsieren? Darin arbeiten?
Da war er. Er saß in einem eckigen bunten Häuschen mit der Überschrift „Kasse“. Er verkaufte also die Eintrittskarten. Seine Gesichtszüge waren aristokratisch schön und dennoch von Melancholie gezeichnet. Er fühlte sich nicht wohl bei dem was er macht oder aber auch mit seinem Lebenszustand.
Sieh mich an! Ich schickte ihm diesen Gedanken. Er sah hoch und ich lächelte ihn kurz an. Dann verschwand ich hinter die Bude, streifte meine Kapuze über und löste mich eilig von der Erde in Richtung Himmel. Mein Wind wehte mich über das Glitzermeer der Kirmes. Ich musste höher aufsteigen wegen der Achterbahn und dem Riesenrad; es kann gefährlich werden, von Menschen entdeckt zu werden.

7 (Brendan)

„Wo bist du gewesen?“ schrie Heinrich, der fette Besitzer, Brendan an. Er trug wieder seinen alten, hohen Zylinder und seine Montur, die entfernt an einen Zirkusdirektor erinnerte, aber schon sehr zerschlissen war. Wie immer, wenn er versuchte, lauthals Leute für seine „Kuriositätenshow“ zu werben, wie er es gerne nannte.
„Mach dich gefälligst nützlich, wenn du mir schon kein Geld einbringst und stell dich in die Kasse! Und dass mir kein Cent fehlt!“
Speicheltropfen spritzten Brendan ins Gesicht als er ihn anfuhr, sein Gesicht nur wenige Zentimeter von Brendans entfernt. Trotzdem schrie er so laut, als würde er am anderen Ende des Jahrmarktes stehen. Brendan antwortete nicht, sondern schlich mit hängendem Kopf in das Kassenhäuschen und begann, die Eintrittskarten zu verkaufen; froh, dass er zumindest heute kein Ausstellungsstück war. Er hatte es längst aufgegeben, sich mit Heinrich zu streiten.
Plötzlich fühlte er eine übermächtige Präsenz. Brendan sah auf und schaute direkt in die Augen Christians.
Er lächelte. Lachte er ihn aus? Sofort schoss Brendan ein Gedanke durch den Kopf: Er wusste, dass er ihm gefolgt war! Den ganzen Abend über hat er Brendan ein Schauspiel geboten. Christian hat ihn über den Rummelplatz geführt und sein vermeintliches Opfer hat er vermutlich nicht einmal angerührt. Wie konnte er nur so töricht sein, zu glauben, er könnte einem Vampir nachstellen? Ein räudiger Hund, der Gassi geführt wird. Brendan fühle einen Stich in meinem Herzen. War es das? Ist das die Art, wie Vampire mit seinesgleichen umgehen? Und warum machte es ihm soviel aus, wenn es so gewesen sein sollte?
Er verschwand hinter einer der Buden. Kurzentschlossen sprang er aus dem Kassenhäuschen in Richtung der Bude, hinter der Christian verschwunden war. Heinrich schrie und zeterte hinter Brendan her. Bei seiner Rückkehr würde er sich einiges anhören dürfen. Doch das interessierte ihn nicht. Schon war er hinter der Bude, doch Christian war verschwunden. Brendan nahm die Witterung auf. Deutlich konnte er seine Spuren riechen, doch sie liefen ins Nichts. Vor ihm war nur die Wiese - und keine Spur von Christian.
Verwirrt ging er wieder zurück zum „Wunder der Welten“, wo Heinrich ihn schon mit dem erwarteten Donnerwetter empfing. Brendan hörte kaum zu. Was wurde hier gespielt? Er fragte sich, ob er in eine Verschwörung der Untoten geraten war.

8 (Christian)

Ich landete auf meinem Friedhof und ging in Richtung meiner Grabkammer. Max flog von einer hohen uralten Tanne auf meine Schulter und krächzte mir seine Erlebnisse in mein Ohr. Ich dachte über den Abend noch etwas nach und fing mit meiner Lieblingsbeschäftigung an. Ich pflegte die Gräber der Vergessenen. Hinter den Grabsteinen hatten die Angehörigen Gießkannen, Harken und kleine Schippen verstaut. Ich hatte, als auch der Friedhofsgärtner ging, die besten Stücke zusammengesucht und in den kleinen Schuppen gebracht, um sie vor der Witterung zu schützen. Ein Wunder, dass die Stadt das Wasser noch nicht abgestellt hatte. Aber wahrscheinlich hat selbst sie diesen Friedhof vergessen. Ich lief durch die Reihen und suchte die Gräber ab, wo ich am Abend zuvor aufgehört hatte. Ach ja, ich war bei Emma stehen geblieben. Eine Frau, die an die hundert Jahre alt geworden ist. Was muss sie wohl alles erlebt haben? Ich kniete mich auf die Erde und begann, das Unkraut zu jäten und das Efeu zu ordnen.
Etwas durchzuckte mich mit einem Mal und mir wurde seltsam warm. Komisch, ich kenne das Gefühl von Wärme und Kälte gar nicht mehr ... Und da war dann dieses Gefühl auf einmal wieder. Kein Schmerz, sondern eher ein Gefühl von Behaglichkeit stieg in meinem Körper auf. Ich griff nach meiner Kette, und ich wurde von der Vision meiner Mutter überrannt.
Meine Mutter, meine Mutter ruft nach mir! Sie hatte mich nicht vergessen. Ich umklammerte die Kette, schloss meine Augen und ging in mich, um die Nachricht zu entschlüsseln. Ich sah sie wie durch einen Schleier. Sie saß in einem Schaukelstuhl vor einem Kamin, in dem Feuer brannte. Sie war älter geworden, aber immer noch so schön wie einst. Auf dem Kamin brannten zwei Kerzen, und hinter ihr hing das Bild, das mein Vater so liebte. Ein altes Bild mit einer Landschaft drauf; den Maler hatte ich vergessen.
Meine Mutter war traurig, und irgendetwas beschäftigte sie sehr. Sie schaute auf ein Bild von mir aus meiner Jugend und dachte an mich. Sie stellte sich vor, wie es wohl wäre, wenn ich jetzt bei ihr und meiner Familie wäre. Ich drang in ihre Gedanken ein.
„Mutter, was ist?“
Sie konnte ihr Gefühl nicht deuten, aber sie hob den Blick, suchte mit den Augen den Raum ab.
Ihre Gedanken öffneten sich.
„Mein lieber Sohn, wo bist du?“ „Christian! Komm zu mir und hilf mir. Dein Bruder ist sehr krank, und wahrscheinlich bist du der Einzige auf der Welt, der ihm helfen kann! Wenn du noch lebst, ich wünschte du wärst jetzt hier!“

„Mutter, ich bin hier. Ich kann zu dir und Eddy kommen.“
„Christian komm her, beeil dich und komm nach Hause.“ „KOMM!“

Ich fühlte mich müde und erschöpft. Der Kontakt hatte mehr Kraft gekostet, als ich dachte. Der Hahn verriet mir, dass es gleich Morgen wird, und ich musste zurück in meinen Sarg.
Ich ging die Treppe hinunter, wo Jimmy seine Nüsse in einer Ecke verstaute. Max flog auf meinen Sargdeckel, um ihn zu schließen, sobald ich liege. Akasha war so voll gestopft, dass sie langsam in meinen Sarg kroch und bei mir ruhen wollte. Ich legte mich hin, und mein Python rollte sich zu meinen Füssen zusammen, immer wachsam und zum sofortigen Angriff bereit, sollte jemand meine Ruhe stören, wenn ich hilflos und tot wäre. Max schlackerte mit den Flügeln und schubste den Deckel, der mit lautem Gepolter zuflog. Ich schloss meine Augen und dachte an mein Zuhause. Wo das wohl jetzt sein mag? Aber ich freute mich auch.
Ich komme Heim!
"Was für eine Nacht“, dachte ich noch und mein Herzschlag wurde langsamer und langsamer bis zum endgültigen Stillstand. Ich starb, wie an jeden Morgen beim Sonnenaufgang.

9 (Brendan)

Brendans Schicht ging bis tief in die Nacht, bis die „Wunder der Welten“ zu machten. Noch einmal ging er zu der Stelle, wo er den Vampir verloren hatte und versuchte zu ergründen, wohin er verschwunden sein könnte. War er am Ende gar in die Lüfte aufgestiegen? Er wusste nicht viel über Vampire und hatte erst recht noch keinen gesehen. Jedenfalls hielt er es nicht für ausgeschlossen.
Also ging er in den Freak-Caravan, wo er mit den anderen Schaustellern der „Wunder der Welten“ schlafen durfte. Siamesische Zwillinge waren dabei, die am Kopf zusammen gewachsen waren und so ihr ganzen Leben verbringen durften. Dann gab es noch einige Krüppel, Schauspieler, die sich nur verkleideten und natürlich die Hilfsarbeiter. Dass er ein Werwolf war, wusste nur Heinrich, der ihn vor der Verwandlung einsperrte. Manchmal führte er Brendans Verwandlung gegen entsprechende Bezahlung dem Publikum vor. Die anderen Schausteller waren hierzu jedoch nie eingeladen und sie alle hielten die Verwandlung für einen besonders guten Trick (dessen Funktionsweise Heinrich natürlich nie verraten würde) und den Werwolf selber für eine besonders gute Verkleidung. Heinrich war auch nicht daran gelegen, dass sein Geheimnis herauskam und so ließ er die Anderen nur zu gerne in diesen Glauben. Schließlich brachte Brendan ihm Profit. Wenn auch nur einmal im Monat. Aber ansonsten arbeitete er ja für einen Hungerlohn für ihn.

Am nächsten Morgen wurde Brendan durch einen kräftigen Fußtritt in die Seite geweckt. Verschlafen sah ich auf. Es war Heinrich.
„Mitkommen!“ befahl er barsch und verschwand aus dem Caravan. Schlaftrunken erhob er sich und folgte ihm. Sie gingen in seinen Caravan. Er war genauso groß wie der andere, nur dass er ihn für sich alleine hatte und dass er gut mit Küche und Bad ausgestattet war. Mir schlug der Gestank von kaltem Rauch, Alkohol und Schweiß entgegen.
Wortlos kritzelte er etwas auf ein Blatt Papier und hielt es Brendan entgegen. Er nahm es und las die Adresse, die Heinrich drauf geschrieben hatte. Drechselgasse 15.
„Wo ist das?“ fragte Brendan.
„In der Stadt!“ war die plumpe Antwort.
„Und was soll ich da?“ fragte er weiter.
„Jedenfalls keine dummen Fragen stellen!“ schrie Heinrich ihn an. Er schien mal wieder schlechte Laune zu haben.
„Heute Abend um Punkt 23 Uhr stehst du da auf der Matte! Und lass dir nicht einfallen, spät zu sein! Hab ich mich klar ausgerückt?“ Brendan konnte Heinrichs Pulsader am Hals pochen sehen.
„Klar,“ antwortete Brendan.
„Dann beweg deinen wertlosen Arsch hier raus!“
Verdutzt drehte Brendan sich um und ging hinaus. Heinrich sah ihm nach. Brendan konnte seine Angst riechen und sein Herz schlug ungewöhnlich schnell, wie er hörte. Heinrich war zweifellos aufgeregt und nervös. Obwohl Heinrich ihn herum kommandierte, wusste Brendan doch, dass Heinrich insgeheim Angst vor ihn hatte. Er wusste, was mit ihm an Vollmond geschah und fürchtete sich vor dem Tag, da ich nicht in meinem Käfig sein könnte. Zum Glück wusste er nicht, dass ich auch in menschlicher Gestalt wölfische Fähigkeiten hatte, wenn auch bei weitem nicht so stark wie in Wolfgestalt. Er hat dies immer gut zu verbergen gewusst.

10 (Christian)

Am nächsten Abend nach Sonnenuntergang erwachte ich wie gewohnt. Meine Tiere waren schon wach wie immer, und ich begrüßte mit ihnen die kommende Nacht.
Ich dachte über den letzten Abend und die Nacht nach. Ich wusste, heute ist keine Faulenzer-Nacht, denn ich musste nun die Heimreise organisieren und abfahren. Eine Reise in eine ungewisse Zukunft, denn ich wusste ja nicht, was mich erwartet. Das Ganze wird schwierig, denn ich musste zunächst herausfinden, wo meine Familie sich aufhält. Vielleicht ist sie nah, oder vielleicht ist sie weit weg. Ein anderer Kontinent vielleicht....
Ich musste in die Stadt und einen Atlas oder einen Globus kaufen. Mit meiner Kette könnte ich dann den etwaigen Ort ermitteln und wenn ich in der Nähe wäre, könnte ich mich von den Gedanken meiner Mutter lenken lassen.
Also raus aus dem Sarg und anziehen. Max, Jimmy und Akasha nervte die aufkeimende Hektik, und alle drei verließen meine Gruft. Während ich mich anzog, überlegte ich, ob ich laufen, huschen oder traditionell mit dem Bus fahren sollte. Ich entschied mich dann für den Bus, denn das hatte ich lange nicht mehr gemacht, und es würde sicher eine lustige Angelegenheit werden. „Wenn genug Leute im Bus sind, erfahre ich auch immer ein paar Neuigkeiten, die die Welt bewegt.“ Dachte ich mir.
Ich ging nach dem Sonnenuntergang über den kleinen Friedhof und schaute auf die Engel, Kreuze und Statuen. Es war mein Zuhause seit langer Zeit und ich stellte auch etwas Wehmut fest, denn ich werde die Ruhe und die Einsamkeit hier vermissen. Niemand wollte etwas von mir hier, und ich wollte auch von keinem etwas - außer gelegentlich meinen Hunger stillen.
Ich wirbelte über die Mauer, denn das Tor war schon so rostig, dass es sich nur schwer öffnen ließ. Es hätte für mich zwar kein Problem dargestellt, aber ich ging dann lieber den einfachen Weg.
Auf dem dunklen Pfad auf der anderen Seite, an Feldern und Bäumen vorbei, steuerte ich auf die Haltestelle des Landbusses zu. Die letzte Fahrt ist abends um neun. Sie würde ich nehmen. Als ich das kleine Häuschen der Station erreichte, sah ich eine Person im Halbschatten stehen und eine Zigarette rauchen.
Es war Brendan!

11 (Brendan)

Den Tag über wanderte Brendan umher und dachte über seine Begegnung der letzten Nacht nach. Zweifel kamen in ihm auf, ob es sich wirklich um einen waschechten Vampir gehandelt haben mag oder ob er es sich nur eingebildet hat. Er hatte noch nie von einem Vampir gehört, der sich übergeben hätte. Seine Augen waren merkwürdig, aber vielleicht lag es ja auch nur an den vielen Lichtern im Hintergrund. Seine Augen sind schließlich nicht die Besten. Trotzdem blieb sein merkwürdiges Verschwinden. Noch nie war ihm ein Mensch einfach so entkommen. Seine Wut war jedenfalls versiegt, nur sein Misstrauen nicht.

Er entschied mich, relativ früh in die Stadt zu fahren, um nicht zu spät zu kommen. Wenn Heinrich ihn vor die Tür setzt, ist er dem nächsten Vollmond schutzlos ausgeliefert. Und ein Werwolf ist in einem Wald zwar kaum zu entdecken, in der Stadt aber vollkommen hilflos und dürfte ziemlich auffallen.
Er wollte den neun Uhr Bus in die Stadt nehmen. Brendan hatte immer noch keine Ahnung, wo diese Adresse eigentlich sein würde, aber er hoffte, dass er sich durchfragen konnte. Zwei Stunden Zeit müssten reichen. Und immerhin war es nach Sonnenuntergang; auch wenn die Wahrscheinlichkeit sehr gering war, dass er diesen Christian wieder sehen würde.
Er fragte sich selber, warum er so versessen darauf war, den Vampir wieder zu sehen. War es die Neugierde auf einen leibhaftigen Vampir? Wenn er ehrlich war, hatte er sich bis zu diesem Zeitpunkt noch keine Gedanken über Vampire gemacht. Alles, was er wusste, war, dass sie anders sind als sie waren. Untote, magische Geschöpfe der Nacht. Und dass es nicht ungefährlich ist, sich mit einem Vampir einzulassen. Immerhin ist es ihre Natur, einem das Blut auszusaugen. Und das Blut eines Werwolfes fließt heißer, als das eines Menschen.
Andererseits ist die einzige Schwäche eines Vampirs - neben seiner Allergie gegen das Sonnenlicht - sein Herz. Um einen Vampir zu töten, kann man ihm einen Pflock durch das Herz stoßen. Und Werwölfe fressen Herzen. Wahrscheinlich hat er ebenso Grund, Brendan zu fürchten, wie er ihn.
Vielleicht lag es daran, dass er ebenso ein Fabelwesen war wie Brendan. Ein Geschöpf der Nacht. Er kannte keine anderen Werwölfe und zu Menschen hat er sich noch nie zugehörig gefühlt. Auch wenn sie auf den ersten Blick völlig unterschiedlich wirkten, vereinte sie doch alleine ihre Andersartigkeit.
Brendan wartete bereits viel zu früh an der Bushaltestelle. Er zündete sich eine Zigarette an. Die letzten Sonnenstrahlen wärmten ihn. Doch kaum war die Sonne untergegangen, sah er auch schon jemanden die Straße herauf kommen. Sein Herz setzte einen Schlag aus, als er sah, wer es war. Es war Christian!

12 (gemischt)

Er ging direkt auf Brendan zu, als wolle er auch mit dem Bus fahren.
„Guten Abend“ sagte ich.
„Guten Abend. Hast du dich von deiner Übelkeit erholt?“, fragte Brendan.
Er fragte sich, ob sie hier Smalltalk betrieben. Es erschien ihm ausgeschlossen, dass sie sich hier zufällig getroffen haben. Aber was wollte Christian von ihm? Sein Lächeln war freundlich und ehrlich, nicht das eines untoten Blutsaugers und Brendan verspürte in sich den Wunsch, mehr Zeit mit ihm zu verbringen. Also sprach er weiter.
„Ja danke. Du hast heute frei?“, fragte ich ihn.
„Ja habe ich und ich werde mir ein wenig die Stadt ansehen. Wenn du dich hier auskennst, wäre es schön, wenn du mir sagen kannst, wo es interessante Stellen gibt.“
„Was suchst du denn?“
Ja, was suchte ich? fragte sich Brendan in Gedanken. Die Bekanntschaft mit einem Vampir. Einem Todfeind! Nun, da seine eigene Rasse ihm ja auch fremd war, konnte er auch genauso gut die Bekanntschaft eines Vampirs suchen. Und wenn die Werwölfe ihn zerfleischen würden? Kein angenehmer und ziemlich unästhetischer Tod. Dann empfing er doch lieber den Todeskuss eines Vampirs. Er war des Weglaufens eh überdrüssig. Seine Entscheidung war getroffen. Wenn dieser Vampir sich ihn als Opfer ausgesucht haben sollte, so wird er es ihm sein. Und wenn nicht, konnte er ihm vielleicht helfen, etwas mehr über sich und seine Art herauszufinden.
„Ich würde gerne etwas trinken gehen, wo man ein paar Leute sieht!“ antwortete Brendan
Er warf seinen Zigarettenstummel auf den Boden und zerdrückte ihn mit einem kräftigen Tritt. Ich klickte mich kurz in seine Gefühle ein, und da war es wieder, eine Melancholie und eine Gleichgültigkeit. Was ist diesem hübschen Jungen wohl passiert, dass er so traurig ist? Ein leichter Schrei nach Tod. Das Leben ist ihm offensichtlich egal. In mir kreisten die Gedanken. Wie lange hatte ich mich schon nach einem Gefährten gesehnt!
Aber nein! Ich darf ihn nicht zu dieser gleichen, zu meiner Hölle verdammen. Wenn er keine Lust auf das Leben hat, wird es für ihn eine unendliche Qual sein, sehr, sehr lange zu leben. Leider werden wir Vampire nicht nach der Verwandlung neu „geboren“, wir leben unser Leben mit all der Vergangenheit und Erinnerungen weiter.
Außerdem kannte ich ihn gar nicht und vielleicht entwickelte er sich dann zu einer mordenden Bestie, wie leider einige von meiner Art und ich wollte der Welt kein weiteres Monster bescheren.
„Ich würde gerne etwas trinken gehen, wo man ein paar Leute sieht“ sagte er nach einer Weile.
Brendan war sich sicher, dass er diese Anspielung unmöglich missverstehen konnte. Er fragte sich, was er da gerade tat. Hatte er ihn gerade aufgefordert, ihn auf die Jagd zu begleiten? Ziemlich dreist und anmaßend, aber die Worte waren raus und beide schienen ihre Fassade noch nicht aufzugeben.
„Dann solltest du die Altstadt besuchen. Der Bus fährt bis zum Hauptplatz. Von da an ist es nicht so weit, sodass du auch zu Fuß gehen kannst. Du kannst aber auch jeden Stadtbus nehmen, sie fahren alle an der Altstadt vorbei“
Ich fürchtete, dass er mir eine Falle stellen wollte. Sein hämisches Grinsen von letzter Nacht kam mir wieder in den Sinn, kurz bevor er sich förmlich in Luft aufgelöst hatte. Sollte ich ihm sagen, dass es nicht notwendig ist, eine Falle vorzubereiten? Dass ich mich ihm auch freiwillig anschließen würde? Dass ich nicht vorhatte, gegen ihn zu kämpfen? In dem Moment, wo ich mir das gedacht habe, wurde mir auch schon klar, wie unsinnig eine solche Aussage gewesen wäre und ließ es bleiben. Soll er doch eine Falle stellen, wenn er meint, mich einfangen zu müssen. Das Resultat ist dasselbe.
„Wohnst du hier in der Nähe?“ fragte Brendan, nachdem er aufmerksam zugehört hatte.
„Ja“ sagte ich. Ich hoffte nur, dass er nicht zu viel in diese Richtung fragte, denn ich hatte mir keine Geschichte ausgedacht, und ich war aus der Übung im Umgang mit Menschen.
Zumindest wohnte er in der Nähe – wenn man seiner Aussage glauben durfte. Gut, dann würde er ihn finden, sollte er ihn verpassen. Seine Witterung kannte Brendan ja jetzt. Er musste ja noch bei dieser komischen Adresse auftauchen.

13 (gemischt)

Ein Lichtkegel huschte über die Straße und der Motor des Landbusses war zu hören.
Mit quietschenden Bremsen hielt er vor uns und die Türen öffneten sich. Brendan und ich stiegen ein, und jeder bezahlte sein Ticket.
Wir setzten uns in die letzte Reihe des Busses. Ich nahm den Fensterplatz und Brendan setzte sich neben mich. Weiter vorne saßen eine Mutter mit ihrem Sohn und noch ein paar Landarbeiter, die auf dem Weg nach Hause waren, in der Stadt ihren Tagelohn versoffen oder es zu einer Prostituierten brachten. Ich roch durch meine geschärften Sinne den süßlichen Schweißgeruch der Arbeiter, vermischt mit dem Duft von Getreide. Auf uns achtete niemand.
Als der Bus kam, stieg Christian tatsächlich mit ihm ein und sie setzten sich in die letzte Reihe des Busses. Sie saßen nebeneinander und verstohlen bewunderte Brendan wieder seine Gestalt. Sein Bild von Vampiren war immer schon sehr aristokratisch gewesen, aber dieser Vampir wirkte dabei auch noch geradezu grazil. Und doch konnte man diese verborgene Kraft spüren, die von ihm ausging. Ein paar Mal berührten sie sich durch die Bewegungen des Busses und Brendan konnte seine kühle Haut spüren, die zugleich zart und weich war.
Durch das Hin und Her im Bus stieß Brendan ein paar Mal gegen mich und dabei stellte ich fest, wie angenehm warm sein Körper war. Seine Armmuskulatur war sehr straff, sodass ich annahm, dass er durch und durch trainiert sei. Wahrscheinlich hat er schon so oft die Bude auf- und abgebaut, dass sein Körper absolut fit ist. Ich hoffte nur, dass er nicht meine kalte Haut bemerkte. Im Gegensatz zu Menschen ist meine Art von sehr kühler Temperatur, was den Vorteil hat, dass wir Temperaturschwankungen mit Gelassenheit hinnehmen. Wir merken nur die Hitze von Feuer, wenn es uns berührt, können aber durchaus bei einem Brand fliehen und mit großer Geschwindigkeit durch Feuer huschen.
Ich blickte Brendan weiter von der Seite an und mein Blick heftete sich auf den kräftigen Hals und seine pochende Halsschlagader. Ich war eben ein Vampir. Ich merkte, dass mir bei diesem Anblick etwas leicht warm wurde und meine Augäpfel anfingen rot zu werden, sodass ich mich abwenden musste.
Als Christian ihn von der Seite anblickte, tat Brendan so, als würde er es nicht bemerken und als sein Blick sich auf Brendans Hals richtete, spürte er eine seltsame Erregung in sich wach werden. Seine Augen blitzten rot auf und Brendan konnte fühlen, wie er mit der Versuchung kämpfte. Brendan kannte dieses Gefühl nur zu gut.
Durch die schwache Beleuchtung im Bus spiegelte sich alles in den großen Fensterscheiben, nur ich nicht. Hoffentlich merkt er es nicht.
Doch Brendan bemerkte es. Es sah aus, als würde er alleine auf der Bank sitzen. Hätte er noch einen Beweis gebraucht, es mit einem Vampir zu tun zu haben, hier war er.
Er hätte Angst haben müssen oder sollte zumindest vorsichtig sein. Doch er war ein williges Opfer und wollte es am liebsten sofort hinter mich bringen. Die Vorstellung, dass er seine Zähne in seinen Hals stieß und ihm das Leben aussaugte, kam Brendan seltsam verlockend vor.
„Was machst du denn gleich in der Stadt?“ fragte Brendan.
„Ich muss ein paar Dinge besorgen. Ich werde bald verreisen.“
Brendan erschrak als er erfuhr, dass er bald verreisen werde. Wenn er verreist, wird er ihn nie wieder finden. Was ist, wenn sie sich heute verpassen? Er hatte doch noch so viele Fragen.
„Wohin?“ fragte er gespannt.
„Ich besuche meine Familie.“
„Und wo ist das?“
„Ziemlich weit weg.“ Eigentlich hatte ich ja nicht den Schimmer, wo meine Familie war. Noch nicht. Jetzt brauchte ich dringend ein paar Ideen, um ihn abzulenken.
„Warst du schon immer auf der Kirmes, oder arbeitest du dort nur als Mitreisender?“ fragte ich in der Hoffnung, das Thema meiner Familie schnellstmöglich zu beenden.
Heinrich schoss Brendan durch den Kopf. Er hatte keine Lust, ihm jetzt meine Situation auf dem Rummelplatz zu erklären.
Christian interessierte ihn viel mehr. Er fragte sich, zu welchem Clan er wohl gehören mochte. Er kannte mich nur wenig aus, was die einzelnen Clans betraf. Und auch dieses Wissen basierte aus Büchern, die er sich in verschiedenen Stadtbibliotheken angesehen hatte. Über Werwölfe erfuhr man relativ wenig, darum hat er ebenfalls nach Vampiren recherchiert. Also ein Nosferatu war er schon einmal nicht, wenn die Theorien über die Clans stimmten. Vielleicht ein Toreador oder ein Ventura?
Noch immer spielten sie ihr kleines Versteckspiel und keiner hat seine Fassade aufgegeben. Brendan fragte ihn daher nach seiner Familie statt nach seinem Clan. Christians Gesicht verfinsterte sich. Konnte es sein, dass er ohne Clan war? Oder lag Brendan mit seiner Theorie einfach völlig daneben?
„Ich bin seit meiner Geburt auf dem Rummelplatz. Wohnst du bei einem anderen Teil deiner Familie? Du bist doch noch zu jung, um alleine zu leben! Oder hast du etwas angestellt?“ Was war auf einmal mit ihm los, dass er mich so löcherte mit Fragen?
Ich dachte an meine Tiere, was sie wohl gerade machten und sagte:
„Ich wohne in einer Wohngemeinschaft mit drei weiteren Freunden und nein, ich habe nichts angestellt.“
„Sehr gesprächig bist du aber nicht. Wenn ich dir zu nahe getreten bin, dann entschuldige bitte“ Seine Augen verdunkelten sich, und er sah aus wie ein kleiner Junge, der etwas falsch gemacht hatte.
„Ist okay. Du hast nichts Schlimmes gefragt, “ sagte ich beschwichtigend.
„Wir sind übrigens gleich da. Der letzte Bus zurück fährt in einer Stunde und dann erst wieder morgens um sechs, “ fuhr ich fort ...
„Danke.“ Er kramte in seinem schwarzen Rucksack und gab mir nach ein paar Minuten vier Eintrittskarten mit der Aufschrift „Wunder der Erde“.
„Ich würde mich freuen, wenn du und deine Freunde uns auf der Kirmes besuchen würdet und du dir unsere Show ansiehst...“
Mit einem Ruck hielt der Bus in der Stadt, und wir stiegen alle aus. Ich bedankte mich für die Karten und sagte, dass ich das mit meinen Freunden besprechen würde.
Er warf seinen Rucksack auf die Schulter und ging mit schnellen Schritten, aber elegant, wie ein Panther auf Raubzug, los und verschwand nach wenigen Minuten in der Menge. Ich blieb zurück mit den Karten in der Hand. Nun finde ich dich mit diesen Karten wieder. Wann immer ich es will.
Ich ging in die andere Richtung zu einem Buchladen, in dem öfters schon gewesen war.



14 (Christian)

Der ältere Eigentümer kannte mich schon, denn ich liebte Bücher und fragte ihn, wo ich Atlanten finden würde. Er wies mir die Richtung durch seinen dreistöckigen Laden, und ich musste ganz nach oben. Im modernen Zeitalter benötigen die Leute wohl solche Bücher nicht mehr. Ich überlegte, als ich die Treppen hoch ging, ob ich das Buch kaufen würde; falls keine anderen Menschen da wären, könnte ich auch direkt feststellen, wo meine Mutter wäre. Ich entschied mich für die zweite Variante, da ich nicht genug Geld hatte und ich mir dieses für die Reise auch noch besorgen musste. Das Ganze hing aber davon ab, wo sich meine Mutter aufhielte. Ich hoffte inständig, dass sie nicht zu weit entfernt wäre, aber bei meinem angeborenen Pech war sie mit aller Wahrscheinlichkeit ans Ende der Welt gezogen.
Ich fand im dritten Stock sehr schnell ein Buch der Erde und schlug die große Karte in der Mitte auf. Nun lag die Welt vor mir auf einen alten Holztisch und ich zog meine Kette aus meinem T-Shirt hervor, streifte sie über den Kopf und hielt sie mit Zeigefinger und Daumen am Verschluss und hielt das Medaillon auf die Karte. Ich schloss meine Augen und schweifte zu meiner Mutter. Die Kette erwärmte sich und fing an, sich zu bewegen. Schneller und schneller schlug sie aus, bis sie, wie ein Magnet auf einen Punkt hängen blieb.
Eine Insel inmitten des Atlantischen Ozeans. Portugal, Madeira.
Also musste ich einen Ozean überqueren. Meine Reise wird mich nach Europa führen.
Nur, wie komme ich da bloß hin?

15 (Christian)

Nun hatte ich das Problem zu lösen, wie ich dahin kommen würde. Ich war ziemlich mittig in einem Land und hatte auch nicht die genaue Vorstellung, wie weit der nächste Hafen entfernt war. Die moderne Fortbewegung mit einem Flugzeug kam nicht in Frage, da ich keinen Pass mehr besitze, es mit meinen Tieren kompliziert werden würde und ich mich auch nicht vor dem Sonnenlicht verstecken kann.
Durch die Luft wirbeln geht auch nicht, da ich nicht weiß, wie lange ich wohl für diese Reise benötigen würde; mit Sicherheit aber mehr als eine Nacht.

Ich erinnerte mich an ein altes Mitglied meiner „Rasse“. Paul könnte mir vielleicht helfen, einige der Probleme zu lösen. Paul war einer der ältesten Vampire den ich kannte und er gehörte zu dem Clan der Nosferatu. Nosferatus sind die Urform der Vampire und leben überwiegend in den Katakomben und Kanalisationen der Städte. Viele von ihnen dienen den mächtigeren Vampiren diverser Clans und man greift gerne auf sie zurück, da sie sich mit Hexerei und Alchemie sehr gut auskennen. Darüber hinaus sind sie fair und loyal. Wenn es einen Vampir gibt, der unsere Art bedroht durch unvorsichtige Morde oder Nachlässigkeit spüren sie ihn auf und fordern seinen Tod.

Ich konzentrierte mich auf Paul, um festzustellen, ob er überhaupt in der Stadt ist, und ging langsam Richtung Ausgang. Ich verabschiedete mich von dem Inhaber und suchte eine kleine dunkle Seitengasse, in der ich durch einen Abwasserkanal unter die Stadt kommen konnte.
Die 23. Straße war ideal, keine Leute unterwegs und eine Öffnung, durch die ich ohne Probleme passen würde. Ich hob den Deckel an und war mal wieder erstaunt über meine Kraft, denn es kostete mich nicht die geringste Mühe. Ich ging vorsichtig die Treppe herunter und ein Geruch von Ratten und menschlicher Exkremente stieg mir in die Nase. Ich fragte mich, wie die Nosferatus über Jahrhunderte hinweg hier leben konnten, da ich ja auch ein schönes Zuhause gefunden hatte.
Ich stand in der Dunkelheit und meine nachtgewöhnten Augen sahen dennoch klar, wie Menschen bei Tage.
Ich holte tief Luft und konzentrierte mich auf Zeit und Raum. Ich schloss meine Augen, öffnete meine Lippen und stieß seinen Namen mit voller Wucht raus und schickte die Buchstaben PAUL durch Zeit und Raum. Ein unheimlicher Widerhall schoss durch das untere Leben der Stadt und hallte noch einige Minuten nach. Danach Stille, nur in weiter Entfernung ein leichtes Tröpfeln wie aus einem Wasserhahn. Meine Ohren empfingen jetzt die Unterhaltungen der Ratten und ich wäre in der Lage jeden Ton zu hören, selbst wenn diese im Ultraschallbereich wären, um bei Gefahr sofort zu flüchten. Eine Toilettenspülung wurde betätigt und ich hörte das Wasser rauschen, bis es zu einem kleinen Rinnsal wurde. Ein paar weitere Minuten geschah nichts und ich dachte schon, dass Paul nicht in der Stadt ist. Ich wollte schon wieder nach oben gehen, als ich von einem Luftzug erfasst wurde. Der Luftzug wurde zu einem Wind und das Wasser kräuselte sich, Papiertaschentücher wirbelten auf dem Boden auseinander und ein leises Stöhnen war zu hören.
Paul stand nur unweit von mir entfernt. Seine große Gestalt, wie immer majestätisch, ganz in Schwarz gekleidet und dennoch Angst einflößend. Er hatte, wie alle Nosferatu, keine Haare und seine Ohren waren spitz nach oben. Seine Augen glichen der einer Echse mit einem schmalen Spalt in der Pupille. Statt normaler Fangzähne, eine Reihe kleiner spitzer Zähne, die einem Hai glichen. Die Hände groß und schmal und diese liefen zu langen, spitzen Nägeln aus, die jedem Menschen und Vampir das fürchten lehren konnten.
Er lächelte ein bisschen, als er mich anblickte und sein bleiches Gesicht bekam etwas sympathischere Züge.
„Christian, mein dunkler Engel“ sagte er. Er nannte mich immer so, da ich mich keinem Clan anschloss, ebenso gut aber zu Recht kam.
„Paul, immer diese theatralischen Auftritte. Kannst du nicht mal ganz normal daher schlendern, wenn ich dich rufe?“ Er lachte herzhaft.
„Mein lieber Christian, wie ist es dir in all den dunklen Nächten ergangen? Ich habe so viele Nächte an dich gedacht und versucht dich zu finden, aber du hast schnell gelernt und kannst deine Identität gut kaschieren. Wo lebst du jetzt?“
„In der Nähe auf einem Friedhof.“ Ich wollte nicht näher darauf eingehen, denn ich hatte keine besonders große Lust, in den nächsten Tagen von einer Sippe heimgesucht zu werden, die wohlmöglich noch Aufsehen erregt und wir vertrieben werden. Außerdem genoss ich meine Einsamkeit.
„Du willst vereisen auf eine portugiesische Insel?“ fragte er.
„Du listige Echse liest meine Gedanken. Aber ja, wenn du ja schon alles weißt, kannst du mir helfen oder hast du eine Idee, wie ich zu meiner Mutter und meinen Geschwistern komme?“
„Mein lieber Christian, du könntest in einem Reisebüro eine Pauschalreise buchen. Ein schickes Hotel mit diesem All-Inclusive-Service. Da bekommst du dann das Blut direkt in den Mund gelegt und brauchst nur zu schlucken. Kleiner Scherz.“ Er war noch genau so, wie ich ihn in Erinnerung hatte und obwohl sie unter der Stadt wohnten, waren sie über alle Geschehnisse über ihnen bestens informiert.

„Die einzige Möglichkeit wird sein über Land und ab dem Wasser mit einem Schiff. Da du aber keinen Pass besitzt, kannst du nur mit einem kleinen Schiff reisen, was nicht von behördlichem Radar erfasst wird. Der einfachste Abfahrtspunkt hier wird Cape Fear sein. Da ist ein kleiner, vergessener Hafen. Du wirst dort ein kleines Segelboot kaufen oder kapern müssen. Nimm eins mit einer kleinen Kajüte, sodass du vor Sonnenlicht geschützt bist. Beherrsche die Winde des Atlantiks und konzentriere dich auf deine Familie. Das Glück wird dich begleiten auf deiner Reise. Schick immer deinen Max voraus und du wirst den Weg finden.“
„Gut Paul, das Problem ist nur der Weg bis zum Hafen und dann die Beschaffung des Schiffs.“
„Du musst einen Gefährten finden, dem du vertraust und der dir vertraut und dich sicher über Land bringt. Wenn du ein Schiff findest, mach, was in deiner Natur liegt und töte den Eigner. Sieh dich aber vor, dass du keine Spur legst oder gar einen Fehler machst. Machst du einen Fehler, liegt dein Schicksal in der Hand der Nosferatu und ich kann nichts mehr für dich tun.“

16 (Brendan)

Brendan zog den Zettel hervor, den Heinrich ihm gegeben hat, und begab er sich auf die Suche nach der Adresse. Es war gar nicht so einfach, sie zu finden. Es war eine sehr kleine Gasse und eine Sackgasse noch dazu, die offensichtlich nicht viele kannten. Jedenfalls erntete er auf seine Anfragen viele Achselzucken und ratlose Gesichter. Am Ende war es eine Hure, die ihm den Weg weisen konnte. Allerdings nicht ohne ihn zu warnen, dass es eine verruchte Gegend sei. Er musste ein klein wenig schmunzeln, als sie ihn eindringlich warnte.
»Na, das passt ja« dachte er bei sich. Sieht so aus, als wenn das genau die richtige Gegend für jemanden wie ihn wäre. Angst hatte er jedenfalls keine. Was sollte ihm auch schon großartig passieren?
Und so erreichte er gerade rechtzeitig die kleine Gasse. Sie gehörte noch zur Altstadt, auch wenn es wirklich ein sehr heruntergekommenes Viertel war. Der gesamte Block schien ausgestorben zu sein. Müll und Unrat lagen auf der Straße und ein beißender Gestank stieg in seine empfindliche Nase, sodass er auch keinerlei Witterung aufnehmen konnte. Der laute Krach der Stadt machte es schwer, einzelne Geräusche wahrzunehmen und in der dunklen Gasse nützten seine ohnehin schlechten Augen auch nicht viel. Er hasste die Städte!
Langsam beschlich ihn doch ein etwas ungutes Gefühl. Irgendetwas war faul an der Sache hier. Hatten das die Vampire arrangiert? Aber wie sollten sie an Heinrich herangekommen sein?
Am Ende der Gasse fand er die Nummer 15, doch das Schild hing neben einer zugemauerten Tür. Was wurde hier gespielt? Plötzlich nahm er Schritte wahr, die sich von zwei Seiten der Gasse näherten. Sechs, nein, acht Beinpaare. Als sie den Gasseneingang erreichten, nahm er undeutlich ihre Bewegung wahr. Er versuchte zu riechen, doch er roch nur den Kot und Unrat der Straße. Doch dann erkannte er das schwerfällige Geräusch eines der näher Kommenden. Er ging ganz am Ende, hinter den Anderen. Brendan kannte diese Schritte.
„Heinrich!“ rief er verwundert und verunsichert zu gleich. „Was ist hier los?“
„Sieh mal an, wen wir da haben! Die Töle!“
Es war nicht das Erste mal, dass er Brendan so nannte. Aber diesmal schwang unverblümter Hass in seiner Stimme mit. Erschrocken wich Brendan zurück.
„Was willst du von mir?“ rief er ihm entgegen.
„Ich habe dich aufgenommen und groß gezogen, seit du ein kleines Kind warst. Aber während die anderen Freaks das kleine Fellknäuel süß fanden, wenn der Vollmond aufgegangen ist, wusste ich schon damals, was du wirklich bist: eine Bestie, ein Monster. Ich habe dich behalten, weil du Geld gebracht hast. Aber es wäre unverantwortlich, dich weiter am Leben zu lassen!“
„Wieso? Was habe ich getan?“
„Was du getan hast?“ Er schrie jetzt wieder. „Reicht es nicht, was du bist? Sieh dich an! Du bist eine Ausgeburt der Hölle! Es wäre eine Sünde, dich am Leben zu lassen. Und ich kann dich nicht mehr halten. Armdicker Stahl und trotzdem hast du letztes mal die Gitter verbogen! Die Kosten hierfür spielst du ja nie wieder rein. Und noch ein paar Vollmondnächte mehr und es wird tote geben.“
Das war es also! Heinrich hatte ihm eine Falle gestellt.
Die anderen näherten sich von rechts und links bedrohlich der Gasse, während Heinrich mittig auf ihn zu schritt. Sie waren mit Messern, Baseball-Schlägern und zerbrochenen Flaschen bewaffnet. Heinrich zog etwas aus seinem Mantel hervor, das er nicht erkennen konnte.
Wut stieg in Brendan auf. Seine Muskeln spannten sich. Wieder drohte der Werwolf in ihm auszubrechen, doch er kanalisierte seine Wut. Er durfte sich nicht verwandeln; es waren zu viele Zeugen da. Auch in menschlicher Gestalt würde er locker mit Heinrich und den paar Leuten fertig werden. Er sollte sich noch wundern.
Brendan sprang auf alle Viere und galoppierte auf Heinrich zu. Die anderen ignorierte er einfach. Er wollte nur Heinrich haben.
Plötzlich hörte er einen Knall und etwas traf ihn mit voller Wucht in der Brust, ließ ihn im Sprung herumwirbeln und hart auf dem Asphalt aufkommen. Brendan spürte, wie sich sein Blut auf den Asphalt ergoss.
„Silberkugeln. Du glaubst gar nicht, wie schwierig so etwas zu bekommen ist! Du siehst, ich habe keine Kosten und Mühen gespart, um dich los zu werden!“ Hohn und Verachtung schwangen in Heinrichs Stimme mit.
Heinrich war an Brendan herangetreten. Mit dem Fuß drehte er ihn auf den Rücken, um seine Wunde zu sehen.
„Sorgt dafür, dass er auch wirklich tot ist, bevor ihr ihn verscharrt!“ Er hasste Brendan. Das wurde Brendan zum ersten Mal wahrhaft bewusst. Heinrich steckte seine Pistole ein und drehte sich um. Brendan konnte sehen, wie er ohne Eile die Gasse verließ. Ein letztes Mal spürte Brendan, wie sich seine Wut aufbäumte. Er wollte aufstehen, ihm nach! Mühsam versuchte er sich aufzurappeln, den Oberkörper zu heben. Blut kam aus seinem Mund und die Muskeln versagten ihren Dienst.
Da standen die Anderen schon um ihn herum.
„Lassen wir ihn doch einfach verbluten!“ meinte eine der Gestalten.
„Du hast den Chef gehört! Wir sollen den Job beenden, also beenden wir ihn auch!“ meinte ein Anderer. Kurzzeitig brach eine hitzige Diskussion aus.
Aus irgend einem Grund schoss Brendan Christian durch den Kopf. Jetzt würde er ihn wohl doch nicht wieder sehen. Eine winzige Sekunde hatte Brendan die Hoffnung, er könnte sich während der Diskussion davon schleichen. Mühsam drehte er sich auf den Bauch zurück und wollte vorwärts robben, als die Diskussionen schlagartig abbrachen und alle, die um ihn herum standen, gleichzeitig ihre Waffen hoben.

17 (Brendan)

Ich dachte einen Augenblick nach und ich spürte in meiner Tasche eine gleißende Hitze. Ich konnte das zuerst nicht deuten und meine Hand suchte den Weg in meine Tasche. Ich griff hinein und zog die Karten von Brendan heraus.
„Alles Okay bei dir?“ fragte Paul.
Ich schloss meine Augen und sah Brendan in einer Seitenstraße vor einer Bar mit Neonleuchte. Um ihn herum mehrere Gestalten mit Flaschen und Stöcken, sie stritten lautstark. Ich zuckte zusammen. Brendan war in Gefahr und seine Karten hatten mich alarmiert.
„Alles Okay bei dir?“ fragte nochmals Paul und umklammerte meine Hand mit den Karten. Er schloss ebenfalls die Augen und unsere Gabe machte es auch ihm möglich, das Geschehen zu beobachten.
„Er ist ein Freund und ich muss ihm helfen. Weißt du, wo dieser Ort in der Stadt ist?“ fragte ich Paul nach einer Minute.
„Christian, du darfst in die Zeit der Menschen nicht eingreifen. Sie haben ihr Schicksal selber in der Hand. Sie haben uns immer wieder verraten und gejagt; fast schon ausgerottet.“
„Bitte, ich muss ihm helfen außerdem ist das nicht fair. Es sind mindestens sechs oder sieben!“

Paul griff mich an beiden Schultern und zog mich zu sich ran. Er öffnete seinen Radmantel und umhüllte mich mit diesem sodass ich wie in seinem Schutz lag. Unsere Füße lösten sich langsam von dem Boden und wir schwebten über den feuchten Steinen. Wir gingen über in eine horizontale Stellung, Paul unter mir und schossen wie ein Torpedo durch die gesamte Kanalisation. Da ich noch immer Brendans Karten in der Hand hielt, sah ich, wie diese Typen auf ihn einschlugen. Mit aller Gewalt, wieder und wieder. Ich bekam eine mächtige Wut und ich spürte, wie meine Fangzähne aus meinem Oberkiefer sich entblößten, meine Augäpfel blutrot anliefen und sich mein Gesicht in eine Fratze des Bösen verwandelte.
Ich hörte bereits Geschrei und ich wusste, wir waren am Ziel. Paul ließ das Wasser unter uns verdampfen und zu einem kalten Nebel durch den Gully aufsteigen. Er schickte den Sturm der Hölle hinterher und der Deckel flog mit einem gewaltigen Stoß in die Luft und wir direkt hinterher. Die Typen drehten sich mit einem Satz zu uns um, ungläubig, was sie da sahen. Pauls und meine Zeit waren gekommen, unverzüglich zu handeln. Ich stürzte mich im Flug auf den ersten Angreifer und zerfetzte seine Kehle. Paul machte es ähnlich nur mit der fast doppelten Geschwindigkeit und das er direkt zwei am Wickel hatte. Während er den einen biss, durchbohrten seine Nägel das Herz des Zweiten. Wir mussten uns beeilen und durften keinen entwischen lassen. Trinken konnten wir später immer noch.
Als Paul und ich bei dem letzten einen Moment zögerten, versuchte der letzte Typ zu flüchten. Wir rannten hinter ihm her und auf einmal stürzte sich ein dunkler Schatten aus dem Himmel auf ihn herab. Ein schreiender Laut aus der Luft und ein knallendes Geräusch. Max hatte sich auf sein Gesicht im Sturzflug gestürzt und bearbeitete sei Gesicht mit Krallen und Schnabel. Da war Paul auch schon neben ihnen und brach dem Typen das Genick.
Mir fiel der Grund dieser Aktion wieder ein, denn der Blutrausch hatte mich alles vergessen lassen. Meine Augen suchten Brendan und da lag er dann auch blutüberströmt am Boden.
Ich eilte zu ihm hin. Seine Lider flackerten und ich hob sein Kopf hoch. Bei der Berührung merkte ich nur seinen Wunsch, endlich gehen zu dürfen. Sein Atem wurde langsamer und sein Puls flacher. Ich spürte meine blutigen Tränen aufsteigen, wie sie mir über meine Wangen rollten.

18 (gemischt)

Brendan konnte fühlen, wie sich das tödliche Silber in seinem Organismus ausbreitete und wusste, dass jede Hilfe zu spät kam. Aber er war froh, dass Christian gekommen war und er nun in seinen Armen sterben würde, anstatt von den Handlangern Heinrichs irgendwo verscharrt zu werden.
Paul stand hinter mir und beugte sich nach unten.
„Du dunkler Engel. Mach es schnell und lass ihn nicht leiden.“
„Ich kann nicht.“ Entgegnete ich.
„Wenn ich es mache, werde ich von ihm trinken und sein Geist wird in mir leben.“
Ich schaute zu Paul auf, entblößte meine Fangzähne und fauchte ihn an. Das wiederum beeindruckte Paul nicht im Geringsten, denn er konnte mit solchen Aktionen mehr Grauen erregen, als ich es vielleicht je können werde.
Ich drehte mein Gesicht zu Brendan um und sah auf sein Gesicht, während meine Hand unter seinem Kopf war. Ich sah dabei zufällig auf mein Handgelenk und die unter der weißen Haut liegenden blau-grünlichen Adern.
Ich biss in mein Handgelenk und Blut sprudelte heraus. Ich hielt mein Handgelenk über seinen Mund und ließ es langsam in seinen Mund fließen.
Brendan schloss seine Augen und fühlte den Tod nach ihm greifen. Er wehrte sich nicht dagegen, sondern begegnete ihn mit Frieden und Gleichgültigkeit, als er plötzlich Christian auf seinen Lippen schmeckte. Dort wollte er hin.
Brendans Lippen öffneten sich instinktiv und nahmen mein Blut auf. Nach ein paar Spritzern führte ich mein Handgelenk zu meinem Mund und leckte mit meiner Zunge darüber. Die Wunde begann sich zu schließen. Ich suchte Brendans Wunden und schloss sie auf die gleiche Weise.
Brendan wandte sich ab und kämpfte sich zu seinen Körper zurück, gierig darauf, Christian zu schmecken. Und so trank er und nahm die Essenz Christians in sich auf.
Und dann konnte er Christian wieder fühlen. Er küsste Brendan und dort, wo seine Lippen ihn berührten, konnte er eine wohlige Wärme fühlen und der Schmerz verschwand.
Brendans Lebenswille kehrte zurück. Er war nicht mehr bereit, sich in den Schoß des Todes zu begeben. Er nahm den Kampf gegen das Gift auf. Er fühlte, wie sich sein Blut mit dem Christians zu vermischen begann und ein ungleicher Kampf startete in seinem Körper. Brendan versuchte das Gift zu neutralisieren und Christians Blut half ihm dabei. Er bäumte sich auf, kämpfte innerlich eine Schlacht, die er eigentlich nicht gewinnen konnte. Doch sein Wille war stärker und er spürte, wie ich dem unmittelbaren Zugriff des Todes zu entrinnen schien. Dann verlor er das Bewusstsein.

19 (Christian)


Ein heftiges Zucken und Schütteln ließ Brendans Körper durchrütteln und erzittern. Er bäumte sich immer wieder auf.
Ich hatte offensichtlich etwas falsch gemacht bei der Wandlung, denn ich hatte so etwas noch nie zuvor gemacht. Ich hatte einfach instinktiv gehandelt.
„Ich habe es versaut.“ sagte ich zu Paul.
„Nein, sein Körper stirbt gerade, so wie es auch dein Körper durchlebt hat“. „Was hast du getan Christian? Du hast einen neuen Vampir geschaffen und du wirst dich um ihn kümmern müssen, bis er sich in der Dunkelheit zu Recht findet.“

Brendans Körper war gestorben und lag nun ruhig neben mir. Nach einigen unendlichen Minuten begann er leicht zu stöhnen und er öffnete seine Augen. Ein heller Ring lag um seine Pupillen und das war das Zeichen, das er in der Dunkelheit sehen konnte. In den nächsten Tagen würde sich dann sein Gebiss verändern und auch sonstige Körperfunktionen verändern.
Ich hatte einen Vampir geschaffen!

20 (Christian)

Brendan fiel nach diesem Kraftakt in einen tiefen Schlaf. Ich schulterte ihn und wollte mich von Paul verabschieden. Er fragte mich, ob ich mit der Situation zu Recht kam. Ich bejahte, wusste aber nicht so wirklich, ob ich mich auf meinen eigenen Mut verlassen konnte. Paul merkte das offensichtlich und bot mir seine Hilfe an. Ich verneinte erstmal, ich wollte nicht meinen kleinen Friedhof preisgeben.
„Christian, du kannst mir vertrauen. Deine Sorge ist unbegründet. Ich werde dich an niemanden verraten. Wozu auch?“
„Darum geht es nicht. Du weißt, dass ich dir nie misstrauen würde“
„Gut. Dann lass uns mal los.“

Wir stießen uns vom Boden ab und Paul beschwor die Winde mit Leichtigkeit. Dafür war ich auch dankbar, denn es war nicht sehr einfach die Balance zu halten mit einem jungen Mann auf der Schulter.
Max schwang sich von der Laterne, auf der er saß, und folgte uns lautlos durch die Nacht. Unter uns die bunten Reklamen der verschiedenen Geschäfte, ein reger Verkehr an Autos, Polizeiwagen, Rettungswagen, Straßenbahnen und Busse. Aus der Luft sah es aus, wie ein schlecht organisierter Ameisenhaufen und dennoch sah eine Großstadt bei Nacht faszinierend aus.
Paul hatte den Wind gut im Griff und wir kamen gut voran. Langsam wurde es unter uns dunkler und die Bäume verdichteten sich. Hinter dem nächsten Hügel würde man dir Kirmes sehen können. Einige Lichtspiele erschienen schon langsam am Himmel. Paul fiel auf meine Höhe zurück und erkundigte sich, in welche Richtung es nun weiter geht. Ich übernahm dann für die letzten Meter die Kontrolle über den Wind und die Strömung, wobei ich sie aber langsam ausklingen ließ, um nicht einem zu schnellen Fall auf die Erde zu kommen. Ich wollte ja nicht, dass mir Brendan dann entgleitet und sich am Ende noch das Genick bricht.

Der alte Friedhof lag verlassen und verwittert unter uns und wir ließen uns immer mehr sinken, bis wir an meinem Zuhause ankamen.
Brendan schlief noch immer und ich brachte ihn in mein Mausoleum, legte ihn erstmal in meinen Sarg und deckte ihn zu. Seine Wunden verheilten gut und schnell. Eigentlich waren nur noch einige rote Streifen auf der Haut zu sehen, die auch in wenigen Minuten noch verschwinden würden. Ich fragte ich mich, ob ich wohl den gleichen Prozess vor Jahren auch durchgemacht hatte.

Ich ging wieder hinaus und fand Jimmy auf der obersten Stufe, der seine gesammelten Schätze noch mal kontrollierte und sich eilig über diese beugte, als er meine Schritte merkte. Nicht, dass ich ihm jemals etwas weggenommen hätte. Ich beugte mich nach unten und streichelte ihn kurz am Kopf und trat nach draußen in die Nacht.

Ich fand Paul, der ein wenig zwischen den Gräbern lief und die Namen der Verstorbenen las. Vermutlich auf der Suche nach Leuten, die er kannte. Ich war immer wieder darüber verwundert, wen er so alles kennt und gekannt hat. Ich näherte mich ihm lautlos und versuchte meine Fähigkeiten des Schleichens einzusetzen.
„Lass es.“ sagte Paul.
„Du bist so laut wie eine Lokomotive für mich. Menschen sind nicht in der Lage, es zu hören; vermute ich mal. Weiß aber nicht mehr so genau, wie Menschen überhaupt hören. Für ihre eigenen Mitmenschen haben sie in der Regel kein Gehör.“
„Wie geht es jetzt weiter? Was sind meine Pflichten?“ fragte ich.
„Du musst für ihn da sein, ihm alles zeigen, was du kannst und weißt. Ihm die Regeln und Gesetze beibringen. Ich zweifele nicht daran, dass du ein guter Lehrer sein wirst.“
Wir setzten uns auf eine Grabplatte und ich ahnte, dass ich nun die schwierigste Lektion meines Vampirdaseins bekommen würde, während wir einen Moment schwiegen und dem Wind in den alten Bäumen lauschten. Bäume, die unendlich viele Tränen gesehen haben, zu Zeiten, als hier die Menschen ihre Liebsten beerdigten.

Mit einem Mal schoss Paul wie ein Pfeil nach oben und kam ebenso schnell wieder nach unten. Um seine langen Finger und Arm schlängelte sich Akasha. Er bleckte die Zähne und mir war klar, was er jetzt vorhatte. Ich schrie und sagte zu Paul, er möge meine geliebte Schlange nicht töten.
„Weißt du, wie viel Kraft uns so eine Schlange gibt?“
„Paul ich bitte dich, es ist mein Haustier und meine Wächterin und sie ist eine sehr gute Wächterin, die Mensch und Tier in die Flucht schlägt.“
Paul grinste, guckte sie nochmals an und ließ den Griff locker. Sie schlängelte sich aus seiner tödlichen Umarmung. Sie suchte wieder den Baum auf, da es wohl viele Nester mit Vögeln gab. Ich musste mich mit dem Gedanken anfreunden, dass ich sie für die restliche Nacht nicht mehr zu Gesicht bekommen würde. Wenn Akasha beleidigt war, dann war sie es richtig. Erst wenn die Sonne aufgeht, würde sie sich wieder in die Nähe meines Sarges zusammenringeln und wache schieben.

21 (Christian)

Ich war mir nun klar, dass ich jetzt mit meinen Pflichten beauftragt werde und in die Kunst des Lehrers eingewiesen wurde. Ich wusste nicht, wie ich anfangen sollte, musste mich aber auch beeilen, da der Sonnenaufgang höchstens noch 5 Stunden entfernt war.

Ich durchbrach die Stille, indem ich fragte, wie lang Brendan wohl schlafen würde.
Paul ignorierte die Frage.
„Wo hast du diesen jungen, hübschen Mann gefunden und aus welchem Leben hast du ihn entrissen? Du hast dich sonst nicht um andere Menschen bemüht; machtest immer einen distanzierten und desinteressierten Eindruck. Sieh dich um, du hast ein sehr schönes Heim hier für dich gefunden. Treibst dich nie da herum, wo Vampire sich sonst treffen. Du weißt, dass ich noch immer das Oberhaupt meines Clans bin. Ich habe viele Jahre über hinweg nie etwas von dir gehört. Nicht mal positive Sachen. Bist du so unglücklich über deine Situation?“
„Paul, ich habe mir dieses Leben in der Nacht nicht ausgesucht. Ich wurde nie gefragt. Ich teile nicht die Ansicht der Clans und mache mir auch nichts daraus. Ich habe sogar darüber nachgedacht, dieses Leben, was ich nicht wollte, zu beenden. Der Wille des Lebens ist jedoch stärker. Es ist etwas in unserem Blut, was sich dagegen wehrt. So bin ich vor einigen Jahren in den Himmel hochgestiegen, während die Sonne aufging. Das Einzige, was passierte war, ist, dass ich mich verbrannt habe, hinunterfiel und mich mit Händen und Füßen in die Erde eingegraben habe. In der darauf folgenden Nacht war es so, als sei nie etwas passiert.“
Paul antwortete nicht darauf. Ich nahm an, dass er schon oft die gleichen Gedanken hatte. Es war schon komisch mit Paul hier zu sitzen, auf der kühlen Grabplatte.
Nachdem wir eine Zeit lang schweigend nebeneinandergesessen hatten, reckte sich Paul und guckte in die Ferne, während er fragte:
„Gibt es nur deine Gruft auf diesen Friedhof? Ich würde gerne bei dir bleiben und dich ein wenig unterstützen. Die Ruhe hier wird mir auch gut tun und ich denke, dass du Hilfe benötigst. Es ist eine große Verantwortung, die du dir da aufgehalst hast.“
„Der nächste Weg nach links, dort findest du ein Mausoleum, darin gibt es mehrere leere Särge. Es wurde wohl offensichtlich nie benutzt. Die Särge waren auch nie im Einsatz; der Friedhof wurde vorher geschlossen. Warum auch immer.“
„Gut Christian, dann werde ich es mir mal ansehen. Ich hoffe es stört dich nicht, dass ich mich selbst einlade.“
„Paul ich bitte dich nur um eins. Gib meine Zufluchtsstätte nicht bekannt. Ich habe keine Lust auf ein paar verrückte Clan-Mitglieder, die hier in den nächsten Nächten rumterrorisieren und aus dem kleinen Friedhof eine Party machen.“
„Nein Christan, ich kenne und respektiere deine Einstellung. Einige von uns sind dabei, einen Weg einzuschlagen, den ich selber nicht Gut heiße. Ich wünsche dir eine angenehme Tagruhe und bis heute Nacht.“
„Bis heute Nacht“
Paul erhob sich und ging den Weg, den ich ihm genannt habe. Er schlenderte an den Gräbern entlang. Ein paar Minuten später hörte ich das Knacken vom Schloss und dann war es still um mich herum.
Ich ging zu meiner Gruft, stieg die Treppen hinab und sah Brendan, der einen sanften Schlaf hatte. Wie er sich schon verändert hat. Seine Haut war blass, seine Wunden mittlerweile nicht mehr vorhanden. Seine Nägel etwas länger und spitzer. Seine Lippen, voll wie immer und von einem dunklen Rot.
Ich guckte ihn an und dachte mir nur: Was habe ich da getan….

22 (Christian)

War schon irgendwie komisch. Brendan lag vollkommen friedlich da. Ich holte aus meiner Truhe ein paar Wolldecken und deckte ihn damit zu. Ich hatte ein wenig Angst vor der Situation, da ich nie, seit meiner Wandlung zusammen mit jemandem in einem Raum geschlafen hatte. Meine Sorge war aber auch, dass er wach werden könnte, während ich schlief. Er würde sich sicherlich zu Tode fürchten . Ich wäre sicherlich auch damals nicht begeistert gewesen, in einem Mausoleum zu erwachen, womöglich noch mitten in der Nacht.

Ich nahm ein Geräusch an dem Treppenabgang wahr, meine Ratte Jimmy kam runter getrippelt und kam auf mich zu gelaufen. Ich bückte mich und ließ ihn am Arm hochklettern. Auf leisen Schwingen kam dann auch Max angeflogen und ließ sich auf der verknoteten Wurzel nieder, die ich für ihn an der Decke aufgehängt hatte. Ein ziehendes Geräusch über den Boden kündigte auch Akasha an. Sie hatte kurz hinter ihren pfeilförmigen Kopf den Fressbuckel und das ließ darauf schließen, dass sie gerade noch einen Vogel überwältigt und verschlungen hatte.
Ach meine treuen Tiere. Ich schloss die Türe des Mausoleums und losch die Kerzen. Mit meinen Gedanken beschwor ich meine Tiere, in dieser Nacht mich intensiv zu schützen. Nur ein kleines Rauschen von Brendan sollten sie mir melden. Wollte im Ernstfall bereit sein. Ich wusste instinktiv, dass ich mich auch in dieser Nacht auf meine Tiere verlassen konnte. Ich hörte in weiter Ferne einen Hahn krähen und merkte auch die tägliche Müdigkeit über mich kommen. Das Herz schlug langsamer, der Blutdruck in meinem Körper fiel und die Atmung wurde flacher. Mein Körper bereitete sich auf den alltäglichen Tod vor.
Ich rollte zwei Decken in einer Ecke aus und wickelte mich darin ein. Akasha rollte sich mit an meine Decke und steckte den Kopf in Ihren Knoten, Max reckte sich, spreizte den rechten Flügel und schob seinen Kopf darunter, Jimmy huschte noch über den Boden, auf der Suche nach ein paar Insekten und Käfer. Später würde auch er sich einen Platz an mir zum Schlafen suchen.
Nach ein paar Minuten war ich in meinem todesähnlichen Schlaf und eine friedliche Stille breitete sich in dem Raum aus.

23 (Brendan)

Langsam erwachte Brendan aus einem dunklen Schlaf. Er war benommen und zu schwach, um sich zu rühren. Die Erinnerung an das Gewesene kehrte nur langsam und bruchstückhaft zurück. Er versuchte, seine Augen zu öffnen, doch ein heller Schmerz durchzuckte sie. Er stöhnte leise.
„Gut geschlafen?“ sagte eine höhnische Stimme.
Es war nicht die Christians.
„Wo bin ich?“ fragte Brendan.
„In einer Gruft. Wie es sich für einen Vampir gehört.“
Brendan versuchte noch einmal, die Augen zu öffnen. Langsamer diesmal. Verschwommen konnte er den Umriss einer Gestalt wahrnehmen.
„Nur dass du keiner bist!“ Die Stimme war jetzt vorwurfsvoll.
„Was du nicht sagst!“ antwortete Brendan mühsam.
„Erklär mir, was ein Werwolf mit einem Vampir zu schaffen hat.“
Brendans Augen gewöhnten sich immer mehr an die Umgebung und er konnte erkennen, mit wem er sprach. Er erschrak. Die Fratze, die er erblickte, hatte nichts von der Anmut und der Schönheit Christians. Es war das Gesicht einer entstellten Kreatur. Seine Haut wirkte ledrig und blass, seine Zähne waren spitz und scharf und seine Ohren überdimensioniert und sahen aus wie die einer Fledermaus. Der ganze Körper glich mehr dem der fliegenden Nager, denn dem eines Menschen.
Es war ein Nosferatu. Ein Urvampir. Ein Gesetzeshüter. Brendan begriff schlagartig, dass er sich auf der Anklagebank befand.
Brendan versuchte, seine Sinne zusammen zu nehmen.
„Es ist nicht der Vampir an sich, der mich interessiert. Es ist Christian, “ antwortete er.
„Ach wirklich? Wie viele Vampirsherzen hast du schon gefressen?“
Brendan fragte sich einen Moment, ob das Urteil nicht schon gesprochen war.
„Kein Einziges. Ich habe auch noch nie einen Vampir zuvor getroffen.“
„Dann weißt du auch nicht, wie es ist, mit einem Vampir zusammen zu sein.“
„Nein.“
„Wie kommst du dann auf die Idee, dass du und Christian zusammenpassen würden?“
Brendan wusste keine Antwort auf die Frage und der Vampir schien sie auch nicht erwartet zu haben. Brendan fragte sich, warum er sich so aufregte. War es denn schon verboten, ein paar Worte mit einem Vampir zu reden?
„Hast du jemals gesehen, wie er über eines seiner Opfer herfällt? Kennst du seine Fangzähne?“
„Nein“, antwortete Brendan wahrheitsgemäß. Ehrlich gesagt wusste er ja so gut wie nichts über die Vampire. Obwohl sie sich noch nie getroffen haben, schien der Vampir zu wissen, dass Brendan sich mehr für Christian interessierte, als er es sich vielleicht selber eingestehen wollte. Die Bilder der letzten Nacht traten wieder in sein Bewusstsein. Sie waren verschwommen und irgendwie nicht ganz greifbar, doch Brendan erinnerte sich, dass Christian aufgetaucht war und ihn gerettet hatte. Auf jeden Fall stand er tief in seiner Schuld.
„Hast du auch nur die blasseste Ahnung, wie es ist, als Vampir zu leben?“
„Nein.“ Es schien geradezu, als wolle er ihm Angst machen. Aber seine Frage erweckte auch Brendans Neugier.
„Magst du mir davon erzählen?“
Seine Frage schien ihn zu überraschen und gleichzeitig auch ein klein wenig milder zu stimmen.
„Christian ist nicht wie andere Vampire“, begann er. „In seinem Antlitz spiegelt sich die Schönheit Gottes. Er ist ein Engel der Nacht, der in den Sternen erstrahlt.“
Brendan wusste, was er meint und konnte die tiefe Verbundenheit zugleich fühlen, die er für Christian empfand.
„Du liebst ihn sehr, nicht wahr?“ fragte er darum.
„Ich bin sein Mentor. Ich bin seit seiner Geburt für ihn da gewesen und ich werde es immer sein.“ Seine Stimme war jetzt wieder scharf. „Ich helfe ihm, in der Welt zu Recht zu kommen und begleite ihn, wo auch immer sein Weg hinführen mag.“ Er wirkte fast ein wenig beleidigt. So, als hätte ich ihm unterstellt, er wäre mehr als nur ein Mentor.
„Er kann sich glücklich schätzen, dich als Mentor zu haben“, sagte Brendan. Das war ehrlich gemeint, denn seine Sorge für Christian war unüberhörbar und Brendan war sich auch sicher, dass es ihm nur um sein Wohlergehen ging. So gesehen konnte er ihm also nicht einmal böse sein für das Kreuzverhör, dem der Nosferatu ihn jetzt unterwarf.
Brendans Worte schienen seine Aufmerksamkeit wieder auf ihn gerichtet zu haben. Sein Blick verlor seinen Glanz.
„Weißt du, was es bedeutet, einen Untoten zu begleiten?“
„Nein“, antwortete Brendan wahrheitsgemäß. Er hatte bis jetzt ja noch nicht mal sicher gewusst, dass sie überhaupt existierten.
„Du lebst in einer Welt des Lichts und der Sonne. Was für dich selbstverständlich ist, tötet ihn. Du wirst niemals einen Sonnenuntergang mit ihm erleben können; keinen einzigen Tag werdet ihr gemeinsam haben. Nur die Dunkelheit. Und selbst die ist für ihn anders, als für dich. Du wirst die Nacht niemals in der Fülle und Vielfalt sehen können wie er; bist du doch fast blind.“
Seine Worte schmerzten Brendan und doch schreckten sie ihn nicht ab. Es war ja schließlich klar, dass sie unterschiedliche Spezies waren und demzufolge die Welt auch unterschiedlich wahrnehmen würden.
„Er wird mir die Nacht zeigen können, wie ich sie alleine nie werde sehen können. Und des Tags vermag ich es, ihn zu beschützen, wie es einst die Aufgabe der Werwölfe gewesen ist.“ Brendan hatte das einmal gelesen und das Bild gefiel ihm. Keine Ahnung, ob es der Wahrheit entsprach. Aber vielleicht konnte er es mit Christian wahr machen. Schließlich war er ihm was schuldig.
„Dafür braucht er dich nicht!“ Die Augen des Vampirs blitzten scharf. „Seine Tiere besorgen das für ihn. Wann hätte das letzte Mal ein Werwolf einem Vampir gedient? War es jemals so? Ihr wart Sklaven!“
„So will ich denn sein Sklave sein.“ Brendan wusste, dass das jetzt etwas dick aufgetragen war. Aber er wollte Paul klar machen, dass er hier keine Spielchen trieb und in diesem Moment wurde ihm auch bewusst, dass er Christian nicht einfach kampflos wieder aufgeben wollte. Der Vampir würde Brendan nicht vergraulen. Ein harter Kloß hatte sich in Brendans Hals gebildet. Er musste zugeben, dass seine Rede ihn verunsichert hatte. Und dennoch fühlte er in meinem Herzen, dass er Recht hatte.
„Sag, was du willst, es kümmert mich nicht.“ Brendan war fest entschlossen, den Versuch zu wagen, Christian kennen zu lernen. Aller Widrigkeiten zum Trotz.
„Du kennst ihn ja nicht einmal!“ Der Vampir hatte jetzt vollkommen die Fassung verloren und schrie Brendan an. Seine Stimme klang jetzt machtvoll wie ein Donner.
„Nichts weißt du über Vampire und noch weniger über ihn!“
Plötzlich wurde es dunkler und kalt im Raum. Seine Größe schien sich zu verdoppeln, ein rotes Leuchten stieg aus seinen Augen und im Bruchteil einer Sekunde war er über Brendan und seine klauenhafte Hand umfasste seinen Hals.
„Und ich werde jeden töten, der ihn verletzt!“ Seine Fratze war nur wenige Zentimeter von Brendans Gesicht entfernt und ich spürte den tödlichen Ernst in seiner Stimme. Er misstraute Brendan nicht nur, er sorgte sich über alle Maßen um seinen Schützling.
Brendan wich nicht zurück, wehrte sich aber auch nicht und sah ihm offen in die Augen.
„Ich verstehe.“
Eine weitere Frage schoss Brendan durch den Kopf:
„Weiß er, dass ich ein Werwolf bin?“
Der Vampir stieß Brendan zurück und stand nun etwa zwei Schritte vor ihm.
„Ich glaube nicht, dass er schon einmal einen getroffen hat“, antwortete er.
Brendan rappelte sich etwas auf.
„Wirst du es ihm sagen?“ fragte er.
Der Vampir antwortete nicht, sondern sah ihn nur ausdruckslos an. Plötzlich stieg Dampf auf und eine Sekunde später war er verschwunden.

24 (Brendan)

Verwirrt blieb Brendan zurück. »Hat Christian gar nicht gewusst, dass ich ein Werwolf bin?« schoss es ihm durch den Kopf. »Wird Paul es verraten? Sollte ich es ihm sagen? Was wird passieren, wenn er es erfährt? Wird er mich angreifen, gar hassen?« Plötzlich fühlte Brendan sich sehr verunsichert.
Er stand auf und zum ersten Mal sah er sich bewusst um. Er war tatsächlich in einem Mausoleum. Allerdings wirkte alles sehr edel und feierlich, nicht wie eine Gruft. Es musste einer sehr wohlhabenden Familie gehört haben. Der Sarg in der Mitte war bestimmt Christians. Er fragte sich, ob er schon drin lag? Er sah auf die Uhr. Die Sonne müsste jeden Moment aufgehen. Deswegen hatte es der Nosferatu also plötzlich so eilig.
Er streckte sich und stellte fest, dass er sich ungewöhnlich gut erholt fühlte. Vor allem, wenn man bedenkt, wie knapp er dem Tod entkommen war. Dieses Vampirblut wirkte wie eine Verjüngungskur. Er fühlte sich stark – und jagdlustig.
Brendan lauschte und erkannte mehrere Snacks im Mausoleum. Ein Vogel hatte sich im Dachstuhl eingerichtet. Aber Vögel sind schwer zu fangen und dieser war auch noch mager. Ein zweites Tier war in Christians Sarg. Mir war nicht sofort klar, um was für ein Tier es sich handelte. Ein Kaltblüter, soviel war klar. "Wie ein Vampir“, dachte Brendan amüsiert. Wahrscheinlich eine Schlange. Das erklärt auch, warum es hier keine Mäuse gab. Bis auf die Ratte, die sich in der hintersten Ecke verkrochen hatte.
Ungewöhnlich. Ihr Herz schlug äußerst schnell und er konnte ihre Angst riechen. Sie wusste, dass sie in Gefahr ist, aber sie verließ das Mausoleum nicht. Dabei sind Ratten äußerst intelligente Tiere; man sollte sich da nicht vertun.
»Was sucht eine Ratte an einem gefährlichen Ort wie diesem hier? « Brendan sprach mit ihr, ohne ein Wort zu sagen. Er kann die Tiere verstehen und mit ihnen reden, ohne dass es „reden“ im eigentlichen Sinne ist. Es ist auch keine Telepathie oder so etwas. Er kann einfach verstehen, was sie mir sagen wollen und sich ihnen verständlich machen.
Brendan begreift, dass es ein Wächter ist. Ein Wächter Christians; wie auch die Schlange und der Vogel. Und dass sie ihn angreifen würden, sollte er versuchen, den Sarg zu öffnen. Bei der Vorstellung musste er lächeln. Aber es war ihr voller Ernst. Erstaunlich.
Er beruhigte sie und gab ihr zu verstehen, dass sie ihn nicht zu fürchten brauchte; ebenso wenig wie Christian.
Sie entspannte sich ein wenig, blieb aber nach wie vor angespannt und beobachtete Brendan misstrauisch.
Brendan öffnete die Tür des Mausoleums und schaute auf den Friedhof. Das erste Licht der Sonne spiegelte sich in dem Morgennebel, der wie ein Schleier über den Gräbern lag. Es versprach, ein schöner Tag zu werden.

25 (Brendan)

Brendan atmete die frische Morgenluft tief ein. Er war frei!
Wie ein Donner schlug diese Erkenntnis über ihn zusammen. Frei, aber auch heimatlos. Zum Jahrmarkt konnte und wollte er nicht zurück. Er hatte auf einen Schlag seine Heimat verloren und besaß nichts mehr, außer seiner Kleidung, die nach dem Angriff noch dazu ziemlich ramponiert und blutig aussah und ein paar Münzen in der Tasche. Und doch fühlte er keine Trauer oder Verzweiflung, sondern nur ein unbekanntes, phantastisches Freiheitsgefühl.
Er lief los. Weg von dem Friedhof, den Häusern und Straßen. In Richtung Wald und Flur. Mit jedem Schritt, den er tat, fühlte er sich besser. Er rannte und rannte, schneller und schneller. Weg von der Zivilisation, dem Lärm, dem Gestank. In die Freiheit, die Natur. Unterwegs jagte er einen Hasen. Es machte ihm Spaß, ihm hinterher zu jagen. Seinen Haken zu folgen, ihn zu überholen und zu treiben.

Den ganzen Tag verbrachte er so, spielte und tollte über die Landschaft. Er kletterte auf einen Berg und sog die verschiedensten Düfte ein, die mir der Wind von weit her zuspielte. Beim hinab klettern traf er auf eine Höhle, in der offensichtlich ein Bär hauste. Er folgte seiner Spur und fand ihn an einem Fluss, wo er Lachse jagte. Es war ein erwachsener, aber noch recht junger, stolzer Bär und sie verstanden sich auf Anhieb. Spielerisch rauften sie, ohne sich zu verletzen.
In der Ferne nahm er sogar den Geruch von Wölfen wahr, aber sie waren zu weit weg, um ihnen zu folgen. Er wurde schon etwas neugierig. Aber es dämmerte bereits und es war Zeit für ihn, zurückzukehren. Er wollte Christians Erwachen nicht verpassen. Er hatte immer noch keine Gelegenheit gehabt, sich bei ihm für die Rettung zu bedanken. Er hoffte nur, er würde den Werwolf in ihn nicht verurteilen. Das Gespräch mit Paul kam ihm wieder in den Sinn und ein leicht beklemmendes Gefühl beschlich ihn. Wie anders mochten Vampire wohl sein? Wie würde er ihn sehen? War er für Christian nur ein Tier, ein Spielzeug? Oder würde Christian ihn gar fürchten oder verachten? Brendan war unwohl bei dem Gedanken, es ihm zu sagen.

Als Brendan die Stadtgrenze erreichte, beschleunigte er seine Schritte noch einmal. Und dann endlich erreichte er auch den Friedhof und das Mausoleum. In der Ferne konnte er immer noch den Jahrmarkt hören und Heinrich schoss ihm kurz durch den Kopf. Aber in diesem Moment war er ihm völlig egal.
Die Tiere befanden sich immer noch im Mausoleum. Die Ratte wich wieder in eine der Ecken zurück, doch sie war nicht mehr so besorgt wie am Anfang; höchstens ein wenig enttäuscht, dass er zurückgekommen war.
Er war sogar noch etwas zu früh dran. Die Sonne würde erst in etwa einer halben Stunde untergehen. Er freute sich darauf, Christian wieder zu sehen. Er ging also zu seinem Schlafplatz und legte sich kurz hin, um auf ihn zu warten. Kurz darauf war er auch schon eingeschlafen.

26 (Christian)

Als die Sonne am nächsten Tag wieder unterging, erwachte mein Körper wieder zum Leben. Es war eine ruhige Nacht, da Akasha noch das gleiche Knäuel hatte und in der gleichen Position schlief. Ich berührte ihren muskulösen Körper und stellte fest, dass sie sehr kühl war. Ihre empfindliche Art ließ sie erwachen und hob den Kopf, mit ausgeklinkten Kiefern guckte sie in meine Richtung und fauchte in ihrer Art mich an. Als sie meine Witterung durch ihre Zunge aufnahm, beruhigte sie sich wieder und senkte den Kopf. Ich sah den Grund ihrer Aggression; ihre Pupillen waren ganz trübe und zeigten, dass sie sich in den nächsten Tagen häuten würde. Da sie durch die trüben Augenschuppen nur sehr schlecht sah, steigerte das ihre launische Art. Ich machte aus den Decken einen Haufen mit vielen kleinen Löchern, sodass sie dort hineinkriechen konnte, um nicht auszukühlen. In den nächsten Tagen würde sie nicht mehr fressen, bis sie ihre alte Haut vollkommen abgestreift hatte.

Ich schaute zu Brendan und dieser hatte sich ein paar Mal im Schlaf bewegt, schlief aber immer noch tief und fest, wie ich an seiner gleichmäßigen Atmung hören konnte. Max war schon wach und beobachtete mit angewinkeltem Kopf die Szenerie. Ich ging Richtung Tür und öffnete diese. Es musste am Tag sehr warm gewesen sein, denn mir schlug eine angenehme, warme Luft entgegen. Max flatterte über meinen Kopf hinweg und breitete die Flügel aus und legte sich auf die Thermik der Luft und verschwand in der Nacht. Ich guckte vor der Tür ein bisschen rum und betrachte die sternklare Nacht. Ein leises Knacken ließ mich aufhorchen und meine Augen suchten das Geräusch. Auf einer Sargplatte saß vollkommen regungslos Paul und erinnerte an einen steinernen Engel, der die Gruft bewacht, so wie die Menschen sie sich aufstellen, mit der Hoffnung, sie mögen die Toten schützen.
„Guten Abend, Christian.“
„Guten Abend Paul.“
„Christian, du musst deine Sinne etwas mehr schärfen. Du hast mich erst viel zu spät bemerkt.“ sein Mund lächelte hämisch und seine Augen funkelten vor Freude.
„Mein lieber Paul, ich bin hier in Sicherheit und brauche nicht auf der Hut sein.“
„Man sollte immer auf der Hut sein.“ entgegnete Paul.
„Wie geht es deinem Menschenfreund? Schläft er ruhig, hat er Fieber oder so etwas?“
Ich ertappte mich dabei, dass ich danach gar nicht geschaut hatte.
„Ich glaube, es geht ihm gut.“
„Sehr schön. Du musst ihm frisches Wasser bringen, der Körper darf nicht austrocknen. Er hat seit mindestens 24 Stunden keine Flüssigkeit mehr zu sich genommen.“
Ich ging zu dem kleinen Wasserspender rüber, wo einst die die Besucher Wasser zapften, um die Gräber zu pflegen. Mein kleiner Emaillebecher hing am Wasserkran und ich füllte ihn mit frischen, sprudelnden Wasser. Das Wasser war klar, sauber und kühl, gefangen von den Terrassen und lief in die verschiedenen Zisternen. Ich ging mit dem gefüllten Becher zurück in die Gruft und dort lag Brendan noch immer in einem tiefen Schlaf. Hinter mir nahm ich den Schatten von Paul war, der sich die Situation ansah.
Ich wollte Brendan wecken, doch Paul stieg die Treppen herab, nahm mir den Becher aus der Hand und tränkte sein weißes Taschentuch in dem Wasser und drückte es über seinem Mund langsam aus. Die Tropfen benetzten seine Lippen und er leckte im Schlaf die Lippen mit seiner Zunge ab. Als er die Tropfen weggeleckt hatte, blieb sein Mund leicht geöffnet und gierte nach mehr des frischen Wassers, was Paul im in der gleichen Art verabreichte.
Nachdem der erste Durst gestillt war, drehte er sich mit einem Grummeln auf die Seite und nach wenigen Minuten war das ruhige, gleichmäßige Atmen zu vernehmen. Brendan war wieder in einem tiefen und festen Schlaf.
Paul gab mir den Becher zurück, das restliche Wasser kippte ich in die Schale für meine Tiere, die sicherlich nach der nächtlichen Jagd durstig waren. Danach gingen Paul und ich wieder nach draußen in die Nacht.
Paul schaute mich an und ich ahnte schon, was da jeden Moment kommen würde.
„Ich habe etwas Hunger.“ meinte Paul.
„Hier gibt es keine Menschen.“ entgegnete ich.
„Was meinst du Christian, der Jahrmarkt ist nicht weit weg. Lass uns hingehen, man findet sicherlich den Einen oder Anderen, der auf dem Nachhauseweg ist und sicherlich nichts dagegen hat, ein paar seiner Tropfen herzugeben.“
Mich störte schon jetzt das Einmischen in mein eigentlich ruhiges Leben. Obwohl Paul eigentlich ein angenehmer Begleiter, für eine gewisse Zeit sein konnte. Ich merkte, beim Überlegen, dass auch mein Magen Geräusche machte und ich auch ein leichtes Zittern im Inneren meines Körpers fühlte.
„OK, bist du fertig?“ fragte ich Paul.
Er guckte mich verdutzt an.
„Ich dachte eher, du würdest jetzt heftig protestieren, stattdessen drängst du zur Eile, also los, ich bin fertig.“
Wir beide überlegten, ob wir mit dem Wind wehen, oder uns mittels Huschen fortbewegen sollten. Wir entschieden uns fürs Huschen.
Nachdem wir über die Friedhofsmauer übersprungen hatten, legten wir los. Es war für mich immer wieder faszinierend, zu sehen, wie die Welt an uns vorbeirauscht. Beim Huschen hatte ich immer den Eindruck, dass sich die Welt unter den Füßen schneller dreht, statt dass ich mich fortbewege, doch unsere Schritten waren so schnell, dass wir kaum die Erde berührten und menschliche Augen konnten uns auch nicht erfassen.
Nach wenigen Minuten sah man schon die ersten bunten Lichter, hörte die unterschiedliche Musik und konnte wieder die so typischen Gerüche wahrnehmen.
Wir verlangsamten das Tempo und hinter einigen Bäumen kamen wir zum Stehen. Ich nahm an, dass Paul im Schutz der Bäume ein Opfer suchen wollte, da vor den Bäumen ein Wanderweg führte.
Paul guckte mich jedoch listig an und guckte immer wieder auf den Kirmesplatz.
„Wie lange war ich schon nicht mehr auf einem Rummel … Sieh mal Christian, was für ausgefallene und verrückte Fahrgeschäfte.“ „Zu meiner Zeit gab es Kettenkarussells, hölzerne Achterbahnen und einige barocke Rundfahrgeschäfte mit wunderschönen, geschnitzten Pferden.“
„Paul, du verwunderst mich. Du willst doch wohl nicht auf die Kirmes in diesen Trubel?“
„Warum nicht, mein kleiner Christian? Nur weil ich schon uralt bin, darf man sich doch noch ein wenig amüsieren?“
Ich war schockiert von der Unternehmenslust des Vampirs.
„Wie willst du es anstellen, unentdeckt über den Platz zu gehen?“
„Was meinst du mit „unentdeckt“?“
„Paul, hast du dich mal im Spiegel angesehen in den letzten Jahren? Ich meine, deine Augen und Ohren, mal abgesehen von deinen Händen?“
Paul guckte beleidigt. Ich hatte ihn wohl damit gekränkt. Mir war klar, dass wir kein eindeutiges Spiegelbild zurückwerfen, weder in einem Spiegel, Wasser oder auf neuen Fotos. Wir hinterließen nur einen verschwommenen Umriss.
„Meinst du wirklich, dass ich in diesem Wust an Verrückten und Betrunkenen auffallen werde?“
Meine unverschämte Art gegenüber meines einstigen Lehrers der Nacht bedrückte mich; den Spaß wollte ich ihm somit auch nicht verderben und so nickte ich nur und ging Richtung Haupteingang.
Paul schlug im Gehen den Kragen nach oben und verdeckte so etwas seine außergewöhnlichen Ohren.

27 (Christian)

Wir tauchten ein in die Menschenmassen. Es war erstaunlich, wie voll es hier um diese Uhrzeit war. Meine anfänglichen Bedenken wegen Pauls aussehen, waren vollkommen unbegründet. Jeder war hier mit seinem eigenen Leben beschäftigt. Nachdem uns dann noch ein Trupp junger Gothics entgegen kam, waren meine Gedanken dann endgültig verflogen. Paul guckte hin und her. Er war fast wie ein kleiner Junge und guckte sich sämtliche Sachen und glitzernden Werbungen an. Ich dachte eigentlich, dass diese Augen schon alles gesehen haben, doch dem war offensichtlich nicht so …
Wir drehten eine Runde, unser beider Hunger war für einen Moment aufgrund der Eindrücke vergessen. Nachdem wir die erste Hälfte durchhatten, kamen wir an dem Kuriositätenkabinett vorbei, da wo Brendan arbeitete.
Da maulte der alte Mann, den ich schon in der Vision sah, die ich hatte, als ich Brendan suchte mithilfe seines Taschentuchs.
Er stänkerte einen Angestellten an, offensichtlich war der Angestellte etwas geistig behindert und seine abgewetzten Anziehsachen erweckten Mitleid in mir. Ich spitzte meine Ohren und lauschte dem Gespräch.
Plötzlich stand wieder Paul hinter mir. Er guckte ebenso den fetten Mann an. Ich betrachtete ihn nur aus dem Seitenwinkel und sah sofort, dass seine Pupillen sich schwärzten und sein Augapfel blutrot färbte.
Für solche Gelegenheiten, die mir auch passieren konnten, hatte ich immer eine Sonnenbrille dabei.
„Der Peiniger deines neuen Freundes“ knurrte Paul.
„Ich weiß das.“ „Jetzt hat er wieder jemanden am Wickel“ entgegnete ich.
In mir kochte der Zorn hoch. Bedauerlicherweise ist er noch rechtzeitig entwischt, als wir Brendans Schlägertrupp hingerichtet haben. Wie konnte nur ein Mensch so abscheulich sein, an Widerwertigkeit kaum zu übertreffen.
Paul wollte ihn, genau so wie ich. Aber wir wollten ihn nicht einfach so. Wir wollten ihm die gleiche Angst bereiten, wie er seinen „Angestellten“. Wir brauchten aber einen Plan, denn mir fiel etwas Wichtiges ein.

Ich zog Paul am Ärmel und machte ihm klar, dass er mir folgen sollte. In die Dunkelheit hinter eine Bude. Er folgte mir, aber an seinem Grollen und Knurren im Unterton wusste ich, dass er mir gleich eine seiner Tiraden um die Ohren knallen würde. Jemanden ermorden war leicht, aber die Konsequenz zu ertragen, das war eine andere. Ich wurde erwachsener in meiner Denkweise und manchmal auch menschlich. Vielleicht zu menschlich für einen Vampir.
Als wir hinter der Bude waren, hatte Paul wieder normale Augen und ich vermute auch, dass sich seine Fangzähne wieder zurückgezogen hatten.
„Was soll das?“ bellte mich Paul an. „Er war zum Greifen nah“.
„Wir müssen erst überlegen. Wenn wir ihn töten, dann haben wir Rache verübt und uns ernährt, was in unserer Natur ist“. „Was aber passiert mit den Menschen, denen er Arbeit und eine Bleibe bietet?“ „Welche Zukunft habe sie?“
„Sie sollten uns die Füße küssen, weil wir sie von diesem Tyrannen befreien“ „Ein Leben in Freiheit ist immer noch besser, als so zu fristen“ meinte Paul.
„Ansatzweise hast du Recht, aber was wird sie erwarten, Paul?“ „Ein Leben in der Isolation. Das sind keine normalen Menschen, wie alle andere um uns herum. Dieser Fettsack hat die Lizenz zu diesem Laden. Brendan fällt aus. Erinnere dich. Wer soll ihn bei den vielen Vollmonden helfen?“ „Wer soll eine neue Lizenz beantragen?“ „Möchtest du einen von diesen armen Menschen zumuten, bei Tageslicht in die Stadt zugehen, auf die Ämter; meinst du, dass kein Beamter dort fragen wird, was mit diesem Kerl passiert ist?“ „Die Behörden werden Fragen stellen, Nachforschen, vielleicht nach uns oder Brendan suchen.“ „Und dann, Paul?“ ich flehte ihn förmlich an und verstand mich selber nicht dabei, warum ich das tat. Wir hätten ihn uns schnappen können, ihn aussaugen und was kümmern uns die Leute?

28 (Christian)

Paul beruhigte sich wieder. Mir war klar, dass er jetzt über meine Worte nachdenken würde. Wir waren eigentlich aus einem ganz anderen Grund zur Kirmes gegangen und zu dem wollten und sollten wir das auch machen.
Wir staunten gemeinsam über die irren Fahrgeschäfte; ich hatte ja wegen der Ereignisse mit Brendan gar nicht die Möglichkeit gehabt, mir den ganzen Platz anzusehen. Des Weiteren waren wir ebenso überrascht, dass Familien gar nicht zusammen unterwegs waren. Es gab unzählige Jugendliche, die eher mit einem Flirt beschäftigt waren oder sich zu betrinken. Ein Rummelplatz war offensichtlich nicht mehr das Familienereignis für einen Nachmittag, wie es vor Jahren einmal war. Es schien mehr zu einem „Fest“ der armen Leute und Proleten zu werden. Wie doch die Zeit vergeht und auch die Wertvorstellungen der Menschen. Aus meiner Sicht und die von Paul, der ja schon viele Jahrhunderte durch die Welt streift, sah es fast so aus, als ob die sterbliche Rasse dabei war, sich in Grund und Boden zu vernichten. Es wird sich zeigen, ob wir, die geheimen Wesen der Nacht und der Zyklen auch diese Epoche verkraften. Mir wäre es egal, denn dieses Leben, was ich lebe, ist eigentlich nicht das Leben, was man sich so vorstellt. Ich habe mich einzig und allein den Gegebenheiten in der dunklen Welt angepasst.
Paul sprach nicht viel, besser, er sprach eigentlich gar nichts. Um die Situation etwas aufzulockern, schlug ich vor, eine Runde mit dem Riesenrad zu fahren. Ich stellte mir vor, dass alles noch mal mit Paul zu erleben.
„Was hältst du davon, wenn wir eine Runde mit dem Riesenrad fahren?“ „Es ist lustig und man hat einen tollen Blick über den Bereich hier“ fragte ich also Paul.
„Christian, was soll ich da gucken?“ „Wir können in die Luft aufsteigen, einfacher, schneller und höher, als dieses Gerät es schafft.“ „Wenn ich also das Bedürfnis habe, die Welt von oben zu sehen, dann löse ich mich von der Erde“ bekam ich in einem barschen Ton zurück.
„Darf ich dich daran erinnern, dass es deine Idee war, hierher zu kommen!“ entgegnete ich verärgert. Ich fand sein Verhalten übertrieben. Wenn er auf die Jagd eigentlich lieber gegangen wäre, dann hätte er sich nicht die Kirmes aussuchen sollen, sondern hätte alleine einen Rundflug starten können. Aber was beschwerte ich mich? Paul war für einige Zeit mein Mentor und er nahm wohl an, dass dieser Zustand noch andauern würde, und kam mit meinem Einwand von eben wohl nicht klar. In Zeiten, als ich sein Lehrling war, hatte ich jede seiner Entscheidung akzeptiert und respektiert, da ich eine Vorstellung zum Überleben brauchte.

An einem Kinderkarussell sah ich eine Mutter mit ihrem Jungen, der ihr gerade einen angebissenen Paradiesapfel gab, damit er mit dem Karussell fahren konnte. Seine Mutter ging in die Knie und wischte ihm den rot gefärbten Zucker von Mund und Händen ab. Ich erinnerte mich wieder daran, wie es war, als ich ein kleiner Junge war. Ich hatte solche Reinigungsattacken nie ausstehen können und jetzt dachte ich wieder an meine Familie. Mir viel die Vision schlagartig ein und dass ich noch vor einer ungelösten Aufgabe stand.

Durch die Zusammenkunft mit Brendan und das Rufen von Paul hatte mein Leben einen ganz anderen Rhythmus bekommen und mein eigentliches, beschauliches Leben vollkommen durcheinandergebracht und mich von meiner Aufgabe abgelenkt. Ich hasste „solche“ Störungen in meinem Leben. Ich wollte mich wieder auf meine Aufgabe kümmern und drehte mich zu Paul um.
„Willst du noch bleiben?“ „Ich muss zurück. Du weißt, ich habe eine lange Reise vor mir und die will geplant werden“
„Ich bleibe noch etwas hier. Vielleicht gehe ich auch kurz in die Stadt. Wir sehen uns kurz vor Sonnenuntergang bei dir“ mit diesen Worten ging Paul davon und ließ mich zurück. Innerhalb eines kurzen Augenblicks war Paul in der Menge verschwunden.

29 (Brendan)

Brendan erwachte aus einem kurzen Schlaf. Es war bereits dunkel. Er muss kurz eingenickt sein. Der Tag ist wohl doch anstrengender gewesen, als er zunächst angenommen hatte. Er sah sich um. Das Mausoleum war leer. Keine Spur von der Schlange, dem Vogel oder der Ratte. Auch der Sarg war verlassen. Aber er konnte Christians Spur riechen. Sie war noch frisch. Und der Nosferatu ist auch bei ihm gewesen.
Vielleicht würde es ihm gelingen, ihnen zu folgen?
Die Spur führte ihn in Richtung Jahrmarkt. Er zögerte ein wenig. Ihm widerstrebte es, an jenen Ort zurückzukehren, von dem er sich gerade erst befreit hatte. Und er hatte Angst, Heinrich über den Weg zu laufen. Aber wenn er sich nicht beeilte, würde er sie wahrscheinlich verpassen.
Also ging er weiter. Die Spur verlor sich in der Menschenmenge. Der wohlbekannte Krach und Geruch empfingen ihn und kamen ihm lauter und ekelhafter vor denn je zuvor.
Er kletterte auf eine der Buden, um einen besseren Überblick zu erhalten. Er suchte einige Minuten, doch dann sah er sie. Sie bewegten sich auf „Wunder der Welten“ zu. Und da war auch Heinrich. Bei seinem Anblick stieg augenblicklich Brendans Blutdruck. Einen Moment war er versucht, sich einfach auf ihn zu stürzen. Heinrich malträtierte wieder den armen John. Er war geistig behindert und somit ein leichtes und gerne genommenes Opfer für Heinrichs Wutanfälle.
Aber was taten Christian und Paul hier? Was hatten sie mit Heinrich zu schaffen? Sie sahen ihn an. Und dann verschwanden sie in Richtung von Heinrichs Wohnwagen.

»Steckten sie hinter dem Angriff?« dachte Brendan plötzlich? Die Abfolge Ereignisse ging ihm noch einmal durch den Kopf. Christians merkwürdiges Auftauchen und Verschwinden, als Brendan Kassenhäuschen gesessen habe. Christians hämisches Grinsen. Konnte es ein Zufall sein, dass Heinrich Brendan ausgerechnet am nächsten Tag die Falle gestellt hat? Oder steckten die Vampire dahinter? Christian hatte Brendan doch sicherlich nicht zufällig auf den Weg in die Stadt begleitet. Seit wann reisen Vampire mit Bussen? Wollte er nur sicherstellen, dass Brendan auch tatsächlich da sein würde?
Je mehr Brendan darüber nachdachte, umso sicherer wurde er: Irgendetwas stimmte hier nicht. Ist die vermeintliche Rettung eine nette Inszenierung gewesen? Aber warum das alles? Was hatten sie mit ihm vor? Wenn sie ihn töten wollten, warum haben sie es nicht getan? Brendan kam sich vor wie ein Spielball für einen Plan, dessen Ziel er nicht kannte.
Die Erkenntnis traf ihn wie einen Schlag. Enttäuschung, Wut und Trauer stiegen in ihm auf. Er war jetzt der felsenfesten Überzeugung, dass hier etwas faul war. Er wollte wegrennen, schreien, kämpfen. Er wollte sie in Heinrichs Trailer abfangen und zur Rede stellen. Ihnen ihre Lügen ins Gesicht schmettern. Ihnen zeigen, dass er sie durchschaut hatte.
Wie konnte ich nur so naiv sein zu glauben, dass Christian es ehrlich mit mir meinte? Brendan schalt mich in Gedanken selbst einen Idioten, einen Träumer.

Doch er tat nichts von alledem. Brendan fühlte mich verraten und verkauft. Sein Zorn war so schnell wieder verflogen, wie er gekommen ist. Er verließ den Jahrmarkt und ging in Richtung Felder. Ich wollte alleine sein. Für immer.

30 (Brendan)

So lief er einige Zeit durch die Dunkelheit. Alleine mit sich und seiner Enttäuschung. Was sollte er tun? Die Freiheit, die er noch wenige Stunden zuvor gefühlt hatte, verlor sich in der Dunkelheit zu stumpfer Verzweiflung.
Fast wünschte er sich, Heinrich hätte besser gezielt.
Seinen ursprünglichen Vorsatz, einfach weiter zu ziehen, verwarf er bald wieder. Er konnte Christian nicht so davon kommen lassen. Brendan hätte ihn einfach mit seinen Vorwürfen konfrontiert, wäre da nicht der Nosferatu mit im Spiel. Wenn, dann wollte Brendan alleine mit Christian reden.

Schmerzlich wurde Brendan bewusst, dass er alleine war. Er drehte sich um und sah in der Ferne die Lichter des Jahrmarktes. Auch wenn das Leben auf der Kirmes hart und einsam gewesen war, so war es doch sein Heim gewesen. Jetzt gab es keinen Ort mehr, wo er hingehen konnte, der ihn aufnehmen würde.
Außer vielleicht das Mausoleum. Warum hat Christian ihn nicht einfach gefragt, ob er mitkommen würde, anstatt eine Intrige zu starten? Er wäre doch auch so mit ihm gegangen. Wozu dieser wilde Auftritt?
Brendan war, als könnte er Christians Blut noch immer in seinen Adern spüren. Und er musste wieder an jenen zauberhaften Moment denken, wo er ihn davon trinken ließ.

Brendan schwankte. Eben war ich mir noch 100%ig sicher gewesen, dass Christian ihn verraten und verkauft hatte. Doch Christian hat Brendan in sein Mausoleum gebracht. In sein Heim. Brendan hätte ihn töten können, während er schlief. Zweifel übermannten Brendan erneut. Was ging hier vor? Er wollte schreien! Vor Wut, Angst, Verzweiflung und Unsicherheit. Ein tiefes Knurren entrann seiner Kehle. Die Metamorphose begann. Es war zwar noch kein Vollmond, doch er war nahe. Gefährlich nahe.
Werwölfe sind vom Mond abhängig. An Vollmond sind sie vollständig ein Wolf. Die menschliche Form können sie dann nicht mehr annehmen. An Neumond sind sie nur Menschen ohne Wolfskräfte. In der Zwischenzeit sind sie halb Wolf, halb Mensch. Es hängt von ihrem Charakter und ihrem Willen ab, welche Form sie annehmen. Doch je näher der Vollmond rückt, umso stärker wird der Wolf.

Brendan spürte, wie ihm ein Fell wuchs. Seine Hände verwandelten sich in Pranken. Ihm wuchs ein Schwanz und sein Gesicht veränderte sich, die Zähne wuchsen. Man spürt, wie die Muskeln binnen Sekunden wachsen. Die Sinne verschärfen sich und man spürt die Urgewalt der Natur in sich. Es ist aber auch ein sehr anstrengender und unkontrollierbarer Prozess, was aber auch nicht verwunderlich ist. Schließlich verändert sich der Körper innerhalb kürzester Zeit nahezu vollständig. Man wird von Krämpfen geschüttelt und in diesem Moment ist man fast wehrlos. Glücklicherweise dauert es nicht sehr lange.
Aber gerade jetzt konnte er es nicht gebrauchen! Er musste einen klaren Kopf bewahren, wenn er der Sache auf den Grund gehen wollte. Und als Wolf handelt man doch eher impulsiv. In diesem Moment bestand sogar die Gefahr, dass er einfach über Heinrich herfallen würde. An die Konsequenzen mochte er gar nicht denken. Es heißt, dass die Toten eines Werwolfes diesen nach ihrem Tod heimsuchen. Zumindest hatte er das gelesen. Heinrich, der ihn als untoter Geist ein Leben lang verfolgen würde. Na herzlichen Dank!
Er musste die Verwandlung stoppen. Noch ist kein Vollmond. Es liegt an ihm, welche Form er annimmt. Er konzentrierte sich. Beruhigte seinen Geist. Er leerte seine Gedanken und versuchte, sich zu entspannen.
Es klappte. Langsam verwandelte er sich zurück. Aber es gelang ihm nicht ganz. Seine Fingernägel kamen ihm länger vor als eben und seine Eckzähne erschienen ihm spitzer als gewöhnlich, als er sie mit der Zunge ertastete. Aber er hatte seine menschliche Gestalt behalten.
Der Vorfall zeigte ihm aber, dass er der Sache auf den Grund gehen musste, wenn er nicht Gefahr laufen wollte, beim nächsten Vollmond über Heinrich herzufallen.

Fast automatisch lenkte er seine Schritte zurück zum Mausoleum. Es war nicht nur so, dass er keinen anderen Ort gewusst hätte, wo er hätte hingehen können. Es war auch der einzige Ort, wo er hin wollte. Noch immer hatte er etwas Angst vor Christian, dem Vampir. Er war wie Brendan ein Wesen, das anders ist als die Menschen um sie herum. Sie passten nicht hinein in ihre Welt.
Die einzige Möglichkeit, die Brendan sah, war ihn zu fragen, was er mit Heinrich zu schaffen hatte. Dann würden sie weiter sehen. Und es war an der Zeit, ihm zu gestehen, dass er ein Werwolf war.

31 (Christian)

Ich dachte kurz an Brendan und dass er seit Längeren nichts gegessen hatte. Ich entschied mich dazu, etwas hier für ihn zu kaufen und es ihm mitzubringen.
Ich nahm also Kurs auf den Ausgang und an der letzten Bude, die alle möglichen landestypischen und exotischen Küchen anbot. Ich reihte mich in die Schlange ein und überlegte, was ich wohl für ihn mitnehmen soll.
Ich kam an die Reihe und war genau so unschlüssig wie vorher. Also bestellte ich eine Haxe, ein Maiskolben, frittierten Blumenkohl und Broccoli, eine Grillrippe, Backofenkartoffel und Pommes frites und ein paar unterschiedliche Würstchen.
Die Verkäuferin runzelte etwas die Stirn und bot mir an, die Sachen einzupacken.
Nachdem ich mehr bezahlt hatte, als angenommen, zog ich mit meinem dampfenden Essen die Rampe hoch auf die Straße. Unmittelbar am Ausgang war noch eine kleine Bude mit allerlei Süßigkeiten und Getränke. Ich hielt kurz an und kaufte noch drei Dosen Cola und ein paar Süßigkeiten. Stopfte alles in die Tüte und verließ den Rummel. Ich suchte zwischen den Menschen einen abgelegenen Teil hinter einem Baum, schloss meine Augen und löste mich von der Erde.
Nach wenigen Sekunden war ich auf guter Höhe und wirbelte, so schnell ich konnte zurück zu meinem Friedhof.
Ich ließ meine Gedanken etwas schweifen, während ich durch die Nacht rauschte, und stellte fest, dass der ganze Trubel nichts für mich ist. Ich war froh, als der verlassene Wald und nach ein paar weiteren Metern die Friedhofsmauer auftauchte. Ich flog drüber und landete auf leisen Füßen vor dem Mausoleum.
Es war etwa 22:11 Uhr, wenn ich den Stand der Sterne und dem Mond richtig deutete. Ich stieg mit meiner Tüte ins Mausoleum hinab und öffnete die Tür. Die Dunkelheit ließ sofort meine Pupillen erweitern. Nichts desto trotz entzündete ich mit meinem Willen die Kerzen. Ich blickte mich vom Eingang aus an der Tür um. Am Kopf des Mausoleums stand ein kleiner, vorkonziliarischer Altar und auf ihm zwei Kerzen in alten, vergoldeten Kerzenständern. Auf dem Altar war eine alte, mit Ornament bestickte Altardecke. Auf dem Altar war lag eine Bibel. In einer der langen und kalten Winternächte hatte ich sie mal durchgeblättert. Sie wurde im Jahr 1860 mit kirchlicher Erlaubnis gedruckt und war auf jeder Seite reich verziert. Wahrscheinlich in liebevoller Handarbeit von einer Nonne. Ich kannte mich mit den Dingen noch immer gut aus, wurde ich ja nach meiner weltlichen Geburt auf den katholischen Glauben getauft. Durch meinen unfreiwilligen Wechsel zum Engel der Nacht hatte ich jeden Anspruch auf Göttlichkeit verwirkt.
Über dem Altar hing ein Kreuz mit dem Corpus Christi. Er war sehr zerschunden und blutete an Knien und Ellbogen. Sein Blick war gequält und dennoch gen Himmel gerichtet. Über seine Augen lief das Blut, verursacht von den Wunden durch die Dornenkrone. Seine Hände und Füße bluteten ebenfalls. Es sah im Kerzenschein sehr lebendig aus und mir kam unwillkürlich die Frage, wie ein solcher brutaler Mord; eine Barbarei der Menschen aus dem alten Rom, so viele Christen darin ihr Heil suchten. Ihre Kirchen und Wohnungen schmückten mit einem Abbild eines grausamen Mordes.
Über dem Altar war in dem Mauerwerk eine Nische, in der das ewige Licht, eine kleine rote Ölkerze brannte. Aus Respekt vor den Verstorbenen, die hier einst lagen, ließ ich das Licht dennoch nie erlöschen. Vom Altar führten 3 Stufen in den Raum und davor war eine hölzerne Kommunionbank. Auf dem unteren Teil lag ein dickes, rotes Polster mit einem Bezug aus kostbarem Samt. Die Motten und die Zeit hatten ihn mittlerweile an vielen Stellen porös werden lassen. Ich hatte mir schon unzählige Male vorgenommen, diesen auszubessern.
Auf der linken Seite war ein Schutzpatron der Familie. Er war aus Holz und einst bemalt gewesen. Die Witterung und die Feuchtigkeit hatten die Farbe abblättern lassen und auch ich vermag nicht zu erkennen, wen er darstellen sollte. Es konnte, der Tracht nach zu urteilen nur der hl. Franziskus oder der hl. Dominikus sein. Zu deren Lebzeiten haben sich beide Heiligen gekannt, jeder für sich aber eine andere Strategie innerhalb der Kirche gesucht. Franziskus in der Armut Christi, Dominikus in der Verbreitung der christlichen Lehre. Auf der rechten Seite befand sich, eine auf Holz gemalte Madonna Ikone im russisch-orthodoxen Stil mit dem kleinen Jesus im Arm. Der Künstler hatte offenbar viel Mühe investiert, denn das satte Rot, Gold und Blau war noch immer zu sehen und der Holzwurm hatte sich auch nicht daran vergriffen.
In dem Vorbau des Portals, in dem ich gerade Stand, war eine lebensgroße Pietá. Die Mutter Gottes mit dem vom Kreuz abgenommenen toten Jesus in ihren Armen. Ein schmerzvoller Blick auch bei ihr gen Himmel.
Ob meine Mutter wohl auch so gefühlt hat und Gott gefragt hat, warum sie mich an die dunkele Macht verloren hat?
Auf der gegenüberliegenden Seite war ein schlanker, hoher Engel mit auslandenden Flügeln, der mit seinem Zeigefinger der rechten Hand auf den Mund legte und zur ständigen Ruhe in dem Mausoleum ermahnte.
In der Mitte des Raumes standen zwei Steinsärge. In dem einen hatte ich mich eingenistet, der andere war leer und wurde auch nie jemand drin beigesetzt. In einer dunklen Ecke hatte ich meine Truhe mit meinen wenigen Habseligkeiten und einen, wie ich zu Pflegen sagte, Reisesarg. Ein einfacher, schwarzer Sarg aus Holz mit einer leichten Decke und Kopfkissen. Ich hätte beides nicht gebraucht, um zu ruhen, aber wenn ich reisen musste, blieb mir oft keine Wahl, als Überführungsformulare zu fälschen und bei etwaigen Kontrollen musste für die Menschen die Illusion perfekt sein, dass es sich hierbei um einen verstorbenen Teenager handelt, der von seinen Eltern überführt wurde.
In einer anderen kleinen Nische lagen ein paar zusammengerollte Decken. Weniger um mich zu wärmen, sondern um die Tiere zu wärmen oder um das Sonnenlicht zu verbannen.
Das Innere des Mausoleums war mit einem Wandelgang in Kreisform umgeben, sodass der äußere Bereich in Dunkelheit lag, in diesem befand sich für Andachten ein Kreuzweg mit dem Leidensweg Christi. Die stützenden Säulen waren im gotischen Stil erbaut und das ganze Mausoleum sah aus wie eine kleine Kathedrale. Ich liebte mein kleines, friedliches Zuhause.

An der letzten Säule vor der Kommunionbank lag Brendan. Er hatte sich den Strohballen, der eigentlich als Behausung für Johnny gedacht war, als Lager zu Recht gemacht. Warum er sich nicht ein paar Decken als Kopfkissen genommen hat … Er lag da zusammen gekauert auf dem Ballen und schlief noch; nein er schien zu schlafen, tat es aber nicht. Dieser Narr … als würde ich es nicht merken und fühlen. Sein Herzschlag war etwas zu schnell für einen Schlafenden und der Blutdruck zu hoch. Ich konnte sein jugendliches Blut rauschen hören, entschied mich aber dazu, sein kleines, naives Spiel mitzuspielen. Momentan roch er nicht besonders angenehm für meine empfindliche Nase und das Stroh, auf dem er lag, ließ den Geruch nicht gerade angenehmer werden. Selbst meine Schlange war etwas irritiert und züngelte in seine Richtung. Es war sein Körpergeruch gemischt mit dem Stroh, das ihn offensichtlich als Beute erscheinen ließ. Er ist zwar groß und muskulös, aber ich war mir nicht sicher, ob er im Ernstfall gegen die Muskelkraft ankommen würde.
Ich entschied daher, dass Machtspiel zu beenden und befahl Akasha mittels Gedankenübertragung sich zurückzuziehen.

Ich ging zu Brendan und stellte die Tüte mit dem Essen neben ihm ab. Dem Geruch konnte er nicht widerstehen und er drehte sich und schmatzte ein wenig.

32 (Brendan)

Es war noch recht früh in der Nacht, als ich zurück im Mausoleum war. Christian war nicht da. Und vermutlich würde es noch Stunden dauern, bis er wiederkommen würde. Was sollte ich tun? Ich war erschöpft und so entschied ich mich, mich noch etwas auszuruhen. Doch kaum habe ich mich hingelegt, öffnete sich auch schon die Tür. Ein frischer Windhauch trug Christians Geruch mit sich, zusammen mit einer wilden Mixtur verschiedener Essensgerüche. Ich war sofort hellwach, rührte mich jedoch nicht.
Ich fühlte die Anspannung in mir hochkriechen. Ich war aufgeregt. Hatte er vielleicht doch noch nicht mitbekommen, dass ich ein Werwolf war? Was würde er dazu sagen, dass ich ihm nachspioniert habe? Und die dringendste Frage von allen: Was hatte er mit Heinrich zu tun?
Nervös tastete ich mit der Zunge meinen Eckzahn ab. War er nicht schon wieder länger geworden? Verdammt. Ich versuchte, mich zur Ruhe zu mahnen.
Die blöde Schlange hatte mein Problem offensichtlich bemerkt und züngelte nervös in meine Richtung. Ich war mir nicht sicher, ob sie mich nicht jeden Moment anfallen würde. Zum Glück zog sie sich auf einmal zurück.
In dem Moment entspannte auch ich mich etwas und ich spürte, wie sich meine Zähne wieder zurückbildeten. Christian kam näher und mit ihm der Geruch nach frischem Essen. Es roch köstlich und ich merkte auf einmal, wie hungrig ich eigentlich war. Als er die dampfenden Tüten neben mir abstellte, konnte ich nicht länger widerstehen. Ich tat so, als wäre ich soeben erwacht und drehte mich um. Er hatte mir tatsächlich was zu Essen mitgebracht.
In diesem Moment fühlte ich nur unendliche Dankbarkeit. Und gleichzeitig schämte ich mich, dass ich ihm noch kurz zuvor eine Kollaboration mit Heinrich unterstellt hatte.
Christian grinste mich an. Seine mysteriösen Augen trafen die meinen und dann geschah etwas Merkwürdiges. Einen Moment lang hatte ich den Eindruck, in seinen Augen zu verschwinden. Es war, als würde er mir direkt in die Seele blicken. Und dann geschah etwas Merkwürdiges. Ich lief wieder mit dem Hasen um die Wette, doch diesmal in Gestalt des Wolfes. Und ich riss das Tier und spürte den Wolf in mir in einer Art Trance. Der Wolf in mir schien laut aufzuheulen. Dann war der Moment wieder vorbei.
Ich erschrak etwas und wandte meinen Blick ab. Hoffentlich hatte er nichts bemerkt. Als ich kurz drauf wieder aufsah, sah er mich mit ausdruckslosem Gesicht an. Er schien in Gedanken vertieft zu sein.
„Träumst du?“ fragte ich, um die Stille zu unterbrechen.
Er fragte mich, ob ich gut geschlafen hätte. Ich hatte ja nicht geschlafen und ein wenig fühlte ich mich ertappt. Als er mir das Essen anbot fiel meine Aufmerksamkeit auf die großen, dampfenden Tüten und zu meinem Hunger gesellte sich tief empfundene Dankbarkeit für seine Fürsorge.
In gewisser Weise war ich froh, dass sich mein Geständnis noch etwas hinziehen würde und so stürzte ich mich voller Heißhunger auf die dampfenden Köstlichkeiten. Schon oft habe ich sie auf der Kirmes gerochen und gesehen, aber ich hatte nie genug Geld, um mich damit zu versorgen. Erst recht nicht soviel auf einmal! Es war wie im Paradies. Alles, was ich schon immer mal probieren wollte, mir aber nie leisten konnte, schien in den Tüten zu sein. Gierig fiel ich über ihren Inhalt her und aß alles Wild durcheinander.

33 (Christian)

Brendan öffnete seine Augen und blinzelte. Er was der geborene Schauspieler und ich musste grinsen. Zum einen hatte er nicht geschlafen und zum anderen war es relativ dunkel; selbst wenn er geschlafen hätte, wäre ein Blinzeln unter normalen Umständen gar nicht möglich und nötig gewesen. Ich fragte mich, warum er diese kleine Einlage spielte. An der Nervosität meiner Tiere wusste ich, dass er wach war. Hatte er auf mich gewartet?
Ich versuchte seine Gedanken zu lesen und pendelte mich auf seine Ebene vorsichtig ein. Was ich jedoch sah und spürte, raubte mir für einen Moment den Atem. Ich drang zu seinen eigentlichen Gedanken gar nicht durch. Stattdessen sah und fühlte ich was Animalisches, Wildes und Unbändiges. Ich spürte raue Wälder, verlassen und dunkel. Rohes Fleisch und kochendes Blut. Ich ahnte mittlerweile, dass etwas nicht stimmte und Paul hat auch seine Andeutungen gemacht. Brendan ist ein Werwolf! Dass ich seine Schwingungen so stark aufnahm, konnte nur ein Zeichen dafür sein, dass der Vollmond nicht mehr lange auf sich warten ließ.
Nun war guter Rat teuer. Was war zu tun, wenn er von dem ersten Vollmond berührt wurde?
Ich wusste von Paul aus unzähligen Nächten des Unterrichts, dass es eine alte Fehde zwischen Vampiren und Werwölfen gab, oder gar noch gibt. Paul hatte so leidenschaftlich davon berichtet, dass mir klar war, dass auch die Vampire zu dem Streit ihren Anteil beigetragen haben.
Ich wusste aber auch durch die Bibliotheken der Talamasca, dass Werwölfe ihre Kraft durch Vampirherzen erlangten. Ich war zwar ein geübter Jäger, schnell, entschlossen und unerbittlich und beherrschte das Verdampfen sehr gut. Aber konnte ich es unter Umständen wirklich mit einem Werwolf aufnehmen? Ich hatte selber lange keine richtige Portion Blut zu mir genommen; war ja auch nicht notwendig, da ich hier in Frieden lebte. Bis jetzt.
Ich dachte mir nur: “Christian, du hast ein tolles Geschick, dich mit Problemen nur so zu beladen.“
Ich war eigentlich in den Vorbereitungen meiner Reise zu meiner Familie. Jetzt saß ich hier auf einen alten Friedhof mit meinem etwas anstrengenden Mentor und einem Werwolf, von dem ich so gut wie nichts wusste.
„Träumst du?“ fragte Brendan und holte mich in das Jetzt zurück.
„Ich habe nur ein wenig nachgedacht. Guten Abend Brendan, hast du gut geschlafen? Ich habe dir etwas zum Essen mitgebracht. Ich wusste nicht, was du magst, darum habe ich dir ein wenig von allem mitgebracht.“ Ich hätte ihm wahrscheinlich eine größere Freude gemacht, wenn ich ihm die Überreste von einem meiner Opfer mitgebracht hätte, anstatt gegrilltes, totes Getiers von der Kirmes.
„Ich kenne diese Gerüche nur zu gut. Danke Christian. Du kümmerst dich um mich so rührend, das hat noch nie jemand für mich getan.“ Seine Augen strahlten ehrliche Dankbarkeit aus.
„Du warst krank und hast lange geschlafen. Iss erstmal in Ruhe und solange das Essen noch halbwegs schmackhaft ist.“ „Wir können noch später reden.“ Entgegnete ich.
Wenn er ein vollwertiger Werwolf ist, in dem jetzt Vampirblut fließt, dann haben wir mehr Zeit, als dieser Friedhof stehen wird.
Er war durch das lange Schlafen tatsächlich ausgehungert und wühlte hektisch in der Tüte rum. Er wusste scheinbar vor Hunger gar nicht, womit er anfangen sollte. Also stopfte er sich von allem etwas in den Mund und kaute und schmatzte genüsslich vor sich hin. Besonders gute Manieren hatte er nicht. Wir Vampire waren dann doch etwas stilvoller im Umgang mit unserem Essen. Ich stellte mir gerade vor, wie ich wohl aussehen würde, wenn ich so über meine Opfer herfiel, wie Brendan über sein Essen. Ich hätte wahrscheinlich wie nach einem Gemetzel ausgesehen. Brendan störte es jedenfalls nicht und er as eine Tüte nach der anderen leer. Dabei lief ihm das Öl und die Soßen von den Fingern und tropften auf den Boden. Um die Überreste würde sich später noch Jimmy freuen. Ich legte mich auf meinen Sargdeckel und entspannte ein bisschen. Im Mausoleum war, außer Brendans schmatzen nichts zu hören.
Während ich so da lag und einfach nur nachdachte, schlängelte Akasha auf dem oberen Träger. Ihr gelber, muskulöser Körper glitzerte wie Diamanten in dem Kerzenlicht.
Ich dachte an meine Familie, die irgendwo auf einer Insel waren. Ich griff nach dem Medaillon und schloss die Augen. Die Gefühle überwältigten mich.

34 (Christian)

Ich sah meine Familie ganz klar, als wäre ich dabei. Es war ein kühler und stürmischer Abend. Meine Mutter oder einer meiner Brüder hatte den Kamin entzündet. Mein Bruder saß in einem Schaukelstuhl vor dem Feuer, gehüllt in einer Wolldecke. Er schien zu frieren. Was mich jedoch noch mehr erschrak, er war blass im Gesicht und seine Augen lagen in tiefen Augenhöhlen. Die Augen guckten müde. Meine Mutter brachte ihm eine Tasse mit dampfenden Inhalt, vermutlich einen Tee.
Ich hob meine Augen und wenige Stufen führten hinauf in eine offene Küche. Dort saß mein Steifvater und mein Stiefbruder, die ich bisher nie kennen lernen konnte und dennoch fühlte ich mich ihnen nah.
Meine Mutter war so schön wie immer, doch ihre Augen waren auch müde.
Warum sind meine Mutter und mein Bruder so müde? Was ist passiert in all den Jahren? Ich musste sie finden und sehen, ob ich Hilfe anbieten kann.

*
Ich erwachte aus meiner Vision, als ich kräftig gerüttelt wurde. Brendan. Er hatte scheinbar sein Essen beendet und schüttelte mich sanft, aber dennoch energisch an der Schulter. Ich war noch nicht so tief in Trance, sonst hätte dieses für Brendan tödlich enden können. Paul hatte mich mal so vor Jahren aus einer Vision zurückgeholt und hatte einen kräftigen Schlag von mir verpasst bekommen. Der Hieb traf in damals so stark, dass er durch den Raum flog und krachend an der Wand landete.

Ich öffnete meine Augen und sah in sein Gesicht. Ein schönes, jungenhaftes Gesicht. Einige Reste von Öl klebten noch in seinen Mundwinkeln, seine Augen funkelten leicht bernsteinfarben, dabei hatte er eine natürliche Augenfarbe. Der Vollmond schien also schon greifbar nah, doch heute Nacht war es noch nicht so weit. Dafür kannte ich die Mondphasen zu gut.
Da Brendan sehr nah an meinem Gesicht war, fiel mir ein weiterer Geruch auf, Brendan brauchte ein dringendes Bad. Typisch Wolf, dachte ich. Suhlen im Matsch und sind auch sonst nicht so säuberlich. Hinzu kommt noch, dass er bei diesem dreckigen Kerl auf dem Jahrmarkt aufgewachsen ist und so wie er ihn gehalten hat, war Körperpflege wohl nicht so an der Tagesordnung. Leider.
Wie kann man einem Wesen beibringen, dass er sich mal baden sollte?

35

C: „Mach das nie wieder!“ funkelte ich ihn an. Brendan blickt ihn erschrocken an und wich etwas zurück.
B: "Tschuldigung". Du warst so merkwürdig. Ich habe dich angesprochen, aber du hast nicht reagiert.“
C: "Ich garantiere sonst für nichts, klar? Halte Dich einfach von meiner Ruhestätte fern. Immer!"
B: "Kommt nicht wieder vor" Brendan guckt verlegen auf den Boden. Warum regte er sich nur so auf?
B: "Danke für das Essen."
C: Mir war nicht wohl, ihn so anzufahren, aber ich musste ihn warnen. Wäre ich tiefer in Trance, hätte er einen eventuellen Hieb nicht überlebt.
"Setz dich!"
B: Ich fragte mich, warum er so reagierte. Warum dieser Befehlston? Hatte er Angst? Bei Lebenden kann man die Angst riechen, aber Christian war nach wie vor ein Rätsel für mich.
C: "Wir müssen reden!"
B: „Ja. Du hast Recht. Ich konnte dir noch nicht für meine Rettung danken.“ Wusste er schon, dass ich ein Werwolf bin?
C: „Ich habe nicht dich gerettet, sondern für Gerechtigkeit gesorgt"
B: Ich musste wieder an den Abend denken, als er mir zu Hilfe gekommen ist. Es war etwas passiert. Ich habe ihn in meinen Gedanken gerufen und ich erinnerte mich, dass er mich gehört hatte. Es ist schwer zu beschreiben und ich wüsste nicht, wie ich es hätte beweisen sollen. Und doch war ich mir sicher, dass es so gewesen ist. Ich lächelte ein wenig.
"Du lügst. Ich habe dich gerufen und du bist gekommen. Und du hast mir das Leben gerettet.“
C: "Du vermagst nicht, durch Zeit und Raum zu rufen"
B: "Woher wusstest du dann, dass ich da war?" Die einzige andere, plausible Erklärung – wenn ich ihn nicht gerufen hätte – wäre ja gewesen, dass er doch mit Heinrich unter einer Decke steckte. Aber das mochte ich nicht glauben.
C: "Was ist mit deiner Sippe?"
B: Er sprach von meiner Sippe. Also wusste er, dass ich ein Wolf bin. Aber warum sprach er dann nicht von meinem Rudel? Jetzt war ich wieder unsicher. Seinen heftigen Ausbruch, als ich ihn angesprochen habe, konnte ich mir nicht erklären. Vielleicht sollte ich mir nicht zu sehr in die Karten gucken lassen.
"Sie warten bestimmt schon auf mich."
C: „Warum bist du alleine?" hakte ich nach.
B: Weil mich keiner haben will, dachte ich im Stillen. In Wahrheit habe ich mein Rudel nie kennen gelernt. Laut antwortete ich:
"Sie sind weiter gezogen."
C: "Niemand wartet auf dich! Dein Peiniger wartet höchstens auf dich."
B: Es traf mich wie ein Stich. Er hatte natürlich Recht. Es gab Niemanden, der auf mich wartete. Ich versuchte, es mir nicht anmerken zu lassen.
C: "Willst du zu dem Herrn der Missgeburten zurück?"
B: Ich blickte traurig auf den Boden. Es war an der Zeit, die Deckung aufzugeben und der Wahrheit ins Gesicht zu sehen. Außer Christian gab es keine Hoffnung für mich.
"Nein."
C: "Du bist frei. Du kannst jederzeit gehen, aber ich warne dich. Du bist nicht mehr das, was du warst. In dir fließt mein Blut."
B: Wollte er mich loswerden? War ich ihm lästig oder wollte er es nicht riskieren, mit einem Werwolf gesehen zu werden? Was nützt die Freiheit, wenn es Niemanden gibt, der sie mit einem feiert?
"Du hast mir nicht geantwortet. Warum hast du mir dein Blut gegeben? Warum hast du mich gerettet?"
C: "Ich dachte, du bist ein Mensch, der einfach nur stinkt. Wärst du ein Mensch, wüsstest du jetzt nichts mehr von den Geschehnissen."
B: Enttäuschung und Verbitterung schwang in seiner Stimme mit. Er dachte also, einem Menschen zu helfen. Und nun saß ich vor ihm. Hätte er gewusst, was ich bin, hätte er Heinrich vermutlich sogar noch geholfen. So hatte er sich das bestimmt nicht vorgestellt.
"Ich verstehe. Bereust du, was du getan hast?“
C: "Das wird sich zeigen!"
B: Aus irgendeinem Grund fühlte ich mich schuldig. Es ist, als hätte ich ihn alleine dadurch enttäuscht, dass ich bin, wer ich bin. Und wahrscheinlich war das auch so.
"Du hast mich befreit und gerettet. Ich stehe in deiner Schuld!"
C: "Ich brauche keinen Sklaven. Aber dennoch sind wir verbunden"
B: Hörte sich so an, als ob er mit Paul gesprochen hat. Nicht mal als Sklaven könnte er mich gebrauchen. Na toll. Aber er hatte Recht. Wir konnten das Geschehene nicht einfach ignorieren. Irgendwie sind wir verbunden und ob es jetzt ein Unfall war oder nicht, ich habe sein Blut getrunken. Und er hat mich gerettet.
"Dennoch stehe ich in deiner Schuld."
C: "Ich habe ein Vorhaben. Vielleicht brauche ich dich noch. Aber du bist frei. Wenn du willst, kannst du jederzeit gehen"
B: War das ein Akt von Großzügigkeit? Ich musste wieder an das gute Essen denken, dass er mir mitgebracht hat. Es passte nicht ganz zu seinem unterkühlten Ton.
"Wohin sollte ich gehen? Und frei bin ich auch nicht. Ich begleite dich. Solange du es zulässt."
C: "Du kannst zu deinem Rudel zurück"
B: Es war wohl an der Zeit, ihm die Wahrheit gänzlich zu gestehen. Es gibt keinen Ort, wo ich hingehen könnte.
„Ich habe kein Rudel. Nie gehabt.“
C: "Du warst immer auf dem Jahrmarkt?"
B: "Solange ich mich erinnern kann, ja."
C: "So weit ist es schon gekommen" faucht Christian und seine Pupillen wurden blutrot.
"Die Geschöpfe der Nacht werden auf einem Jahrmarkt ausgestellt. Wo ist die Angst der Sterblichen geblieben? Sie sollten uns fürchten und nicht begaffen!"
B: Ich schämte mich, als er das sagte. Wie oft wurde ich begafft und ausgelacht.
C: Ich sah einen traurigen und verschwommenen Blick in seinen Augen. Er tat mir unendlich leid. Ich fühlte den Schmerz, den auch ich in mir trage.
B: "Ich bin kein Geschöpf der Nacht. Ich bin ein Freak und war da, wo ich hingehörte. Vielleicht sollte ich wieder zurückgehen."
C: "Du bist eine Laune der Natur. Vielleicht ein Fluch Gottes oder der Hölle. So wie ich. Ich habe mir das auch nicht ausgesucht"
B: "Wäre es dann nicht besser gewesen, wenn du mich nicht gerettet hättest?"
C: "Willst du lieber tot sein? So wie ich? Kein Gefühl von Kälte oder Wärme? Sich immer verstecken zu müssen?"
B: Einen Moment war ich versucht, mit ja zu antworten. Kälte mochte ich noch nie und die Vorstellung, (un)tot zu sein, hatte auch ihren Reiz. Besonders, wenn es bedeuten würde, die Einsamkeit nicht mehr zu fühlen.
„Nein.“
Also tot wollte ich nicht sein. Und so faszinierend der Vampir auf mich auch wirkte, wollte ich ebenfalls nicht mit ihm tauschen. Ich würde die Sonne vermissen.
C: "Dann stell dich deinem Leben! Stell dich dem, was du bist und was die Natur von dir verlangt"
B: Dem, was ich bin. Ich habe gelernt, mit dem Wolf in mir umzugehen und ihn zu akzeptieren. Aber ich wusste immer noch nicht, wo ich hin gehörte. Jetzt noch weniger denn jemals, da ich ja auch noch mein zu Hause verloren hatte – wenn man es denn so nennen kann.
"Ich würde gerne wissen, wer ich bin. Wie es passiert ist."
C: "Geh zu deinem Meister. Frag ihn nach deiner Sippe. Aber geh ohne Angst. Du bist stark und gefährlich wie ein Wolf. Flink wie ein Raubtier und hast den Verstand des Menschen. Du hast Mut bewiesen, mir zu folgen auf dem Jahrmarkt."
B: Das überraschte mich. Bis jetzt hatte ich den Eindruck, dass er etwas abfällig auf mich herab gesehen hätte. Aber er hatte Recht. Es brachte nichts, sich zu beschweren oder gar zu bemitleiden. Ich musste handeln. Langsam stand ich auf.
"Heinrich!" Ich war entschlossen, ihn zur Rede zu stellen. Koste es, was es wolle.
C: "Warte! Rache mein Lieber, ist kein guter Gefährte. Handel überlegt. Nur dass wird dich triumphieren lassen. Ich habe von Paul alles gelernt, um zu leben und zum überleben.“
B: Ich versuchte meinen Pulsschlag wieder zur beruhigen. Kurz vor Vollmond war ich immer so impulsiv.
"Was soll ich tun?"
C: "Die Frage ist: «Was willst du tun?»"
B: „Ich will bei Heinrich anklopfen und ihn dazu bringen mir zu verraten, was er über mich weiß. Er hat es mir nie verraten.“
C: "Benutz dein Menschenverstand und dein Wissen über Heinrich."
B: Das sagt sich so leicht. Bis jetzt konnte ich mit Heinrich nicht über mich reden und ich zweifelte daran, dass sich das jetzt verbessert haben würde.
„Aber ich weiß nicht, wie.“
C: "Du solltest ihn weglocken vom Jahrmarkt. Es muss schnell gehen. Leg eine Spur. Meinetwegen auch eine blutige Spur. Der Mond ist in 2 Nächten für dich bereit."
B: "Hilfst du mir?"
C: "Ich soll mich mit einem Wolf verbünden?"
B: Er sah verächtlich auf mich herab. Es war fast, als würde ich ihn anwidern. Es ärgerte mich etwas, aber ich war nicht in der Position, Forderungen zu stellen.
"Entschuldige. Ich war anmaßend."
C: „Es wundert mich nicht, dass du jahrelang ein Gefangener warst. Du bist mutlos und feige."
B: »Und du bist arrogant und eingebildet! « fuhr es mir durch den Kopf. Jetzt kam wieder die Wut in mir hoch. Das Lob von eben war wohl nicht wirklich ernst gemeint. Diese kleine Fledermaus hatte vermutlich keine Ahnung, was Mut eigentlich ist.
"Du hältst mich für feige?"
C: "Ich werde dir nicht helfen.“
B: Wütend funkle ich ihn an. Ich werde seine Hilfe auch nicht brauchen.
C: "Aber ich werde dir zur Seite stehen."
B: Mehr wollte ich doch nie. Das wurde mir in diesem Moment bewusst. Es ging nicht darum, dass Christian meine Kämpfe focht.
"Das reicht auch schon. Mehr verlange ich gar nicht."
Trotz kam in mir auf.
"Ich werde dir beweisen, dass ich nicht feige bin."
C: Ich pfiff nach Max, meinem Raben. Er kam sofort angeflogen und setzte sich neben mich. Er starrte mich aus schwarzen Augen an und wartete auf meinen Befehl.
"Sei mein Auge und such. Lass dich nicht erwischen und halte dich im Himmel auf.“
Der Rabe flog sogleich davon. „Gleich werden wir wissen, wo er ist und was er macht"
B: "Danke."
C: "In der Zwischenzeit solltest du dich am Brunnen waschen, sonst riecht er dich, bevor er dich sieht. In der Ecke steht eine Truhe. Da ist Kleidung drin. Such dir etwas aus. Aber nicht meinen Umhang. Du sollst wie ein Mensch aussehen"
B: Ich sah wirklich schrecklich aus. Der Kampf hatte seine Spuren hinterlassen und meine Kleider standen schon fast vor Schmutz. Wortlos und mit hochrotem Kopf schlürfe ich in Richtung Ausgang.
C: Diese dummen Wölfe, dachte ich. Kein Wunder, dass die Sippe am Rande der Existenz lebt.
Was habe ich mir da nur eingefangen?

36 (Christian)

Ich ging nach draußen in die Nacht. Es war sternenklar und müsste so kurz vor Mitternacht sein. Ich verspürte einen leichten Hunger; fiel mir doch ein, dass ich mich schon seit Tagen nicht mehr ernährt hatte.
Ich stieß mich von der Erde ab und wirbelte in die Luft Richtung Stadtrand. Die Landschaft wirkte so schön und friedlich von oben. Einige Lichtkegel von fahrenden Autos, einige Gerüche und Geräusche von Musik. Ich erreichte die Bushaltestelle und sah 2 Leute warten. Im Sinkflug blickte ich zurück und der Bus war weit und breit nicht zu sehen. Das schien eine gute Chance.
Ich landete hinter der Haltestelle und da war eine ältere Frau, scheinbar eine Dienstmagd oder Küchenhilfe einer der großen Höfe und ein Jugendlicher, der in einem Buch las. Die Frau schied als Nahrungsquelle für mich aus, denn sie hatte eine Fahne von Knoblauch und Zwiebeln. Knoblauch ist zwar nicht mehr tödlich, aber es verändert die Fließeigenschaft und mir geht es, nach dem Genuss von verseuchtem Blut, tagelang schlecht.
Der Jüngling kam da schon eher in Frage. Da er in seinem Buch vertieft war, hätte ich sogar ein leichtes Spiel. Die Frau konnte ich verwirren. Ich musste jedoch schnell handeln, da der Bus in maximal 20 min. kommen würde. Ich ging mit leisen, zügigen Schritten auf die Haltestelle zu, als ich von einem Lichtstrahl wie aus dem Nichts geblendet wurde. Ein Auto kam aus einem der Feldwege und bog auf die Hauptstraße ein. Fuhr vorbei an der Haltestelle und bremste wenige Meter hinter ihr mit quietschenden Reifen. Rote Schlusslichter blitzen auf und der Wagen setzte zurück. Er hielt vor der Frau und ein junger Fahrer, der ihr Sohn zu sein schien und den gleichen Knoblauchgeruch verströmte, ließ das Beifahrerfenster runter und beide wechselten ein paar Worte miteinander. Die Frau öffnete die Tür, stieg ein und der Wagen verschwand in der Nacht. Stille.
Nur noch ich und der Junge. Gut so für mich. Ich näherte mich ungehindert und wollte, dass sich unsere Blicke kreuzten.
Ich merkte in mir den Hunger, spürte meine Nägel, die länger wurden, meine Zähne, die den Unterkiefer berührten und meine Augen, die sich veränderten. Der Blick wurde weiter und ich konnte in dem Lebewesen die Adern erkennen. Paul berichtete einmal, als ich sein Schüler war, dass meine Pupillen stahlblau und hell wurden und sich erst kurz vor dem Erreichen der Ader meine Augäpfel Rot färbten.
Ich näherte mich wie ein normaler Mensch, aber der Junge war so gefangen in dem Buch, dass er noch immer nicht aufschaute. Irgendetwas war anders. Ich räusperte mich. Spätestens jetzt hätte er aufsehen müssen; doch nichts geschah. Ich versuchte seine Aura einzufangen und nach ein paar Sekunden, gelang es mir. Sein Herzschlag und sein Puls waren ganz langsam und ausgeglichen; nicht die Spur einer Aufregung. Normale Menschen reagieren immer mit Unbehagen auf fremde Menschen in der nahen Umgebung.
Eine Eule schrie. Sie schien nicht weit entfernt zu sein und ich hob unwillkürlich den Kopf und sah sie über die Haltestelle hinweg fliegen. Ich guckte wieder zu dem Jungen, doch statt nach oben zu sehen, blätterte er nur die Seite um. Er fing mich an, zu interessieren und auch, was er da so Fesselndes las. Ich näherte mich noch ein ganzes Stück mehr. Jetzt hätte er mich bemerken müssen, doch er las noch immer. Mein Hunger war verflogen und ich setzte mich einfach neben ihn. Meine Augen hatten wieder ihre normale blaue Farbe angenommen.
Er guckte mir direkt ins Gesicht und ließ ein Lächeln andeuten.
„Hallo“ sagte ich.
Eine Antwort bekam ich nicht, stattdessen nahm er seinen Rucksack und kramte darin rum. Ein seltsamer Vogel dachte ich.
Er holte einen Block und einen Stift raus und kritzelte etwas darauf und hielt es mir hin. Ich guckte ihn verwundert an und guckte auf den Block.
<Hallo. Ich bin Leander.> stand da geschrieben.
„Christian“ sagte ich und dabei guckte er mich intensiv an, besonders auf meine Mundpartie. Ich fühlte mit der Zunge über meine Zähne, sie waren spitz wie immer, hatten aber ihre normale Länge wieder im Oberkiefer.
Er blätterte in dem Block eine Seite weiter und hielt ihn mir hin.
<Ich bin gehörlos und kann nicht sprechen, aber ich verstehe dich gut.>
Ich schaute ihn an und alle meine Fragen der letzten Minuten erklärten sich.
Er schaute mich aus seinen klaren, blauen Augen an und ich versuchte mit ihm auf eine andere Art in Kontakt zu treten; mittels meiner Gedankenübertragung. So versuchte, ich seine Gedanken zu lesen und ihm meine „gesprochenen“ Wörter ebenfalls zu übermitteln. So erfuhr ich, dass er in der Stadt mit seinen Eltern wohnt und er als Landarbeiter als Erntehelfer etwas Geld dazu verdiente. Mir fiel spontan die Geschichte von Mary Shelly´s Frankenstein ein, wo der Blinde und auch das Kind keine Angst vor dem Monster hatten, wie normale Menschen. Mir kam auch in den Sinn, dass er mich mit seinem aufmerksamen Blick enttarnen konnte. Kurze Zeit drauf huschten die Lichtkegel des Busses auf und er schrieb etwas auf seinem Block.
<Danke Christian für den schönen Augenblick. Ich spürte schon immer, dass es euch gibt. Vielleicht darf ich dich wieder sehen.>
Er verstaute seinen Block im Rucksack, warf ihn über die Schulter und schon hielt der Bus mit quietschenden Reifen, die Türen öffneten sich und Leander stieg ein. Kaum war der Junge drin, schlossen die Türen und der Bus fuhr los.
Ich blieb sprachlos auf der Bank in der Dunkelheit sitzen und schaute dem Bus nach, bis die roten Rücklichter verschwanden. Mich umgaben Dunkelheit und Stille und ich dachte über die seltsamen Tage nach. Erst bekomme ich Nachricht von Zuhause, dann treffe ich die alten Erinnerungen auf dem Jahrmarkt, wo mich später ein verlorener Werwolf findet, dann tritt Paul in erneut in mein Leben und ich rette dann dem Werwolf das Leben und nehme ihn bei mir auf. Heute Nacht will ich meinen Hunger stillen und treffe auf einen Gehörlosen, der den Anschein hat, sich in meiner Welt auszukennen. Dabei hatte ich eine Aufgabe und musste doch dringend nach Hause. Ich schämte mich schon, weil ich mich in den letzten Tagen gar nicht mehr daran gemacht hatte, einen entsprechenden Plan zu schmieden, um mich endlich auf die Reise zu machen. Und doch schrie und tobte es in meinem Unterbewusstsein dieses Wort. NACHHAUSE.

37 (Christian)

Ich stand auf, da ich wusste, dass das der letzte Bus war. Es würde sich kein Mensch mehr hierher verirren in den vergessenen Bereich. In der Ferne hörte ich noch das bunte Treiben der Kirmes. Ich nahm den konventionellen Weg nach Hause und ging zu Fuß. Eilig hatte ich es noch nicht. Es wird so kurz vor Mitternacht sein und hatte noch reichlich Zeit bis zum Sonnenaufgang. Ich erreichte nach einiger Zeit das rostige Tor des Friedhofs. Da ich die Kette nicht zerbrechen wollte, was ein Leichtes für mich gewesen wäre; stattdessen machte ich nur einen leichten Sprung über die Friedhofsmauer und landete auf leisen Sohlen auf einen Weg, der fast nur aus Moos bestand und einst aus weißen Kieselsteinen war.
Was sollte ich jetzt tun? Wieder in die Stadt und mir ein Blutopfer suchen? Ich hatte erstmal genug von Zivilisation und Menschen. Ich entschied mich meiner Lieblingsbeschäftigung und holte mir mein Gartenmaterial und begab mich in den hinteren Teil, um die Gräber etwas zu pflegen.
Ich entschied mich für ein Grab mit einem Engel drauf, der sein Kopf zwischen den Armen versunken hatte und wie ein kleines Kind auf der Grabplatte weinte. Ich las die Inschrift auf dem Stein darunter:
„Thomas Robert *19.06.1911 +30.12.1970“

Das war mein Geburtstag! Unter dem Namen standen noch einige Zeilen, aber die waren von der Witterung der 35 Jahre schon herausgewaschen und so gut wie gar nicht mehr zu entziffern. Ich kniete mich hin und fing an, das Unkraut zu jäten und den Efeu neu anzuordnen. Dabei ließ ich meine Gedanken einfach ihren freien Lauf und fragte mich zwischendurch, wer der Mann war, der hier seine letzte Ruhe gefunden hatte. Ich nahm mir vor, wenn ich wieder in der Stadt bin, um meine Reise vorzubereiten, dann würde ich ins Stadtarchiv eindringen und gucken, was ich dort über diesen Mann in Erfahrung bringen konnte.
Während ich so gärtnerte, spürte ich einen Luftzug von hinten kommen. Meine Augen und meine Reißzähne reagierten sofort und stellten sich in Alarm. Ich wirbelte nach oben und stand auf des Engels Kopf und war zu allem bereit.
Ich hörte ein vertrautes Lachen, während meine Augen noch die Ursache suchten, und erkannte einen Wimpernschlag später eine große Gestalt, die sich aus der Dunkelheit von Tannen löste. Es war Paul.
Er kicherte noch immer und schien sich irgendwie über die Situation zu amüsieren. Einen Vampir auf dem Kopf eines Engels stehen, das sieht man wahrscheinlich nicht alle Tage. Um Paul ein bisschen zu beeindrucken, schwebte ich langsam von dem Engel herunter und landete lautlos auf dem Boden, kurz vor Paul.
„So nervös kleiner Christian?“ meinte Paul höhnisch.
„Verfolgst du mich?“ entgegnete ich mit einem Knurren.
Der fast volle Mond traf Pauls Gesicht und wie ich unschwer erkennen konnte, hatte er ein gutes Mahl zu sich genommen. Sein Mund und seine Zähne waren noch mit blutverschmiert, seine Augäpfel ebenfalls rot und sein Gesicht aufgedunsen, wie ein betrunkener Mensch.
„Ich werde dich für einige Zeit verlassen, Christian“
„Warum?“ fragte ich. Trotz seiner Eigenheiten mochte ich Paul. Schließlich war er jahrelang mein Mentor.
„Der Prinz der Nacht ruft zu einer Konferenz. Du solltest auch mitkommen.“ sagte Paul.
„Ich kann nicht. Ich habe meine eigenen Pläne.“ Ich hatte keine Lust auf eine Horde Vampire.
„Wegen deines neuen Haustieres?“ Pauls Stimme würde eisig.
„Nein. Ich muss den Weg nach Hause antreten.“ Antwortete ich leicht arrogant.
„Wie du meinst. Dein eigentlicher Clan hat dich nie interessiert. Christian, ich möchte dir vorerst was auf den Weg mitgeben, denn ich weiß nicht, wann wir uns wieder sehen. Nimm dich in Acht vor diesem Wolf. Er wird dir noch unzählige Schwierigkeiten einbringen. Koste nie von seinem Blut bei Vollmond und vergiss nie, dass er zu unseren Feinden zählt.“
Ich wollte etwas sagen, doch Paul war schon auf dem Weg in den schwarzen Nachthimmel. Noch ein Hauch von seinem Mantel erfasste mich und wehte durch meine Haare und er war weg.
Ich dachte mir, ob das neuerdings so üblich sei, dass sich von mir jeder mitten im Gespräch abwendet und einfach in der Dunkelheit verschwindet.
In der Ferne hörte ich von einem Bauernhof einen Hahn krähen und ich sah zum Himmel auf. Die Sonne war kurz davor, den Horizont zu berühren und den neuen Tag zu begrüßen. Ich wollte einen kurzen Moment die Sonne sehen, da mein Weg ins Mausoleum nicht weit war. Während ich so in Richtung Osten gucke, blies mit einem Mal ein starker Wind um die Ohren, die Tannen schüttelten sich und rauschten. Von der Seite schoben sich große, dunkle Wolken vor den ersten Sonnenstrahlen. Als die Wolken die Morgensonne verdeckten, hörte der Wind auf zu wehen. Paul hatte die Winde gerufen, um Zeit zu gewinnen. Ich klopfte mir den Dreck aus der Hose und ging Richtung Mausoleum.
Als ich den Eingang erreichte, lief Jimmy an mir vorbei, Max überflog mich und Akasha schlängelte gerade in den Sarg. Brendan saß mittlerweile gewaschen und angezogen auf seinem Strohsack. Die Decken hatte er auch gefunden und sie darauf ausgebreitet.
Ich schloss die schweren Holztüren, zog meine Jacke aus und begab mich in die Mitte zu meinem Sarg. Ich wünschte Brendan einen schönen Tag und legte mich hin. In genau der Position, in der ich einst starb. Der Körper war gerade ausgestreckt, die Arme über meiner Brust gekreuzt, die Augen und den Mund geschlossen und mittels meines Willens ließ ich den schweren Steindeckel des Sarges zugleiten. Meine Schlange rollte sich an meinen Füßen zusammen und schon war ich im Reich der Toten und starb, um in der kommenden Nacht wiedergeboren zu werden.

38 (Brendan)

„Sonst riecht er dich, bevor er dich sieht“, murmelte ich Christians Worte noch einmal nach, während ich zum Brunnen schlurfte. Blöder Vampir. Er kann ja mal auf einem Jahrmarkt leben und versuchen, wie Rosenblüten zu riechen! Und dieser Strohballen ist auch nicht gerade ein Federbett. Er kann nur froh sein, dass sein totes Fleisch nicht verfault. Vermutlich hat er schon seit Jahrhunderten nicht mehr geschwitzt.
Ich erreichte den Brunnen. Ein alter, runder Brunnen mit einer Fontäne in der Mitte, die aber schon lange außer Betrieb zu sein schien. Ich zog meine Kleider aus und begann augenblicklich zu frieren und zu zittern. Es war eine recht kühle Nacht. Prüfend steckte ich den Zeigefinger ins Wasser. Um Gottes willen, das war ja eiskalt! Ich fror gleich noch eine Portion mehr. Wieder begann ich, innerlich auf die Vampirbrut zu schimpfen, die sich mit Kleinigkeiten wie Hitze oder Kälte nicht auseinandersetzen zu braucht.
Dann hatte ich eine Idee. Ich entfernte mich etwas vom Brunnen und ließ die Verwandlung zum Werwolf zu. Das ist immer ein etwas anstrengender und mühseliger Prozess, aber so ein Fell hat unbestreitbare Vorteile. Als mir das Fell wuchs, spürte ich augenblicklich die wohlige Wärme und auch das kalte Wasser würde mir nichts anhaben können.
Als ich fertig war, nahm ich Anlauf, sprang und landete als Wolf in dem Becken.
Leider habe ich es etwas übertrieben und kam viel zu schnell in dem Becken auf. Auf dem rutschigen Boden konnte ich keinen Halt finden und so krachte ich mit voller Wucht gegen die Fontäne in der Mitte, die augenblicklich zu Bruch ging. Allerdings leistete sie genug Widerstand, um dafür zu sorgen, dass ich im hohen Bogen wieder aus dem Becken hinaus katapultiert wurde und kopfüber im Morast landete.
Einige Sekunden blieb ich so liegen und ärgerte mich über meine eigene Dummheit. Zum Glück hatte mich keiner gesehen.
Ich musste einsehen, dass das auch keine Lösung war, und verwandelte mich wieder zurück. Augenblicklich war mir wieder kalt. Aber ein Blick auf den Brunnen verriet mir, dass er einen zweiten Wolfsangriff wohl nicht überleben würde. Meine Krallen hatten tiefe Spuren auf dem Grund des Beckens hinterlassen und dort, wo einst die Fontäne stand, sah man nur noch einige Steinreste und einen Teil des Kupferrohres, das im Innern gelaufen ist.
Also stieg ich bibbernd und frierend in menschlicher Gestalt in das Becken und wusch mich. Als ich aus dem Becken wieder rausstieg, fiel mir auf, dass ich ja gar kein Handtuch mitgenommen hatte. Und meine ohnehin schon dreckigen Klamotten hatte ich bei meinem kleinen Unfall wohl überrannt, jedenfalls steckten sie ebenfalls tief im Matsch, nieder gedrückt von einer mächtigen Pranke. Super!
„Blöde Vampire!“ Jetzt schimpfte ich laut vor mich hin.
„Wasch dich mal! Wasch dich doch selber! Du holst dir ja auch nicht den Tod dabei. Bist ja schon tot. Aber unsereins stirbt gleich tausend Tode. Und krank werde ich wahrscheinlich auch noch!“
Eigentlich bin ich noch nie krank geworden. Aber so erreichte ich wenigstens relativ zügig und ohne allzu sehr festzustellen, wie kalt mir war, das Mausoleum. Noch mal in einen Wolf wollte ich mich jedenfalls nicht verwandeln aus Angst, die Tür und wer weiß was sonst noch einzureißen.

Als ich das Mausoleum betrat, war Christian bereits wieder verschwunden. In der Kiste fand ich tatsächlich Kleidung, die allerdings aus dem vorigen Jahrhundert zu stammen schien. Warum hatten Vampire eigentlich keinen Geschmack? Zumindest passten sie halbwegs, auch wenn sie etwas zu klein für mich waren. Aber es würde schon gehen. Nachdem ich auch mein „Bett“ etwas hergerichtet habe, überlegte ich, was als Nächstes zu tun wäre.
Heinrich weglocken. Einfacher gesagt als getan. Und vermutlich hatte er auch immer noch die Pistole mit den Silberkugeln. Gefährlich war es also obendrein.
Ich war noch nie sonderlich gut im Pläneschmieden und so entschied ich mich, zunächst einmal den Jahrmarkt zu besuchen und die Gegend zu erkunden.

Erst, als der Lärm immer lauter wurde und ich die bunten Lichter erkennen konnte, wurde mir bewusst, wie sehr ich diesen Ort verabscheute. Eine Scheinwelt, hinter deren Kulissen es überhaupt nicht so fröhlich und ausgelassen zuging, wie es die bunten Schauwagen und die laute Musik glauben lassen wollten. Ich betrat auch gar nicht erst die bunte Gasse, sondern blieb hinter den Schauwagen. Schließlich näherte ich mich der Freakshow. Aber Heinrich war nicht dort. Ich versuchte, Witterung aufzunehmen, aber in dem Gemisch aus kandierten Früchten, unzähligen Menschen und Maschinen war es mir nicht möglich, ihn zu orten. Also versuchte ich es bei seinem Wohnwagen. Auch dieser war verlassen, doch das bot mir zumindest eine gute Möglichkeit, ihn mir mal genauer anzusehen.
Mühelos drückte ich die Tür zum Wohnwagen ein. Wo sollte ich anfangen? In begann mit dem Schreibtisch und wühlte mich immer weiter vor. Bald sah der ganze Wohnwagen aus wie ein Schlachtfeld. Doch es interessierte mich nicht. Sollte er ruhig mal etwas aufräumen.
Leider fand ich keinerlei Hinweise. Die Pistole übrigens auch nicht. Er musste sie wohl bei sich haben.
Ich wollte gerade meine Hausdurchsuchung beenden, als ich seine Schritte hörte. Er war noch auf dem Platz vor dem Wohnwagen. Aufgrund des Kirmeslärms habe ich ihn nicht früher wahrnehmen können. Er würde mich auf jeden Fall sehen, wenn ich versuchen würde, den Wohnwagen zu verlassen. Und vermutlich auf mich schießen. Ich saß erst einmal in der Falle. Was sollte ich tun? Vielleicht war dies ja auch eine gute Möglichkeit, ihn zu befragen.
Ich zerstörte alle Lampen im Wohnwagen. In der Dunkelheit waren meine Augen besser als seine und es würde ihm das Zielen erschweren. Ich spürte, wie ich mich verwandelte, und ließ es zu. Allerdings nicht, ohne noch schnell die neuen Kleider auszuziehen. Wenn ich mich verwandle, nehme ich an Körpergröße und Masse zu. Und ich wollte ungern nackt in Mausoleum zurückkehren. Zumal es ja auch Christians Sachen sind.
Er war jetzt schon dicht herangekommen und hatte offensichtlich die zerstörte Tür bemerkt. Ich konnte seine Erregung und Angst riechen und hörte, wie er seine Pistole rausholte und den Abzugshahn spannte. Ich musste nur aufpassen, dass ich ihn nicht angriff. Ich wollte weder Gefahr laufen, ihn zu verwunden und damit zu verwandeln, noch ihn zu töten.
Vorsichtig krallte ich mich an der Decke fest. Menschen gucken gewöhnlich eher nach unten denn nach oben. Und die Dunkelheit würde mir helfen.
Heinrich stand jetzt in der Tür. Die Pistole zitterte unkontrolliert in seiner Hand. Die andere Hand tastete nach dem Lichtschalter. Fand ihn, doch nichts passierte. Ich hatte ja vorgesorgt.
„Wer ist da?“ rief er in den Raum. Seine Stimme zitterte.
Statt einer Antwort ließ ich nur ein leichtes Knurren vernehmen. Gerade laut genug, damit er es hören konnte und tief genug, dass er es nicht orten konnte. Man konnte auch im fahlen Licht sehen, wir er augenblicklich alle Farbe im Gesicht verlor. Seine Hand zitterte jetzt so stark, dass wohl jede Sekunde die Pistole verlieren würde. Zielen konnte er damit jetzt wohl nicht mehr, dafür stieg die Gefahr, dass er mich versehentlich traf.
„D-das kann nicht sein!“ stammelte er. „Es ist kein Vollmond!“
Ich hatte es bis jetzt immer vermieden, mich zu verwandeln, wenn kein Vollmond war. Das Gerücht, dass wir uns nur am Vollmond verwandeln, kam mir entgegen und vermutlich hätte ich sonst jede Nacht als Ausstellungsstück im Käfig verbracht.
Ich verhielt mich still, um ihm kein Ziel zu bieten. Er sollte erst einmal reinkommen. Doch das tat er nicht. Wie angewurzelt stand er noch einen Augenblick lang da, dann ging er rückwärts. Oder zumindest versuchte er, denn er hatte wohl die kleine Trittleiter vergessen. Jedenfalls segelte er rückwärts aus der Tür raus und landete ziemlich unsanft auf dem Boden vor dem Trailer. Er rappelte sich wieder auf und rannte in Richtung Felder.
„Perfekt“, dachte ich bei mir. Ich würde ihn zwar gut sehen können, er mich aber vermutlich auch. Im Wald hätte ich mich ihm gefahrlos nähern können. Ich wollte die Jagd schon aufgeben, als mir Christians Worte wieder in den Sinn kamen: „Du bist mutlos und feige.“ Das wollte ich nun doch nicht auf mir sitzen lassen und so sprang ich aus dem Wohnwagen und setzte ihm nach.
Der Mond schien hell und das Feld abgeerntet. Ich hatte keine Möglichkeit, mich zu verstecken. Also Frontalangriff. So schnell ich konnte galoppierte ich auf ihn zu. Er hatte den Rücken zu mir gekehrt und rannte kopflos ins offene Feld hinaus. „Na, das wird ja einfach.“ dachte ich bei mir. Ich musste nur darauf achten, dass ich ihn nicht biss. Oder umbrachte.
Doch als ich nur noch wenige Meter von ihm entfernt war, drehte er sich plötzlich um und hielt die Kanone ziemlich sicher in meine Richtung. Ich konnte den Mündungslauf sehen. Seine Augen waren weit aufgerissen und voller Angst, aber auch Wut. Ich war so schnell, dass ich nicht mehr rechtzeitig abbremsen und die Richtung ändern konnte. Ich sah noch einen Schatten aus den Augenwinkeln und hörte dann den Donner der Kanone in meinen Ohren hallen. Ich hatte in der letzten Sekunde die Augen geschlossen und kollidierte nun mit Heinrich ebenso, wie ich es noch kurz zuvor mit dem Brunnen getan hatte. Mehrfach überschlugen wir uns und rollten über das Feld. Dann lag ich auf ihm und Heinrich stöhnte leise. Eine blutige Schramme zog sich über seine rechte Hand und ich hörte den Schrei eines Raben.
Nein, des Raben. Christians Raben. Jetzt weiß ich auch, was das für ein Schatten gewesen ist. Er hatte in letzter Sekunde angegriffen und dafür gesorgt, dass Heinrich mich nicht treffen konnte.

Jetzt lag ich also irgendwo mitten im Acker und auf dem dicken Heinrich, den ich trotz seines korpulenten Umfangs fast vollständig unter mir begrub. Er stöhnte leise.
Ich rappelte mich auf. Heinrich schien noch nicht ganz begriffen zu haben, was passiert war. Er schwitze. Der Gedanke, dass ich gerade noch auf ihm gelegen habe, führte dazu, dass ich zum ersten Mal das dringende Bedürfnis spürte, mich waschen zu müssen.
Heinrich erwachte aus seiner Benommenheit und wollte sich ebenfalls aufrappeln, doch ich hinderte ihn daran, indem ich ihn mit meiner Pfote wieder niederdrückte. Die Waffe hatte er verloren und lag irgendwo auf dem Feld.
Ein pfeifendes Geräusch kam aus seinen Lungen und er fing an, wie wild zu strampeln. Ich habe ihm wohl versehentlich die Luft abgedrückt. Menschen sind aber auch zerbrechlich. Also lockerte ich den Druck etwas, fletschte aber gleichzeitig die Zähne und bewegte mein Gesicht kurz vor seines. Ich hörte sein Herz pumpen wie wild und roch seine Angst. Seine Augen waren weit aufgerissen und er war immer noch blass. Das Ganze erschien mir plötzlich unglaublich verführerisch. Was ich eben noch eklig gefunden hatte, hatte nun eine ganz eigene Faszination. Er stöhnte jetzt laut auf und ich bemerkte, dass ich wohl wieder etwas Druck auf meine rechte Pfote gelegt hatte, die ihn auf den Boden drückte. Ich musste meine ganze Selbstbeherrschung aufbringen, ihn nicht zu kosten. Ich hatte den irrigen Eindruck, dass er seine ohnehin recht hässliche Nase vermutlich gar nicht vermissen würde. Aber damit würde ich ihn zu einem Werwolf machen. Und wenn ich ihn töten würde, würde ich auch keine Informationen erhalten.
„Rede!“ dachte ich bei mir. Sprechen konnte ich in diesem Zustand nicht und so rollte nur ein drohendes Knurren aus meiner Kehle.
„Was willst du von mir?“ Seine Stimme war schrill und überschlug sich fast. Er war geradezu hysterisch. Immerhin, er redete. Ich ließ ihn los, fixierte ihn aber mit meinen Augen. Entkommen würde er mir nicht mehr.
„I-ich war doch immer wie ein Vater zu dir!“ Er hatte seinen massigen Körper hochgewuchtet und kniete jetzt vor mir. Ja, dachte ich, wie ein böser Stiefvater. Mir schwoll der Kamm und ich konnte ein weiteres Knurren nicht unterdrücken. Er kippte rückwärts um und landete auf dem Hosenboden.
„Es tut mir leid!“ Er heulte, aber wohl eher aus Angst um sein Leben. Ich begann, ihn zu umkreisen. Ich konnte einfach nicht mehr stillstehen. Meine Augen blieben aber auf ihn fixiert.
„Es war ein Versehen!“ schrie er. Wut kochte in mir hoch. Ein Versehen! Sicher! Ich machte einen kleinen Satz und war jetzt wieder wenige Zentimeter von seinem Gesicht entfernt. Meine Augen fixierten seine Nase.
Platsch. Heinrich hatte sich auf den Boden geworfen. Der schlammige Boden spritze mir ins Gesicht, als sein massiger Körper eine weitere Erfahrung mit dem Boden machte. Er lag jetzt auf dem Bauch, die Arme schützend über seinen Kopf und das Gesicht im Dreck. Er wimmerte. So würde ich jedenfalls nichts aus ihm heraus bekommen. Ich überlegte einen Moment, ob ich mich zurück verwandeln sollte. Aber ich mochte jetzt auch nicht nackt vor ihm stehen. Nein, ich musste einen anderen Weg finden, die Informationen aus ihm heraus zu bekommen.

Also ließ ich ihn dort liegen und trabte genüsslich zum Wohnwagen zurück. Obwohl ich keine Informationen erhalten hatte, war ich extrem guter Laune. Es hat mir gut getan, ihn auch einmal erniedrigt zu sehen.
Im Wohnwagen angekommen fand ich meine Kleider und zog mich an. Dann kam mir eine Idee. Ich hinterließ ihm eine Nachricht:
Treff mich morgen um Mitternacht im Park, wenn du leben möchtest.
Ich hatte nicht vor, ihn zu töten. Aber die Drohung erschien mir notwenig, um ihn zu motivieren. Ich wusch mich noch oberflächlich den Dreck aus dem Gesicht und schlenderte dann gemächlich zurück zum Friedhof. Die Sonne würde bald aufgehen und ich wollte da sein, wenn Christian zurückkam.
Er kam erst bei Sonnenaufgang. Ich wollte mir gerade Sorgen machen, dass er es vielleicht nicht rechtzeitig geschafft hätte.
Als er dann kam, hat er mich nur kurz gegrüßt und ist dann gleich in seinen Sarg gegangen. Fasziniert beobachtete ich ihn. Die Vorstellung, in einem Sarg zu schlafen, kommt mir nicht sonderlich erstrebenswert vor. Na ja, vermutlich immer noch besser als die Strohballen, auf denen ich schlafen muss.
Der schwere Sargdeckel glitt wie von Zauberhand auf Christians Sarg zurück, nachdem er sich hingelegt hatte. Zu gerne hätte ich mit angesehen, wie er stirbt. Sagt man das so? Im Grunde genommen ist er ja die ganze Zeit tot – wenn man es genau nimmt.
Ich war ja jetzt auch die ganze Nacht unterwegs gewesen und war ebenfalls recht müde. Trotzdem konnte ich es nicht lassen, immer wieder in Richtung Christians Sarg zu schielen. Die Neugier hat mich gepackt. Schließlich schob ich den Sargdeckel runter und wurde gleich von einer ziemlich wütenden Schlange empfangen. Ich versuchte, ihr zu verstehen zu geben, dass ich Christian nichts tun wollte, aber das interessierte sie nicht.
Schließlich packte ich sie sanft hinter ihrem Kopf und hielt sie still.
Christian lag mit gekreuzten Armen im Sarg und sah wirklich verdammt tot aus. Seine Haut schien noch bleicher als sonst zu sein und auch ansonsten machte er den Eindruck einer frischen Leiche. Kein Wunder, dass Vampire in Särgen schlafen. Sie schützen nicht nur optimal vor Sonnenlicht, es ist auch der perfekte Ort für einen toten Körper.
Es war die erste Gelegenheit für mich, Christian ganz nah zu beobachten. Hatten Vampire eigentlich die ganze Zeit Vampirzähne? Ich beugte mich ganz nah an ihn heran, um besser sehen zu können und schob mit dem Zeigefinger seine Lippe etwas hoch.
In dem Moment musste ich feststellen, dass Vampire wohl doch nicht so tot sind, wie sie scheinen. Jedenfalls schlug er plötzlich nach mir und nur dank meiner schnellen Reflexe konnte ich ihm ausweichen. Leider ließ ich vor Schreck die Schlange in diesem Moment los, die sofort zum Angriff überging. Sie biss mir in die Hand und wickelte sich um meinen Arm. Unzählige Zähne vergruben sich in meiner Hand und ich schrie auf, verlor das Gleichgewicht und knallte der Länge nach rücklings hin, wobei ich mir empfindlich den Kopf anschlug. Der Rabe hatte den Radau wohl auch gehört und setzte zum Sturzflug an. Er landete auf meinem Kopf und seine Krallen gruben sich tief in meine Kopfhaut. Er versuchte mir offensichtlich, die Augen auszuhacken. Jetzt kam auch noch die blöde Ratte an und biss mir den Fuß.
„Ja ja, schon gut! Ich tu ihm doch gar nichts!“ schrie ich und verscheuchte den Raben mit meinem freien Arm von meinem Kopf. Dieser ging jetzt wieder zum Luftangriff über und wollte mir offensichtlich die Haare ausreißen. Aber ich kümmerte mich erst mal um die Schlange, die sich wirklich unangenehm um meinen Arm gewickelt hatte. Ich wickelte sie ab und steckte sie wieder in den Sarg und schob den Deckel schnell wieder drauf, damit sie drin bleiben würde. Dann entfernte ich die Ratte von meinem Fuß und verließ fast schon fluchtartig das Mausoleum. Verdammte Viecher!
Als ich wieder zurückkam, saßen der Rabe demonstrativ auf dem Sarg und die Ratte davor.
„Ja ja, schon gut! Ich habe verstanden, “ murmelte ich und ging schlecht gelaunt zu meiner Schlafstätte und legte mich hin. Blöde Viecher.

39

C: "Guten Abend"
B: „Hallo Christian.“ Schlaftrunken drehte ich mich um. Christian stand vor meiner Schlafstätte und schaute auf mich herab.
C: „Willst in meinem Dienst stehen?“
B: Ich rieb mir den Schlaf aus den Augen. Wie meinte er das denn jetzt? Wollte er mich einstellen oder als Hund halten?
„In deinem Dienst - wie meinst du das?“
C: "Ja oder nein?"
B: Erklären wollte er sich wohl nicht. Meine Gedanken rasten. Wollte er mich gerade vor die Tür setzen? Oder wollte er mich als Hund halten? Ja – Nein Antworten mochte ich noch nie.
„Ich würde gerne bei dir bleiben“, antwortete ich darum.
C: "Habe ich dir nicht eine klare Anweisung bezüglich meines Sarges gegeben?"
B: "Ja, hast du.“ «Oha,» dachte ich. «Jetzt kommt eine Standpauke.» Ich konnte seinen Ärger ja durchaus verstehen. Aber statt der erwarteten Standpauke sah er mich einfach nur an. Ich konnte die Enttäuschung in seinen Augen sehen und das war schlimmer als alles, was er hätte sagen können.
C: "Und was in drei Teufelsnamen hast du mit dem Brunnen gemacht?"
B: Oje. Das zu erklären würde schwierig werden.
"Das war ein Unfall."
C: "Dieser Brunnen steht schon länger als du lebst und leben wirst und nach zwei Tagen bekommst du ihn kaputt!"
B: "Ich hab doch gesagt, dass das ein Unfall war!" Ich schämte mich. Er wollte hoffentlich nicht im Detail erklärt bekommen, wie das passiert ist. Ich war ja schon froh, dass keiner zugesehen hat.
C: "Ein Unfall ... so wie die Würgemale und Bisse an deinem Arm, dein blutender Kopf und dein blutiger Zeh?"
B: "Das waren deine blöden Viecher."
C: "Du hast meine Anweisung nicht befolgt! Das geschieht dir recht und ich hoffe, es war dir eine Lehre. Neugier ist der Katze Tod. Merk dir das!"
B: Zum Glück bin ich keine Katze.
"Ich wollte ja nichts Böses. Hab nur mal nachgeguckt."
Ich wusste sehr wohl, dass ich an dem Sarg nichts zu suchen gehabt habe und die Tiere am allerwenigsten etwas dafür konnten. Im Grund bewunderte ich sie für ihre Entschlossenheit.
C: Christians Augen blitzten dunkel auf und seine Stimme fauchte gefährlich.
"Tu das nie wieder, sonst rufe ich die Tiere erst zurück, wenn der letzte Tropfen Blut aus deinem Körper geflossen ist."
B: Ich glaube, jetzt überschätzt er seine Tiere etwas, aber ich hielt es für besser, meinen Mund zu halten. Unverkennbar war jedenfalls der tödliche Ernst in seiner Stimme. Ich hatte eine Grenze überschritten, die mir nicht zustand. Und es war klar, dass er dies ein weiteres Mal nicht dulden würde. Die Wut und Entschlossenheit in seinem Gesicht waren unübersehbar und zum ersten Mal sah ich die spitzen Zähne eines Vampirs durchblitzen, als er mich anfährt.
C: "Geh und wasch dir das Blut aus dem Gesicht, sonst garantier ich für nichts und dann komm wieder her. Berichte mir, was gestern gelaufen ist."
B: Der Gedanke an das kalte Wasser schlug augenblicklich auf meine Laune und es war klar, dass es sich um meine Strafe handelte. «Manchmal benimmt er sich wie eine Gouvernante,» dachte ich. «Gibt’s denn hier keine Dusche?»
C: "Und lass den Brunnen stehen!"
B: "Ja, o. k." Vielleicht sollte ich den Brunnen doch zertrümmern, dann bräuchte ich wenigstens nicht mehr in dieses eisige Wasser zu steigen.
C: "Und stell dich nicht so an wegen dem bisschen Wasser!" rief ich hinter Brendan her, da ich seine Gedanken gelesen hatte.
B: "Guckst du in meinen Kopf?" Eigentlich wäre es nicht nötig gewesen, in meinen Kopf zu gucken. Mein Widerwille war unübersehbar. Trotzdem hatte ich das Gefühl, als wäre er in meinen Kopf. Ich fühlte ihn irgendwie.
C: "Und in deine Seele. Würde ich es nicht tun, wärst du jetzt mit einer Silberkugel im Herz irgendwo verscharrt"
B: "Lies nicht meine Gedanken! Die gehen dich nichts an!" rief ich. Im Prinzip war es nichts anderes, als wenn ich in seinen Sarg schaute.
C: "Geh und wasch dich. Wir haben nicht ewig Zeit!"
B: "Was bist du? Meine Mutter?" Wütend stapfte ich weiter.
C: Dummer, unerfahrener Narr, dachte ich. Langsam ging er mir auf die Nerven. Ich wollte ihm eine Lektion erteilen. Ich schwebte wagerecht aus dem Sarg, erhob die Hände und stieß eine alte Formel in die Luft.
"Venire venti" ließ ich durch Zeit und Raum schicken.
Innerhalb eines Augenschlags entfachte sich ein Sturm vor und in dem Mausoleum. Die Türen schlugen auf und zu, die Kerzen erloschen, das Laub wehte zusammen und wieder auseinander.
B: Oje, jetzt will er wieder einen auf dicke Hose machen, dachte ich bei mir.
C: Ich benutzte meine schnelle Bewegungen, die schneller sind, als jedes menschliche und tierische Auge und stand direkt hinter ihm. Drehte ihn zu mir um und starrte direkt in seine Augen.
B: Schnell ist er ja.
C: "Überleben ist unsere oberste Strategie."
Ich näherte meine Zeigefinger an eine seiner Wunden, benetzte meine Fingerkuppe und führte sie zum Mund.
Als ich meinen Mund öffnete, ließ ich meine Fangzähne aufblitzen. Dann kostete ich ihn wieder zum zweiten Mal nach drei Tagen.
B: "Das weiß ich. Aber was hat der Brunnen damit zu tun." Ich blickte ihn unbeeindruckt in die Augen. Obwohl ich zugeben muss, dass seine Show mich beeindruckt hat, wollte ich es ihn nicht spüren lassen. Welche Mächte mögen wohl in diesem Vampir schlummern? Worauf hatte ich mich hier eingelassen?
C: "Wasch dir dieses verdammte Blut aus dem Gesicht“, knurrte ich in an. "Du warst meine letzte Mahlzeit!"
B: "Machst du immer so ne Show?" fragte ich und drehte mich um Richtung Tür.
Ich versuchte, möglichst gelassen zu wirken. Trotzdem konnte ich mich einer gewissen Bewunderung für seine Souveränität und den Stil, den er an den Tag legte, nicht erwehren. Jeder Sterbliche, der diesen Moment erlebt hätte, hätte sich vermutlich zu Tode gefürchtet. Und gleichzeitig war es elegant und schön. Diese Vampire waren schon bewundernswerte Geschöpfe.
C: Mein Heißhunger quälte mich. Wenn er mir noch einen Moment weiter sein Blut unter die Nase hält, dann müsste ich mich an ihm laben. Das ist eben meine Natur. Ich drehte mich halb zu ihm um.
B: Ich schlurfte in Richtung Tür. Ich konnte seinen Blick spüren, wie er auf mir haftete.
C: "Vergiss nicht wieder ein Handtuch"
B: Leicht grinsend drehte ich mich um. Ja, richtig. Ich musste an den letzten Abend denken.
C: Ich schaute auf die Kerzen im Mausoleum und ließ durch meine Willenskraft die Kerzen entzünden, schüttelte mein Kissen aus und schloss den Sargdeckel.
Während ich auf Brendan wartete, setzte ich mich auf den Sarg und wartete auf seine Rückkehr.

B: Ich wusch mir oberflächlich das Blut vom Körper und ging wieder zurück zum Mausoleum.
"Ich habe gestern Heinrich einen Besuch abgestattet"
C: Er ging zu seinem Strohsack und suchte seine Anziehsachen zusammen. Dabei stand er mit dem Rücken zu mir und ich konnte das Spiel seiner Muskeln unter der der Haut beobachten.
B: "Aber leider habe ich nicht viel aus ihm heraus bekommen. Es ist aber auch nicht so gut gelaufen."
C: "Ich weiß. Max hat es mir berichtet. Er hat den Schuss abgewehrt."
Ich gab Max einen Wink und er schwirrte lautlos in den Abendhimmel.
B: "Jedenfalls habe ich ihn für heute Nacht in den Park bestellt."
C: "Mitternacht?"
B: "Genau. Liest du schon wieder meine Gedanken?"
C: "Entschuldigung, ein natürlicher Reflex."
"Was ist dein Plan?"
B: "Im Wald kann ich ihn auch als Mensch befragen. Ich gebe zu, er hat mich gestern etwas überrascht."
C: "Du warst unvorbereitet. Du benutzt nie deinen Kopf. Du versuchst es, mit Kraft zu lösen. Hätte ich dir nicht Max an die Seite gestellt ..."
B: Der Gedanke, dass ich von seinem Raben gerettet worden bin, gefiel mir gar nicht. Es war irgendwie entwürdigend.
"Bis jetzt bin ich damit immer ganz gut gefahren. Kann ja nicht jeder unterkühlt sein."
Trotz kam wieder in mir hoch, obwohl ich im Prinzip wusste, dass er Recht hat.
C: Mir war dieser Sarkasmus nicht entgangen. Ich machte ihm kein Vorwurf, denn weder hatte er eine Führung erhalten, noch hatte er einen Mentor.
"Mein lieber Wolf. Du musst lernen zu überleben. Uns und unseres Gleichen gibt es nur durch Taktik, Strategie und Intelligenz. Und die Furcht, die wir verbreiten können und manchmal müssen."
B: Seine Stimme hat jetzt fast etwas Warmes, Fürsorgliches.
"Jedenfalls werde ich ihn heute Abend auf meinem Terrain stellen. Mal sehen, ob ich etwas erfahre."
C: "Du willst den Weg alleine gehen?"
B: Das wollte ich ganz und gar nicht. War das ein Angebot von ihm?
"Willst du mich begleiten?"
C: "Antwortest du immer mit einer Gegenfrage? Hat dir dein Herr das erlaubt, mit Widerworten zu antworten? "Aber du sollst deine Antwort bekommen."
B: Die Erinnerung an Heinrich und wie er mich behandelt hat kam wieder in mir hoch. Manchmal kam mir der Eindruck, als wollte er sich als mein neuer Herr aufspielen. Gleichzeitig wusste ich aber, dass er es im Grunde nur gut meinte. Ich grinste etwas.
"Ich glaube, ich war immer schon was widerspenstig. Liegt wohl in meiner Natur."
C: "Ich habe keine Lust mich mit einem Sterblichen nächtelang rumzuplagen"
B: "Ist das ein Nein?"
C: "Ich werde Max Bericht erstatten lassen. Akasha mitnehmen, Sie kann notfalls sehr effektiv fesseln und wenn du es wieder vergeigst, werde ich ihn hypnotisieren."
B: „Ich brauche deine Haustiere nicht!“ Vor allem würde ich wohl die Schmach nicht ertragen können, noch einmal von ihnen gerettet zu werden. Nachdem sie mich ja quasi schon verprügelt haben. Was für ein Werwolf war ich eigentlich?
C: "Sprach der Wolf, der gestern von einem Vogel gerettet wurde ...
Und vielleicht koste ich ein, zwei Liter von deinem Herrn. Fett genug ist er ja.“
B: "Ja, ja, spotte du nur! Aber du wirst schon sehen!"
C: "Ich halte mich im Hintergrund auf. Ich schreite nur ein, wenn es bei dir mal wieder nicht funktioniert."
B: "Ja, halt dich nur raus. Dann zeig ich dir, was ein Wolf kann, du Fledermaus." Seine spitzen Bemerkungen trafen mich tief. Warum ist er eigentlich ständig so arrogant zu mir? Hält er sich für was Besseres?
C: "Weißt du rein gar nichts von deiner Herkunft?" wechselte ich das Thema. Er war mehr als unverschämt. Vielleicht hätte ich ihn einfach in der Gasse verrecken lassen sollen.
B: "Nein." Ich senkte betrübt den Kopf. "Deswegen muss ich ihn ja so dringend sprechen. Er ist der Einzige, der mir helfen kann."
C: "Und ich bin der Einzige, der dir dabei helfen kann ..."
B: "Ich freue mich, wenn du mitkommst. Aber ich schaffe es schon alleine. Keine Sorge."
C: “Ja sicher. Was ist dein Plan?"
B: "Ich werde ihm eine Heidenangst einjagen." Ich dachte an die schlechten amerikanischen Filme, wo die Cops ihre Informanten durch Einschüchterung dazu brachten, auszupacken. Ehrlich gesagt war das schon mein ganzer Plan.
C: Allmählich ging er mir so richtig auf die Nerven. Er lebte sein ganzes Leben in Gefangenschaft und versucht mir auf einmal zu erklären, wie er alles in einer Nacht klärt.
Ich entschloss mich, in jedem Fall in seinem Schatten zu bleiben. Er war diesem Fettsack nicht gewachsen. Ich roch seinen Angstschweiß.
B: Ich drehte mich um und schritt stolz davon.
"Du wirst schon sehen!"
Irgendwie musste ich es auch mir selbst beweisen, dass ich ihm gewachsen war.
C: "Wie gut hast du den Wolf unter Kontrolle?" fragte ich.
B: Eine gute Frage. Der Wolf in mir ist ungestüm und impulsiv und häufig gelingt es mir nicht richtig, ihn zu kontrollieren. Er sorgt dafür, dass ich ein echter Hitzkopf bin.
„An Vollmond kann ich es nicht verhindern. Ich hab mich aber noch nie versehentlich ganz verwandelt. Warum?“ Mein Temperament konnte ich nicht immer kontrollieren. Die Verwandlung schon.
C: "Bist du als Wolf oder als Mensch ein besserer Läufer?"
B: "Als Wolf natürlich."
C: "Wir gehen an den Stadtrand und besorgen dir neue Kleidung. Meine passt dir nur so grade und das ist keine Dauerlösung."
B: "Ich hab aber kein Geld."
C: "Wir haben 1 1/2 Stunden Zeit. Willst du als Wolf laufen, oder soll ich dich tragen und wir Reisen durch die Luft?"
B: "Mich kriegst du nicht in die Luft!" Alleine die Vorstellung versetzte mich in Panik. Ich bin doch kein Vogel!
C: "Ich bringe dir dann die Anziehsachen mit. Was denkst du, wie du hier hingekommen bist?"
B: "Oje. Aber wenn ich die Wahl habe, lasse ich meine Tatzen doch lieber auf der Erde, danke. Aber ich bin mir sicher, dass ich genauso schnell bin, wie du in der Luft."
C: "Wir treffen uns an der letzten Bushaltestelle vor der Stadt. Sie heißt <Alter Friedhof> ich nehme deine Sachen und wir treffen uns hinter der Haltestelle. Ich werde das Licht vor deinem Eintreffen löschen. Schütze dich in der Dunkelheit, fall nicht auf und bring dich nicht in Schwierigkeiten."
B: "In Ordnung." Er konnte seine Belehrungen einfach nicht lassen. Aber ich habe mich bis jetzt ja auch nicht von meiner besten Seite gezeigt.
C: "Dann verwandelst du dich zurück und wir gehen dir Sachen besorgen. Und eine bessere Unterlage zum Schlafen."
B: "Oh ja, gerne!"
C: Ich nahm eine Jeans, Schuhe und ein Shirt. Stopfte es unter den Arm und am Treppenabsatz schwang ich mich in die Luft.
B: Ich leitete die Verwandlung ein und sprang dann in großen Sätzen aus dem Mausoleum. Fast hätte ich dabei die Tür aus der Angel gerissen.
C: Der Friedhof wurde immer kleiner und die Welt immer weiter. Nach wenigen Minuten sah ich Brendan unter mir in Form eines perfekten, jungen Wolfes.
B: Der Wettlauf machte riesigen Spaß. Mit langen, kraftvollen Sprüngen durchquerte ich in Windeseile den Friedhof.
C: Meine Jacke blähte sich mit Wind und die Brise trug mich in Richtung Stadt. Während des Fluges hoffte ich, dass wir keine Probleme bekommen, oder wir gar auf Vampire trafen. Dass wäre unser beider Untergang.
B: Ich erreichte die Straße, kletterte an der Fassade hoch und sprang jetzt von Dach zu Dach.
C: Nach wenigen Minuten erreichte ich die Haltestelle. Sehr gut. Kein Mensch weit und breit. Im Landeanflug trat ich gegen die Lampe und es wurde schlagartig Schwarz.
Ich landete in gewohnter, leiser Art hinter der Haltestelle.
B: Ich sah Christian unter mir landen und sprang vom Dach aus direkt auf die Bushaltestelle zu.
C: Ich legte die Anziehsachen vor einem Baum und ging zurück Richtung Strasse. Er sollte sich nicht vor mir entblößen.
B: Das Dach der Bushaltestelle hielt dem gewaltigen Aufprall leider nicht stand.
C: "Oh nein"
Hinter mir krachte die Bushaltestelle in sich zusammen, wie ein Kartenhaus. Der Lärm war ohrenbetäubend.
B: Ich befand mich inmitten eines Haufens gesprungenes Glases und Metalls, das einmal eine Bushaltestelle gewesen war. Wie ein geprügelter Hund zog ich den Schwanz ein und kauerte mich auf den Boden. Mist!
Erschrocken sah ich zu Christian rüber, der eine finstere Miene aufgesetzt hatte.
C: "Du Blödmann!" fauchte ich ihn an. "Beeil dich."
B: Ich verkroch mich ins Gestrüpp und verwandelte mich zurück.
C: Hinter mir hörte ich mir fremde Geräusche.
Ich drehte mich im Schutz der Dunkelheit um und sah zum ersten Mal in meinem Leben, was für ein schrecklicher Kampf die Verwandlung war.
Brendan kauerte auf dem Boden, mal zusammengerollt, mal ausgestreckt und gespannt. Zitternd und schwitzend.
Der lange, buschige Schweif zog sich ins Innere des Körpers, die Schnauze und die Ohren verformten sich dramatisch.
Die Haut spannte, zog sich, erschlaffte wieder. Die Krallen zogen sich nach innen und die Rippen nahmen wieder einen menschlichen Torso an. All das geschah gleichzeitig.
Dann kam der erste Teil des Menschen in ihm hervor und er, noch vollkommen behaart, richtet sich wieder auf zwei Beine. Die Augen verloren den bernsteinfarbenen Glanz und zum Schluss zog sich das Fell ins Innere des Körpers und Brendan war nackt.
Ich drehte mich schnell wieder um. Dabei fragte ich mich, wer bei diesen Wechselwesen stärker ist und wer in wem wohnt. Der Mensch im Wolf, oder der Wolf im Mensch?
Ich war einfach nur ein Vampir. Das Einzige, was ich ändern konnte, waren meine Reißzähne und meine Augen, je nach Stimmung und Hunger.
Brendan zog sich an und wir gingen Richtung Stadt und zu einem kleinen Kaufhaus, was am Eingang der Stadt lag.
B: Ich schaute noch mal auf die demolierte Bushaltestelle. Ein Wunder, dass nicht die ganze Nachbarschaft wach geworden ist.
C: Als wir in dem hellen Licht des Eingangs standen, sah ich zum ersten Mal die ganze Gestalt von Brendan. Ein eigentlich aufgeweckter junger Mann von Anfang 20 und dennoch mit wahnsinnig traurigen Augen. Mir entging nicht, dass er auch mich anstarrte. Wusste ich doch noch aus meiner Schulzeit, dass die Spezies Lupus besser riechen und hören konnte, als sehen.
Das dunkle Mausoleum musste ihm fast wie Blindheit vorkommen.
B: Ich betrachtete Christian aufmerksam. Es war immer merkwürdig neben ihm zu stehen und seinen Herzschlag nicht hören zu können.
C: Dennoch nahm ich einen Geruch von etwas Wildem war. Ob der Wolf in ihm tobte, weil er ihn wieder "eingesperrt" hatte?
B: Es war nur noch eine Nacht bis Vollmond. Ich spürte in mir den Wunsch, mich wieder zu verwandeln und noch einmal auf die Bushaltestelle los zu gehen. Schnell schüttelte ich den Gedanken ab.
C: Ich griff in meine Hosentasche und zog ein paar Scheine raus, drückte diese Brendan in die Hand. Wir hatten nicht ewig Zeit.
"Such dir was aus, was Du magst und brauchst. Ich bleibe hier im Schatten. Das Licht ... meine Augen ... und mein Aussehen.“
B: Mir war noch gar nicht in den Sinn gekommen, dass er ja gar nicht so einfach in den Laden gehen und etwas kaufen konnte. Irgendwie tat er mir in diesem Moment etwas leid. Zumindest viel ich in der Öffentlichkeit nicht sofort auf. Ich nahm das Geld von Christian und betrat den Shop.
C: "Erreg kein Aufsehen und beeil dich. Wir müssen vorher zum Friedhof und dann in den Park."
B: "Ja, in Ordnung. Keine Sorge."
C: Keine Sorge - murmelte ich. Seit er in mein Leben getreten war, war die Sorge mein Begleiter.
So wartete ich vor dem Eingang in einer dunklen Nische.
B: Ich ging in den Shop und suchte mir was zum Anziehen aus. Christian hatte mir viel zuviel Geld mitgegeben. Ich war schon oft in solchen Läden, aber noch nie hatte ich die Möglichkeit, hier tatsächlich einzukaufen. Ich war immer nur durchgelaufen und habe mir die schönen Sachen angesehen. Jetzt konnte ich tatsächlich einkaufen. Ich kam mir etwas schuldig vor, von Christian Geld zu nehmen. Er hatte ja eigentlich schon genug für mich getan.
Endlich wurde ich die spießigen Klamotten los und suchte mir weite Jeans und Pullover aus. Das Angebot war überwältigend und am liebsten hätte ich den ganzen Laden leer gekauft. Es viel mir schwer, mich zu entscheiden. Als ich alles zusammen hatte, eilte ich zur Kasse. Die Kassiererin schaute mich etwas merkwürdig an. Ich wunderte mich, woran das liegen mochte. Ich ging wieder hinaus und fühlte mich in meiner Haut pudelwohl.
C: Nach einer unendlich langen Zeit kam Brendan mit einem Berg an Tüten aus dem Laden.
B: "Cool! Schau mal! Und ich hab sogar noch was Geld übrig!" rief ich freudestrahlend.
Ich wollte am liebsten anfangen, die Tüten auszupacken und ihm zeigen, was ich tolles gefunden habe.
C: Dir Kirchturmuhr schlug 23:30 Uhr. Wir hatte keine Zeit zu verlieren. Ich griff um Brendans Taille, zog ihn in die dunkle Nische.
Als wir die Nische erreicht hatten, löste ich mich mit ihm vom Boden; mit dem Unterschied, dass er diesmal nicht ohnmächtig war. Ich ging von der Senkrechten in die Horizontale, sodass Brendan auf mir lag. Er klammerte sich panisch an mich und grub mir seine Krallen (die er wohl durch die Panik bekam) tief in meine Oberarme.
Wir schossen durch die Nacht, so schnell ich konnte. Schneller als die Wolken ziehen. Ich rief die alte Formel erneut und ein kräftiger Windstoß schoss uns beide weg von der Stadt.
B: Ungefragt startete er mit mir in den Nachthimmel. Sicher waren wir spät dran, aber ich war zu Fuß genauso schnell wie er mit seiner Fliegernummer und ich hatte ihm gesagt, dass ich es nicht wollte. Ich hatte Panik. Wölfe gehörten nicht in die Luft und ich noch weniger. Ich hatte immer schon Höhenangst.
Als wir wieder gelandet sind, springe ich von ihm ab und scheuer ihm eine. "Mach das nie wieder!"
C: Die Ohrfeige berührte mich nicht im Geringsten, sie entlockte mir ein Lachen.
"Uhhhh du willst einen Toten verprügeln? Sie Mal, nicht mal meine Haut verändert sich durch deinen Schlag."
B: "Ich meine das ernst! Flatter du mal durch die Lüfte, aber lass mich am Boden!"
C: "Bringe deinen Kram weg. Wir müssen weiter. Bring Akasha mit. Jimmy ist bereits auf dem Weg."
B: "Wenn sie mich wieder beißt, dreh ich ihr den Hals um!" Ich war stocksauer. Wie konnte er es wagen, mich einfach so huckepack zu nehmen?
C: "Auf dein Blut habe ich schon lange Hunger. Es heißt, Werwolfblut lässt uns stärker werden."
B: "Ihr könntet ja auch mal was heißes Blut vertragen!" Ihr arroganten, hochnäsigen, eingebildeten, kalten Blutsauger, dachte ich bei mir.
C: Diese ständigen Diskussionen mit Brendan waren einfach nur anstrengend. Konnte er einmal das tun, was man von ihm verlangt? Kein Wunder, dass er von seinem Rudel verstoßen wurde.
B: Ich packte meinen Kram in eine Ecke. An das Bett hatten wir leider nicht mehr gedacht. Aber die Sachen waren wirklich toll. Ich habe noch nie so schöne Anziehsachen besessen. Ich beruhigte mich wieder ein bisschen. Ich hatte halt einfach Panik vorm Fliegen.
C: Ich folgte Brendan ins Mausoleum und sah, wie er seine Tüten auspackte. Er guckte richtig verzückt. Vermutlich hatte er nie etwas besessen, was ihm selber gehörte.
"Hat das Geld nicht gereicht für Bettzeug?" fragte ich verwundert
B: "Gab’s da nicht.“
C: "1 Etage links."
B: "Oh." Ehrlich gesagt hatte ich einfach nicht dran gedacht. Ich war so damit beschäftigt, mir aus dem riesigen Angebot etwas zum anziehen zu kaufen, ohne dafür die ganze Nacht zu brauchen.
C: "Wenn du willst, dann nimm dir Decken aus der Ecke, du kannst auch den zweiten Sarg nutzen, wenn du magst. Mit oder ohne Deckel. Eines Tages wirst du eh einen brauchen, also kannst du dich schon mal daran gewöhnen."
B: "Mal schauen." Ich war nicht sonderlich erpicht darauf, in einem Sarg zu schlafen. Dann lieber auf Stroh.
C: "Bist du fertig? Wir haben noch etwas vor“, sagte ich, während ich mir Akasha wie ein Schal um den Hals wickelte.
B: "Ja, wir können los!"
C: "Willst du noch mal fliegen?" sagte ich mit diabolischem Grinsen.
B: "Versuchs doch mal!" Ich zeigte meine Zähne und spannte mich wie zum Sprung. Noch mal würde er mich nicht ungefragt entführen.
C: "Ich habe noch eine Überraschung. Kletter auf meinen Rücken. Kein Fliegen. Versprochen."
B: Ich schaute ihn misstrauisch an.
"Kein Fliegen?" fragte ich noch mal. Irgendwie gefiel mir das nicht.
C: "Nun mach schon!" sagte ich ungeduldig.
"Kein Fliegen. Vampirehrenwort."
B: Was ein Vampirehrenwort wohl wert sein mag? Ich überlegte noch eine Sekunde und sprang dann auf seinen Rücken.
C: Ich entschied mich, da Brendan nicht fliegen mochte, für das Huschen.
Ich lief los und wieder war das Gefühl, als würde sich die Welt wie ein Ball unter meinen Füssen drehen.
B: Die Welt veränderte sich plötzlich, als ich mich an Christians Rücken klammerte. Umrisse konnte ich nur noch schemenhaft erkennen. Alles schien zu verschwimmen.
Die Geräusche genauso wie die Gerüche. Ich konnte nichts mehr vernünftig wahrnehmen.
Es war, als hätten wir den Kontakt zum Raum und vielleicht auch zur Zeit verloren.
Das war ja noch schlimmer als fliegen!!!!
C: Als wir die Tore des Parks erreichten, bremste ich ab. Hinter uns war noch aufgewirbelter Staub des Weges. Brendan kletterte nicht, sondern rutschte von meinem Rücken und setzte sich auf den Boden. Das war wohl alles etwas viel für ihn.
B: Ich rutschte von seinem Rücken und spürte Übelkeit in mir aufsteigen.
"D-das bitte auch nicht mehr!"
C: "Das ist deine Show. Vergiss nicht, ich bin in deiner Nähe, wenn etwas schief läuft, mein Freund."
B: Er hat mich „Mein Freund“ genannt. In diesem Moment fiel mir auf, dass mich noch niemand so genannt hatte. Und ich glaubte zu wissen, dass auch Christian diese Formulierung nicht leichtfertig verwendete. Ich wollte seinen Blick suchen, doch er war schon verschwunden.
Ich brauchte noch einen Moment, um mich zu sammeln. Dann verschwand ich zwischen den Bäumen.
C: "Du weißt, wie du mich rufen kannst. Ich weiß, du kannst das."
B: Ich hörte seine Stimme laut und klar in meinem Kopf, doch ich konnte sie nicht orten. Es war, als entstünde sie in meinem Kopf. Ich erinnerte mich an den Kampf mit Heinrich, als Christian mich gerettet und glaubte, ich wusste, was er meinte.
Ich nickte nur stumm. Plötzlich fühlte ich mich sehr sicher. Ich kniete auf den Boden und empfing den Duft des Grases und der Erde. Es war, als würde ich mit meiner Umgebung verschmelzen. Keinen Laut verursachten meine Schritte und jeder Baum und Busch kam mir bekannt vor, wie ein alter Vertrauter. Ich durchstreifte das Terrain und hatte das Gefühl, dass nichts meine Schritte ablenken konnte.

40 (Christian)

Ich sprang hoch in die Baumwipfel und folgte den bevorstehenden Ereignissen auf dem Boden.
Als ich die Baumkronen erreicht hatte, schwang ich mich von Baum zu Baum. Die Abstände machten mir keine Mühe. Ich hatte Brendan unten genau im Blick und spürte auch die nahe Anwesenheit eines Sterblichen.
Dann sah ich beide. Die Zusammenkunft stand kurz bevor. Jimmy erwartete mich auf dem obersten Ast und er nutzte die Gelegenheit, ein paar Nüsse zu essen. Max kam auch schon aus dem Himmel angeflogen. Akasha löste ihre Muskeln. Und umwickelte mit dem hinteren Ende ihres Schwanzes den Ast. Nun hockten alle vor mir.
„Passt auf“ mahnte ich meine Tiere. Akasha glitt von dem Baum zügig hinunter. Ihren gelbweißen Körper erkannte ich gut in dem Rasen. Sie schlängelte langsam und lautlos. Max flog auf den nächsten Baum der Beiden und blickte mit schiefen Kopf gebannt nach unten. Jimmy hatte seine gesammelten Nüsse fallen lassen und mit schnellen Schritten ging auch er auf den Boden runter und konnte problemlos die Nähe der beiden erreichen. Eine Ratte würde da nicht auffallen, selbst wenn sie entdeckt wird.
Ich stieg ein Stück tiefer in den Baum, sodass ich einerseits von den Ästen gut getarnt war, ich anderseits freien Blick auf die Lichtung hatte. Im Notfall konnte ich so beide mit nur einem einzigen Sprung erreichen und in den Ablauf eingreifen. Ich wollte diese Sache heute Abend beenden. Ich guckte zum Mond und ich wusste, morgen Nacht ist es so weit mit Brendan. Da hätte ich alle Hände voll zu tun. Einen Eindruck der Rückverwandlung hatte ich schon bekommen, aber was mich in der kommenden Nacht erwarten würde, wusste selbst ich nicht. Vielleicht verlor Brendan die Kontrolle über sich. Ich wollte in jedem Fall gefasst und vorbereitet sein.

Ich wunderte mich, dass sein Herr den Anweisungen von Brendan gefolgt war. Möglicherweise hatten beide ein Geheimnis, was beide verband oder gar etwas vollkommen anderes. Ich wollte nur nicht, dass Brendan wieder etwas verlor. Er muss Schlimmes durchgemacht haben.
Warum ich an diesen Werwolf hing, weiß ich nicht. Vielleicht war es die jahrelange Einsamkeit, vielleicht auch nur Egoismus, da er mir bei meiner Reise gewisse Dienste erweisen konnte. Vielleicht auch eine Mischung aus beiden. Jedenfalls mochte ich diesen Hitzkopf, auch wenn ich mich in große Gefahr begab, da es unseren Regeln nicht entsprach, mit anderen Geschöpfen, außer unseres gleichen, zu paktieren.
Zum Teufel mit den ganzen Regeln! Die Zeiten waren schon hart genug für uns Wesen. Werwölfe, die in Schaubuden ausgestellt werden, nachdem sie fast ausgerottet sind. Für uns Vampire war es auch nicht besser, entweder verschlangen die Menschen tonnenweise Knoblauch, die Wohnungen waren im Zeitalter von Strom heller als die Sonne, Alkohol und Drogen machte sie weitgehend unempfänglich für Hypnose, oder sie hatten so viel, dass auch wir eine Art Rausch hatten, die andere Variante war dann, dass deren Kreislauf so langsam war, dass wir richtig ziehen mussten, um Blut zu bekommen und die Gefahr von Herzversagen erhöhte sich dramatisch. Die Medizin war mittlerweile so geschärft, dass sie, bei Menschen, die in der Öffentlichkeit starben, bei einer Autopsie die Bisswunden finden mussten. Irgendwelche alten Vampirjäger wollte man nun auch nicht wieder ins Leben rufen.
Ich denke mal, die Freundschaft zu einem Werwolf ist da das geringste Übel.
Auf einmal tat sich unten was….

41 (Brendan)

Ich spürte die Nacht in ungewohnter Klarheit und es tat gut zu wissen, dass dort oben jemand war, der auf meiner Seite war. Es dauerte auch nicht lange, da bemerkte ich einen Menschen, der sich einem Parkeingang näherte. Ich hatte seine Witterung sofort erkannt. Es war Heinrich.
Aber da war noch etwas. Ich konnte es nicht genau orten. Jedenfalls war es kein Mensch. Die sind leicht auszumachen. Irgendetwas anderes folgte Heinrich.
Ich verschwand zwischen den Bäumen. Lautlos näherte ich mich meinem Opfer.
Heinrich schwitze noch mehr als sonst und er hatte wieder seine Waffe in der Hand. Doch diesmal würde ich ihm nicht einmal ein Ziel bieten. Ich bewegte mich kreisförmig und schnell um ihn herum. In jeder Himmelsrichtung ließ ich einen Ast knacken oder ließ kurz meinen Schatten oder meine Augen aufblitzen, die im Mondlicht grün schimmerten. Heinrich richtete seine Pistole hektisch auf die Stellen, doch bis er etwas sehen oder gar zielen konnte, war ich schon längst wieder verschwunden.
Irgendwann entschied ich mich, das Spiel zu beenden und kam blitzschnell aus der Dunkelheit hervor und riss ihm die Kanone aus der Hand. Noch bevor er überhaupt begriffen hat, was passiert war, war ich wieder im Dunkeln verschwunden.
„Hast du was verloren?“ fragte ich höhnisch. Ich ließ den Revolver um meinen Zeigefinger kreisen und trat gemächlich hinaus auf den Weg. Heinrich starrte mich fassungslos an.
Eine unbeschreibliche Selbstsicherheit umgab mich. Heinrich – der Mensch, vor dem ich immer Angst gehabt habe, vor dem ich mich immer geduckt hatte, war plötzlich kein Gegner mehr für mich. Er hatte seine Macht über mich in dem Moment verloren, wo er mich verraten hat. Ich warf ihm die Waffe vor die Füße. Heinrichs Augen fixierten einen Moment die Waffe, dann wieder mich.
„Nur zu. Das ist doch deine, oder nicht?“
Ich hörte, wie Heinrichs Herz noch schneller zu pumpen begann und seine Muskeln spannten sich. Er wollte blitzschnell nach der Waffe greifen, doch bevor er überhaupt seine Hand ausstrecken konnte, hatte ich ihn schon umgeworfen. Ich stand über ihn und fixierte ihn mit einem Fuß auf seinem dicken Oberkörper. Ich kam mir unglaublich überlegen und sicher vor. Es war alles so leicht.
„Letzte Nacht konnten wir unsere nette kleine Unterhaltung leider nicht so gut durchführen.“ Ich beugte mich etwas zu ihm herab. Er stöhnte leicht auf, als ich dabei mein Gewicht verlagerte.
„Aber heute geht’s besser!“
„Was willst du von mir?“ stammelte Heinrich.
„Ich habe ein paar Fragen, auf die du die Antwort haben könntest“, antwortete ich.
„Was für Fragen?“ Heinrich war wieder blass im Gesicht und die Angst stand in seinen Augen geschrieben.
„Fangen wir am Anfang an. Wie ist eine Ratte wie du an einen Werwolf wie mich geraten?“
„Ich habe dich in einer Höhle gefunden.“ Seine Stimme zitterte und überschlug sich fast.
Ich knurrte leise. Diese Antwort war äußerst unbefriedigend, brachte sie mich doch nicht viel weiter. Gleichzeitig spürte ich auch, dass es die Wahrheit war.
„Wo?“
„Ich weiß nicht mehr!“ jammerte Heinrich. Wie erbärmlich. Gleich würde er noch anfangen zu heulen.
„WO?“ Ich schrie jetzt fast. Heinrich keuchte auf, als ich ihn mehr zu Boden drückte.
„Irgendwo in den Wäldern südlich von hier!“
Ich spürte, dass ich er mir keine genaueren Angaben machen würde. Aber es gab ja noch mehr zu erfahren. Wichtigeres vielleicht. Heinrich war ein ziemlich erbärmlicher Charakter. Er würde nie etwas tun – geschweige denn, sich in Gefahr zu bringen, wenn er sich keinen Vorteil davon versprechen würde.
„Wie kommt es, dass so ein erbärmlicher kleiner Jammerlappen wie du es wagt, mich anzugreifen? Was war für dich dabei drin?“
Auf seinem Gesicht entstand plötzlich ein triumphales Lächeln, das mich etwas verunsicherte.
„Geld!“ antwortete er. „Und Macht. Es gibt Wesen, die gut für so ein räudiges Fell wie deines bezahlen!“ Sein Pulsschlag war immer noch zu schnell und er hatte eindeutig Angst. Aber die plötzliche Selbstsicherheit in seiner Stimme ließ mich zögern. Ich musste wieder an Heinrichs Verfolger denken, den ich nicht orten konnte.
In dem Moment spürte ich, wie sich etwas näherte. Es war kein Mensch. Einem Moment lang dachte ich, es wäre Christian. Jedenfalls kam es aus der Luft. Im Bruchteil einer Sekunde duckte ich mich und der Angreifer sauste über meinem Kopf hinweg. „Ein Vampir!“ schoss es mir durch den Kopf.
Mist! Durch Christian hatte ich einen kleinen Einblick darin bekommen, zu was Vampire alles fähig sind. Und ich war noch in Menschengestalt unterwegs. Damit war ich schwächer und verwundbarer. Als Mensch kann ich schlechter riechen, hören, sehen, laufen und kämpfen als Wolf.
„Bleib!“ rief ich per Gedanken Christian zu. Ich glaubte spüren zu können, wie er sich bereit machte, um einzugreifen. Aber er durfte mit mir nicht gesehen werden. Wenn heraus kommen würde, dass er einem Werwolf gegen einen Vampir hilft, würde man ihn bestimmt auch ausstoßen. Das konnte ich nicht verantworten. Ich musste alleine mit dem Vampir fertig werden.
Ich ließ den Wolf in mir zum Vorschein kommen. Das war ein sehr kritischer Moment, war ich doch einige Zeit mit der Verwandlung beschäftigt. Darum bewegte ich mich in die Deckung der Bäume und Büsche hinein. Noch einmal kam er angeflogen und diesmal erwischte er mich. Rasiermesserscharfe Klauen rissen sich in mein Fleisch. Jetzt hatte dieser Penner mir doch schon wieder eine Falle gestellt!
Die Verwandlung setzte ein. Ich dachte einen Moment an meine schönen, neuen Sachen, als meine wachsenden Muskeln die Kleider sprengten. Wieder wurde ich getroffen. Diesmal habe ich ihn noch nicht einmal kommen hören. Ich brüllte laut auf vor Schmerz. Wenn das so weiter geht, würde der Kampf vorbei sein, bevor ich mich überhaupt verwandelt hatte. Aber jetzt konnte ich auch nicht mehr zurück. Kurz vor dem nächsten Angriff hörte ich einen Raben schreien und duckte mich instinktiv. Der Vampir streifte mich diesmal bloß.
Nebel kam plötzlich und ungewöhnlich schnell auf. Aber mir sollte es nur Recht sein. Ich schleppte mich weiter, um im Nebel zu verschwinden und bemühte mich, trotz der Verwandlung keinen Laut mehr zu machen.
Der Vampir sauste an der Stelle vorbei, wo ich eben noch gewesen bin, doch er schien mich nicht gesehen zu haben.
Endlich war die Verwandlung abgeschlossen. Ich war sofort wieder Herr meiner Sinne. Mehrere tiefe Wunden überzogen meinen Körper, doch sie verstärkten im Grunde nur meine Wut. Jetzt war ich wieder ein Wolf und er sollte sehen, mit wem er sich da angelegt hat.
Ich musste ihn beschäftigen, von Christian ablenken. Er war nicht mehr in der Luft. Das spürte ich. Ich nahm Witterung auf. Plötzlich zog sich eine rasend schnelle Spur undefinierbarer, kaum hörbarer Töne durch den Park. Es erinnerte mich an das Gefühl, das ich zuvor zusammen mit Christian gespürt hatte, als wir uns auf diese merkwürdige Art fortbewegt haben. In dem Moment traf mich auch schon ein Schlag, der mich weit durch die Luft schleuderte und gegen einen Baum krachen ließ.
„Eins zu null für dich, du Bastard!“ sagte ich leise. Eigentlich stand es ja schon etwas schlechter, aber ich entschied mich, die Angriffe während der Verwandlung nicht zu zählen.
Er versuchte es noch einmal, doch diesmal war ich vorbereitet. Es dauerte nur Sekundenbruchteile, doch ich ortete das Geräusch sofort und biss blindlings zu. Er hatte wohl nicht damit gerechnet, denn ich erwischte ihn. Ich schmeckte kaltes Blut auf der Zunge. Das entfachte meinen Jagdinstinkt. Die Schmerzen spürte ich nicht mehr. Ich war beseelt von der Jagd nach dem Vampir. Meiner Beute. Es war an der Zeit, den Spieß herumzudrehen und den Jäger zum gejagten zu machen. Der dichte Nebel und das Terrain kamen mir zu Gute. Meine Augen waren eh nicht so gut, wie die eines Vampirs. Ohren und Nase dafür umso besser. Ich roch Christians Geruch hoch oben in den Bäumen und es tat gut zu wissen, dass er immer noch da war.
Der andere Vampir war gar nicht zu überhören. Er versuchte wohl, von Baum zu Baum zu schleichen, machte dabei aber einen Heidenkrach. Er berührte Zweige und Sträucher, ohne auf die Melodie der Umgebung zu achten. Vermutlich schwebte er, denn das Knacken von Zweigen unter seinen Füßen konnte ich nicht hören.
Ich umrundete ihn weitläufig und lautlos, um mich ihm gegen den Wind anzunähern. Bald war ich auf wenige Meter heran gekommen. Der Vampir schwebte etwa einen Fußbreit über dem Boden von Baum zu Baum. Er suchte mich. Er sah ziemlich genauso aus, wie man sich einen antiquierten Vampir vorstellt; mit langem schwarzen Umhang und einem altmodischen Anzug, aber doch irgendwie aristokratisch. Oder sollte ich besser sagen, hochnäsig? Seine Ärmel hingen auf der rechten Seite in Fetzen, aber ich konnte keine Verletzung erkennen. Trotzdem hatte ich noch den Geschmack seines Blutes auf meinen Lippen und das Bedürfnis, über ihn herzufallen, war fast übermächtig. Nur noch ein paar Meter! Ich musste mich gedulden. Ich war jetzt dicht hinter ihm und er stand bzw. flog mit dem Rücken zu mir. Ich spannte jede Faser meines Körpers zum Sprung und dann sprang ich aus dem Stand heraus auf ihn zu.
In diesem Moment drehte er sich um. Während ich auf ihn zusprang, konnte ich zum ersten Mal sein Gesicht sehen. Es hatte nichts von dem anmutigen und schönen Gesicht Christians. Es war eine Fratze. Alle Gesichtszüge waren merkwürdig verzerrt und deformiert und die langen, spitzen Eckzähne waren nicht zu übersehen. Seine Augen leuchteten tiefrot vor Hass und Gier.
Ich war erschrocken und mein Angriff verlor seine tödliche Präzision. Seine Reflexe waren ebenso schnell wie meine und so gelang es ihm in letzter Sekunde, seinen linken Arm schützend hoch zu nehmen. Statt in seine Kehle biss ich in seinen Arm. Ich konnte spüren, wie der Knochen unter der Gewalt meiner Kiefer zerbrach. Der Vampir schrie auf, obwohl ich mir nicht sicher war, ob er es vor Schmerz oder Überraschung tat. Wieder schmeckte ich frisches Vampirblut auf meiner Zunge und es war, als würde es mir zusätzliche Kräfte verleihen.
Durch die Wucht des Aufpralls wurden wir zu Boden geschleudert, doch der Vampir erhob sich sofort wieder in die Lüfte. Ich hatte mich in seinen Arm verbissen und dachte gar nicht daran, ihn loszulassen. So schwebte ich mit ihm empor, wild an seinem Arm zerrend.
„Elende Töle!“ schrie er.
Er schien wütend zu sein. Ein kräftiger Fußtritt traf mich im Bauch und ich ließ los und segelte dem Boden entgegen. Ich kam ziemlich hart auf und überschlug mich mehrmals, war jedoch sofort wieder auf den Beinen. Wie ein Racheengel schwebte der Vampir jetzt über mir im Nebel. Sein Umhang flatterte weit, er hatte seine Arme ausgebreitet und seine Augen glühten in der Dunkelheit.
Ich knurrte und baute mich zu meiner vollen Größe auf. „Komm nur!“ dachte ich. Er war wütend, um nicht zu sagen stinksauer. Er stieß einen Schrei aus und sauste auf mich zu. Ich nahm ebenfalls Anlauf und sprang auf ihn zu. Wieder trafen wir uns in der Luft. Ich konnte spüren, wie sich seine Zähne tief in meinen Hals bohrten, doch ich hatte es diesmal auf seine Brust abgesehen und biss zu.
Es war wie ein Blutrausch. Ich merkte erst, was ich getan habe, als ich den reglosen Körper vor mir liegen sah. Ich hatte sein Herz gefressen. Die Fratze des Bösen, die ich zu sehen geglaubt habe, war verschwunden. Vor mir lag der Körper eines durchaus schönen und ansprechenden Mannes. Von der klaffenden Wunde in seiner Brust einmal abgesehen.
Als ich erkannte, was ich getan habe, verwandelte ich mich augenblicklich zurück. Ich war über und über mit Blut bedeckt. Teils mein eigenes, teils das des toten Vampirs vor mir. Ich sank auf die Knie und betrachtete fassungslos den toten Körper vor mir. Heinrich war schon lange verschwunden.

42 (Christian)

Der dicke Kerl stampfte mit schweren, aber unsicheren Schritten ins Innere des Parks. Ich schärfte meine Augen und so hatte ich die Möglichkeit, das ungleiche Paar über deren Blutkreislauf und Körpertemperatur wahrnehmen. Ich hockte wie eine Katze regungslos im Baum. Max hatte ebenfalls auf dem gegenüberliegenden Baum einen Ast gefunden, der es ihm ermöglichte, die ganze Szenerie zu überblicken. Jimmy und Akasha waren auf dem Boden im Gras. Ich machte mir etwas Sorgen um sie, da ihr albinotischer im Mondlicht leicht auszumachen war; jedoch waren ihr Biss und ihre Kraft nicht zu unterschätzen. Sie kann, wenn sie in Gefahr ist, 6 Meter pro Sekunde vorschießen. Ich hörte das Klicken einer Waffe und sah dann auch das glänzende Metall reflektieren. Ich versuchte Brendan mit meinen Gedanken zu informieren, glaubte aber nicht dass sie ihn erreichen. Er war einfach zu nervös und aufgeregt. Ich hoffte inständig, dass das ein halbwegs gutes Ende nehmen würde. Ich konzentrierte mich wieder mehr auf die Geschehnisse am Boden. Brendan spielte gerade Hund und Katze mit diesem Kerl; mal jagte er ihn, mal umkreiste er ihn. Der Schweißgestank von dem Kerl war mittlerweile für mich unerträglich. Aber gut kleiner Wolf, dachte ich mir. Du hast dich gemacht. Erstmal das Opfer müde hetzten. Dann unterhielten sie sich. Brendan schlug ihm die Waffe aus der Hand und kniete über ihn. Sie unterhielten sich weiter.
Mit einem Mal spürte ich einen Luftzug über mir und das Laub der Bäume raschelte leise; einige Blätter fielen zu Boden. Ich schaute nach oben, noch immer mit dem Beuteblick und erkannte kein Warmblüter; dafür aber einen Vampir.
Einer der Leibgarde des Prinzen, wie man unschwer an der Kleidung des Dieners und an seinem Umhang erkennen konnte. Die Gardisten kleideten sich immer wie aus dem späten Mittelalter. Brendan hatte es nicht nur mit dem bewaffneten Fettsack zu tun, sondern auch mit einem Vampir. Unter normalen Umständen hätte ich mich um den Vampir gekümmert, aber unsere Regel besagen, dass wir nicht grundlos gegeneinander kämpfen. Da Brendan ein Werwolf war, gehörte er nicht zu unserem Clan und hatte keinen Anspruch auf Verteidigung. Warum es diese Regeln gab, das hatte mir Paul nie erklärt. Ohne Umschweife attackierte der Vampir Brendan in seiner menschlichen Gestalt und wurde zur Seite geschleudert. Der Vampir hatte einen direkten Angriff gewagt aus dem Flug heraus. Der fette Kerl ergriff die Flucht. Ich überlegte kurz, ob ich hinterher soll, entschied aber, dass ich Brendan hier eine größere Hilfe war. Der Dicke war jetzt nicht mehr wichtig. Den würde ich mir schon bei Zeiten vorknöpfen …
Brendan schickte mir den Gedanken, in meinem Versteck zu bleiben, ich wiederum griff in meine Hosentasche und zog das Taschentuch von damals raus und schickte Brendan die Gedanken, er solle sich unverzüglich in die Büsche schlagen. Er schaffte es fast, als der Vampir ihn erneut aus dem Flug heraus angriff und diesen mit messerscharfen Krallen so sehr verletzte, dass Brendan aufschrie. Ob es der Instinkt, die Angst oder der Geruch von Wald und Blut war, ließ Brendan sich erneut verwandeln. Aus meiner Sicht ein gefährliches Unterfangen, da er in dieser Phase vollkommen schutzlos war. Meine erste Wahl der Hilfe war Max, er sollte den Angriff des Vampirs vereiteln und so Brendan Zeit verschaffen. Ich wusste nur einen Gedanken auf Max und ich konnte mich zu 100 % auf ihn verlassen. Im gleichen Moment beschwor ich, aus dem nahen Bach Wasser in die Luft und mit der warmen Bodenluft würde es sofort verdunsten und einen dicken Nebel geben. Der Tau auf den Gräsern würde für dicken Nebel auch auf dem Boden sorgen. Max kreischte auf und Brendan verstand, der Angriff des Vampirs ging fast ins Leere. Gut so, dachte ich mir. Der Vampir landete und war irritiert von dem plötzlichen Nebel und suchte, fand mich jedoch nicht. Er huschte auf Brendan zu. Im gleichen Moment sprang er als Wolf aus dem Gebüsch und biss tollwütig um sich. Wusste er, dass wir Vampire uns innerhalb von Sekunden heilen konnten? Der Boden glich einer Teufelsankunft. Der dicke Nebel und überlall spritzte Blut. Das brechen von Knochen war wie Donner zu vernehmen. Brendan verbiss sich in den Arm des Vampirs, dieser versuchte mit einem Flugmanöver abzuwehren, doch er hatte die Rechnung ohne Akasha gemacht. Diese schnellte nach vorne und biss in den Fuß und erhöhte so das Gewicht des Vampirs. Normalerweise ist das kein Problem für einen Vampir, aber die Überraschung lag auf unserer Seite. Sein Flug gelang nicht richtig und so versuchte er Brendan abzuschütteln, wusste er nicht, was da an seinem Fuß zerrte. Brendan fiel und nahm erneut Anlauf und sprang in die Luft. Ein Schrei, der nicht von dieser Welt zu sein schien, drang an meine Ohren und alle drei krachten zu Boden. Brendan hatte sich in seinem Rausch an das Herz des Vampirs zu schaffen gemacht und dieser lag mit geöffnetem Brustkorb im nassen und blutigen Gras.

Während ich vom Baum runterschwebte, löste ich mit ein paar Handbewegungen den Nebel auf und Brendan verwandelte sich in seine menschliche Gestalt und guckte schockiert auf das, was er getan hatte. Es war wohl sein erster Mord. Der Vampir, ich erkannte ihn als Mario, war kein geringerer, als der Herr der Diener des Prinzen. Ein 350 Jahre alter Vampir, der sein eigentliches Aussehen annahm und nachdem in wenigen Minuten sein Blut vollkommen ausgelaufen sein wird, diese zu Staub zerfallen würde.
Brendan war noch immer unter Schock und war mir keine Hilfe. Die Leiche des Vampirs musste vor dem Zerfall hier weg, ebenso die Blutlachen. Zum einen würden die Vampire Alarm schlagen, wenn der Armeeführer nicht in seinem Sarg vor Sonnenaufgang zurückkehrt, zum anderen konnten auch Polizisten gefährlich werden, die das Blut gemeldet bekämen. Ich stopfte den Umhang in seine blutende Wunde und sah aus dem Augenwinkel, wie sich dicke Wolken vor den Mond schoben. Ich ließ diese in einem kräftigen Regen zerplatzen. Max krallte sich Jimmy, ich befahl meiner Schlange sich um den toten Leichnam zu wickeln, verpasste Brendan einen kräftigen Schlag an die Schläfe, der sofort zu Boden ging, packte ihn mir und den Leichnam mit der Schlange und flog Richtung Friedhof.
Nach wenigen Minuten landete ich und auch Max und Jimmy saßen am Eingang des Mausoleums. Der eine putzte sein Gefieder, der andere sein nasses Fell. Ich legte meine Last in den Eingang und schlug Brendan ins Gesicht, dass er wieder zu sich kam.
Er verdrehte die Augen und guckte mich an. Seine Pupillen weiteten sich und er fing an zu schreien und zu strampeln.
Er hatte eine Pforte in seinem Leben geöffnet, so wie einst ich, die man lieber für ewig verschlossen lassen möchte. Ich kannte seine Gefühle nur zu gut. Den ersten Mord im Blutrausch vergisst man nie in seinem ganzen, unendlichen Leben. So sind die Gesetze der Geschöpfe der Nacht.

Ich beruhigte Brendan, indem ich ihn in die Arme schloss, stieß mit Willenskraft das Portal auf und brachte ihn rein. In diesem Zustand war er keine Hilfe. Ich musste mich erstmal um den Vampir kümmern. Ich legte
Brendan behutsam auf seinen Strohsack und wickelte ihn in Decken ein, da er vollkommen durchnässt mit Blut und Regen war. Dann ging ich zügig nach draußen zu dem toten Vampir; meine Schlange löste ihre tödliche Umarmung und glitt auch ins Innere des Mausoleums. Ich zog den Umhang aus der Wunde und zerrte ihn in Richtung Kanalisation des Brunnens. In wenigen Sekunden war das restliche Blut aus ihm gewichen und er löste sich in feinsten Staub auf, und floss in den Gully ab. So oder so ähnlich wird sicherlich auch eines Tages mein Tod sein. Ich wünschte dem verstorbenen nun Frieden und hoffte inständig, dass dieser ihn auch findet. Ich huschte wieder zurück ins Mausoleum und fand Brendan auf dem Boden, der sich gerade erbrach. Das war zu viel Blut für ihn, was er aufgenommen hatte, und der Organismus noch nicht verwerten konnte. Ich hatte von Paul gelernt, dass man am Anfang maximal einen halben Liter Blut zu sich nehmen konnte, ohne es hoch zu würgen. Brendan hatte mindestens 4 Liter, wenn nicht sogar mehr, kaltes Blut aufgenommen. Erschöpft rollte er auf die Seite und ich sah zwischen seinen neuen, aber dennoch vollkommen zerrissenen Anziehsachen, tiefe schwer blutende Wunden. Er fror und zitterte und er drohte Krank zu werden.
Ich benetzte meine Hände mit meiner Spucke und verrieb diese auf den Wunden. In wenigen Minuten würden diese aufhören zu bluten und sich von alleine schließen, ohne auch nur eine einzige Narbe zu hinterlassen. In meinem Rücken bemerkte ich wärme von der langsam aufgehenden Sonne. Zeit für mich zu verkriechen. Mit einem Wink ließ ich die Portale zuschlagen und verriegeln, entzündete alle Kerzen, an denen sich meine Tiere wärmen konnten und wollte in meinem Sarg steigen. Ich schaute zu Brendan und der kauerte noch immer, mehr ohnmächtig als lebendig und zitternd auf dem Boden. Ich stand noch mal auf und ging in meine Kleiderecke und zog einen langen schwarzen Radmantel aus und warf diesen über Brendan, nahm den Jungen auf und ging zu meinem Sarg zurück.
Legte mich hinein und zog Brendan mit mir. Als er auf mir lag, schlang ich meine Arme um ihn und der Deckel meines Sarges glitt über uns. Doch diesmal machte ich es anders. Ich ließ den Deckel sich nicht ganz schließen, sondern ließ einem Spalt auf, damit Brendan noch genug Luft bekam. Ich spürte noch seinen Atem und sein Herz schlagen und während ich den Gleichklang fühlte, dachte ich trotz aller Probleme, wie schön es war, einen Gefährten zu haben, der mir ebenbürtig ist. Ich hoffte, er würde mir eine Zeit lang loyal zur Seite stehen und mich nicht enttäuschen. Mit diesen sanften Gedanken starb ich für einen weiteren Tag, um in der kommenden Nacht erneut als Todesengel geboren zu werden.

43 (Brendan)

Christian kam heran geflogen und ich wagte nicht, zu ihm aufzusehen. Was hatte ich getan? Kannte er den Vampir, dessen grausam zugerichtete Leiche nun vor mir lag? Hatte ich einen Freund von ihm getötet? Oder ihn in Schwierigkeiten gebracht, weil er mir geholfen hatte? Sicher, er hat mich angegriffen. Trotzdem war ich fassungslos angesichts des Leichnams, der nun blutüberströmt vor mir lag. Ich hatte ein Leben genommen. Ich konnte mich nicht erinnern, wie genau es passiert ist. Kurze Gedankenblitze voller Blut schossen mir durch den Kopf. Ich konnte den Geschmack des Vampirs immer noch auf meinen Lippen schmecken. Konnte seine Wirkung fühlen. Es ist, als hätte ich einen Teil von ihm in mir aufgenommen. Mir war schlecht. Meine zahllosen Verletzungen begannen zu schmerzen. Ich fühlte mich unfähig, auch nur den Kopf zu heben. Ich blickte einfach nur ausdruckslos auf den Leichnam. Ich hatte noch nie zuvor einen Toten gesehen und die Vorstellung, dass ich an diesem Verlust Schuld sein sollte, quälte mich.
Plötzlich spürte ich einen Schlag und verlor das Bewusstsein. Als ich wieder zu mir kam, blickte ich in Christians sorgenvolle Augen. Augenblicklich brach der Kampf in mir wieder los, als wäre er noch nicht zu Ende. Immer mehr Einzelheiten über meine Blutttat kamen in mein Bewusstsein zurück und ich konnte die Bilder kaum ertragen. Was hatte ich nur getan? Ich wollte die Bilder verscheuchen, mich ihrer erwehren ohne zu wissen, wie. Ich schrie und strampelte, als könne ich sie dadurch loswerden.

Und dann trat wieder Christian in mein Bewusstsein. Er nahm mich in den Arm. Im ersten Moment wollte ich mich wehren, verhindern, dass ich ihn auch verletzen würde. Er schien zu verstehen, was ich durchmachte und was mich quälte. Ich fand mich in seinen starken Armen wieder und schluchzte wie ein kleines Kind. Es war, als würde er die Qual mit mir teilen und ich beruhigte mich wieder etwas.
Gemeinsam betraten wir das Mausoleum und ich legte mich erschöpft auf mein Lager. Kaum war Christian weg, kamen die Bilder wieder hoch. Jetzt konnte ich verstehen, warum es hieß, die Opfer eines Werwolfes würden diesen ewig verfolgen. Es ist noch nicht einmal wichtig, ob diese tatsächlich existierten oder nicht, ob es ihre leibhaftigen Seelen waren oder nur die Schatten einer Bluttat. Dieser Tote würde mich für den Rest meines Lebens verfolgen. Das spürte ich.
Die Übelkeit wurde unerträglich. Ich schaffte es nicht einmal, das Mausoleum zu verlassen. Ich erbrach einen Schwall roten Blutes auf den Boden.
Plötzlich war Christian wieder da. Er streichelte mich und ich konnte spüren, wie zumindest der oberflächliche Schmerz verschwand. Ich spürte, wie er mich in etwas einwickelte und dann zu seinem Sarg mitnahm. Einen Moment wollte ich protestieren, in einem Sarg zu liegen. Aber die Vorstellung, jetzt alleine bleiben zu müssen stand in keiner Relation zu einer Nacht bzw. einem Tag in einem Sarg.
Augenblicklich schoss mir Christians Reaktion durch den Kopf. Wie viel Wert er darauf legte, dass sein Sarg unangetastet blieb. Dass keiner in seine Nähe kam. Wie zornig er gewesen ist, als er erfahren hat, dass ich ihn geöffnet habe. Und jetzt nahm er mich mit hinein.
Es war eng in dem Holzkasten, aber vielleicht war gerade das das Schöne. Die Albtraumbilder verschwanden. Ich spürte Christians Nähe, seine Arme um mich geschlungen, als er starb. Langsam verblasste seine Atmung und das Blut in seinem Körper hörte auf zu fließen. Er war tot.

Die zweite Leiche in einer Nacht, doch anders als bei der entstellten Leiche meines Opfers fühlte ich mich in seinen kalten Armen geborgen. Ich wollte nichts anderes, als einfach hier mit ihm zu liegen. Ich wollte auf das Wunder der Wiederauferstehung mit ihm warten. Würde es ewig dauern, so würde ich auch ewig warten. Ich würde lieber die ewige Nacht mit ihm verbringen, als einen sonnigen Tag alleine.

44 (Christian)

Pünktlich zum Sonnenuntergang erwachte ich erneut zum Leben und schlug die Augen auf und guckte gegen den schwarzen Deckel. Ich ließ die vergangene Nacht Revue passieren. Das eigentliche Ziel hatten wir nicht erreicht, stattdessen hatten wir eine Katastrophe heraufbeschworen. In letzter Zeit lief irgendwie alles schief. Dabei dachte ich an Brendan und mir fiel ein, dass er eigentlich in meinem Sarg eingeschlafen war, sich aber hier nicht mehr befand. Der Deckel war auch vollkommen geschlossen. Ich ließ den Deckel langsam und lautlos öffnen und erhob meinen Oberkörper. Das Mausoleum war vollkommen Dunkel. Die Kerzen waren runter gebrannt und erloschen. Die Dunkelheit stellte kein sonderliches Problem für mich da. Ich schaute mich suchend um und fand ihn mit meinem Blick. Er kauerte vor dem Strohsack, wo er üblicherweise schlief. Lautlos erhob ich mich in die Luft um von oben zu sehen. Normalerweise begrüßte ich jeden Abend meine Tiere und fütterte sie mit kleinen Leckereien. Aber was war seit ein paar Nächten noch normal?
Brendan hatte seine neuen Anziehsachen auf dem Strohsack ausgebreitet. Die Sachen waren zwar neu, aber als solches konnte man sie gerade nicht mehr betrachten. Sie waren zerrissen, schmutzig und blutgetränkt. Er hatte sie bei der Verwandlung nicht abgestreift und so sind nicht nur die Nähte gerissen, sondern auch der Stoff in sich. Der Kampf mit Heinrich und dem Vampir haben ihnen den Rest gegeben. Wir hätten besser eine Ritterrüstung auswählen sollen…
Er schien zu weinen. Das erkannte ich daran, dass seine Schulterblätter sich schüttelten in kurzen Abständen. Ich glitt zu Boden und stellte fest, dass er tatsächlich weinte und dabei strich er mit den Händen über seine Kleidung, als gäbe es nichts Besonderes in seinem Leben, als dieses T-Shirt und Pulli, sowie die Jeanshose. Das tat mir schrecklich Leid, denn es waren ja „nur“ Anziehsachen. Wir würden sie heute einfach ersetzen und das Problem wäre dann gelöst. Mir fiel ein, dass ihm diese Sachen wahrscheinlich so viel bedeuteten, weil er nie etwas wirklich für sich alleine hatte. Wie ich mittlerweile erfahren hatte, hatte er nicht einmal je eine eigene Schlafstätte besessen. Ebenfalls kannte er nicht einmal seine Eltern. Seine Erinnerung waren nur Schmutz, Bedrohung, Angst und Arbeit. Ich war so egoistisch zu denken, dass der Verlust meines Vaters, dass schlimmste im Leben ist. Ich hatte jedoch meine Erinnerung an meine Familie, meine Kindheit und meine Jugend. Er hatte von alle dem nichts.
Ich beschloss, diesem ein Ende zu setzen. Wenn er schon keine Kindheit und keine Jugend gehabt hatte, dann sollte er wenigstens ein anderes Leben erfahren.
Er war so in Gedanken versunken, dass er gar nicht bemerkte, wie ich an meine Kommode ging und aus einem hinteren Fach meine Barschaft kontrollierte. Es war noch mehr als reichlich Geld vorhanden. Ich war ja genügsam und Essen brauchte ich auch nie kaufen. Ich stecke einen Bündel in meine Hosentasche und öffnete das Portal. Ein angenehmer, kühler Abend begrüßte mich. Ich entließ meine Tiere, die schon warteten. Sie hatten in der vergangen Nacht ebenfalls nicht gegessen und waren sicherlich mehr als ausgehungert. Ich ging zum Brunnen und zog Brendans Taschentuch hervor und benetzte es in dem kalten und klaren Wasser und ging zurück ins Mausoleum. Brendan hatte von alle dem nichts mitbekommen und kauerte so da, wie ich ihn verlassen hatte. Ich kniete mich neben ihn und er guckte mich aus roten Augen wortlos an. Ich wischte ihm die Tränen von den Wangen und merkte dabei, wie mir selber die Tränen kamen, einen so gebrochenen jungen Mann zu sehen. Seine Tränen waren sicherlich salzig, wie einst meine. Heute sind meine nicht anderes als Blut. Ich unterdrückte sie krampfhaft, was mir auch gelang. Ich nahm in wortlos an die Hand und zog ihn mit mir nach oben.
„Hey Brendan, kein Grund wegen der Anziehsachen betrübt zu sein, tapferer Wolf. Wir gehen einfach in die Stadt und besorgen neue Sachen und danach essen wir etwas. Nun, eher Du; mir ist nicht so nach menschlichen Gelüsten.“ Während ich sprach, versuchte ich ein Lächeln hinzubekommen, was mir jedoch eher misslang als gelang.
Wortlos nickte Brendan und ich drehte mich langsam Richtung Ausgang, als ich ein seltsames Gefühl hinter mir am Rücken merkte.
Brendan war einfach so auf meinen Rücken geklettert. Ich war vollkommen verdutzt und wir gingen in die Nacht hinaus. Ich entschied daraufhin mit ihm zu fliegen. Diesmal war er auf meinem Rücken und hatte allen notwendigen Halt. Ich nahm den Luftweg über die Felder, statt die Straße. Das hatte den Vorteil für Brendan, dass ich nicht so hoch fliegen musste. Außer eine Eule würden wir bei der Dunkelheit niemandem begegnen.
Ich fühlte, wie Brendan sein Gesicht in meine Jacke presste. Wahrscheinlich hatte er die Augen geschlossen und hatte etwas Angst; sein Herzschlag hielt sich jedoch in Grenzen. Ich verlangsamte mal das Tempo. Ich wollte versuchen, dass er es genau so genießt, wie ich es immer tat. Er hob den Kopf an, er dachte wohl, wir seien am Ziel und ich hätte den Sinkflug begonnen. Ich schwebte mit ihm ganz langsam über den Gräsern, Kräutern und Getreide hinweg, dabei drehte ich meinen Kopf seitlich und sah ein leichtes Grinsen in seinem Gesicht und sein dunkelblondes, halblanges Haar wehte um sein Gesicht. Es schien, als hätte ich es geschafft, dass er Spaß am langsamen Fliegen hatte. Ich blickte wieder nach vorne und beschleunigte langsam den Flug und stieg wenige Meter höher. Das hat den Vorteil, dass ich die Thermik besser ausnutzen kann.

Wir flogen so dahin und langsam zeichneten sich die ersten Silhouetten der Stadt ab, wie ein glitzerndes Meer, als ich mit einem Mal ein seltsames Gefühl auf meinem Rücken fühlte. Der sanfte Druck seines Körpers auf meinem hatte eine Art Rappeln oder Turbulenz. Seine Finger in meinem Arm drückten, statt klammerten.
„Halt dich bitte ruhig, sonst stürzen wir ab“. sagte ich zu Brendan. Die Stadt war schon sehr nah und ein Absturz könnte Aufmerksamkeit erregen. Ich blickte nach hinten, doch statt Brendans Gesicht zu sehen, wie einige Minuten zuvor, spiegelte sich das Licht des Mondes in meinen lichtempfindlichen Augen. Es war das gleißende Licht des Vollmondes, was mich fast blendete und Brendan zu seinem zweiten ich, auf meinem Rücken in 20 Metern Höhe und während des Fluges, verwandelte.
Ich hatte einen großen Fehler gemacht, indem ich nicht die Mondphase berücksichtigt hatte und nun war ich dabei, einen ausgewachsenen, jungen Werwolf in die Stadt zu fliegen. Ich unglaublich dummer Narr.
Ich machte eine scharfe Kurve in der Luft und beschleunigte den Sinkflug.
Brendans Pfoten fanden keinen Halt mehr auf meinem Rücken, den ich schräg halten musste und Brendan versuchte vorher noch abzuspringen, blieb aber in meinem Gürtel hängen und hing nun mehr an mir, dabei zog er mich in die Tiefe. Meine Bremsversuche scheiterten und so krachten wir die letzten 5 Meter unkontrolliert ins Feld. Brendan kam zuerst auf und ich fiel auf ihn drauf. Er jaulte wölfisch auf und ich fluchte.
Meine Gedanken überschlugen sich nun.
Ich drückte Brendan zu Boden mit meiner ganzen Kraft, schaute zum Himmel und suchte verzweifelt nach einer Wolke, die ich vor dem Mond schieben lassen konnte, außer Sterne war am Himmel nicht weiteres zu sehen. Verdammt!

45 (Brendan)

Den ersten Schlaf in Christians Sarg verbrachte ich voll quälender Albträume voller Blut und Gewalt. Immer wieder durchlebte ich die letzten Augenblicke des Vampirs, als das Leben aus seinem toten Körper wich. Ich konnte das Flehen in seinem Blick sehen, ihm zu helfen, ihn nicht zu töten. Kurz bevor es aus ihm wich. Auch ein Untoter hängt an seiner Existenz, vielleicht ja sogar noch mehr als ein Lebender.
Niemand, dessen Hände nicht mit Blut besudelt sind, wird wohl verstehen können, was es bedeutet, ein Leben zu vernichten. Der Wolf tötet ohne zu bedauern, doch der Mensch ist sich seiner Tat bewusst und in meinen Träumen vermischten sich die Ekstase des Tötens und das damit verbundene Grauen zu einem unbeschreiblichen Albtraum.
Als ich erwachte, war ich schweißgebadet. Ich war verspannt und der Rücken schmerzte. So schön es war, mit Christian in einem Sarg zu schlafen, so unbequem war es leider auch. Ich öffnete den Sarg und stieg hinaus. Es war später Nachmittag. Blutgeruch hing mir in der Nase und mit Entsetzen stellte ich fest, dass ich ja immer noch die zerrissenen und vor allem Blutbesudelten Kleider von gestern anhatte.
Nahezu panisch riss ich sie mir vom Leib. Wieder stiegen die Bilder in mir auf. Ich breitete die zerrissenen und blutigen Kleider vor mir aus. Wie sehr ich mich gefreut habe, als ich sie mir ausgesucht habe. Es waren die schönsten Kleider, die ich jemals besessen habe. Und jetzt waren es die Zeugen meiner ersten Bluttat. Ich strich sie glatt in der Hoffnung, sie würden weniger schlimm aussehen. Wie ein Mahnmal lagen sie vor mir. Zeugen des Todes. Immer wieder versuchte ich mir einzureden, dass ich keine andere Wahl gehabt habe. Dass es Notwehr gewesen sei.
Mir wurde die Aussichtslosigkeit meiner Situation wieder einmal bewusst. Ich war eine Missgeburt. Man kann noch nicht einmal von einer Laune der Natur sprechen, denn es hatte nichts Natürliches an sich. Ich war kein Tier und kein Mensch. Ein Monster.

Und ich war allein. Wie immer. Ich bin es immer gewesen, doch inmitten der vielen Menschen auf dem Jahrmarkt war es leicht gewesen, sich der Illusion hinzugeben, dass man nicht alleine sei. Doch es war ein Trugbild. Ich habe nie dazu gehört. War immer gefürchtet, missachtet, vielleicht sogar beneidet worden. Aber nie akzeptiert. Es ist nicht so, dass ich am Rand der Gesellschaft stünde. Ich bin nicht einmal ein Teil von ihr.
Wer mich als Mensch kannte, missachtete mich wegen meiner schäbigen Kleidung und der minderwertigen Existenz, die ich fristete. Wer mich als Werwolf kannte, mied und fürchtete mich wegen meiner Kraft und Wildheit. Wenn er nicht gerade versuchte, mich umzubringen.
Christian war der erste, der mich ohne Vorurteile begleitete. Vielleicht, weil auch er anders war. Ich musste wieder an seine natürliche Eleganz denken. Alles was er tat schien würdevoll zu sein. Nicht so tölpelhaft und ungeschickt wie bei mir. Ich fragte mich, was ihn dazu veranlasst haben mochte, sich mit mir abzugeben.
Gleichzeitig war ich froh, dass es da jemanden gab, dem ich etwas bedeutete. Und der mir ebenso wichtig geworden ist. Und das, obwohl wir uns erst ein paar Tage kannten. In dieser kurzen Zeit habe ich mehr Vertrauen zu Christian aufgebaut als zu irgendeinem anderen Wesen in meinem ganzen Leben.
Ich fragte mich, was wohl passieren würde, wenn der Vollmond aufgeht. Noch nie bin ich als freier Wolf umhergewandelt. Immer eingesperrt in einer engen Box konnte ich nur davon träumen, den vollen Mond einmal über den Wiesen und Hügeln glitzern zu sehen und ihn anzuheulen.

In der alten Mystik gilt die Erde als der Leib und der Mond als die Seele. Wenn Vollmond ist, löst sich der Geist vom Körper und scheint zum Mond hinauf zu steigen. Man spürt die Kräfte der Erde, der Natur und der Elemente wie kein anderes Wesen. Es ist, als würde man sich in eine einzige, riesige Harmonie mit dem Universum begeben. Die Vereinigung zwischen Geist und Körper, Himmel und Erde wird überwunden. Der Geist steigt zum Mond hinauf und der Körper bleibt in Form des Urwolfes auf der Erde. Deswegen ist es auch schwer, sich am nächsten Morgen zu erinnern, was in der Vollmondnacht passiert ist.
Bis jetzt waren diese an sich spirituellen Momente jedoch von Gittern gestört. In einem solchen Zustand gefangen, in seiner Bewegung gehemmt zu sein ist eine einzige Qual. Wölfe sind dafür gemacht, weite Strecken zu laufen. Es sind stolze, großartige Tiere die in Gefangenschaft zu Grunde gehen müssen. Eher zufällig habe ich einmal ein Gedicht gehört, an das ich seitdem immer denken muss und das ich auswendig kenne. Es stammt von einem schrulligen alten Mann, der mich ganz fasziniert in der Freakshow betrachtet hat, als wieder einmal Vollmond war. Ich glaube, er hat damals erkannt, dass es sich nicht um eine Show handelt, sondern dass er tatsächlich ein Fabelwesen vor sich hatte. Jedenfalls sah er mich mit diesen staunenden Augen an und ich konnte Tränen in ihnen glitzern sehen. Dabei sprach er folgende Worte:

Sein Blick ist vom Vorübergehen der Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille –
und hört im Herzen auf zu sein.1

Obwohl ich ein Werwolf war, habe ich die Worte nicht nur verstanden, sondern auch behalten. Später habe ich dann erfahren, dass sie von Rilke sind.

Ich beginne zu weinen. Aus Trauer und aus Freude gleichermaßen. Aus Trauer, weil mein Leben ebenso ein blutverschmierter Fetzen ist, wie die Kleider vor mir und aus Freude, weil ich meinem Käfig entflohen war. Nie wieder würde ich mich einsperren lassen.

46 (Christian)

Brendan strampelte unter mir und trat mich einige male. Ich war mir nicht sicher, ob er mich in diesem Zustand überhaupt erkannte, oder er mich einfach als Beute ansah und mich in seinem Blutrausch einfach blind beißen würde. Er schlug immer noch um sich, aber ich wollte ihn nicht einfach abhauen lassen. Die Stadt war einfach zu nah. Ein weiteres, oder gar ein menschliches Opfer konnten wir in unserer derzeitigen Situation nicht gebrauchen. Heinrich würde ohne zu zögern, wenn er es in der lokalen Presse lesen würde, eine Hetzjagd veranstalten. Der Polizei konnte er nicht mit einbeziehen, da Wesen wie wir längst in Vergessenheit geraten sind und dienten, wenn überhaupt, nur dazu um kleine Kinder zu erschrecken. Das war auch gut so und sollte auch so bleiben. Brendan keuchte und strampelte noch immer und machte nicht die geringsten Anstallten, sich in irgendeiner Form zu beruhigen. Mich packte langsam die Wut und der Jähzorn. Meine Augäpfel liefen dunkelrot an, meine Zähne wuchsen und meine Fingernägel ebenfalls. Mir kam eine Idee. Vielleicht die einzige Chance. Eine alte Erinnerung aus einer Reportage über Tiere kam mir in den Sinn. Ich erhöhte den Druck auf seinen Körper mit meinen Knien und zog meine Jacke aus und legte ihm diese über seine Augen und verknotete die Ärmel hinter seinem Kopf. Ich griff mit meinen Klauen unter seinem Bauch und verbiss mich in seinen Nacken. In der gleichen Bewegung ging ich erneut in die Luft und schwebte mit großer Geschwindigkeit zurück zum Friedhof. Meine Rechnung ging auf. Als seine Pfoten keinen Kontakt mehr zur Erde hatten und seine Augen nicht sehen konnten, plus des Bisses in seinen Nacken, verfiel er in eine Art Tragestarre wie ein Welpe. Diesen Reflex war bei allen Säugetieren angeboren. Als ich an Höhe gewann, beschleunigte ich so gut es mit meiner hängenden Last ging. Die ersten Kreuze des Friedhofs zeichneten sich ab. Die Rettung nahte. Endlich. Wir flogen über die Mauer, doch ich wählte nicht unser Mausoleum, sondern eins, was einst mal gebaut wurde, aber dort nie jemand beigesetzt wurde. Ich hielt auf den hölzernen Eingang mit maximaler Geschwindigkeit zu und wollte diesen mit unserer gemeinsamen Wucht die Türen zu zerbrechen. Eventuelle Wunden an Brendan könnte ich dann mit meinem Speichel heilen. Doch der Schutz für beide hatte die höchste Priorität. Wir erreichten im Flug die Türen, ich schützte Brendans Kopf mit einer Hand, die ich von seinem Bauch gelöst hatte und mit einem Knall durchbrachen wir das alte Holz, das krachend in den Eingang stürzte. Wir landeten, oder besser fielen in die Mitte des Mausoleums. Brendan krachte zum erneuten Mal unter mir und jaulte ohrenbetäubend. Bei dem Sturz fiel meine Jacke von seinem Kopf und meine Umklammerung löste sich ebenfalls. In rasender Geschwindigkeit drehte sich Brendan um die eigene Achse und suchte den Ausgang. Das wollte und musste ich in jedem Fall verhindern und ich griff in die nächste Trickkiste, mit der Hoffnung, dass auch diese funktionierte. Ich entzündete die Kerzen; da ich wütend und auch überfordert mit der Unkontrolliertheit des Wolfes, entzündeten sich die Kerzen mit wahren Stichflammen. Von Brendan war kaum etwas zu spüren. Er stand jetzt bei der 1. Vollmondnacht ganz im Bann des Wolfes und hatte nichts, wie bei seinen bewussten Verwandlungen, menschliches mehr. Eine Tötungsmaschine auf vier Beinen. Ich musste mich beeilen. Lange konnte ich ihn nicht mehr aufhalten. Ich huschte auf die Kerzenständer mit den brennenden Kerzen zu und schmiss diese auf die Zerbrochenen Türen. Das trockene, alte Holz entfachte sofort ein riesiges Feuer und bevor dieses die Decke erreichte, machte ich einen großen Sprung in den Türrahmen. Brendan war eingeschlossen. Die Oberlichter waren zu hoch und zu schmal um diese zu erreichen, oder dadurch zu kommen. Am einzigen Eingang standen ich und ein hohes Feuer. Der Wolf schoss in seiner Wut erstmal auf das Feuer, bremste aber kurz davor ab. Er jaulte und tobte, sprang hin und her, hechelte, knurrte bis er Schaum vor der Schnauze hatte. Meine Rechnung war aufgegangen. Mit Feuer konnte ich ihn in Schach halten, bis er lernte, sich und den Wolf unter Kontrolle zu halten. Sollte jemals dieser Zustand eintreten. Ich gestehe, mit Wölfe und Hunden hatte ich keine Ahnung. Als Kind hatte ich nie so den Bezug zu Hunden, hatte aber dennoch eine Landschildkröte, die ich Trulla nannte und die immer noch in unserem Besitz war.
Brendan tobte noch immer, das störte mich nicht weiter. Ich setzte mich vor die Tür und hielt das Feuer im Gang. Spätestens wenn der Mond unterging, war sein Spuk vorbei. Schon eine komische Welt, der wir angehörten. Während er auf den Monduntergang wartete, so wartete ich auf dessen Aufgang um zu leben. Das ganze funktionierte auch in umgedrehte Richtung. Während er auf den Sonnenaufgang wartete, wartete ich auf den Sonnenaufgang. Für mich hieß das, eine erneute Nacht ohne Nahrung. Das war vermutlich der Grund auch des Absturzes in dem Feld. Meine Kräfte verschwanden zunehmend. Eine Alternative zu Blut gab es nicht. Die Erinnerung an meine Essen auf dem Jahrmarkt steckte noch in meinem Körper. Durch den Brand flohen einige Ratten. Ich hatte ein schlechtes Gewissen wegen Jimmy, doch der Hunger übermannte mich. Mit meinen Nägeln spießte ich zwei Ratten, die mich nicht bemerkt hatten, auf und trank dessen Blut. Das war nicht viel, aber bis zur nächsten Nacht würde es erstmal reichen. Morgen musste ich umgehend nach Sonnenuntergang aufbrechen und mich Speisen. Dann in Windeseile zurück und das gleiche Spiel mit Brendan wieder ablaufen lassen. Zum Glück gab es nur alle 4 Wochen Vollmond. Während ich so da saß, auf meinem einst friedlichen und vergessenen Friedhof, nun mit einem zerbrochenen Brunnen und einem entweihten Mausoleum. Dann gab es noch den toten Vampir, der mit Sicherheit schon auffällig geworden war und die Schar des Prinzen sicherlich auch schon auf der Suche. Ich wusste, dass Paul wusste, woher der Wind wehte und ich mich auf ihn verlassen konnte. Sollte ich in Gefahr sein, würde er mich warnen. Sobald der morgige Abend vorbei war, mussten Brendan und ich aufbrechen. Die Spuren verwischen bzw. vollkommen Löschen. Es durfte nicht der leiseste Verdacht vorhanden sein, dass wir jemals zusammen hier waren, oder ich der Verbündete eines Werwolfes war.

47 (Brendan)

Plötzlich kniete Christian neben mir und begann, mir mit einem Taschentuch die Tränen abzuwischen. Ich muss jedes Gefühl für Zeit verloren haben, denn ich hatte nicht erwartet, dass er schon aufwachen würde. Jedenfalls war ich dankbar, dass er wach war und dass er da war. Er sah mich an und ich konnte sehen, wie sich rote Tränen in seinen Augen sammelten. Ich musste mich beherrschen, nicht gleich noch stärker loszuheulen, denn nie zuvor hatte jemand genug für mich empfunden, um Tränen für mich zu vergießen. Und nun berührte ich ausgerechnet das Herz eines Vampirs, der mich eigentlich hassen sollte.
Er versprach mir, neue Kleider zu kaufen und so kletterte ich wieder auf seinen Rücken. Es war längst keine Frage der Geschwindigkeit mehr. Ich fühlte mich inzwischen auf Christians Rücken sicherer und ich genoss es auch ein wenig.
Ich protestierte auch nicht, als er sich in die Lüfte erhob, obwohl mir dieses „Huschen“ eigentlich lieber gewesen wäre. Noch immer war mir unbehaglich bei dem Gedanken, in die Lüfte zu steigen. Wenn ich hätte fliegen sollen, hätte Gott (oder der Teufel?) mir Flügel gemacht. Aber ich vertraute darauf, dass Christian mich nicht würde fallen lassen. Allerdings vergrub ich mein Gesicht in seiner Jacke, um nicht sehen zu müssen, wie hoch wir eigentlich flogen.
Doch nach kurzer verlangsamte sich sein Flug und ich dachte schon, wir wären im Landeanflug. Ich hob den Kopf und erkannte, dass wir langsam und nicht zu hoch über den Feldern flogen. Ich könnte sogar abspringen ohne mich zu verletzen.
So gefiel mir das. Ich spürte den Wind um die Nase herum und konnte die unendliche Freiheit spüren. Es war Vollmondnacht und wenn der Mond erst einmal aufgeht, würde sich dieses Gefühl noch 100-mal verstärken. Ich freute mich darauf wie ein kleines Kind.
Wir beschleunigten wieder etwas und stiegen höher. Mein Adrenalinspiegel stieg ebenfalls, aber es war ein angenehmes Gefühl.
Es war eine so intensive und schöne Erfahrung, dass ich wieder die Zeit vergaß. Der Mond ging auf und ich konnte spüren, wie die Verwandlung begann. Christian schien davon noch nichts mitzubekommen und ich wollte ihn auch nicht beunruhigen. Wir waren keine 20 Meter hoch. Es war zwar ein ordentlicher Satz, aber eigentlich kein Problem für einen Werwolf, so dass wir zumindest nicht in Gefahr waren. Und die Vorstellung sich mit in der Luft zu verwandeln verstärkte mein Gefühl von Freiheit noch.
Christian sah sich um und bemerkte, was vor sich ging. Er setzte zum Sinkflug an. Es war vermutlich auch keine schlechte Idee, denn mit meinen Pfoten konnte ich schlecht Halt finden. Kurz vor der Erde entschied ich mich, abzuspringen, doch leider verfing ich mich irgendwie an Christians Kleidung und so stürzten wir ziemlich unsanft die letzten Meter ab.
Ich ärgerte mich ein wenig über mein Missgeschick. Warum war ich nur so ungeschickt? Aber die Vorfreude überwog. Es gab keinen Kampf zu kämpfen, keinen Hunger zu stillen. Nur die Erfahrung zu machen, als freier, junger Wolf über Wiesen und Felder zu streifen. Und das gemeinsam mit Christian. Dem ersten echten Freund in meinem Leben.

48 (Brendan)

Ich wollte aufstehen und losrennen, aber irgendetwas hielt mich zurück, drückte mich nieder. Was war das? Ich konnte es doch gar nicht erwarten, endlich loszurennen. Dann wurde es plötzlich dunkel und ich spürte, wie mich etwas am Nacken griff. Ein Schauer durchlief mich, doch es war ein ausgesprochen angenehmes Gefühl. Es war, als würde ich wieder fliegen und ich fühlte mich sicher, geborgen wie nie zuvor in meinem Leben.
Bis ich plötzlich unsanft in die Wirklichkeit zurück katapultiert wurde. Ich weiß nur noch, dass ich mir wehtat. Die Umgebung hatte sich geändert, ich war in einer Art Raum. Die Wände kamen mir wie eine Bedrohung vor. Ich wollte nicht wieder in einem Raum eingesperrt sein. Erinnerungen an die Vollmondnächte in der Freakshow kamen sofort wieder hoch. Ich wollte wegrennen und ich sah eine Öffnung, eine Tür. Dort wollte ich hin. Hinter ihr erstrahlte die verheißungsvolle Nacht.
Doch als ich darauf zustürmte, tat sich die Hölle auf. Eine Wand aus Feuer loderte vor mir auf und ich sah mein Opfer der letzten Nacht in ihrem Schein. Die Flammen blendeten mich, der Rauch betäubte meine Nase. Er war gekommen, um mich zu holen. Ich glaubte, sein höhnisches Lachen zu hören. Wie der Teufel persönlich stand er inmitten der Flammen. Wieder sah ich die Bilder der letzten Nacht in mir aufsteigen. Nun war er also gekommen, mich zu verdammen. Es war kein Aberglaube. Ob die Flammen echt waren oder ich sie mir nur einbildeten, weiß ich nicht. Der Grauen, den sie erzeugen, war jedenfalls echt.
Es gibt nichts, wovor ich mehr Angst habe, als Feuer. Vermutlich liegt es in meiner Natur, dass ich das Feuer fürchte. Schon eine Kerze bereitet mir Unbehagen. Und nun war ich inmitten eines flammenden Infernos. Eingeschlossen, hilflos. Ich hatte Angst. Unendliche Angst. Ich würde verbrennen, bei lebendigem Leib. Oder war dies das Fegefeuer, aus dem mich nicht einmal der Tod erlösen würde? Einen Moment war ich versucht es auszuprobieren, mich in die Flammen zu stürzen. Doch die Angst war übermächtig. Giftiger Qualm schnitt mir die Luft ab. Und überall um mich herum Flammen. Die Wände schienen näher zu kommen. Bald würden Sie mich erdrücken. Ich versuchte, durch die steinernen Wände zu brechen, doch vergeblich. Sie waren zu massiv.
»Christian! Wo bist du? Rette mich! «
Doch in dieser tierischen Verfassung konnte ich keine Gedanken zu ihm schicken, brauchte man doch mentale Kontrolle dafür. Und die hatte ich nicht. Ich war in Panik. Ich wollte flüchten, doch es gab keinen Ort, wohin ich fliehen konnte. Und Kämpfen konnte ich auch nicht. Ich war alleine mit meiner Angst.
Der Rauch wurde dichter. Er brannte in meinen Augen und in meiner Lunge. Er benebelte meine Sinne. Ich sah riesige Scharen von Fledermäusen über mich herfallen, angeführt von meinem Opfer. Ich wollte mich verteidigen, biss Blindlings um mich, doch ich bekam keine zu fassen. Waren sie überhaupt da? Oder waren es Rauchschwaden, die sich auf mich stürzten? Es machte keinen Unterschied.
Das Atmen fiel mir immer schwerer und ich spürte, wie ich müde wurde. Aber ich durfte nicht einschlafen. Ich spürte, dass es meinen Tod bedeuten könnte, wenn ich der Versuchung erlag, mich hinzulegen. Ich hustete. Meine Lungen schmerzten. Die Hitze wurde unerträglich. Mit aller Kraft versuchte ich, mich auf den Beinen zu halten. Die Flammen loderten immer noch um den verheißungsvollen Ausgang herum. Dann wurde es schwarz um mich herum.

49 (Christian)

Der Morgen dämmerte langsam und Wolken zogen auf. Der Mond stand kurz vor dem Untergang. Ich blickte ins Mausoleum und Brendan hatte sich irgendwann schlafen gelegt. Das Feuer war auch fast nur noch Glut und Asche. Würde er wohl den Tag schlafen, nachdem er die Nacht über getobt hatte? Ich wusste es nicht. Der Mond verschwand und Brendan begann noch heftiger sich zu schütteln und zu ruckeln, zu zittern und zu schwitzen und der von mir beobachtete Vorgang vollzog sich. Ich hätte eigentlich jetzt mit Brendan reden müssen über unsere bevorstehende Flucht, doch er war nicht ansprechbar. Ich ging mit einem großen Schritt über die Glut zu Brendan und versuchte ihn zu wecken. Vergebens. Ein kurzes Grummeln und das war es. Also schulterte ich ihn wieder und huschte zu unserem Mausoleum. Die Zeit lief mir davon. Die Hähne der umliegenden Bauernhöfe begrüßten den Morgen bereits und die Sonne würde mich sofort verbrennen, in Anbetracht der Tatsache, dass ich seit mehreren Nächten kein frisches Blut zu mir genommen hatte, war mein Organismus für Tageslicht empfindlicher. Wir gingen gemeinsam durch das Portal und hinter mir schlossen sich, wie von Geisterhand, die Türen feste zu und verriegelten automatisch. Ich legte Brendan erstmal ab. Ich erinnerte mich an das wohlige Gefühl beim Sterben in der vergangenen Nacht, als Brendan auf mir lag. So fertig wie er war, ging ich das Risiko ein. Ich legte mich wieder in gewohnter Manier hin und zog Brendan über den Rand zu mir. Einen Moment wartete ich noch, bevor ich den Deckel schloss und betrachtete die Fresken an der Decke. Ich würde dieses kleine, friedliche Mausoleum vermissen, war es mir doch über viele Jahre mein Zuhause. Es schmerzte mich, erneut ein Zuhause zu verlassen. In eine ungewisse Zukunft, nicht wissend, was einem in der nächsten Nacht so passieren könnte, oder gar würde. Ich hoffte, dass Brendan sich zu einem wertvollen Gefährten entwickeln würde…
Mit diesen Gedanken im Kopf erhob sich die Sonne hinter einem wolkenverhangenen Himmel und mein Blutdruck sank auf Null, mit Brendan auf meiner Brust und der Deckel des Sargs schloss sich so lautlos, wie in der Nacht zuvor.

50 (Christian)

Ich wurde pünktlich zum Sonnenuntergang wach und öffnete meinen Sarg. Brendan war offenbar aufgestanden, denn ich befand mich alleine im Sarg. Als ich mich aufsetzte, hörte ich ein prasselndes und plätscherndes Geräusch. Es regnete. Wie ich am Eingang sehen konnte, muss es den ganzen Tag geregnet haben, denn im Eingangsbereich sammelte sich Wasser. Der Vorteil von Regen war, dass dann wenige Menschen unterwegs war; der Nachteil bei lang anhaltendem Regen, sich fließende Gewässer bilden konnten und nach der Mythologie zu urteilen, schwemmt diese unsere Seele fort. Ob es stimmte, wusste ich nicht, wollte es aber auch nicht am eigenen Leib erfahren.
Mir fiel Brendan ein und dass heute die 2. Vollmondnacht sein würde. Für den Vollmond war es aber noch zu früh. Also stand ich auf und machte mich auf die Suche.
Nachdem ich die Türen geöffnet hatte, fand ich Brendan, der am kaputten Brunnen versuchte seine Kleider auszuwaschen. Das Wasser in dem Brunnen war klar und frisch, aber ohne Seife wäre es schier unmöglich, die getrockneten Blut- und Matschflecken rauszubekommen. Er putzte und schrubbte schon mit richtiger Verzweiflung an seinen Sachen. Selbst wenn er sie sauber bekommen würde, wäre da immer noch das Problem der Löcher.

51 (Brendan)

Als ich erwachte, wusste ich nicht, wo ich war. Dunkle Bilder von Feuer und Rauch erreichten mein Bewusstsein. Ich schrak hoch und knallte mit dem Kopf gegen etwas Hartes. War es alles nur ein Albtraum gewesen? Angst, Panik, Feuer. Das waren meine Erinnerungen an die letzte Nacht. Und die Heimsuchung meines Opfers. Würde es von nun an immer so sein?
Langsam wurde mir bewusst, wo ich war. Ich lag wieder in Christians Sarg. Noch vor ein paar Tagen erfüllte mich die Vorstellung, in einem Sarg zu liegen, mit Grauen. Jetzt war es für mich der sicherste Platz auf der Welt. Irgendwie hoffte ich, Christian würde mich vor einer erneuten Heimsuchung meines Opfers beschützen. Auch wenn ich nicht wusste, wie er das anstellen sollte. Ich war wohl dazu verdammt, von nun an jeden Vollmond einen wahren Albtraum zu erleben. Aber vielleicht war das die gerechte Strafe für mich.
Ich hatte etwas Angst, den Sarg zu verlassen, als könnte ich dort auf meine Dämonen stoßen. Irgendwann überwand ich mich dann aber doch. Auf meinem Nachtlager sah ich die zerfetzten und blutbesudelten Kleider liegen. Ich hatte das Gefühl, auch an meinen Händen Blut zu fühlen und zu riechen.
Ich schnappte mir die Kleider und zunächst wusch ich mich selber in dem kalten Brunnenwasser. Es regnete in Strömen und irgendwie passte das Wetter zu meiner Stimmung. Die Temperatur machte mir nichts mehr aus. Ich habe einen alten Handfeger gefunden, der eigentlich zum säubern der Beetplatten bestimmt gewesen sein musste und nutzte ihn nun, um mich abzuschrubben. Ich schätze, dass ich mich stundenlang geschrubbt habe und trotzdem fühlte ich mich noch schmutzig. Ich fror und meine Haut war ganz wund. Dann kümmerte ich mich um die Kleider. Ich wollte jeden Tropfen Blut aus ihnen herausbekommen. Ich hatte das Gefühl, damit auch mich selbst ein wenig reinigen zu können, obwohl es sinnlos war. Ich bekam das Blut aus den Kleidern nicht heraus. Sie waren wie ein Mahnmal meiner Untat. Trotzdem gab ich nicht auf. Ich musste sie sauber bekommen, koste es was es wolle.

52 (Christian)

Ich ging zu ihm hin und erweckte ihn aus der Trance, in der er sich befand. Er hing offenbar an dieser Kleidung wie an seinem Leben. Er ist einfach zu menschlich und sensibel in vielen Aspekten.
„Guten Abend Brendan, lass die Kleidung. Nimm etwas von mir und wir gehen in die Stadt und besorgen dir neue Anziehsachen. Wir benötigen eh einige Dinge, da wir Abreisen müssen.“
Er guckte mich wortlos fragend an. Noch immer hielt er seinen kaputten Pulli, Jeans und Shirt in der Hand. Ich nahm es ihm einfach weg und packte ihn am Arm und zog ihn ins Mausoleum. Als wir drin waren, schob ich ihn in meine Kleiderecke und mit seinen Sachen ging ich zum ewigen Licht und hielt sie über die Flamme. Da sie nass waren, fingen sie nicht sofort Feuer. So half ich dem Feuer etwas nach und ließ die Flamme stärker werden. Dabei beobachtete ich Brendan aus dem Augenwinkel, der sich abtrocknete. Als die Flamme groß genug war, fingen seine Anziehsachen an zu lodern. Es durfte nichts mehr übrig bleiben und mussten alle vampirische und wölfischen Spuren löschen. Nichts sollte mehr darauf hinweisen, dass jemals jemand hier war. Als die Anziehsachen mit einem Mal lichterloh brannten, zuckte Brendan zusammen und guckte ängstlich zu dem Feuer in meiner Hand. Was mir Unbehagen bereitete, war Brendans Schweigen. Er schien von den Ereignissen traumatisiert und schockiert. Er war den ganzen Umständen nicht gewachsen und ich fühlte mich schuldig. War es mein Auftreten auf dem Jahrmarkt, der ihn aus seiner Welt heraus gerissen hatte. Eine Welt in der er gequält wurde, aber dennoch war er sicher vor wildernden Vampiren. Manchmal bieten auch Peiniger einen gewissen Schutz. Doch nun gab es kein Zurück mehr. Wir mussten den Weg nun gehen, ob wir wollten, oder nicht. Das Schicksal hat uns einfach zusammen geführt. Was jedoch unser gemeinsamer Auftrag ist, weiß ich nicht und Brendan sicherlich noch weniger. Ich hätte gerne Paul um Rat gefragt. Ich musste das Risiko auf mich nehmen, ihn per Gedanken zu erreichen. Es besteht zwar die Gefahr, dass ein anderer Vampir die Gedanken auffängt, aber ich hoffte auf mein Glück, dass ich es merken würde und den Gedankenfluss sofort unterbrechen würde.
<Paul. Ich brauche Deine Hilfe.>
Nichts geschah. Ich hatte keine Gedanken von ihm im Kopf.
<Paul! Hilf mir!> meine Gedanken wurden heftiger und intensiver.
Wie aus weiter Ferne, erreichte mich Paul.
<Treffen in 2 Stunden auf dem Feld wo Du abgestürzt bist. Sei auf der Hut und pass auf Deinen Wolf auf. Es steht ein Kopfgeld auf ihn aus. Erreich mich nicht mehr. Es sind Gefährliche Zeiten angebrochen.>

Von jetzt an zählte jede Minute. Ich warf meinen ganzen Besitz in meinen Reisesarg und kümmerte mich kaum um Brendans Unverständnis. Nachdem alles in dem Sarg drin war, schnappte ich ihn mir und huschte zu einem alten Vorratsschuppen in der hintersten Ecke im Friedhof. Dann huschte ich zurück. Ich glaube, Brendan war noch verwirrter. Ich hatte ihm beim Einpacken eine schwarze Jeans und ein schwarzen Pulli hingeworfen. Die Hose hatte er bereits an, während er umständlich in den Pulli schlüpfte. Meine Tiere kannten die Aufbruchsstimmung. Max kotete in verschiedene Ecken, ebenso Jimmy. Akasha drückte ein übel riechendes Sekret aus ihrer Kloake. Sie machten es, da sie wussten dass der starke Amoniakgeruch keine Spur und Geruch von uns hinterlassen würden. So roch es für einen Jäger der Vampire einfach nur nach Tier.
Ich wies meine Tiere an, auf meine Sachen im Vorratsschuppen aufzupassen und sie machten sich gemeinsam auf den Weg. Ich kontrollierte meine Hosentasche und fand das Geld darin, was ich vor 2 Tagen eingesteckt hatte. Ich wies Brendan an, mir zu vertrauen und wieder auf mein Rücken zu klettern. Während er aufstieg nahm ich schon Anlauf und bei erreichen der Türschwelle hob ich hab, drehte eine Kurve und guckte auf das Mausoleum. Mit einem Schlag ließ ich die Türen zuschlagen und hoffte, dass diese sich ineinander verkeilten.
Ich stieg hoch in die wolkige Nacht, ohne auf Brendans Angst Rücksicht zu nehmen. Das Überleben stand jetzt an erster Stelle.
Es regnete noch immer aus dicken Wolken und es schien, als wollte es nie wieder aufhören. Der Regen störte die Thermik und ich musste beschleunigen, da ich mit Brendan eine zusätzliche Last beförderte.
Wie am Abend zuvor, erreichten wir nach wenigen Minuten den Stadtrand und ich landete. Brendan kullerte bei der Landung von meinem Rücken und stöhnte vor Schmerz. Nach dieser Nacht würde ich erstmal seine ganzen Wunden heilen müssen.
Ich half Brendan auf und der Flug und der Regen schienen seine Geister geweckt zu haben.
„Hey alles O.K. bei Dir.“ fragte ich mit einem Grinsen, um die Atmosphäre aufzulockern. Er nickte stumm.
„Pass auf. Ich erkläre Dir alles später. Du kennst den Ablauf. Geh in den Laden und besorg alles was Du brauchst. Vor allem etwas, was Dich wärmt. Eine Jacke oder Mantel und feste Schuhe. Am besten in doppelter Ausführung. Kauf auch einen Rucksack, in dem du alles Verstauen kannst, sowie Streichhölzer; aber nicht zu wenige.“
Er drehte sich um und schlürfte davon.
„Brendan“ rief ich. „Beeil Dich. Wir müssen Paul in Kürze treffen. Wenn Du fertig bist, komm direkt wieder hierhin zurück.“
Aufgrund meines Drängelns schritt Brendan mit großen Schritten davon in die Stadt.
Als er in dem Kaufhaus verschwunden war, lief ich ebenfalls in die Stadt und besorgte in einem kleinen Laden mit gemischtem Sortiment Büchsenfleisch, Vogelfutter und verschiedene Getreide und getrocknetes Obst für Jimmy. Ich hoffte, dass Brendan einen Rucksack bekommt, der groß genug war, alles zu verstauen.
Nachdem ich alles hatte und bezahlt hatte, verließ ich den Laden und stand mit meinen Taschen wieder in einem noch stärkeren Regen. Niemand war auf der Straße zu sehen und so huschte ich zu der Stelle zurück, wo ich mich von Brendan getrennt hatte.
Als ich dort ankam, kam Brendan auch aus dem Kaufhaus zurück und wie ich an seinen Tüten erkennen konnte, hat er meinen Rat befolgt. Selbst der Rucksack, den er auf den Schultern trug, sah aus, als plane er eine Weltreise. Aber genau das war Richtig.
<Guter Wolf.> dachte ich. Er schien offenbar gelernt zu haben.

53 (Brendan)

Plötzlich stand Christian neben mir. Er nahm mir die Kleider aus der Hand. Einen Moment lang wollte ich sie nicht hergeben, doch ich konnte auch keinen Widerstand leisten. Er hielt sie über die Flammen und obwohl sie nass waren, gingen sie plötzlich lichterloh in Flammen auf. Ich zuckte regelrecht zusammen. Die Flammen erinnerten mich an meinen Albtraum von letzter Nacht. Noch eine Vollmondnacht stand mir bevor und ich freute mich ganz und gar nicht mehr darauf. Sollte ich Christian davon erzählen? Ich wollte nicht alleine sein mit meinen Ängsten. Doch Christian wurde plötzlich hektisch. Es war, als würde er fliehen. Ich begriff, dass er die Kleider nicht verbrannte hatte, um mich davon zu befreien, sondern um alle Spuren zu verwischen.
Er hatte keine Ahnung, was in mir vorging. Aber wie sollte er auch. Ich frage mich nur, was er von letzter Nacht wusste. Ich war ja mit ihm zusammen aufgebrochen. Ich würde gerne mit ihm darüber sprechen, aber gleichzeitig fürchtete ich mich davor, zu erfahren, was gestern passiert ist.
Meine Erinnerungen an Feuer und Qual waren wirr und dämonisch. Und davor konnte mich offensichtlich auch Christian nicht beschützen.
Er sagte kein Wort und wollte wohl schnell aufbrechen. Ich stieg wieder auf seinen Rücken, aber es war ganz anders als gestern. Wir waren definitiv auf der Flucht und er schien Angst zu haben. Bestimmt lag es an der Begegnung im Park. Der Tote Vampir verfolgte uns wohl nicht nur in meinen Träumen, sondern auch in der realen Welt. Ich hatte gehofft, Christian da herauszuhalten, indem ich den Kampf alleine aufgenommen habe. Aber die Konsequenzen betrafen uns beide, solange wir zusammen waren. Ich fühlte mich schuldig und fragte mich, ob es nicht besser wäre, alleine weiter zu ziehen, um ihn nicht in Gefahr zu bringen.
War es nicht egoistisch von mir, ihn da mit rein zu ziehen? Meine Probleme mit Heinrich gingen ihn nichts an und er hatte mich schon einmal gerettet.
Wir flogen durch die Nacht und ich hatte Mühe, mich auf seinem Rücken zu halten. Meine Höhenangst kam wieder auf und ich musste mehrmals den Drang unterdrücken, einfach abzuspringen.
Schließlich landeten wir auf einem Feld und düstere Erinnerungen an die letzte Nacht kamen wieder hoch, ohne dass ich sagen könnte, woran das lag. Jedenfalls würde es nicht mehr lange dauern, bis der Mond aufging.
Christian schicke mich los, Einkäufe zu erledigen. Er wollte Streichhölzer haben und einen Moment war ich versucht, sie einfach nicht zu kaufen. Meine Angst vor Feuer wurde langsam übermächtig. Aber ich überwand mich und kaufte gleich ein Vorratspack. Ich vertraute Christian.
Ich kaufte Unmengen an Sachen ein, die wir für die Reise vielleicht gebrauchen könnten. Dann traf ich Christian auf dem Feld wieder.

54

B: „Hallo Christian!“
C: „Hast du alles bekommen?“
B: „Ja, ich denke schon.
C: „Was hast du alles?“
B: „Also ich habe warme Kleidung, was zu Essen, ...“
C: „Hast du an die Streichhölzer gedacht?“
B: „Ja, klar. Obwohl ich nicht weiß, wofür du Streichhölzer brauchst.“
C: „Wirst du noch sehen.“
„Gefallen dir die Anziehsachen?“
B: „Sie passen nicht ganz, aber sie sind sehr schick. Danke schön. Ich weiß nur nicht, wie ich sie dir zurückzahlen soll.“
C: „Wir müssen uns beeilen. Wir treffen gleich Paul und wir müssen weg von hier.“
B: Ich erschrak ein wenig als er Paul erwähnte. Er war mir irgendwie nicht geheuer. Vielleicht lag es an seinem Aussehen.
„In Ordnung.“
C: „Paul ist in Ordnung. Mach dir keine Sorgen. Er ist unsere einzige Chance, die wir haben.“
B: „Wie schlimm ist es denn?“
C: „Ziemlich schlimm. Du hast einen Wächter des Prinzen getötet. Sie werden dich jagen und erlegen.“
B: „Es tut mir leid, dass ich dich da mit reingezogen habe.“
C: „Unser Vorteil ist, dass dich bisher noch niemand kennt. Kannst du nur dein Gebiss kontrollieren und sie wachsen lassen?“
B: „Das ist schwierig, aber es müsste gehen. Warum?“
C: „Dann könntest du dich als Vampir vorerst tarnen. Egal. wir müssen zu Paul. Fliegen oder Huschen?“
B: „Entscheide du. Aber bist du dir sicher, dass du das tun willst? Noch hängst du nicht mit drin. Ich habe ihn getötet und es ist mein Kopf, hinter dem sie her sind. Vielleicht soll es so sein.“
C: „Ich hänge tiefer mit drin, als du erahnst. Steck die Anziehsachen in den Rucksack und kletter auf mein Rücken.“
B: „O.K. Danke.“
„Darf ich dich was fragen? Warum tust du das alles für mich? Die Kleider und der Ärger mit deinen Brüdern und so.“
C: „Es sind nicht meine Brüder und du kannst nicht ewig rumlaufen wie ein Penner.“
Und wieder kletterte Brendan auf mein Rücken. Ich kam mir langsam vor, wie ein Esel oder ein Bus
B: „Ja, klar.“ ich kletterte wieder einmal auf seinen Rücken.
Es war ja schon fast zur Gewohnheit geworden und irgendwie war es spannend.
C: Ich entschied mich für das Huschen und lief mit ihm los. Nach wenigen Minuten erreichten wir den vereinbarten Treffpunkt und ich wunderte mich, dass Brendan nicht mehr wissen wollte. Wahrscheinlich ist er das Herumziehen gewohnt.
Nach wenigen Minuten erreichten wir die Stelle, wo wir gestern abgestürzt waren. Paul hockte in dem hohen Gras.
B: Ich sah den Nosferatu wieder und er war mir immer noch unheimlich. Seine Drohung bei unserem letzten Treffen kam mir wieder in den Sinn.
C: Paul grinste ein wenig, als Brendan von meinem Rücken herunter kletterte.
„Sieh an, der Wolf. Hast du nicht gesagt du frisst keine Vampirherzen?“ funkelte ihn Paul direkt an
B: Ich war etwas erschrocken und verwirrt. Wie meinte er das?
Er wusste also von meiner Tat.
C: „Du Mörder!. Bringst uns alle in Gefahr.“ meckerte Paul
B: „Er hat mich angegriffen! Ich hab mich nur verteidigt!“
C: „Enden deine Verteidigungen immer in Mord?“ Paul fragte einfach weiter und ignorierte mich.
B: „Es war ein Kampf auf Leben und Tod. Ich hatte keine Wahl.“
C: „Ich sollte dich ausliefern. Aber du bist Christians Freund, warum auch immer und Christian ist mein Freund, das bedeutet, dass du auch mein Freund bist.“
B: Als hätte ich nicht genug mit den Folgen zu schaffen. Auf Pauls Anschuldigen konnte ich jetzt wirklich verzichten.
„Nett, wie du mit deinen Freunden redest.“
C: „Nett das unsere Freunde Mitglieder unserer Clans töte.“ sagte Paul verärgert.
B: „Nur wenn sie mich töten wollen.“
„Er war auf mich angesetzt. Er hat nicht zufällig einen Tipp bekommen?“
C: „In einer Nachtreise von hier findet ihr eine Höhle, die tief genug ist, um sich zu verstecken und sicher vor Sonnenlicht ist. Ich habe dir für 23:00 Uhr einen treuen Fahrer und einen Leichenwagen organisiert. Er kennt den Weg und ihr könnt ihm Vertrauen.“
Paul überging Brendans Bemerkungen mit einem abweisenden Blick und machte sich nicht mal die Mühe, ihm zu antworten
„Ihr könnt in der Höhle nicht lange bleiben. 2 Nächte höchstens. Sie sind euch auf der Spur. Ich werde ein paar falsche Fährten legen und sie in die Irre führen. Schlagt euch mindestens 5 Städte weiter Richtung Küste.“
„Brendan. Ich vertraue dir mein Juwel an für den Tag. Wenn du mich enttäuschst, jage und erlege ich dich persönlich. Tarn dich tagsüber als Bestatter, der einen Sarg überführt.“
B: „Du kannst dir deine Drohungen sparen. Ich bin kein Verräter.“
C: „Vielleicht kein Verräter, aber du bist unerfahren, unbedacht und plump.“
B: „Und du bist freundlich wie immer! Können wir jetzt aufbrechen, Christian?“
C: „Du kannst nicht Huschen, Fliegen oder sonst irgendwas.“
B: „Das Problem mit euch Blutsaugern ist, dass ihr euch ständig selbst überschätzt!“
C: „Geh einen Baum anpinkeln. Ich muss mit Christian reden. Allein!“
B: „Du bist ja nur neidisch, weil dein Wasser schon lange versiegt ist!“
Mit einem abfälligen Grinsen drehte ich mich um und ging.
C: Paul knurrte ihn an und entfesselte einen Orkan hinter ihm. Zum einen, damit er endlich ging, zum anderen, weil er offenbar keine Zuhörer wollte.
B: Amüsiert hörte ich, wie Paul im wahrsten Sinne des Wortes aufbrauste.

55 (Christian)

Brendan ging als Verliere aus diesem Disput heraus. Er war Paul mit seinen Redewendungen und Schlagfertigkeit einfach nicht gewachsen. Das war eben der Vorteil, wenn man so viele Jahrhunderte lebt, verhandelt, sich versteckt und phasenweise triumphiert.
Es gab mir dennoch einen Stich, dass er Brendan so schlecht behandelte; um ehrlich zu sein, es missfiel mir richtig. Brendan war genau so ein Ausgestoßener wie wir. Nein eigentlich war er noch schlimmer dran, denn er hatte niemanden. Ich hatte meine Familie und meinen Clan, Paul hatte den Clan und Brendan hatte nichts. Nur einen Berg an Probleme. Er wusste nicht, wo er her kommt und was sein Ziel war. Er wurde verfolgt von einem geldgierigen Fettsack und jetzt auch noch von einer Horde Vampire auf Rachezug.

Während ich so nachdachte, guckte Paul mich intensiv an. Er las meine Gedanken und Gefühle. Ich hatte gar nicht gemerkt, dass er meine Hand hielt.
„Du solltest nicht so intensiv fühlen für diesen Köter. Eigentlich solltest du gar nicht fühlen.“ meinte Paul mit kalter Stimme, aber warmen Blick.
„Er ist mein Freund. Wir sind verbunden und ich habe von seinem Leben erfahren. Er hat niemanden.“ sagte ich.
„Ein Freund, der Probleme macht, ist kein Freund.“ Pauls Stimme bekam einen feindseligen Unterton.
„Paul! Er kann nichts dafür. Es war Zufall, oder Schicksal, dass sich unsere Wege kreuzen. Er ist eigentlich gut im inneren. Er hatte nie einen Rudel, er hatte nie Freunde und keinen Alpharüde. Woher soll er das wissen? Woher soll er Wissen bekommen.“ verteidigte ich Brendan.
„Du denkst, also dass du Christian als Jungvampir ihm etwas beibringen kannst? Du bist ein Narr, wenn du das glaubst. Er ist dein Untergang.“
„Du bist einfach nur ungerecht. Du versuchst mich, wie vor unserem Bruch, in deine Geschichte zu verstricken. Diesen Krieg zwischen uns, der ist wahrscheinlich älter als du und existiert nur in Köpfen von den Alten und der Talamasca. Ich will damit nichts zu tun haben und wenn, dann finde ich es selbst heraus. Ich danke dir, dass du uns geholfen hast und die Risiken, die du eingehst.“
Paul sah mich scharf an.
„Christian, ich helfe dir immer und bin immer für dich da. Das ist unser Codex. Und so ist es auch mein Pflicht dich zu wahr…“
Paul brach mitten im Satz ab. Unsere empfindlichen Ohren nahmen ein furchtbares Jaulen war und wir wussten sofort was passiert war. Ich schwang mich in die Luft, während Paul die restlichen Wolken vor den Vollmond beschwor und einen Bruchteil einer Sekunde war er hinter mir. Sein Aussehen hatte er geändert. Sein Gesicht glich einer Fratze des Bösen, seine Augen leuchteten in der Nacht blutrot. Sein Mund war geöffnet, wie bei einem Tier zum Angriff. Zum Unterschied bei mir, ich hatte nur Reißzähne; er hingegen hatte nur spitze Zähne wie ein Hai und die Fangzähne waren etwas länger.
In dem rasenden Flug zu Brendan hin schickte ich meine Gedanken an Paul, er möge sich zurückhalten und nur im Notfall eingreifen.

56 (Brendan)

Ich versuchte, möglichst gelassen zu wirken, als ich mich von Paul und Christian entfernte, aber innerlich tobte ich. Mein Heißblut ließ sich kaum noch im Zaum halten und ich fand Pauls Bemerkungen unpassend und beleidigend. Trotzdem hatte ich das Gefühl, aus unserem kleinen Wortgefecht als Sieger davon gegangen zu sein.
Am Rand des Felds verlief ein kleiner Bach, umzäunt von allerlei Büschen und ein paar Bäumchen. Der Bach plätscherte munter vor sich hin und erschien wie ein kleines Refugium des Lebens quadratischer Monokulturen. Hierhin zog es mich fast magisch. Ich kniete mich an seinen Wasserlauf und benetzte das Gesicht mit dem kühlen, klaren Wasser. Ich atmete tief durch, als sich in dem Wasser plötzlich die blassen Strahlen des aufgehenden Mondes brachen. Meine Pupillen weiteten sich und ich spürte, wie der Werwolf in mir hervorbrach. Ungestüm und unaufhaltsam.
„Das ist nicht gut!“ schoss es mir durch den Kopf. Mein Blut war immer noch erregt von dem Gespräch mit Paul und auch ohne die zwingende Macht des Mondes ist es mir schwer gefallen, den Wolf in mir zu bändigen. Mehr als einmal hatte ich während des Gesprächs den Wunsch verspürt, mich einfach auf Paul zu stürzen und gemerkt, wie meine Zähne zu wachsen begonnen haben. Aber jetzt war jeder Widerstand zwecklos. Trotzdem versuchte ich, dagegen zu kämpfen. Ich musste Christian irgendwie informieren, doch es war bereits zu spät. Der Wolf übernahm unweigerlich Kontrolle über mich. Meine Gestalt veränderte sich. Ich schaffte es gerade noch, die Kleider auszuziehen. Ich hatte bei der Auswahl extra darauf geachtet, dass sie weit und leicht auszuziehen waren. Ich versuchte, Christian zu warnen, doch ich war nur noch imstande, zu knurren.
Ich kochte innerlich. Es war, als würden Wut, Schmerz und Angst der letzten Jahre in mir hervorbrechen und sich zu einem Orkan, einer Urgewalt verbinden. Meine Glieder spannten sich und ich hob den Kopf zu angsteinflößenden Heulen, das durchdringender und intensiver als jedes Wolfsgeheul war. Der Ruf eines Werwolfes. Noch weit entfernt, bis tief in die Stadt würde man es hören können.
Ein Duft stieg mir in die Nase. Vampire! Ihr Geruch ist unverkennbar. Mein Peiniger war wieder da. Doch diesmal würde er mich nicht in einer Flammenhölle einschließen. Ich sprintete los und galoppierte auf die zwei Gestalten zu, die auf dem Feld standen. Ich erkannte sofort meinen Peiniger von letzter Nacht wieder. Der Geist meines Opfers? Er schien körperliche Formen angenommen zu haben und ich war fest entschlossen, es mit ihm aufzunehmen. Der Zweite war plötzlich verschwunden und etwas traf mich hart in die Seite. Ich überschlug mich mehrfach, doch es gelang mir, aus dem Schwung heraus wieder auf alle vier Pfoten zu kommen und hielt weiter, mit nahezu unverminderter Geschwindigkeit auf meinen Peiniger zu. Meine Wut und Entschlossenheit waren unaufhaltbar.
Ein Feuer entstand in seiner Hand, das unmittelbar zu einem Inferno heranwuchs, eine Feuerwand die auf mich zuschoss. Doch nicht einmal sie konnte meinen wilden Ansturm bremsen. Ungeachtet der Folgen sprang ich auf das Feuer zu. Es versengte mein Fell etwas und ich konnte die Hitze Spüren, doch dann war ich durch und landete direkt auf meinem Angreifer. Ich wollte in seine Brust beißen, doch er war schnell genug, um seinen Arm zwischen sie und mein Maul zu bringen und so verbiss ich mich in ihn. Ich biss zu und schüttelte mit meinem Kopf wild an seinem Arm, als ich plötzlich einen gewaltigen Schlag erlebte, der mich meterweit durch die Luft beförderte. Unsanft landete ich auf dem Feld, rollte mich ab und stand unmittelbar wieder auf allen vier Pfoten.
Ich drehte mich um. Meine Augen glühten, ich zog die Lefzen hoch und entblößte meine furchteinflößenden Reißzähne. Meine Nackenhaare stellten sich auf und mein Fell dampfte noch von der Begegnung mit dem Feuer. Ein tiefes, hasserfülltes Knurren verließ meine Kehle. Dann setzte ich zum erneuten Angriff an.

57 (Brendan)

Wieder schoss eine Feuerwand auf mich zu, doch diesmal gelang es mir, ihr in letzter Sekunde auszuweichen, indem ich einen Haken schlug. Wieder sprang ich auf den Vampir zu, doch wie von Zauberhand erhob sich dieser in die Lüfte und entging so meinem Angriff. Ich schaute nach oben. Er schwebte hoch über mir, ein schwarzer Schatten im vollen Licht des Mondes. Nur seine rot glühenden Augen waren zu erkennen.
Zu hoch, um ihn mit einem Sprung zu erreichen. Ich knurrte enttäuscht und schnappte noch einmal in die Luft, wohl wissend, dass er mir entkommen war. Meine Augen suchten den Boden ab und der Geruch des Nosferatu stieg mir in die Nase. Sofort mache ich kehrt und hielt auf ihn zu. Ich würde meine Beute heute Nacht noch reißen!
Der Nosferatu stand hoch aufgerichtet da, als ich auf ihn zujagte. Er blickte mich geradezu ausdruckslos an, selbst als ich zum Sprung ansetzte. Seine Glieder spannten sich nicht und er machte auch keinerlei Anstalten, mir auszuweichen.
Fast schon kam Enttäuschung über den leichten Sieg in mir auf, als seine Hand urplötzlich vorschnellte und sich während des Sprungs um meine Kehle legte.
Mühelos fing sie die Wucht meines Aufpralls ab und schleuderte mich in der Luft herum. Einen Sekundenbruchteil später fand ich mich auf den Rücken liegend wieder, fixiert von der stählernen Klaue des Vampirs, die sich wie ein Schraubstock um meine Kehle gelegt hatte. Meine Pfoten strampelten hilflos in der Luft und verzweifelt versuchte ich ihn zu beißen, doch es gelang mir nicht. Ich war panisch. Schaum bildete sich um meine Schnauze. Er bräuchte nur zuzudrücken, um mir das Genick zu brechen. Das Atmen war schwer, doch er drückte mir nicht einmal die Luft ab.
Er beugte sich langsam herab und die Fratze des Vampirs kam wenige Zentimeter vor meiner Schnauze zum stehen. Noch immer biss ich wild um mich, doch ich konnte ihn nicht erreichen. Er legte den Kopf ein wenig schief und schaute mich fast interessiert und neugierig an. Ich konnte seinen fauligen Atem riechen und wusste, dass ich ihm hilflos ausgeliefert war.
„Aus, Pfiffi!“ sagte er. Dann wurde es plötzlich finster um mich herum.

58 (Christian)

Wir landeten kurz vor Brendan. Er war in dem dunklen Feld nicht zu übersehen. Sein sandfarbenes, meliertes Fell und seine bernsteinfarbenen Augen, die wild leuchteten. Ich versuchte auf ihn beruhigend einzureden, doch er schien mich nicht mehr zu kennen und griff mich sofort an. Mitten im Sprung verbiss er sich in meinen Arm. Es brannte im ersten Moment wie Feuer und blutete heftig, aber schon nach einem kurzen Moment spürte ich die wohlige Wärme in mir aufsteigen. Das Zeichen meiner Selbstheilungskraft begann in mir. Mein Blut schoss in den Arm und schloss die Bisswunden. Der angebrochene Knochen suchte in rasender Geschwindigkeit den oberen Bereich. Während dieser Zeit nutzte ich meine Füße um Brendan wegzutreten und flog hoch. Wie in rasender Tollwut schnappte Brendan noch ein paar Mal nach mir, doch ich war außerhalb seiner Reichweite. Brendan jaulte und knurrte seiner entgangenen Beute nach. Während er ein Tanz aufführte, bemerkte er Paul und aus der Drehung heraus raste er auf Paul zu. Dieser ließ sich von dem Angriff nicht beeindrucken und mitten in Brendans Sprung, wehrte Paul ihn ab. Er wirbelte ihn ein paar Mal in der Luft und ließ ihn auf dem Rückenliegen. Mit seiner Rechten verpasste er ihm einen kräftigen Hieb und schickte Brendan vorübergehend in die Wolfsgründe.
„Siehst du was ich meine?“ fauchte Paul mich an. „Los komm! Du musst weiter.“ Pauls Stimme drängte zur Eile.
„Wir können ihn nicht hier liegen lassen. Entweder finden ihn Menschen, oder Vampire. Beides wäre sein Tod.“ flehte ich Paul förmlich an.
„Verdammt noch mal, Christian. Was geht dich seine Problem an?“
„Ich lasse ihn nicht Schutzlos zurück!“
„Verdammt noch mal! In der Hölle soll dieser Köter schmoren. Such seinen Kram und dann nichts wie weg hier!“
Paul packte den Brendan in Wolfgestalt am Kragen und schulterte ihn. Ich huschte mit suchenden Augen über die Wiese und fand einen kleinen Bach und Brendans neue Anziehsachen. Vorsorglich hatte er sie offenbar ausgezogen und sich dann verwandelt. Hätte er sie wieder zerrissen, wäre es langsam teuer mit ihm geworden. Ich sammelte die Sachen auf und huschte zu Paul zurück, der schon ungeduldig auf mich wartete. Als ich ihn erreichte, schwangen wir uns in die Luft und zurück zum Friedhof. Wir landeten in der Nähe des Schuppens, wo ich meine Sachen untergebracht hatte. In nicht mehr allzu weiter Ferne hörte ich ein Auto, was auf dem Friedhof zukam.
Paul fand in dem Schuppen ein paar lange Seile, die einst dazu dienten, die Särge in die Erde hinab zu lassen. Er nahm alle die er fand und schnürte Brendan damit zu einem Paket. Ich beobachtete ihn, wie er mit flinken Fingern die Seile wickelte. Mir war klar, dass er das nicht zum ersten Mal machte und er wickelte Brendan so, dass er sich nicht Strangulieren könnte, ebenso würde er aber aus den Stricken sich selbst befreien können, wenn er sich nach Monduntergang zurück verwandelte.
„Christian! Dein Fahrdienst ist da. Zieh dich um.“ Paul hatte mal wieder an alles gedacht.
Ich zog in großer Eile meine normalen Sachen aus und einen schwarzen Anzug an. Ich packte Brendans Sachen in den Rucksack, den er zuvor gekauft hatte und steckte auch einige meiner Sachen hinein. Die übrigen Sachen packte ich unter der Matte in meinem Sarg und unter die Auskleidung. Ich nahm meine Schlange und meine Ratte und legte sie in den Sarg.
Mittlerweile kam der Wagen näher und ich guckte durch die Gitterstäbe von dem großen Tor und als er dieses erreichte, stoppte der Wagen. Paul hatte einen Leichenwagen organisiert. Ein mir vertrauter Junge stand aus dem Auto aus und grinste etwas verlegen. Er trug ebenfalls einen schwarzen Anzug und eine schwarze Krawatte, dazu eine Schirmmütze. Er sah aus wie ein Bestatter aus einem Film. Dieser Junge war kein anderer als Leander!
Der taubstumme Junge von der Haltestelle.
Geschäftsmäßig ging er zu Paul und hielt ihm einen Bogen mit einem Klemmbrett hin. Paul schrieb etwas, grinste und schaute mich an.
„Deine Sterbeurkunde und Überführungspapiere.“
„Ah.“ sagte ich.
Paul hatte wirklich an alles gedacht.
Leander ging zu meinen Sachen und schulterte den Rucksack und brachte ihn in den Wagen. Als er den verstaut hatte, kam er zurück und stolperte über Brendan, der sich noch immer nicht rührte.
Besorgt guckte ich zu Brendan und Leander. Leander guckte ihn mit großem Interesse und musterte ihn regelrecht.
Ich pendelte mich auf seine Gedanken ein und war auch wieder mal überrascht, als ich diese las.

<Ein Werwolf.>
Er schulterte ihn und ich war überrascht, wie stark er war. Fast mühelos trug er ihn auch in den Wagen und legte ihn auf den Beifahrersitz und zog eine Decke hervor und deckte ihn vorsichtig zu.
Paul guckte mich an und eine einzelne Träne aus Blut glitzerte in seinen Augen.
„Du kennst Leander schon und du kannst ihm vertrauen. Er wird euch eine Zeit lang begleiten. Ich wünsche dir das Glück der Nacht mein Kind.“ Paul schien echte Trauer zu fühlen.
„Danke mein Meister für alles. Wir sehen uns wieder in einer warmen Sommernacht.“
„Es wird Zeit und die Sonne wird bald aufgehen. Verschwinde endlich.“

Ich legte mich in den Sarg und Paul und Leander schlossen den Deckel meines Reisesarges. Ich schloss die Riegel von innen und spürte wie ich auf die Ladefläche geschoben wurde. Eine Tür schlug zu und Leander startete den Motor und rollte los. Das leichte Ruckeln auf dem Naturweg und das surren des Motors ließ mich erneut in einen friedlichen Tod gleiten. In eine ungewisse Zukunft.

59 (Brendan)

Langsam erwachte ich aus einer tiefen Ohnmacht und ich versuchte, mich zu konzentrieren, um nicht gleich wieder ohnmächtig zu werden. Alles drehte sich und ich wusste nicht, wo ich war. Es schaukelte und ich vernahm ein merkwürdiges Geräusch. Ganz allmählich kamen meine Sinne zurück, doch ich war immer noch nicht ganz da. Ich roch etwas. Es roch wie – Mensch! Ich öffnete die Augen. Es war eine merkwürdige Umgebung. Wäre ich in Gestalt eines Menschen gewesen, hätte ich vermutlich sofort erkannt, dass es das Innere eines Autos war. Aber so war es nur eine unglaubliche, fremde und bizarre Umgebung für mich. Ich versuchte aufzustehen, doch es gelang mir nicht.
Das Schaukeln wurde weniger und hörte dann ganz auf und auch das Brummen erstarb. Immer noch drehte sich alles um mich und nur bruchstückhaft kamen mir die Erinnerungen von der letzten Nacht zurück.
In der plötzlichen Ruhe konnte ich den Herzschlag des Menschen hören. Er war schnell, aber nicht so schnell, wie ich es gewohnt war, wenn sich ein Mensch in meiner Nähe befand. Ganz langsam drehte er sich zu mir um und ich konnte zum ersten mal sein Gesicht erkennen. Er schaute mich ernst und intensiv an. Sein Atem ging ruhig und regelmäßig und ich roch auch nicht die Panik und Angst, die ich von Menschen gewohnt war.
Ich war immer noch dabei, zu mir zu kommen und nahm die Welt um mich herum noch sehr verschwommen wahr. Der Mensch streckte langsam die Hand zu mir aus, so dass ich seine Witterung besser aufnehmen konnte. Ich hob die Schnauze ein wenig und roch daran. Es war wie eine Geste der Höflichkeit und mir kam gar nicht in den Sinn, nach ihm zu schnappen, obwohl seine Hand definitiv in Reichweite war. Dann legte ich meinen Kopf wieder auf das Polster ab. Ich hatte wahnsinnige Kopfschmerzen und es drehte sich immer noch alles um mich herum.
Der Junge beugte sich weiter vor und es schien, als wolle er mich streicheln. Ich knurrte und zog ein wenig die Lefzen hoch. Er wich wieder etwas zurück.
Ich wurde zunehmend wacher und versuchte noch einmal, aufzustehen, doch es gelang mir immer noch nicht. Wieder näherte sich langsam seine Hand und ich hob den Kopf, um ihn anzusehen. In seinen Augen spiegelte sich Faszination und Vorsicht und ich hatte den Eindruck, als könne ich ähnlich mit ihm kommunizieren, wie ich es mit Tieren tat. Als würde er mich und meine Körpersprache verstehen. Und er schien keine Angst zu haben.
Noch nie hatte sich mir ein Mensch auf diese Art genähert und im Grunde war es leichtsinnig. Eine schnelle Bewegung und mein Jagdtrieb würde automatisch dafür sorgen, dass ich zubiss.
Doch in der ruhigen und langsamen Art, die er an den Tag legte, ließ ich es tatsächlich zu, dass er leicht mein Fell berührte. Ja, ich genoss es sogar ein wenig. Ich fühlte mich immer noch nicht wohl und legte meinen Kopf wieder auf dem Untergrund ab. Der Junge begann nun, mir langsam über den Körper zu streicheln. Es war ein angenehmes und beruhigendes Gefühl und ich ließ es geschehen. Ich bewegte mich auch nicht, um ihn nicht zu verschrecken. Noch nie wurde ich als Werwolf gestreichelt und es war eine völlig neue Erfahrung für mich.
Der Mensch wurde immer mutiger und seine anfänglich sehr leichte, kaum fühlbare Berührung wurde immer intensiver. Bald kraulte er mich mit beiden Händen und es war wie eine Massage. Zunächst streichelte er mir nur über den Körper, doch bald traute er sich auch, mich zunächst am Nacken und dann zwischen den Ohren zu kraulen. Ich ließ alles geschehen. Ja, ich wagte nicht mal mich zu rühren, um nicht zu riskieren, dass er schreiend wie alle anderen Menschen davon rennen würde.
Nach ein paar Minuten stellte ich allerdings fest, dass ich ziemlich unbequem lag und wollte die Pfoten anziehen und mich richtig hinlegen. Die Ohnmacht war jetzt fast völlig verflogen und ich stellte zum ersten mal Fest, dass es Seile waren, die mich davon abgehalten hatten, aufzustehen. Zum ersten mal nahm ich meine Umgebung bewusst wahr. Es gab keine Rückbank, stattdessen lag dort das Kopfende eines Sarges. Es handelte sich um einen Leichenwagen.
Ich lag in einer ziemlich ungewöhnlichen Haltung auf dem Beifahrersitz. Die Lehne war nach hinten gestellt, so dass ich fast drauf lag. Wie ein Mensch sitzen konnte ich hier jedoch nicht; erst recht nicht in dieser Gestalt, obwohl ich ja immer noch die Ausmaße eines Menschen hatte; vermutlich sogar etwas größer (wenn man sich die reine Körperlänge besah). Die Fesseln machten es jedenfalls zu einer ziemlich unbequemen Angelegenheit. Sie waren gut verschnürt ich kam auch mit der Schnauze nicht dran, um sie aufzubeißen.
Trotzdem brauchte es mehr als ein paar Schnürchen, um einen Werwolf zu halten. Ich kam mir also nicht wirklich gefangen vor; es war eher lästig. Ich bewegte mich ein wenig und versuchte die Pfoten zu befreien, doch es war unmöglich. Ich würde sie schon zerreißen müssen. Dass ich weiter so liegen bleibe, war allerdings auch indiskutabel.
Gerade, als ich mich anspannen wollte, um meine Fesseln zu zerreißen, geschah etwas Merkwürdiges. Der Mensch begann, mit flinken Fingern meine Fesseln zu lösen. Ich schaute ihn verwundert an. Was tat er da? Ich war immer noch ein Werwolf und sein Geruch nach Fleisch und Blut weckte meinen Hunger. Wäre ich in menschlicher Gestalt gewesen, hätte ich ihm den Tipp gegeben, das Auto so schnell wie möglich zu verlassen. Würde er nur eine falsche Bewegung machen, würde ich ihn vermutlich angreifen.
Er ging sehr vorsichtig zu Werke, machte keine schnellen Bewegungen und auch keine Geräusche, was ihm vermutlich das Leben rettete.
Schon bald waren die Knoten gelöst und ich konnte mich endlich aufrecht hinsetzen. Nichts war von meiner Rage und dem Zorn übrig geblieben. Ich war immer noch ein Tier und menschliche Vernunft wirkte nicht auf mich, aber die ruhige und fürsorgliche Art sorgte dafür, dass ich ihn nicht als Beute wahrnahm.
Wieder schaute er mich vorsichtig, aber durchdringend an, gespannt auf meine Reaktion. Ich war verwirrt. Ich spürte immer noch den Drang in mir, loszulaufen, zu jagen und zu kämpfen.

Immer noch war der Sitz viel zu klein und unbequem für mich und ich brauchte eine Weile, bis ich eine Position gefunden hatte, wo ich einigermaßen bequem liegen konnte. Ich lag bäuchlings auf der Rückenlehne, meine Hinterpfoten saßen auf dem Sitzpolster, mein buschiger Schwanz erstreckte sich auf das Armaturenbrett und mein Oberkörper ruhte auf der schräg gestellten Rückenlehne, während mein Kinn auf der Kopfstütze lag. Die Vorderpfoten hatte ich angezogen und ruhten größtenteils ebenfalls auf der Rückenlehne.
Der Junge grinste belustigt. Es musste wohl ziemlich ulkig aussehen.
Warum amüsierte sich eigentlich alle Welt über mich? Offensichtlich war ich nicht mal als Werwolf respekteinflößend.
Der Junge verstummte augenblicklich, als hätte er meine Gedanken gelesen. Oder er konnte mir meine Verärgerung ansehen. Er machte eine merkwürdige Geste, die ich nicht verstand, aber mir war klar, dass er sich entschuldigte. Ich wollte die halbwegs bequeme Position nicht wieder aufgeben, also drehte ich ihm nur den Kopf zu und sah ihn an. Er wirkte jetzt etwas verschüchtert, aber immer noch nicht ängstlich. Eigentlich sollte ich doch froh darüber sein, dass er mich nicht fürchtete, obwohl er ja guten Grund dafür hatte.
Es war merkwürdig, so dicht neben einem Menschen zu sein, ohne dass sich fast armdicke Gitterstäbe zwischen uns befanden. Anfangs hatte mich Heinrich in einem Käfig eingesperrt, der für Raubkatzen bei Wanderzirkussen verwendet wurde. Aber als ein Besucher einmal auf die Idee gekommen ist, mich mit einem Stöckchen zu piesacken, habe ich ihn fast demoliert. Sie mussten dreimal mit einem Betäubungsgewehr auf mich schießen, um mich wieder halbwegs zu beruhigen. Danach hat Heinrich eine Sonderkonstruktion für mich angefertigt, in der ich nicht mal aufrecht stehen konnte. Damit meine ich nicht aufrecht auf zwei Beinen (wie es durchaus konnte, wenn ich wollte), sondern aufrecht auf allen vieren. Und sie war auch nicht viel länger als ich, damit ich mich nicht mehr gegen die Gitter werfen konnte und mit besonders dicken Eisenstangen versehen. „Zu meinem eigenen Schutz,“ wie Heinrich nicht müde wurde zu betonen.
Er liebte es seitdem, mich in dem engen Käfig mit seinem Schirm zu piesacken, weil ich dann besonders wild wurde und seine Eintrittspreise stiegen. Auch den anderen Besuchern erlaubte er, mich zu stupsen oder an meinem Schwanz zu ziehen, der hinten aus den Gittern raus ragte. Einmal hat er mich geflimt und mir die Aufnahmen am nächsten Tag gezeigt, um mir zu zeigen, wie gefährlich ich in diesem Zustand war und was für ein Glück ich doch hätte, dass er sich um mich kümmere.
Es war wirklich erschreckend. Aufgrund der geduckten Haltung, die ich in dem Käfig einnehmen musste, wirke ich immer so, als würde ich gerade zum Sprung ansetzen. Die gebleckten Zähne zeigten mein riesiges Gebiss, dominiert von den langen Reißzähnen, wie sie in dieser Größe seit der Zeit der Dinosaurier in der Natur vermutlich nicht mehr vorkommen. Die ganze Anatomie ist eine Mischung zwischen Mensch und Tier. Die Hinterpfoten gleichen mehr denen eines Wolfes, wie beim Menschen die Zehen ja auch nicht sonderlich beweglich sind. Die krallenbewehrten Vorderpfoten ließen sich jedoch einzeln bewegen. Sie waren zwar keine Werkzeuge mehr wie beim Menschen, eigneten sich jedoch hervorragend als Waffe. Mein ganzer Körper war mit buschigem Fell besetzt und wenn ich knurrte, erschütterte das Mark und Bein. Alles in allem ein äußerst furchterregender Anblick und es stand für mich außer Frage, dass eine solche Bestie niemals auf die Menschheit losgelassen werden dürfte.
Dass er mich reizte war auf dem Video natürlich nicht zu sehen und er glaubte wohl, dass ich mich nicht an die Nächte erinnere.
Tatsächlich erinnere ich mich ja nur bruchstückhaft, aber ich weiß sehr gut, wie groß in mir der Wunsch an diesen Abenden war, auszubrechen und ein wahres Massaker zu veranstalten. Ich wollte auf jeden einzelnen der Besucher losgehen und auf Heinrich insbesondere.
Am nächsten Morgen schämte ich mich für diese Empfindungen und ich schloss mich Heinrichs Meinung an, dass es das Beste wäre, wenn ich sicher verwahrt war.
Ich wäre schon viel früher getürmt wenn ich gewusst hätte, dass ich ohne Gitterstäbe in einem Auto mit einem Menschen verbringen konnte, obwohl ich ein Werwolf war.
Die ersten Sonnenstrahlen der Morgendämmerung gingen auf und die Vollmondnacht war zu Ende. Ich spürte, wie der Rückverwandlungsprozess einsetzte. Ich knurrte ihn an und schnappte in seine Richtung um ihn verstehen zu geben, dass er den Wagen verlassen sollte. Es konnte schnell passieren, dass ich in dieser Phase wild um mich biss und das wollte ich nicht riskieren. Schon alleine, damit Heinrich nicht doch Recht behielt.
Er verstand auch sofort und verließ zügig das Auto. Allerdings blieb er vor der Türe stehen und schaute gebannt durch das Fenster. Ich mochte das nicht, aber ich konnte nichts dagegen tun. Es begann bereits. In Windeseile veränderte sich meine Anatomie grundlegend. Man konnte Knochen wachsen oder sich zurückbilden sehen, das Fell wuchs in meinen Körper zurück und mein Gesicht nahm wieder menschliche Formen an.
Als es fertig war, saß ich erschöpft (und nackt) auf dem Beifahrersitz. Ich war jetzt wieder ein Mensch und versuchet, die vielen Bilder und emotionalen Empfindungen der letzten Nacht in ein logische Reihenfolge zu bringen. Es ist wie nach einem Traum, an dem man sich am nächsten Morgen bruchstückhaft erinnert.
Dann kam mir plötzlich der Mensch wieder ins Bewusstsein und ich drehte meinen Kopf nach links. Dort stand er immer noch und betrachtete mich fasziniert. Erschrocken zuckte ich zusammen und bedeckte meine Genitalien mit den Händen. Auch er errötete plötzlich und drehte sich schuldbewusst um. Ich sah nach hinten und entdeckte neben dem Sarg meinen Rucksack. Ich kletterte in das Heck des Leichenwagens und fand im Rucksack meine Kleidung. Gut, sie hatten sie eingepackt. Ich konnte mich nicht einmal daran erinnern, sie ausgezogen zu haben.
Als ich mich angezogen habe, kletterte ich aus dem Wagen, wo der Junge immer noch stand, mit dem Rücken zur Tür. Er wirkte sehr schuldbewusst. Es war das erste mal, dass mich jemand anders als Heinrich bei der Verwandlung gesehen hat und ich habe es immer gehasst, wenn er zugesehen hat.
Dieser Mensch kannte jetzt also mein Geheimnis und ich war etwas verlegen und unsicher, wie ich auf ihn zugehen sollte. Ich kratzte mich am Kopf und begann dann zu sprechen:
„Hallo!“
Er antwortete nicht, sondern kramte einen Block und einen Stift heraus, wo er eilig etwas rein kritzelte. Dann hielt er ihn mir hin.
«Hallo, ich bin Leander.» war da zu lesen.
Ich wollte gerade den Stift und den Block nehmen, um ihm zu antworten, als er auch schon weiter schrieb.
«Ich bin gehörlos, aber ich verstehe dich gut.»
„Wie?“ fragte ich verwundert und mehr zu mir selbst als zu ihm.
Er schrieb wieder:
«Ich kann Lippen lesen.»
Erstaunt zog ich eine Augenbraue hoch. Irgendwie fiel es mir schwer zu glauben, dass man darüber miteinander kommunizieren kann. Aber was soll es. Irgendwie musste ich ja mit ihm reden.
„Ich bin Brendan.“ Antwortete ich also.
«Hallo Brendan,» schrieb er zurück und ich konnte mein Erstaunen wohl nicht ganz verbergen, denn er lächelte verschmitzt.
«Ich verstehe dich gut!» schrieb er mir auf.
„Ja, sieht ganz so aus!“
Er grinste noch breiter und mir war klar, dass er mich wieder problemlos verstanden hatte und ich beschloss, das Thema zu wechseln.
„Das war ganz schön leichtsinnig von dir. Ich hätte dich eben töten können.“
«Hast du aber nicht!» war die knappe Antwort.
„Ja, sieht so aus, als hättest du mehr Glück als Verstand.“
«Ach ja, ihr Hörenden haltet uns ja alle für dumm.»

Eine Sekunde lang war ich wie vor den Kopf geschlagen. So hatte ich das doch gar nicht gemeint! Doch in dieser Aussage spiegelten sich viele Vorurteile und Anfeindungen wieder, die er vermutlich schon oft erlebt hatte und ich konnte ihm deswegen nicht wirklich böse sein.
„Darüber habe ich mir noch kein Urteil gebildet. Aber es war leichtsinnig. Wenn ich ein Werwolf bin, gehörst du zu meinen Beutetieren. Und daran kann ich nicht viel ändern.“
«Aber du hast mich nicht angegriffen!» stand da zu lesen.
„Ja, das ist wahr“, antwortete ich. „Und das in einer Vollmondnacht, wo ich keinen Unterschied zwischen Freund und Feind zu machen vermag. Du hast wirklich verdammtes Glück gehabt!“
«Ich glaube nicht, dass es Glück war.»
Ich sah in durchdringlich an. Wenn ich ehrlich war, glaubte ich das auch nicht. Leander hatte eine besondere Art an sich und es kam sicherlich nicht von ungefähr, dass ich ihn nicht angegriffen habe. Ich musste wieder an die vielen Nächte denken, die ich im Käfig verbracht habe und war mir sehr sicher gewesen, dass ich den ersten Menschen, den ich in einer Vollmondnacht treffen würde, erbarmungslos reißen würde.
„Lass uns weiterfahren!“ meinte ich schließlich.
Während der Fahrt musste Leander nach vorne gucken und konnte folglich auch meine Lippen nicht lesen. Ich machte dann also das Radio an und versuchte so gut es ging, mir die Zeit zu vertreiben. Zwischenzeitlich bin ich auch was eingenickt und wurde dann zum Tanken und Mittagessen wieder wach, als Leander einen Rastplatz angefahren hat. Während des Essens haben wir allerdings auch nicht gesprochen und es war schon etwas merkwürdig, soviel Zeit mit jemand in aller Stille zu verbringen. Normalerweise schwatzt man ja doch unentwegt und sei es nur, um keine Stille aufkommen zu lassen. Warum auch immer. Irgendwie war es auch angenehm, einmal nicht unter dem Zwang zu stehen, ständig reden zu müssen.
Nach dem Essen brannte mir aber noch eine Frage auf der Seele.
„Was machst du hier?“
Er kramte wieder seinen Block hervor.
«Wie meinst du?»
„Hast du keine Angst mit einem Werwolf und einem Vampir unterwegs zu sein?“
Er schüttelte den Kopf.
„Hast du keine Angst, dass du gebissen oder gar getötet werden könntest?“
Er führte Daumen und Zeigefinger nah aneinander und signalisierte so, dass er ein wenig Angst hatte. Dann fing er wieder an zu schreiben.
«Aber ich möchte auch ein Vampir werden.»
„Warum?“ fragte ich.
Doch er zuckte nur mit den Schultern und mir war klar, dass er über seine Motive nicht reden wollte. Also beließ ich es dabei. Wir setzten uns wieder ins Auto und fuhren weiter.
Als der Abend anbrach, fuhren wir auf ein Gasthaus zu. Es war ein altes Bauernhaus, in dem jetzt ein paar Zimmer angeboten wurden. Es war etwas windschief und wirkte ziemlich herunter gekommen. Ich signalisierte Leander, dass er im Wagen warten solle und ging zum Eingang, um mit der Wirtin zu verhandeln. Die alten Holzstufen knirschten beträchtlich als ich den Eingang hoch ging und ich war mir nicht sicher, ob sie unter meinem Gewicht nicht zusammen brechen würden. Im Innern schien sich der Staub von Jahrzehnten auf den schweren Vorhängen abgelagert zu haben und man hätte fast den Eindruck bekommen können, dass es schon verlassen wäre. Auf dem alten Holzboden lag ein schwerer roter Läufer und die Möbel waren alt und rustikal. Ich befand mich in einer Art Flur, die wohl auch gleichzeitig als Empfangsbereich diente. Ein großer, hölzerner Tresen stand dort und als das Glöckchen klingelte, das an der Tür angebracht war, hörte man auch gleich schwere Schritte aus einem der angrenzenden Zimmer kommen und eine ältere Dame schleppte sich hinter den Tresen.
„Guten Abend“, sagte ich höflich. Sie ging sehr gebeugt und stützte sich auf einen Gehstock, während sie sich mit der anderen Hand an den Rücken fasste. Offensichtlich war sie ganz alleine hier und fast tat sie mir ein wenig leid.
„Guten Abend, mein Junge!“ krächzte sie. „Was kann ich für dich tun.“
„Ich würde gerne ein Zimmer mieten“, antwortete ich.
„Ein Zimmer!“ Ihre Augen leuchteten kurz auf. „Ja ja, ein Zimmer. Das hab ich wohl! Für dich alleine, mein Hübscher?“
„Nein, wir sind zu zweit. Ein Doppelzimmer hätte ich gerne.“ Ich habe kurz daran gedacht, drei Zimmer zu bestellen, aber für einen Vampir war es wohl raus geschmissenes Geld, ein Zimmer zu mieten.
„Ah ja. Sehr schön, sehr schön. Wie lange wollt ihr denn bleiben?“ fragte sie.
„Nur eine Nacht.“ Sie schien etwas enttäuscht zu sein, als sie das hörte. „Gibt es vielleicht eine Möglichkeit, unseren Wagen für die Nacht unterzustellen?“
„Oh, sie haben ein Automobil?“ Ich fragte mich einen Moment, ob ich vielleicht in ein Zeitloch geraten sein könnte, denn es schien mir so, als wenn ein ‚Automobil’ für sie etwas sehr exotisches wäre.
„Ja, ja, sie können es in der Scheune unterstellen“, antwortete sie. „Hier ist ihr Schlüssel. Dritte Tür auf der linken Seite. Sie haben doch bestimmt Hunger nach der Fahrt. Essen gibt es um acht.“
„Danke sehr.“
Sie hatte das Abendessen mit einer derartigen Bestimmtheit verkündet, dass ich gar nicht auf die Idee kam, zu widersprechen. Außerdem verspürte ich auch ein wenig Hunger und Leander würde sicher auch froh sein, etwas zu essen zu bekommen. Also nickte ich ihr zum Abschied nur noch einmal zu und ging wieder zurück zum Auto.


60 (Christian)

Irgendwie hatten meine Reisegefährten es geschafft, dass sie den doch ziemlich auffälligen Wagen in einer Scheune unterbringen konnten. Es war ein kleiner Gasthof und irgendwie erinnerte es mich ein wenig an Bates Motel aus Psycho, da es sich nicht an einer Hauptstraße befand. Max war die ganze Zeit geflogen und landete müde auf einem Balken im Dachstuhl, wo er direkt seinen Kopf unter dem Flügel steckte. Meine Schlange kroch aus dem Sarg und dem Wagen raus, ebenso wie meine Ratte. In der Scheune würden sie mehr fressbares finden, als ihnen wahrscheinlich gut tun würde. Im Dachstuhl ortete ich ein paar Fledermäuse, die noch nicht auf die Jagd gingen. Offenbar war ich zu früh, oder sie zu spät. Bei dem Gedanken musste ich lachen.
Ich ging hinaus in die Nacht. Leider waren die die Zwei schon im Gasthof. Auf mich hatten sie nicht gewartet und so löste ich mich kurz in Dampf auf und machte mich auf die Suche vor den Fenstern von außen. Bei dem dritten Fenster hatte ich Glück, verwandelte mich und ließ mit dem Willen das einfache, alte Fenster öffnen und schwebte in den Raum. Brendan war im Bad und machte sich frisch. Meine Standpauke bezüglich seiner Hygiene hatte offenbar gewirkt.
Leander guckte mich fasziniert an, als er meine Erscheinung wahrnahm. In seinen Augen las ich jedoch kein Erstaunen oder Verwunderung. Da er Paul kannte, kannte er sich mit unseren Kräften aus der Zwischenwelt aus. In seinem Blick war der sehnlichste Wunsch, dieses zu können und auch dazu zu gehören. Ich fragte mich, ob er dann wohl sein Gehör wiedererlangen würde, da wir ja anders funktionieren, als normale Menschen. Ich ignorierte einfach seine Gedanken und schickte ihm einen anderen Gedanken.
<Was habt ihr vor?>
<Wir gehen unten Abendessen. Wir nehmen kein Frühstück, die Wirtin hat uns Abendessen angeboten. Paul hat befohlen, nicht aufzufallen, oder komisch wirken.>
<Gut. Haltet euch daran und gib Acht auf Brendan. Er soll keine Alleingänge machen. Wenn er Probleme macht, rufst du mich mit deinen Gedanken.>
<Was wirst du tun?>
Ich antwortete nicht, sondern zwinkerte ihm zu und ließ einen meiner Reißzähne blitzen.
Ich schwang mich wieder durch das Fenster in den Abendhimmel. Ich hatte seit Tagen nichts mehr zu mir genommen und musste dringend trinken. Ich merkte, wie meine Kräfte allmählich schwächer wurden. Ich nutzte die Thermik aus, um meine Kraft für mein Opfer zu verwenden. Durch den schwarzen Anzug war ich gänzlich unsichtbar am Himmel. Die Nächte nach Vollmond waren dazu immer geeignet, da die Erde den Mond versteckt.
Ich flog Richtung Hauptstraße, außer ein paar kleine Häuser, Felder und Wälder war hier nichts zu holen. Die Hauptstraße entpuppte sich als reine Autostraße, also flog ich auf die Lichter der nahe liegende Ortschaft zu, nicht wissend, ob es ein Dorf oder gar eine Stadt ist. Beim Anflug stellte sich raus, dass es eine große Stadt war, überall glitzerten bunte Leuchtreklamen, Autos die rein und raus fuhren. Während ich so runterguckte, merkte ich gar nicht, dass ich fast mit einem Kirchturm kollidiert wäre. Im letzten Moment schaffte ich es, auszuweichen. Nicht mal mein Ultraschall funktionierte. Es wäre schon erbärmlich für einen Vampir, von einem göttlichen Gebäude zum Absturz gebracht zu werden.
Paul hätte seine Freude daran gehabt. Kurz hinter der Kirche war ein Stadtpark. Der ideale Ort.
Ich verdampfte noch mal mit meiner letzten Kraft und landete in einem Gebüsch und wurde wieder zum Mensch, der einfach im Park spazierte. Den Geräuschen folgend, fand ich ein paar Spaziergänger, die ihre Hunde ausführten. Hunde waren immer eine Gefahr, da sie entweder aggressiv, oder extrem ängstlich reagierten. Ich versuchte daher, immer den Wegen der Hunde auszuweichen.
Die gotische Kirche schlug acht Mal und der Hall der Glocke wehte durch den Park.
Tiefer im Park waren ein paar Jugendliche mit ihren Skateboards. Sie rauchten und alberten, prahlten mit ihren Fahrkünsten einen Hang auf und ab.
Ich beobachtete sie einige Zeit und entschied mich für einen von denen. Junges Blut ist ungeduldig, aber auch voller Kraft und Hitze.
Ich wählte einen anmutigen aus. Mit einem gestreiften T-Shirt, wo ich die Halsschlagader schnell erreichen konnte. Seine Jeans war in modischer Art zerschlissen und seine Turnschuhe, die ich früher selbst einmal hatte, zeigten dass er guter Herkunft war. Er war drahtig und ich war mir sicher, dass er es nicht einmal merken würde, wenn ihm ein Liter Blut fehlt.
Er rollte mit dem Skateboard in meine Richtung. Weit genug weg von den anderen um Anlauf für einen gewagten Sprung zu nehmen. Als er außer Sichtweite der anderen war, könnte ich seinen Duft aufnehmen. Er rollte mit dem Brett an mir vorbei und mit einem schnellen Griff holte ich ihn vom Brett. Dabei fiel er, er war kräftiger, als angenommen.
„Du verdammtes Arschloch!“ schnauzte er los.
Er hatte sich bei dem Sturz den Arm aufgeschlagen und blutete heftig. Das Blut machte mich rasend. Meine Augen wurden hellblau und mein Augapfel rot, ich erkannte mit diesem Blick sofort den Sitz der Hauptschlagader.
Meine Zähne stießen gegen meinen Unterkiefer. Der Jugendliche fing an in Panik zu geraten und fing an nach mir zu schlagen. Ich durfte keine Zeit mehr verlieren und schlug meine Zähne in die Halsschlagader. Sofort sprudelte mir junges, frisches Blut in den Mund und mein Hunger brach so richtig durch. Mein toter Körper erweckte richtig zum Leben. Mich durchfloss sein heißes Blut. Ich fühlte, wie es in meinen Magen schoss, sein Herz pumpte es förmlich in meinen Körper rein. Meine Organe nahmen das frische Blut gierig auf und umspülten mein Adern und mein Herz, was im Gleichklang mit seinem schlug. Ich war in einem regelrechten Rausch und merkte nicht, wie die Freunde des Jungen ihn offenbar suchten.
„Hey du!“ hörte ich auf einmal von einer Stimme.
Ich blickte auf und fauchte die Jugendlichen an. Dabei muss ich sie mit meinem Anblick und meinem blutigen Mund erschreckt haben, dass diese laut um Hilfe schrieen. Durch die erste Stärkung merkte ich, wie meine Kraft zurückkam. Ich packte mein Opfer und stieß mich von der Erde ab und rauschte mit ihm in die dunkle Nacht.
Mein Hunger war noch nicht gestillt. Ich war ihm einfach unterlegen. Ich labte mich wieder an seiner Halswunde und sog weiter.
Nach wenigen Zügen merkte ich, dass das Blut nicht mehr von alleine in meinem Mund floss und ich mehr ziehen musste. Ich riss mich los von seiner Wunde und fühlte sein Herz. Er war tot. Ich hatte die Kontrolle verloren! Ich hatte noch nie einen Menschen getötet und ich wurde gesehen.
Auf meinem Flug in die Stadt erinnerte ich mich, dass ich einen Fluss überquert hatte, diesen steuerte ich an. Als ich das Rauschen des Wassers vernahm, sank ich Richtung Erde mit dem leblosen Körper im Arm. Als ich eine reißende Strömung fand, ließ ich ihn fallen. Er platschte schwer in das Wasser und wurde sofort weggespült.
Mein Hunger war gestillt, aber für diesen Mord fühlte ich mich schlecht. Ich fühlte mich aus dem Grund schlecht, weil ich an seine Verwandten dachte, die nicht einmal erfuhren, was mit ihrem Jungen geschehen war. Möglicherweise gab es nicht einmal eine Beerdigung. In meinen Gedanken versunken merkte ich nicht, wie ich immer näher an das Wasser kam. Ich erschrak, als meine Füße nass wurden. Reißendes Wasser bedeutet unseren Tod, laut Pauls Äußerungen.
Ich flog zum Gasthof zurück und ging sofort in meinen Sarg. Ich erreichte mit Gedanken Leander und bat ihn, sich um meine Tiere zu sorgen und diese bei der morgigen Abreise nicht zu vergessen.

61 (Brendan)

Ich ging hinüber zur Scheune, öffnete das Tor und winkte Leander, der den Wagen hinein fuhr. Dann kramte ich noch schnell meinen Rucksack heraus und warf einen kritischen Blick gen Himmel. Es würde nicht mehr lange dauern bis Sonnenuntergang. Den ganzen Tag über wartete ich schon gespannt darauf, mit Christian zu reden. Ich hatte merkwürdige Bilder von der letzten Nacht im Kopf und ich fragte mich, was passiert war. Ich erinnere mich an einen Kampf und hoffte, dass ich nichts angestellt hatte. Auf jeden Fall wollte ich ihm danken dafür, dass er sich während der Vollmondnächte um mich gekümmert hat.
Aber zuvor wollte ich mich noch frisch machen. Zum einen sorgte ich mich um meine neuen Kleider, aber ich wusste ja auch, dass Christian einen Reinlichkeitsfimmel hatte und wollte ihm nicht wieder Anlass zur Beschwerde geben. Und für das Abendessen war es auch nicht schlecht, wenn ich sauber erschien. Schließlich wollten wir ja keinen schlechten Eindruck hinterlassen.
Also gestikulierte ich Leander, er solle sich beeilen. Er verstand meine Aufregung nicht und schien sich besonders viel Zeit zu lassen.
Schließlich waren wir im Zimmer. Es war klein, aber nett und auch recht sauber. Offensichtlich kam die alte Frau zwar nicht mehr ganz hinterher, das Haus sauber zu halten, aber das Gästezimmer war vom Staub befreit, auch wenn die Einrichtung ebenfalls sehr altmodisch war. Wir hatten sogar ein eigenes kleines Bad, in das ich sofort verschwand.
Ich beeilte mich mit der Körperhygiene, obwohl das warme Wasser definitiv eine Verbesserung zu dem Brunnen darstelle und beeilte mich, in Richtung Scheuen zu gehen. Leander sah mich verdutzt an, als ich an ihm vorbei stürmte, doch ich hatte keine Zeit mehr zu verlieren. Also ich in den Hof trat sah ich schon, dass ich zu spät war. Die Sonne war bereits untergegangen. Trotzdem ging ich zum Wagen, nur um den Sarg leer zu sehen. Ich ärgerte mich ein wenig. Er hätte ja wenigstens mal kurz ‚Hallo!’ sagen können!
Aber es half nichts, er war weg. Ich fragte mich, ob er vielleicht noch auf dem Gelände war und versuchte, seine Witterung aufzunehmen. Doch ich war zu spät. Nicht mal eine Spur konnte ich wahrnehmen. Vermutlich war er schon längst unterwegs. Bestimmt war er hungrig. Ich sah auf die Uhr. Es war fast acht und somit war es auch für uns bald Zeit, Essen zu gehen. Ich konnte das Essen auch bereits riechen. Die alte Damen war also schon fleißig am kochen.
Ich traf Leander in der Lobby. Er sah mich fragend an.
„Ich hab Christian gesucht“, sagte ich.
Wieder kramte er seinen Block hervor.
<<Er ist essen. >>
„Ja, so was hab ich mir gedacht. Was ist mit uns? Wollen wir auch essen gehen?“
Er lächelte leicht und nickte. Ich musste meinen Ärger darüber, dass Christian Leander bescheid gesagt hatte und mir nicht, herunter schlucken.
Wir betraten den Speiseraum, der wohl mal das Wohnzimmer gewesen ist und in dem jetzt fünf Tische standen, von denen einer für uns gedeckt war.
„Setzen Sie sich nur, setzen Sie sich!“ schallte es aus der Küche. Sie musste uns wohl gehört haben. „Das Essen ist gleich fertig!“
„Ja, danke!“ rief ich zurück.
Ich bedeutete Leander zu sitzen und setze mich ebenfalls. Es war für drei gedeckt, so dass sich die Dame sich wohl zu uns setzen wollte.
Nach kurzer Zeit kam sie mit einem Tablett voller duftender Speisen heraus und ich fragte mich, wie sie das wohl in so kurzer Zeit gekocht hatte. Sie strahlte über beide Wangen. Ihre Freude, wieder Gäste zu haben, war unverkennbar.
„Haben Sie etwas dagegen, wenn ich Ihnen Gesellschaft leiste?“ fragte sie fast beiläufig, während sie den Tisch mit Speisen belud.
„Nein, ganz und gar nicht“, antwortete ich höflich.
„Und wer ist dieser nette junge Mann?“ fragte sie.
Ich hatte Leander gar nicht vorgestellt und fragte mich gerade, ob ich das hätte tun sollen. Ich war nicht sonderlich gut in Umgangsformen.
„Das ist Leander“, beeilte ich mich darum zu sagen.
„Hallo Leander, mein Name ist Bettina“, sagte sie fröhlich und streckte ihm die Hand hin.
Leander ergriff sie zögerlich und nickte etwas schüchtern. Dann sah er hilfesuchend in meine Richtung.
„Er ist gehörlos“, beeilte ich mich zu sagen. „Aber sie werden sich wundern, wie gut er Ihre Lippen lesen kann.“
„Oh.“ Sie wirkte einen Moment irritiert, fing sich dann aber sofort wieder uns setzte sich mit demselben, freundlichen Lächeln, dass sie den ganzen Abend schon an den Tag legte.
„Wissen Sie, mein verstorbener Ehegatte – Gott hab ihn selig – der hat am Ende ja auch kaum noch was gehört. Ich kann ihnen sagen, einfach ist das nicht.“ Sie gestikulierte wild rum, während sie sprach und fing an von ihrem verstorbenen Ehegatten und seinen diversen Krankheiten zu erzählen. Sie redete wie ein Wasserfall und Leander hatte es schon längst aufgegeben, ihre Worte zu verstehen und so blieb es bei mir, ihr zuzunicken und so zu tun, als würde mich das interessieren, was sie erzählte. Sie schien ein starkes Mitteilungsbedürfnis zu haben. Zumindest war das Essen köstlich.
Irgendwann hatte sie wohl genug von ihrem verstorbenen Mann gesprochen und wechselte das Thema.
„Haben Sie das von dem Wolf gehört?“
Ich wurde hellhörig.
„Welcher Wolf?“ fragte ich sofort.
„Na von diesem Wolf der in – wie hieß den noch mal die Stadt? Na, der halt von diesem Jahrmarkt entflohen ist. War in den Nachrichten. Ein Wahrer Skandal. Da hat wohl ein Schaubudenbesitzer illegal einen Wolf gehalten. Man hat den Käfig gefunden und alles. Und wissen Sie was?“ Sie lachte plötzlich schallend. „Er behauptet, es wäre ein Werwolf gewesen!“
„Nicht wirklich?“ Ich versuchte, mir meine Aufregung nicht anmerken zu lassen. Auch Leander hing jetzt wieder gespannt an ihren Lippen. Sie war offensichtlich froh, interessierte Zuhörer zu haben und redete munter weiter, ohne unsere Anspannung zu bemerken.
„Ja, vollkommen wirr im Kopf der Arme. Er behauptet steif und fest, es sei ein Werwolf gewesen. Und dass Niemand mehr sicher wäre und so.“
„Woher weiß man so genau, dass überhaupt ein Wolf entlaufen ist? Kann es nicht auch einfach nur ein leerer Käfig gewesen sein?“
„Na, was meinen Sie, wie man auf ihn aufmerksam geworden ist? Man hat Wolfsgeheul gehört in der Nähe. Und da hier ja nun mal keine Wölfe mehr ansässig sind, hat man sich auf die Suche nach der Herkunft des Tieres gemacht. Aber dass eins entlaufen ist, daran gibt es keinen Zweifel. Es gibt mehrere Zeugen, die ihn gehört haben und man hat Fußspuren gefunden, wenn auch sehr schlechte. Aber nach Einschätzung der Experten muss es ein sehr stattliches Tier gewesen sein. Viel zu groß jedenfalls für den kleinen Käfig.“
Leander und ich tauschten besorgte Blicke. Ich fragte mich noch dringender, was wohl letzte Nacht passiert sein mag und konnte es noch weniger erwarten, mit Christian zu reden. Wir beendeten das Essen, ohne dass die alte Lady etwas von unserer Sorge gemerkt hätte. Sie redete noch über das Wetter und andere Belanglosigkeiten und als wir endlich fertig waren, eilte ich wieder zur Scheune. Doch Christian war immer noch nicht zurück und so ging ich nervös in unserem Zimmer auf und ab. Leander beobachtete mich, ließ mich aber ansonsten in Ruhe.
„Was meinst du?“ fragte ich schließlich. „Sind sie uns bereits auf den Fersen?“
Er zuckte mit den Schultern, wirkte aber ebenfalls besorgt.
„Wenn die Menschen das schon in den Nachrichten bringen, werden die Vampire es bestimmt nicht übersehen haben.“
Plötzlich empfing ich einen Gedanken von Christian. <<Kümmere dich bitte um meine Tiere. >>
Ich spürte sofort, dass noch etwas vorgefallen war und eilte wortlos in Richtung Scheune.

62

B: Ich kam in die Scheune und ging zum Wagen. Durch die Fensterscheibe konnte ich sehen, dass der Decke des Sarges geschlossen war.
Ich zögerte einen Moment, wusste ich doch, dass Christian es nicht mochte, wenn ich an seinen Sarg ging. Aber ich musste ihn einfach sprechen.
Also öffnete ich die Hecktür und klopfte an den Sarg.
„Christian, ich bin es!“ sagte ich.
C: Ich spürte Brendans Anwesenheit. Einmal ihn und auch, dass meine Tiere nervös waren.
Durch den geschlossenen Deckel antworte ich ihm. Ich hatte keine Lust auf Gesellschaft.
„Ja.“ sagte ich mit schlechter Laune
B: „Es ist was passiert. Komm raus. Wir müssen reden!“
C: Ich ließ den Sargdeckel nur ein Stück nach unten gleiten.
B: Wütend schlug ich mit der flachen Hand auf den Sargdeckel.
„Nun mach schon!“
C: „Habe ich Dir nicht gesagt, ich wünsche keine Störung, wenn ich in meinem Sarg liege.“ Warum wählt er immer den falschen Zeitpunkt
B: „Was ist letzte Nacht passiert?“
C: „Nichts was Dich angeht!“
B: „Offensichtlich schon. Schließlich Ist die Polizei hinter mir her. Oder der Hundefänger. Oder beide.“
C: „Du hast Dich aufgeführt, als hättest Du Tollwut. Hast einfach um dich gebissen. Wieso Polizei?“ fragte ich verwundert.
B: Jetzt schlug ich gegen den Sarg, so dass er ein wenig zur Seite rutsche. Ich mochte nicht länger mit einem Sarg reden.
„Jetzt komm doch endlich aus dem verdammten Ding raus!“
C: Brendan ging zu weit. Mit einem Satz schlug ich den Sargdeckel zurück und traf Brendan mit voller Wucht. Während ich aufstand merkte ich, dass das Blut meines Opfers auf mein Hemd und Jacke tropfte.
B: Plötzlich flog mir der Sargdeckel ins Gesicht und schleuderte mich zurück.
Wütend stand ich auf und wollte ihn Fragen, was in aller Welt in ihn gefahren sei, als ich einen Blick auf ihn warf. Er war wütend, aber irgendetwas stimmt nicht mit ihm. Ich kniff die Augen zusammen und musterte ihn.
„Was ist los mit dir?“ fragte ich jetzt mehr verwundert als wütend, während ich mir das Blut von der Nase abwischte.
C: Ich fletschte meine Fangzähne.
„Nichts was für dich von Belang ist. Lern lieber deinen Wolf zu bändigen, statt die Hand anzufallen, die dich füttert.“ sagte ich wütend.
B: Irgendetwas war vorgefallen, seit ich ihn das letzte Mal gesehen habe und ich fragte mich, was um alles in der Welt ich in der Vollmondnacht wohl angerichtet hatte, dass nicht nur die Polizei hinter mir her war, sondern selbst Christian mich so anfauchte.
C: Ich fauchte Brendan an und er tat mir Leid. Eigentlich konnte er nichts dafür, dass ich einen Menschen ermordet hatte.
„Du weißt nicht, was passiert ist?“
Ich las seine Gedanken, was er eigentlich hasste.
B: „Ich erinnere mich nur schemenhaft. Es tut mir leid, wenn ich dir Ärger bereitet habe.“
Ich hatte ihn noch nie so verstört gesehen.
C: „Ärger? Du wolltest Paul und mich töten! Du hast dich nicht unter Kontrolle! Nur durch ein KO Schlag konnte Paul dich bändigen.“
„Lass dich kastrieren, oder impfen.“
B: Ich merkte, wie ich bleich wurde. Ich bin auf sie losgegangen? Dann hatte Heinrich also doch Recht gehabt. Ich war ein Tier und nicht zu kontrollieren, wenn ich selbst zwei Vampire anfalle, wie könnte ich jemals Herr über den Wolf in mir werden. Mit Schrecken wurde mir auch bewusst, in was für einer Gefahr Leander sich befunden hatte.
C: Ich produzierte meinen Fehler von eben auf Brendan. Ich war mehr als ungerecht. Nur, warum ließ er mich nicht einfach in Ruhe?
B: Ich fühlte mich niedergeschlagen.
„Dann müssen wir wieder einen Käfig besorgen, damit ich das Nächste mal nicht wieder so eine Gefahr für dich und alle Anderen darstelle.“
C: „Du bist für mich keine Gefahr. Ich bin ein Vampir mit Erfahrung und Lehrmeister. Du bist nur wild und ungeschickt.“
B: „Offensichtlich ist es mehr als das. Ich habe dich noch nie so erlebt wie jetzt. Du kommst mit mir noch weniger klar, als Heinrich es getan hat. Gib es ruhig zu.“
C: „Brendan. Es geht hier nicht um nur immer um dich. Ich habe eben einen Menschen getötet. Ich bin nicht besser als du.“
Warum sagte ich ihm das?
B: Die Aussage schockierte mich. Ich konnte mich noch nur zu gut daran erinnern, wie es gewesen ist, den Vampir zu töten und konnte nachvollziehen, wie es ihm gerade ging.
C: „Nein das kannst du nicht nachempfinden. Ein Vampir ist schon tot. Ein Mensch lebt!“ seine Gedanken waren wie ein offenes Buch.
B: Plötzlich verstand ich sein Verhalten und mir wurde klar, dass ich ihn nicht hätte derart stören dürfen. Ich konnte gut verstehen, dass er jetzt alleine sein wollte.
„Wie fühlst du dich?“
Unzweifelhaft fühlte er sich schlecht und ich wunderte mich ein wenig, dass es ihn so mitnahm. Es passte nicht ganz zu dem Bild des gewissenlosen Killers, das man von Vampiren hatte.
Oder von Werwölfen.
C: Ich ging zu Brendan und verschloss seine Wunde an der Nase mit meinem Speichel. Dann nahm ich seine Hand und legte sie auf mein Herz.
„Ich fühle nichts.“
B: Ich sah ihm in die Augen und versuchte zu ergründen, was sich dahinter verbarg. Meine Hand fühlte seinen kalten Körper und doch viel es mir schwer, ihm zu glauben.
„Was ist passiert?“
C: „Ich war unvorsichtig und habe einen Menschen angegriffen. Ich wurde erwischt und musste mit dem Opfer fliehen.“ erklärte ich meinen Abend.
B: „Du wurdest erwischt? Hat man dich etwa gesehen?“
Meine Gedanken überschlugen sich. Schlimm genug, dass die Vampire und die Polizei hinter mir her waren, jetzt war auch noch Christian auffällig geworden. Sie würden die Spur bestimmt zu uns verfolgen.
C: „Ja man hat mich gesehen! Nicht nur ein Mensch. Vielleicht vier oder fünf sogar. Zufrieden?“
B: Ich hatte den Eindruck, dass es ihm peinlich war und so nickte ich nur stumm.
„Sollen wir sofort aufbrechen oder wäre es besser, hier über Nacht zu bleiben und kein Aufsehen zu erregen?“
C: „Ich habe den Menschen in meinen Armen mit meinem Biss getötet und in einen Fluss geworfen. So nun weißt du das meiste.“ sagte ich mürrisch.
B: Ich wusste das Vertrauen, das er in mich legte zu schätzen und wollte irgendetwas antworten, doch mir viel nichts Passendes ein. Ich sah ihn nur mit weiten Augen an.
C: „Wir bleiben. Leander ist kein Geschöpf. Er braucht Ruhe, damit er fahren kann. Er ist momentan der Einzige, den wir haben.“ Den hatten wir ja auch noch am Hals.
B: „Ja, du hast vermutlich Recht. Sollen wir ihn einweihen?“
C: „Das ist nicht nötig. Er hat mich enttarnt und dich ebenfalls. Er wird es merken. Er bekommt mehr mit, als es den Anschein hat. Je weniger er Details weiß, umso unschuldiger ist er, wenn man von Unschuld überhaupt reden kann.“
B: „In Ordnung.“ Ich musste an Leander denken. Er hatte Recht. Dieser Mensch war außerordentlich und nicht zu unterschätzen.
Immerhin hatte er es geschafft, einen waschechten Werwolf zu bändigen.
C: Ich las Brendans Gedanken und musste schmunzeln.
„Er hat dich gebändigt? Ein Junge?“
B: Ich musste dringend lernen, meine Gedanken vor ihm zu verschließen. Das Blut schoss mir in den Kopf und ich merkte wie ich rot wurde.
„Ich hätte auf ihn losgehen können, ja. Es war sehr unvorsichtig, mich nur mit einem Seil zu fesseln. Und er ist kein Vampir und hätte wohl kaum eine Chance gegen mich gehabt. Aber er hat es geschafft, dass ich…“ Ich musste daran denken, dass er mich sogar gestreichelt hatte und irgendwie war es mir peinlich.
C: „Er hat dich also gestreichelt? Was kommt als nächstes?“ ich lachte trotz unserer schwierigen Lage. Aber die Idee, dass ein Mensch einen Werwolf streichelt, war einfach zu absurd.
B: Ich fühlte mich ausgelacht und war ihm böse, dass er weiterhin ungeniert meine Gedanken las.
„Solltest du nicht froh darüber sein? Immerhin lebt der Junge noch und da hätten auch Pauls Bondagekünste nicht geholfen!“

C: „Aus Pauls Stricken wärst du niemals rausgekommen. Dafür fehlt dir die Erfahrung. Sicher, du hättest Leander angreifen können, aber hättest du mit dem Folgefluch leben können?“
B: „Wenn Vollmond ist, kann ich mich nicht kontrollieren. Das weißt du. Immerhin habe ich sogar dich angegriffen!“
C: „Und? hat es was gebracht. Ich streife noch immer durch die Nacht und bin auch nicht verletzt.“ Ich schob meinen Ärmel hoch und zeigte ihm meinen nackten Arm, der einfach nur weiß wie Marmor war und mir in letzter Nacht in Fetzen runter hing.
B: Ich erbleichte. „Ich habe dich GEBISSEN?“
C: „Du hast nicht nur gebissen, du hast mir den Arm in Fetzen gerissen.“ Offenbar kannte er nicht die schnelle Selbstheilung der Vampire.

B: Ich fühlte noch immer das Vampirblut in mir und war mir nicht sicher, was es mit mir anstellte. Würde es ihm genauso gehen?
Ich schluckte. „Das tut mir ehrlich leid! Ich hoffe nur, dass du keine Folgen davon trägst.“
C: „Ich bin schon tot. Du hast einfach von nichts eine Ahnung. Du musst noch viel lernen. Weswegen hast du mich überhaupt gestört?“
B: Mir klappte förmlich die Kinnlade herunter, als er das sagte. Die Polizei und die Forstbehörde waren hinter mir her, ich hatte ihn angegriffen und er einen Menschen getötet. Aber abgesehen davon hatte es wirklich keinen Grund gegeben, dass wir miteinander redeten.
„Schon gut, ich habe verstanden. Entschuldige, dass ich dich gestört habe.“
Ich drehte mich um und ging in Richtung Ausgang.
An der Tür drehte ich mich noch einmal um und sah ihn an.
„Mach dir keine Vorwürfe wegen dem Menschen. Es war ein Unfall.“
C: Innerhalb von einem Lidschlag stand ich vor ihm und versperrte den Ausgang.
„Ein Unfall ist ein Versehen. Ein Mord ist ein Vorsatz. Was hast du von dieser alten Hexe erfahren?“
Wollte mich Brendan jetzt für dumm verkaufen?
B: „Hast du ihn denn vorsätzlich getötet?“
C: „Ich wollte sein Blut! Wie würdest du es nennen? Na ja, man könnte auch sagen, ich habe eine Imbissbude ausgeraubt.“ ich setzte das kühlste Gesicht auf, was ich hatte.
B: „Du wolltest sein Blut, weil du es brauchst. Das ist höchstens eine andere Form von Mundraub. Du hast schon von vielen Menschen ihr Blut gewollt, aber du wolltest nicht ihren Tod.“
C: „Wolltest du meinen Tod, oder den des Clanmitglieds?“ tat er so dumm, war er wirklich so einfältig...
B: Das saß. Verletzt wich ich von ihm zurück. „Wenn du denkst, dass ich deinen Tod möchte, warum hast du mich dann nicht umgebracht?“
C: „Das frage ich mich auch, aber wir können es gerne nachholen, wenn dir dein Leben nicht wichtig ist.“ Was sollte das jetzt. Man könnte meinen, er wollte sein Leben nicht.
„Vergiss es Brendan. Das töten liegt einfach in unsere Natur. Wir sind dafür bestimmt, Leben zu nehmen.“ sagte ich mit sanfter Stimme. Diese Unterhaltung führte zu nichts. Wir hatten dringendere Probleme zu lösen.
B: „Eben. Deswegen solltest du es dir auch nicht zu Herzen nehmen. Sie haben Heinrich geschnappt und den Käfig gefunden. Jetzt glauben sie, ein Wolf würde frei rum laufen, aber Heinrich macht die Medien auch mit seinem Geplapper über einen Werwolf verrückt. Natürlich glaubt ihm noch keiner - noch nicht.“
C: „Das Problem ist, dass man die Leiche findet. Was denkst du, wird die Polizei denken, wenn sie eine blutleere Leiche finden, mit einer zerfetzten Halsschlagader?“
B: „Dann haben wir neben einer Werwolf-Story auch noch eine Vampirgeschichte am Hals. Eine stille Flucht sieht jedenfalls anders aus.“
C: „Das wird auch so bleiben. Man glaubt schon lange nicht mehr an Geschöpfe wie wir, weil wir zu unauffällig in dem letzten Jahrhundert gelebt haben. Nutze den Tag und such auf dem Weg einen Zoo. Sucht eine Unterkunft in der Nähe und ich werde in der Nacht den Wolf frei lassen. Sie wollen einen Wolf? Dann bekommen sie einen.“ Ich legte mir in Windeseile einen Plan zurecht.
B: „Das ist eine gute Idee. Und dein Toter wird als gewöhnliches Kapitalverbrechen aktenkundig werden. Das fehlende Blut wird man im Fluss vermuten. Aber die Vampire werden nicht so einfach zu täuschen sein. Ich habe immer noch einen der Ihren getötet. Und sie werden auch die Leiche richtig interpretieren.“
C: Ich hatte die Idee, einen Wolf zu Flucht zu verhelfen und mich von ihm Beißen lassen. Seine blutverschmierte Schnauze würde alles erklären.
„Paul wir uns helfen. Er kennt und hat gute Kontakte. Vertrau ihm. Er wird falsche Fährten legen. Auch für dich.“
Ein Hahn krähte in der Ferne. Mich drängte die Zeit.
B: „Ich trau diesem Paul nicht. Aber wie du meinst…“
C: „Verhaltet euch unauffällig. Lasst euch von nichts beeindrucken und lerne von Leander. Mach nichts Unüberlegtes. Ich wünsche euch einen schönen Tag.“
B: „Ich danke dir. Wir sehen uns morgen Abend. Und hau nicht wieder einfach ab.“
C: Ich verblüffte Brendan, in dem ich mich in Nebel hüllte und meinen Sarg aufsuchte und diesen mit Willenskraft verschloss. Als der Deckel lag, klappte die Lade des Autos zu und ich ließ ihn in vollkommener Stille zurück.
B: Er versuchte mich wieder mit einer kleinen Zaubereinlage zu beeindrucken. Ich schaute auf den nun geschlossenen Wagen, dann ging ich hinaus und schloss die Scheunentür sorgfältig.
„Schlaf gut, mein Freund.“ murmelte ich leise.

63 (Brendan)

Ich ging zurück ins Zimmer und fand Leander schlafend auf dem Bett vor. Obwohl ich während der Fahrt etwas geschlafen hatte, war ich hundmüde und froh, in ein richtiges Bett zu gehen. Trotzdem konnte ich nicht sofort einschlafen, sondern dachte noch lange über das Gespräch mit Christian nach. Es schien, als seien wir vom Pech verfolgt. Erst töte ich einen Vampir und ziehe damit den Zorn sämtlicher Vampire auf mich und dann tötet Christian einen Menschen und sorgt so ebenfalls für ungewünschte Aufmerksamkeit. Während ich darüber nachdachte viel mir auf, dass ich Christian schon lange nichts mehr trinken gesehen hatte. Er hat mich auf meinen Ausflug in den Park begleitet und während ich als Werwolf unterwegs war, hatte er höchst wahrscheinlich auch keine Gelegenheit, zu trinken, da er sich ja um mich kümmern musste. Irgendwie fühlte ich mich mitschuldig an dem Vorfall.
Er war wie ich ein Geschöpf der Nacht, doch seine Ausführungen, dass er nichts fühlen würde, widersprachen seinem Verhalten. Ich erinnerte mich an seinen Gesichtsausdruck, als er mir den Sargdeckel an den Kopf geknallt hatte. Er war ja fast außer sich vor Zorn und Schmerz.
Als ich endlich eingeschlafen war, wurde Leander gerade wach und weckte mich zum Frühstücken. Ich zog mir die Decke über den Kopf und deutete ihm, dass er mich in Ruhe lasse solle. Nach einiger Zeit gab er auch tatsächlich auf und verschwand, nur um eine Stunde später wiederzukommen. Ich war gerade wieder eingeschlafen und entsprechend übellaunig, stand aber auf. Ich würde halt im Auto schlafen müssen. Ich dachte einen Moment daran, den nächsten Zoo ausfindig zu machen, hielt das aber für eine schlechte Idee. Tagsüber waren dort viele Besucher unterwegs. Ich zweifelte auch ein wenig daran, ob Christians Plan überhaupt funktionieren würde. Schließlich würde der fehlende Wolf im Zoo ja auch auffallen und es wäre klar, dass es sich nicht um das Tier handeln würde, das Heinrich gehalten hatte. Und auch seine Zuversicht gegenüber der Polizei und ihrer Dummheit teilte ich nicht so ganz. Auf jeden Fall sollten wir zusehen, dass wir weiter kamen; schließlich war so ein Leichenwagen ja auch recht auffällig.
Wir verabschiedeten uns von der Wirtin und gingen zum Auto. Leander setzte sich wieder selbstverständlich hinter das Steuer und fuhr los. Ein wenig war ich froh, dass es weiter ging.
Die Fahrt selber verging relativ ereignislos. Wir wurden nicht angehalten, aber tagsüber waren wir vor den Vampiren ja auch sicher. Ich schlief ein wenig.
Im Radio wurde der Mord erwähnt und einer der Zeugen kam zu Wort. Er sprach von einem Monster, das seinen Freund überfallen habe und dann in die Lüfte geflogen sei. Die Radiomoderatorin machte sich über die Aussage etwas lustig, doch ich wurde sehr unruhig. Das war genau die Art von Publicity, die wir nicht gebrauchen konnten und es gab bestimmt genug Spinner, die nur auf einen Grund gewartet hatten, eine Vampir- und Werwolfjagd zu starten. Zumal die beiden Vorfälle so kurz hintereinander passiert sind. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass alles zusammenbrach. Erst habe ich mein zu Hause verloren, dann stoße ich auf einen Vampir, werde aber auch von Vampiren gejagt und jetzt tauchen auch noch Gerüchte über Werwölfe und andere Monster bei den Menschen auf.
Wie lange würde es wohl noch dauern, bis Christian zu der Überzeugung kommen würde, dass er ohne mich besser dran wäre? Ich könnte es ihm nicht einmal verübeln.

Wir fuhren über Nebenstrecken so gut es ging und mieden größere Ortschaften. Es sorgte zwar dafür, dass es langsam voran ging, aber wir durften nicht weiter auffallen. Als es Abend wurde, waren wir schon nicht mehr weit von der Küste entfernt. Ich hielt es für keine gute Idee, wieder in einem Gasthaus zu übernachten und so ließ ich Leander den Wagen tief in einen Wald fahren, wo wir ihn auf einem alten Forstweg versteckten. Er würde, wie ich im Auto schlafen müssen, aber die Ladefläche war ja groß genug, wenn wir den Sarg raus stellten und ich war es eh gewohnt auf dem Boden zu schlafen. Diesmal würde mir auch Christian nicht entkommen. Auch wenn es nicht viel zu besprechen gab, freute ich mich doch darauf, ihn wieder zu sehen.

64 (Christian)

Pünktlich zum Sonnenuntergang erwachte ich und schob meine Sargdeckel zurück. Irgendwie hatte ich vergessen, wo ich war und schlug mir beim Aufstehen den Kopf heftig an der Wagendecke. Es rumste kräftig und der Wagen schaukelte heftig und ich rieb mir instinktiv die Stelle am Kopf. Ich kroch aus dem Wagen.
„Verdammte Scheißkarre“ motzte ich.
Wenn die Nacht schon so mies anfing, war es nur eine Frage, wie sie enden würde. Ich guckte mich um. Aufgrund der Nahrung der vergangenen Nacht, waren meine Sinne voll da und ebenso meine Kräfte.
Ich stand in einem dunklen Wald. In der nähe ästen ein paar Hirsche, die konnte ich deutlich hören und riechen. In der Baumkrone über mir waren Laute von einer Eule zu hören. Ein paar Eichhörnchen sammelten hektisch Nüsse und Beeren vom Boden auf und eilten in ihren Bau. Eigentlich taten sie mir etwas leid; sie sammelten sich einen Vorrat an und ahnten nicht, dass der Tod in ihrer Nähe lauerte. Mein Rabe flog aus dem Auto in den Abendhimmel. Meine Tiere und ich witterten keine Gefahr und so entließ ich sie in ihr tierisches Leben für diese Nacht.
Ich schaute mich weiter um und suchte nach Brendan und Leander, doch konnte ich sie nicht spüren. Ich ging zur Beifahrerseite und guckte auf den Boden. Ich entschied mich für Brendans Spuren, da er etwas schwerer vom Gewicht war und so war es ein leichtes, seine Spur im Waldboden ausfindig zu machen. Ein kurzes Stück weiter fand ich dann auch Leanders Spuren, unmittelbar denen von Brendan. Sie waren in die Richtung gegangen, aus der wir mit dem Wagen gekommen sind. Die Autospuren waren ebenso klar auf dem Laub und der Erde, wie die Spuren meiner Begleiter. Wahrscheinlich waren sie auf der Suche nach menschlicher Nahrung.
Ich lauschte in die Nacht rein, konnte jedoch keine Zivilisationsgeräusche wie Autoverkehr, Stadtlärm, oder gar Gerüche ausmachen. Nur der Duft von der Natur und Wald. Ein leises Plätschern drang an meine sensiblen Ohren und so wusste ich, dass ein Bach in der Nähe sein musste.
Ich ging etwas in den Wald hinein und ließ mich von der Gerüchen und Geräuschen inspirieren. Nach wenigen Schritten stand ich auf einer Lichtung und entdeckte im fahlen Neumondlicht die Hirsche und Rehe. Es war ein prächtiger Hirsch mit einem riesigen Geweih. Stolz stand er da und bemerkte mich. Er scharrte mit den Hufen, um seine Rehe mit ihren Kitzen um sich zu haben. Er schnaubte und sein Atem setzte sich als Dampfwolke ab. Ich näherte mich mit langsamen Schritten auf die Gruppe zu. Der Hirsch merkte, dass von mir keine Gefahr ausging und entspannte sich. Die Ruhe griff auf die Gruppe über und sie begannen wieder mit dem äsen. Ich stand jetzt vor ihm und streckte meine Hand nach ihm aus. Er schnupperte und ich fing ihn an zu streicheln. Unter seinem roten, glänzenden Fell war reine Muskelmasse. Hart, stark und warm fühlte er sich an und ich fühlte seinen kräftigen Puls. Ein leises Hungergefühl nach Blut überkam mich, was aber auch schnell wieder verflog, da ich gut genährt war. In Notzeiten konnten wir Vampire uns auch von Tieren ernähren. Einige neugierige Kitze näherten sich, um meine Witterung aufzunehmen. Da Vampire nicht schwitzen, hatte ich auch keinen Eigengeruch. Ich ging in die Hocke und streichelte auch dieses. Zuerst sprang es etwas zu Seite, da es nie Kontakt mit Zweibeinern hatte. Seine Neugier war größer als seine Scheu und so näherte es sich wieder und ließ die ersten zaghaften Berührungen zu. Nach wenigen Minuten näherten sich alle anderen Kitze der Herde und die Rehe ästen weiter vor sich hin. Es war eine friedliche Idylle, in der ich mich befand. Ich setzte mich in das Gras und die Kitze schmiegten sich an mich und rieben sich, wie sie es bei ihrem Muttertier üblicherweise taten. Über meinem Kopf flog Max hinweg, wahrscheinlich auf der Suche nach nachtaktiven Nacktschnecken. Ebenfalls spürte ich leichte kleine und schnelle Fußtritte und es war Jimmy, der sich auch näherte. Wo andere Tiere waren, konnten kleine Leckerbissen nicht weit sein. So saß ich eine gewisse Zeit nur umgeben von Tieren. Aus meiner Sicht die besseren Lebewesen.

Wie lange ich da saß, weiß ich nicht. Nach eine gewissen Zeit vernahm ich regelmäßige Erschütterungen im Boden. Der Hirsch hob sofort den Kopf und witterte in die richtige Richtung. Die Kitze erhoben sich schlagartig und die Rehe hörten ebenfalls mit der Nahrungssuche auf. Mit einem Mal setzte sich die ganze Herde in rasche Bewegung und verschwand in dem Wald. Kurz darauf erschien Brendan auf der Lichtung. Die Tiere waren vor ihrem Fressfeind in das Dickicht des Waldes geflohen.

Brendan kam zielstrebig auf mich zu. Ich vermutete, er würde mir gleich sagen, in welcher Richtung sich ein Zoo befindet, um den Plan zur Vollendung zu bringen.

B: Ich entdeckte Christian auf einer kleinen Lichtung, wo er von Rehen umringt war. Ein fast schon abstruses Bild, einen Blutsauger derart mit potentieller Beute vereint zu sehen. Sie mussten wohl spüren, dass sie nichts von ihm zu befürchten hatten.
Ganz im Gegensatz zum mir. Mein Hunger meldete sich sofort, als ich die Rehe sah. Ich betrat die Lichtung und sofort flüchteten die Tiere.
„Hallo Christian! Hier bist du also.“
C: „Guten Abend. Nachdem ihr mich ungeschützt alleine gelassen habt, ja.“
B: „Ich habe dich schon gesucht. Wir sind nicht mehr weit vom Hafen entfernt.“
C: „Wo ist Leander? Und wo ward ihr überhaupt?“
B: „Ich hab mich mit Leander auf die Jagd begeben. Wir haben einen netten Hasen gefangen. Willst du auch was davon abhaben?“ sagte ich mit einem Augenzwinkern.
C: Ich guckte Brendan mit einem arroganten Blick an und sparte mir jeglichen Kommentar. Er fand die Reise offenbar lustig.
B: Ich konnte Christians abschätzenden Blick spüren und zog es vor, das Thema zu wechseln.
„Ich wollte gleich losgehen, um mich um den Wolfsausbruch zu kümmern. Leander braucht etwas Schlaf. Hast du was dagegen, wenn er auf der Ladefläche schläft und wir den Sarg raus holen?“
C: „Nein, macht ruhig. Stellt meine letzte Ruhestätte ruhig in den Dreck. Am besten setzt ihr den Sarg direkt auf die Lichtung.“
B: Manchmal war er richtig empfindlich.
C: „Hast du keinen Zoo gesucht? Was habt ihr den Tag über denn getan?“
B: „Nein, ich hielt es für keine gute Idee, das Tagsüber zu machen. Zu viele Besucher im Zoo.“
C: „Also Brendan, was ist passiert? Du verheimlichst mir doch etwas“
B: „Na ja, wir hatten ein paar Schwierigkeiten auf der Fahrt.“
C: „Was für welche? Wir haben seit ein paar Tagen Schwierigkeiten“
B: „Es gibt Polizeisperren und ein Phantomfoto von dir. Wir konnten nicht riskieren, in die Stadt zu fahren, da sie überall Kontrollen machen.“
„Sieht so aus, als wäre dein kleiner Ausflug letzte Nacht nicht ganz unbemerkt gewesen. Natürlich suchen sie "nur" einen Mörder, aber das Risiko war zu groß. Deswegen hab ich Leander gebeten, in den Wald zu fahren.“
C: „Verdammt! Zur Hölle mit den Jugendlichen! Ich hätte sie alle töten sollen, statt zu fliehen.“
B: „Wäre vielleicht besser gewesen“, antwortete ich, obwohl mir bei der Vorstellung eines derartigen Verbrechens ein Schauer über den Rücken lief.“
C: „Brendan, vergiss den Zoo. Wir brauchen eine Zeitung, oder besser eine Pension mit TV.“
B: „Bist du dir sicher? Ich wollte vermeiden, noch mehr Aufmerksamkeit zu erregen.“
C: „Was meinst du? Schafft Leander noch eine Tour? Ich bin zu jung gestorben und kann nicht fahren.“ Das war mir ziemlich peinlich, das zuzugeben.
„Du und Leander habt nichts zu befürchten. Ihr werdet nicht steckbrieflich gesucht.“ Ich war aber auch zu dämlich in der vergangenen Nacht.
B: „Ich habe schon ein paar Mal einen Wagen beim aufbauen auf dem Jahrmarkt rangieren dürfen. Vielleicht kann ich ja auch fahren? Er sieht schon was erschöpft aus.“
C: „Die Sache ist, darfst du Fahren? Wir dürfen keine Kontrolle riskieren.“
B: „Nein, darf ich nicht. Du hast Recht. Wenn dann Leander. Warum willst du unbedingt in eine Pension? Wären wir hier nicht sicherer?“
C: „Sicher, aber wir müssen raus finden, wie gut oder schlecht das Phantombild von mir ist.“
B: „Ja, ich verstehe was du meinst. Aber so weit ab vom Schuss sind wir ja auch nicht. Du kannst bestimmt zum nächsten Ort fliegen.“
C: „Du hast es nicht verstanden. Wenn ein Bild von mir, wo ich nicht weiß wie es aussieht, kann ich schlecht an der nächsten Bude eine Zeitung kaufen, mit meinem Antlitz drauf. Ich habe jedoch eine Idee.
B: „Ich kann es ja auch holen. Ich kann schnell laufen.“
C: „Du kannst auch wieder auf meinen Rücken klettern.“
B: „Stimmt, das geht natürlich auch.“ Eigentlich hielt ich es für unnötig. Ich war genauso schnell zu Fuß unterwegs wie er, wenn er flog. Aber inzwischen genoss ich das Fliegen sogar ein wenig.
C: „Fliegen oder Huschen?“
B: „Fliegen!“ rief ich sofort.
Das Huschen verursachte bei mir immer noch Übelkeit. Ein wenig ängstlich war ich immer noch, was das Fliegen anging. Aber es war auch aufregend.
C: „Brendan, sieh dich um. Überall Bäume. Wir brauchen mindestens eine Höhe von 15 bis 20 Meter.“ ich warnte ihn.
B: Ich schluckte. Im Zickzackkurs zwischen die Bäume zu Huschen kam mir allerdings noch schlimmer vor. Ich versuchte zuversichtlich zu klingen.
„Kein Problem.“
C: „Ok. Zerreiß nicht meinen Anzug. Das ist der einzige der mir seid meinen Tod geblieben ist. Und eine Leiche in Blue Jeans sieht komisch aus.“
B: „Ich werde es versuchen!“ sagte ich zuversichtlicher, als ich mich fühlte. Ich hoffte nur, mir würden nicht versehentlich Krallen wachsen.
C: Brendan war im Begriff, auf meinen Rücken zu klettern, als mit einem Mal sämtliche Vögel in die Luft flogen. Das war ungewöhnlich zur Nachtzeit. Meine Ratte stellte sich auf die Hinterbeine. Ein Vogel flog in die Entgegengesetzte Richtung. Max! Mit einem Mal sah ich blutrote Augen in der Luft.
Meine erste Sorge galt Leander!
B: Ich erstarrte mitten in meiner Bewegung. Noch bevor die Vögel reagierten, wusste ich schon, dass wir angegriffen wurden!
C: Ich schnappte Brendan und huschte von der Lichtung Richtung Auto
B: Noch während ich mit Christian Richtung Auto Huschte, begann ich mich zu verwandeln.
C: Packte Leander und rollte ihn unter das Auto. Er sollte dort sicher sein.
Die Bäume würden uns Schutz von oben geben.
„Brendan. Schütz meinen Rücken! Wir kämpfen Rücken an Rücken!“
B: Ich stellte mich hinter Christian, während sich die Verwandlung vollzog. Wild entschlossen zog ich mir das Oberteil aus. Wenigstens etwas sollte nicht zerreißen, wenn ich schon nicht die Zeit hatte, alle meine schönen Sachen zu retten.
C: Meine Fangzähne wuchsen, so wie meine Nägel. Meine Augen veränderten sich für die Nachtsicht und wurden Stahlblau.
B: Ich versuchte die Vampire zu orten, während ich mich verwandelte. Aber sie huschten, was es schwierig machte.
C: „Brendan. Wie viele aus Norden? Ich habe 2 im Süden.“ rief ich ihm über den Rücken zu.
B: „Es fällt mir schwer, sie zu orten. Sie huschen. Aber es sind mindestens zwei!“ meine Stimme war mehr ein Grollen, als Sprache, weil sich meine Stimmbänder veränderten.
Vier gegen zwei. Wenn das mal kein ungleicher Kampf war, dachte ich.
C: „Gut. Wir gehen von fünf aus, obwohl es wahrscheinlich vier sind.“
B: Christians Tarnung war auch hinüber. Wenn nur einer entkommen würde, würde er sein Geheimnis, dass er mit einem Werwolf kollaborierte, verraten.
C: „Das schaffen wir! Vertrau mir!“ machte ich ihm Mut.
B: Ich lächelte Grimmig, soweit mir das als Wolf überhaupt möglich war. Die Verwandlung war jetzt schon fast abgeschlossen. <An uns werden sie sich die Zähne ausbeißen!> sendete ich ihm per Gedanken zu.
C: Brendan stand auf den Hinterläufern ich fasste nach seiner Vorderpranke und drückte sie. Akasha war auch zur Stelle. Sie lauerte im Baum und würde sich um einen kümmern.
B: Die Angreifer näherten sich schnell.
C: Der erste flog auf mich mit gespreizten Klauen zu. Ich sprang hoch und wehrte seinen Flug ab.
B: Die zwei Angreifer aus Süden huschten immer noch, allerdings jetzt auf uns zu. Dieses verdammte Gehusche. Konnten sie nicht kämpfen wie Männer? Es war mir fast unmöglich, sie zu orten. Sie kamen aus zwei Richtungen. Der erste sprang von Baum zu Baum, der andere bewegte sich auf dem Boden.
C: Während er noch unter mir im Flug war, riss ich einen Ast ab und flog wieder runter. Im Flug stach ich ihm den Ast durch die Brust. Mein Vampirbruder schrie den Todesschrei aus, der durch Zeit und Raum ging. Es war ein unerfahrener Vampir, sonst hätte ich ihn nicht so leicht bekommen.
B: Sie wollten mich gleichzeitig angreifen, doch der eine hatte sich ausgerechnet den Ast mit der Schlange ausgesucht, um auf mich zu springen. Obwohl der huschende Vampir selbst für die Schlange zu schnell war, schien er doch ein wenig zu stolpern. Jedenfalls kam er nicht mehr direkt auf mich zu. Blitzschnell wich ich dem anderen Vampir aus und schaffte es eher zufällig, den eh schon strauchelnden zweiten Vampir mit meiner Klaue zu streifen.
Er verlor den Zustand des Huschens und lag eine Sekunde lang auf dem Boden.
Doch bevor ich ihn erreichen konnte, stand er wieder auf und startete einen neuen Angriff. Den zweiten Angreifer hatte ich inzwischen aus den Augen verloren.
C: <Brendan. Keine Gnade. Töte auf jeden Fall.> schickte ich in Brendans Gedanken.
B: Er erhob sich in die Lüfte und wollte mich nun offensichtlich von oben erwischen. Seine Augen glühten rot und seine Zähne blitzen selbst bei dem schlechten Licht. Sein weiter Mantel flatterte im Wind. Eine Sekunde lang stockte mir der Atem, als ich Christians Gedanken empfing.
Blitzschnell stieß ich meine rechte Klaue vor und stieß sie ihm in die Brust, wo ich sein Herz traf.
C: Mein zweiter Angreifer wurde von Max torpediert. Da der Vampir mich im Visier hatte, achtete er nicht auf meinen Vogel. Dieser hatte es auf den Kopf und die Augen abgesehen und flog geradewegs auf ihn zu. Den Schnabel wie ein Speer. Er traf den Vampir im Auge und der Vampir stürzte im Flug ab.
B: Ich schleuderte den Leblosen Körper fort, als mich ein harter Schlag traf. Doch jetzt hatte ich Blut geleckt. Ich roch und schmeckte das Blut des Vampirs und der uralte Werwolfinstinkt brach wieder durch. Ich ging auf alle Viere und sprintete hinter dem Vampir, der mich soeben angegriffen hatte, her.
Er hatte wohl nicht damit gerechnet, dass ich ihm so schnell folgen würde. Er wollte gerade wieder an Höhe Gewinnen, um einen zweiten Anlauf zu starten, als ich auf seinen Rücken Sprang. Meine Pranken gruben sich tief in sein Fleisch und ich drückte ihn zu Boden.
C: Der einäugige Vampir wurde blitzschnell von Akasha umwickelt und sie zog ihre gesamten Muskeln zusammen. Es war ein erfahrener Vampir und ich wollte vermeiden, dass er Akasha auseinander riss. Ich eilte ihr zur Hilfe.
B: Der Vampir unter mir strampelte wild und mein mächtiger Kiefer verbiss sich in seinen Kopf. Er schrie auf. Jedem Menschen wäre das sein Todesurteil gewesen. Doch der Vampir berappelte sich plötzlich wieder und stieß sich in die Lüfte, mit mir immer noch auf seinem Rücken.
C: Kam aber nicht an sein Herz ran. Würde ich Akasha lösen, wäre er frei. Sie zu durchbohren, um sein Herz zu pfählen, das konnte ich nicht.
Der Kampf nahm ein jähes Ende durch eine nicht vorhersehbare Wendung, die wir nicht in betracht gezogen hatten und beinahe mein Tod bedeutete.
B: Ich war es durch Christian ja schon gewohnt zu fliegen, so dass die Panik dieses Mal ausblieb. Ich musste ihn nur wieder dazu bewegen, in Bodennähe zu kommen.
Immer noch hatte ich mich in seinen Kopf verbissen und er konnte wohl nicht genau sehen, wohin er flog. Jedenfalls knallten wir erst gegen einen Baum und dann Richtung Erde. Ich verlor den Halt und so landeten wir beide ziemlich unsanft auf der Erde.
Wir rappelten uns beide wieder auf. Er war arg mitgenommen, doch man konnte förmlich zusehen, wie seine Wunden sich schlossen. Er lächelte höhnisch.
"Bist du etwa das Haustier von diesem Vampir? Warum hat er dich denn nicht an die Leine genommen, wie sich das gehört? Jetzt werde ich dich leider töten müssen!" sagte der Vampir.
Ich knurrte hörbar und sprang dann auf ihn zu. Er hatte damit gerechnet und wehrte meinen Angriff fast mühelos ab, als es plötzlich hell wurde und der Vampir gellend aufschrie.
C: Leander war nicht unter dem Wagen geblieben, sondern in die Fahrgastzelle gestiegen und hatte das Fernlicht entzündete und beleuchtete die Szenerie. Ich schrie vor Schmerz auf. Es waren keine normalen Leuchten. Paul hatte an alles gedacht und die Glühbirnen durch Phosphor ausgetauscht.
Die Vampire explodierten förmlich. Der eine in Akashas Umarmung, der andere neben Brendan.
B: Mir wurde sofort klar, dass nicht nur die anderen Vampire in Gefahr waren, sondern auch Christian, der ebenfalls dem Licht ausgesetzt war.
Ich Sprang auf ihn zu, um ihn in meinem Schatten zu schützen.

C: Brendan machte einen beherzten Sprung auf mich zu. Seine imposante Größe ließ mich in seinen mächtigen Schatten versinken.
Und vermied meine tödliche Verbrennung. Er hatte in einer Nacht so viel gelernt, wie in den ganzen Jahren nicht. Er hatte mir vertraut! Und mir das Leben gerettet.
Der höllische Schmerz der Verbrennung ließ mich hinter Brendan zusammen sacken.
B: Leander löschte das Licht und ich wusste nicht, ob ich ihm für die Rettung danken oder ihm das Herz raus reißen sollte dafür, dass er Christian fast mit verbrannt hätte.
Ich drehte mich zu Christian um, der leblos vor mir auf dem Boden lag.
C: Ich versuchte mich aufzurappeln, aber meine Beine versagten erneut. Ich wusste nicht, ob sie verbrannt waren.
B: Er sah wie ein Verbrennungsopfer aus. Er versuchte aufzustehen und ich eilte zu ihm, um ihm zu helfen.
C: Ernste Verbrennungen würden Tage benötigen, um zu heilen. Wir waren gegen Krankheiten und Wunden am Körper immun. Starkes Licht jedoch war so tödlich wie ein Pflock im Herz.
B: Es tat mir weh, ihn so zu sehen. Seine Verbrennungen sahen schlimm aus und ich fragte mich, ob er jemals wieder vollständig genesen würde. Behutsam hob ich ihn auf und trug ihn in Richtung seines Sarges. Brendan hielt mich im Arm. Ich sah ihn. Vielleicht zum letzten Mal in die bernsteinfarbenen Augen.
Leander beeilte sich, aus dem Wagen zu klettern und öffnete die Hecktür. Ich knurrte ihn unwillig an und er war sichtlich bleich. Vermutlich waren ihm die Nerven durchgegangen
C: „B-B-Blut“ stammelte ich.
„G-g-g-gib mir frisches Blut“ hauchte ich.
B: Ich bettete ihn behutsam in seinem Sarg, dann schnitt ich mir in den Arm und ließ das frische Blut in seinen Mund tropfen.
Gierig nahm er es auf trotz seiner Verbrennungen schlossen sich seine Hände um meinen Arm und er drückte die Wund fest an seinen Mund um mein Blut besser trinken zu können.
C: Sein Blut benetzte meine Lippen. Es war warm und wild.
Ich sah den Vollmond, Wälder, hörte in meinen Ohren Wölfe heulen.
Sein leben lief Revue hinter meinen Augen und in meinem Kopf.
B: Die Bilder änderten sich. Ich schrie vor Schmerz auf. Ich sah, hörte und fühlte jede Quälerei und Schikane von Heinrich.
Er wurde unruhig und ich fragte mich, ob er vielleicht Menschenblut statt Werwolfblut benötigte.
C: Dann verschwammen die Bilder. Ich sah eine Höhle
Eine Wölfin die einen Jungen gebar.
Brendan!
Und seine Mutter!
Sie starb, während sie Leben schenkte.
B: Er hatte aufgehört zu trinken und ich war auch recht froh darüber. Mir war ein bisschen schummrig zumute nach dem Blutverlust. Ich hatte mich wieder zurück verwandelt und bedeutete Leander, von hier weg zu fahren.
C: Mit einem Mal sah ich wie sie am Leib blutete und eine dicke silberne Kugel in ihrer linken Rippe hing.
B: Ich blieb im Heck und beobachtete weiter Christian. Sein Kopf ging hin und her und er schien eine Art Fiebertraum zu haben
C: Sie hauchte ihren letzten Atem, knurrte noch einmal und ein Schatten wurde sichtbar.
Der Schatten griff nach dem Jungen und verpasste der Wölfin einen Tritt.
Ich starb mit Brendans Gedanken.
Mit letzter Kraft erreichte ich Brendans Gedanken. <Meine Tiere. Sei ihnen ein guter Herr.>

65 (Brendan)

Wie aus weiter Ferne erreichten mich seine Gedanken, dann verdrehten sich seine Augen uns ein Kopf kippte zur Seite, den Mund noch geöffnet. Blut tropfte aus seinem Mund, das einst so schöne Gesicht von den Verbrennungen entstellt. Fassungslos starrte ich ihn an. Ich konnte es nicht glauben. War er wirklich tot?
„Christian!“ rief ich und schüttelte ihn an der Schulter.
„CHRISTIAN!“ Ich schrie fast. „Nein, bitte. Tu mir das nicht an! Stirb nicht! Hörst du? Stirb bitte nicht!“
Meine Augen füllten sich mit Tränen. Nichts hatte dieser Anblick mit dem friedlichen Entschlafen zu tun, das er jeden Morgen erlebte, um am nächsten Abend wieder aufzuerstehen. Hier zeigte sich eindeutig die hässliche Fratze des Todes. Ich geriet in Panik. Ich wollte ihn wiederbeleben. Ich setzte mich auf ihn und begann, ihm eine Herzmassage zu verabreichen, wie ich es schon auf dem Jahrmarkt gesehen hatte, wenn Sanitäter einen Besucher wiederbelebten. Dann presste ich meine Lippen auf seine und pumpte ihm Luft in die Lungen. Das Spiel versuchte ich mehrfach, während wilde Tränen mir über die Wangen liefen. Immer wieder flehte ich.
„Christian. Komm zurück zu mir, Christian. Bitte! Ich brauche dich!“
Doch es half nichts. Blut! Das Einzige, was einem Vampir retten konnte, war doch Blut! Vermutlich hätte er Leanders Blut gebraucht. Mein Werwolfblut hat ihn getötet, schoss es mir durch den Kopf. Vielleicht war es ja auch noch nicht zu spät. Ich drehte mich zu Leander rum, der immer noch an der Hecktür stand. Er starrte mit fassungslosem Blick auf den Sarg. Vermutlich stand er unter Schock. Er erschrak richtig, als sich unsere Blicke trafen.
Vermutlich befürchtete er, ich würde auf ihn losgehen. Ich merkte, wie ich am ganzen Körper zitterte. Aber ich hatte nicht vor, ihm was zu tun. Ich schaltete die Innenraumbeleuchtung ein, damit er meine Lippen lesen konnte.
„Vielleicht braucht er Menschenblut.“ Ich zwang mich, langsam zu sprechen. Er war gegenwärtig meine letzte Hoffnung. Er wurde noch ein Stück bleicher, als er meine Worte gelesen hatte und schluckte, kletterte aber zu mir in den Wagen. Er konnte jetzt zum ersten Mal einen Blick auf Leiche werfen. Er wurde noch etwas bleicher. Auch die Tiere kamen jetzt zurück. Sie hatten gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Die Schlange glitt lautlos in den Sarg, während der Rabe in den Wagen geflogen kam und sich auf den hölzernen Rahmen des Sarges setze. Die Ratte kletterte über die immer noch geöffnete Fahrertür und kletterte auf die Kopfstützen, von wo aus sie den Sarg sehen konnte. Auch sie wirkten geschockt.
Leander sah mich ängstlich an. Fürchtete er etwa, ich würde ihm etwas antun, wenn er es nicht täte? Umständlich kramte er ein Taschenmesser hervor und klappte es auf. Dann krempelte er mit zittrigen Händen den linken Arm hoch. Er spannte sich an, kniff die Augen zusammen und wollte geraden zuschneiden, als ich mit sanfter Gewalt seine Hand mit dem Messer runter drückte. Er öffnete die Augen und sah mich fragend an. Ich schüttelte langsam und traurig den Kopf. Ich wusste irgendwie, dass es keinen Sinn haben würde. Außerdem hatte ich Angst, dass er sich die Pulsschlagader aufschneiden würde. Dann wäre ich ganz alleine. Obwohl ich mich schon so fühlte.

Aber noch war ich nicht bereit, aufzugeben. Er war ein Untoter, richtig? Er hatte keinen Pflock in seinem Herzen und zu Staub zerfallen war er auch noch nicht. Vielleicht konnte man ihn noch retten. An diese Hoffnung klammerte ich mich wie an einen Strohhalm. Doch wer konnte mir helfen? Alles, was ich über Vampire wusste, hatte ich von Christian erfahren. Da ich momentan vermutlich der meist gesuchte Werwolf der Nation war (was die Vampire betraf) konnte ich auch schlecht irgendeinen Vampir fragen. Abgesehen davon, dass ich eh keinen kannte; bis auf Paul. Paul würde mir zweifelsohne die Schuld am Tod seines Schützlings geben und es würde mich auch nicht wundern, wenn er mich erst töten und dann fragen würde, was passiert war. Doch Christian hatte ihm vertraut und wenn ich nicht gewesen wäre, hätten ihn seine Blutsverwandten auch nicht angegriffen.
Ich schaute Leander an.
„Weißt du, wo wir Paul finden können?“
Er nickte.
„Dann lass uns wieder zurück fahren. Wir müssen ihn finden. Vielleicht kann er Christian wiederbeleben.“
Er nickte wieder und wollte nach vorne klettern, doch ich hielt ihn noch auf.
„Du bist den ganzen Tag gefahren. Wenn du zu müde bist, mach eine Pause. Nicht, dass du uns gegen einen Baum fährst.“
Er nickte wieder und gab mir zu verstehen, dass es noch ginge. Er wollte fahren und ich ließ ihn, ein wenig froh, dass wir diesen Ort verlassen würden. Dann wandte ich mich dem Raben zu.
„Flieg voraus. Versuche, Paul zu finden und berichte ihm, was passiert ist!“
Sofort erhob sich der Rabe in die Lüfte und flog durch die Hecktür. Der Motor des Wagens erzitterte zu Leben und ich schloss die Tür. Irgendwie tat es gut, wieder aufzubrechen.
Ich sah zu Christian in den Sarg und strich ihm zärtlich eine Strähne aus dem Gesicht.
„Halt durch, mein Prinz!“
Eine Zeitlang saß ich noch an seinem Sarg und hielt seine kalte Hand. Ich drehte seinen Kopf gerade und säuberte sein Gesicht vorsichtig mit einem Taschentuch, schloss seine Augenlieder und seinen Mund.
Er sah jetzt nicht ganz mehr so schrecklich aus. Es wirkte fast wieder ein wenig, als würde er schlafen. Nur die Brandverletzungen zeugten noch von seinem Unfall. Ich brachte auch seine Kleider in Form und faltete seine Hände auf seinem Bauch. Als es nichts mehr gab, was ich für ihn tun konnte, stieg ich in seinen Sarg. Ich lag wieder bei ihm, zusammen mit der Ratte, die ebenfalls in den Sarg geklettert kam, und der Schlange. Die Schlange machte immer noch keine Anzeichen, die Ratte zu jagen. Dieser Sarg war fast wie ein heiliger Ort, wo es ein Sakrileg gewesen wäre, sie zu verfolgen.
Ich schloss den Sargdeckel und Finsternis umfing mich. Ich spürte seinen kalten Körper, doch diesmal fehlte die Gewissheit, dass er wieder auferstehen würde. Meine ganze Hoffnung galt Paul. Ich betete, dass er ein Mittel kennen würde, ihn zurück ins Leben zu holen. Erst jetzt, da ich Gefahr lief, ihn zu verlieren, ihn vielleicht auch schon verloren hatte, wurde mir bewusst, wie viel er mir bedeutete. Ich wünschte mir, ich hätte mir manche bissige Antwort verkniffen. Hätte ihm mehr zu spüren gegeben, was er mir bedeutete und wie dankbar ich ihm für meine Rettung war. Hoffentlich war es noch nicht zu spät.
Ich kannte ihn erst seit einigen Tagen, doch er war nicht nur mein Lebensretter und Begleiter. Er war mein Freund. Der erste richtige Freund, den ich jemals mein eigen nennen konnte. Ich erinnere mich zurück. Viele Menschen habe ich bereits kennen gelernt. Einige besser, einige schlechter. Es bleibt nicht aus, wenn man mit dem Jahrmarkt unterwegs ist. Man zieht von Ort zu Ort. Die Mitreisenden werden zu einer Art Familie. Sie begleiten einen Tag täglich und man beginnt, Vertrauen zu ihnen zu fassen. Insbesondere die anderen Teilnehmer der Freakshow sind mir im laufe der Zeit ans Herz gewachsen, waren es doch Leidensgenossen in gewisser Hinsicht. Doch selbst wenn Heinrich nicht mehr da wäre, man keinen entflohenen Wolf suchen würde und kein Vampir wüsste, dass es mich gibt, könnte ich dorthin nicht zurückkehren. Diese Tatsache wurde mir schmerzlich bewusst. Es gab keinen, der mich aufnehmen würde. Keinen, dem ich vertrauen würde und könnte. Mein einziger Freund lag kalt und tot neben mir.


Plötzlich wurde hart gegen die Wand des Sargs gedrückt. Der Wagen war kurz ins schleudern gekommen, fuhr aber jetzt wieder ruhig geradeaus weiter. Ich kletterte aus dem Sarg nach vorne auf den Beifahrersitz. Es war inzwischen hell geworden. Ein Blick auf Leander verriet mir sofort, dass er übermüdet war. Wir schossen mit hoher Geschwindigkeit über die Autobahn; nicht mehr über Landstraßen und Feldwege. Es würde so nicht lange dauern, bis wir wieder zurück wären. Doch Leander brauchte eine Pause. Ich bedeutete ihm, an der nächsten Raststätte ran zu fahren und tauschte mit ihm den Platz. Ja, es war riskant über die Autobahn zu fahren, doch wir mussten so schnell wie möglich Paul finden. Ich hoffte nur, dass wir nicht angehalten werden würden. Wir tankten noch und ich kaufte für Leander etwas Verpflegung, doch als ich zurück zum Wagen kam, war er schon auf dem Beifahrersitz eingeschlafen. Er hatte sich völlig verausgabt und ich hatte ein wenig schlechtes Gewissen, dass ich ihn genötigt hatte, weiterzufahren.
Ich setzte mich hinters Lenkrad und versuchte möglichst cool zu wirken, als ich den Wagen anließ. Doch ich war angespannt und schwitze sofort. Nur nicht auffallen! Ich ließ die Kupplung kommen und der Wagen machte einen Hüpfer nach vorne und der Motor erstarb. Beim zweiten Anlauf gelang es mir endlich, ihn unter wildem Gehüpfe vorwärts zu bringen, doch erst als wir wieder auf der Autobahn waren, ging es gut voran.
Ich machte kaum Pausen und als es dunkel wurde, näherten wir uns wieder unserem Ausgangsort. Schon merkwürdig, wieder am Start unserer Reise zurück zu kommen. Als die Sonne unterging lauschte ich gespannt jedem Geräusch im Wagen. Ich hoffte inständig, dass vielleicht ein Wunder geschehen würde und Christian aus seinem Sarg erwachen würde wie immer, doch nichts dergleichen geschah. Der Sarg blieb geschlossen und kein Leben war in Christians Körper. Leander war wieder wach, als ich die Autobahn verließ und er bedeutete mir, dass wir tauschen sollten. Er hatte Recht, denn schon an der ersten Kreuzung würgte ich den Wagen wieder ab. Eilig tauschten wir also die Plätze.
Nach kurzer Fahrt erreichten wir dann auch den alten Friedhof. Ich bedeutete Leander, im Wagen zu warten und sprang mit einem Satz mühelos über die Friedhofsmauer. Es war merkwürdig, wieder hier zu sein. Die teilweise umgefallenen oder zerbrochenen Grabsteine wirkten nun unheimlich auf mich. Tiefe Wolken hingen am Himmel und ließen die Nacht noch schwärzer erscheinen als gewöhnlich. Es war ein wenig, als wäre dieser Friedhof noch verlassener als sonst. Als hätte er mit Christians Tot ebenfalls seine Seele verloren. Ich verscheuchte den Gedanken. Auf was für alberne Ideen man manchmal kommt. Doch wenn ich ehrlich zu mir war, spiegelte sich in meinem Empfindungen nur meine eigene Leere wieder. Ich kam an dem beschädigten Brunnen vorbei und musste daran denken, wie er zu Bruch gegangen ist. Ein Lächeln huschte über mein Gesicht und gleichzeitig lief mir eine Träne über die Wange. Lange blieb ich an dem Brunnen stehen und erinnerte mich an meine Erlebnisse mit Christian. In so kurzer Zeit hatte er mein Leben so sehr bereichert. Und mir war es nicht einmal bewusst gewesen. Vielleicht muss man manchmal erst etwas verlieren, damit man begreift, wie wertvoll es für einen gewesen ist.
Fast schon mühevoll riss ich meinen Blick von dem Brunnen los und ging wieder in Richtung Mausoleum. Es war das nächste Gebäude, das mit Erinnerungen behaftet war. Wenn Paul unsere Nachricht erhalten hat, dann würde er mich wohl hier treffen. Es war gut möglich, dass er mich einfach in dem Moment töten würde, wo ich durch die Tür ging. Zugetraut hätte ich es ihm jedenfalls. Er hatte Christian vor mir gewarnt und er hatte nicht auf ihn gehört. Ein bitterer Kloß saß mir im Hals. Hätte er auf ihn gehört, wäre er noch am leben und munter auf der Fahrt zu seiner Familie, ohne Vampire oder die Staatsgewalt auf seinen Fersen.
Konnte es sein, dass ich ihm nur Unglück brachte?

Nun, egal was Paul mit mir vorhatte. Er war der letzte Strohhalm, an den ich mich klammern konnte. Der Einzige, der mich vielleicht nicht erst tötete und dann Fragen stellt. Oder selbst wenn er es auf mich abgesehen haben sollte, so würde er doch alles tun, um Christian zu helfen. Die Bande des Vertrauens zwischen den beiden war unübersehbar. Ebenso groß würde natürlich auch sein Schmerz sein…
Langsam öffnete ich die Tür. Das Mausoleum war dunkel. Kein Laut war zu hören. Vorsichtig setzte ich einen Fuß vor den anderen und betrat die Dunkelheit.
Langsam betrat ich das Mausoleum. Es war Finster, doch ich konnte Paul wittern. Kein Geräusch war zu hören. Langsam ging ich weiter vor.
„Paul?“ rief ich halblaut in die Finsternis.
Keine Reaktion. Und immer noch kein Laut. Er war deutlich zu riechen, doch sein Geruch erfüllte den ganzen Raum. Kein Lüftchen regte sich. Als ich weiter ging, glaubte ich einen Schatten vor dem Altar auszumachen. Oder spielten mir meine Augen einen Streich?
„Paul?“ sagte ich noch einmal.
Paul bewegte sich langsam auf den Balken des Dachstuhls. Langsam und geräuschlos um ihm den Weg nach draußen zu versperren.
Doch ich hatte mich getäuscht. Ich glaubte etwas zu hören, von oben vielleicht? Ich lauschte angestrengt in die Dunkelheit. Langsam wurde mir unheimlich.
Paul schlich langsam auf den Balken. Als Brendan in der Mitte stand, ließ er einen Sturm entfachen. Laub stob auseinander und wieder zusammen. Die Türen schlugen auf und wieder zu. Als die Türen fest zu waren, ließ Paul die Kerzen aufflammen.
Mit geblähtem Umhang sprang er hinter Brendan und riss ihn um.
Plötzlich brach ein Sturm im Mausoleum los und etwas packte mich und schleuderte mich herum. Paul!
Mein Herz setzte vor Schreck einen Moment aus, doch ich fasste mich schnell wieder. Pauls Augen leuchteten Blutrot in der Dunkelheit. Sein ohnehin schon entstelltes Gesicht war zu einer fürchterlichen Fratze entstellt. Ich glaubte, er würde mir einfach den Kopf von den Schultern reißen und ich konnte die ungeheure Wut und den Hass spüren, der mir entgegen schlug. Das Chaos, das sich im Mausoleum entfacht hatte, war nur ein kleiner Vorgeschmack auf die Wut und den Zerstörungswunsch, den ich in seinen Augen sehen konnte. Trotzdem versuchte ich, meine Gefühle unter Kontrolle zu halten. Ich wollte ihm nicht die Genugtuung geben, meine Furcht zu sehen.
„Du widerliches, verlaustes Vieh! Ich hatte Dich gewarnt!“ Paul packte Brendan am Kragen und schüttelte ihn. Seine Füße baumelten in der Luft.
Er packte mich und schüttelte mich voller Zorn und Hass.
„Paul!“ rief ich, um ihn wieder zur Besinnung zu bekommen.
Paul ließ ihn mitten im schütteln fallen und Brendan fiel auf den Boden.
„Rede!“
„Meine Nachricht hat dich also erreicht! stellte ich erst einmal nüchtern fest.
Ich rappelte mich auf und sah Paul in die Augen.
„Natürlich Du Penner!“
„Ich freue mich auch, dich wieder zu sehen“, stellte ich ironisch fest.
Das war zuviel. Paul holte aus und scheuerte Brendan eine schallende Ohrfeige. Die riss ihn wieder von den Füßen.
Urplötzlich fing ich mir eine Ohrfeige von Paul ein, die mich mindestens einen Meter nach hinten fliegen ließ.
„Kannst du mal aufhören mit dem Scheiß? Ich bin nicht quer durch das Land gefahren, um mich mit dir zu prügeln!“
„Wie geht es Christian? Oder muss ich es aus Dir rausprügeln?“
Als Brendan aufsah, wurden Pauls Augen tiefrot. Blut tropfte aus Brendans Nase.
„Ich bin einzig und alleine wegen Christian hier. Wenn es nach mir gehen würde, könntest du in deiner stinkenden Kloake verfaulen! Aber was glaubst du, wie es ihm geht, wenn ich selbst zu dir fahre, du Rattengesicht?“
„Es geht ihm nur so, weil es Dich gibt und Du Dich bei ihm eingenistet hast, wie eine Zecke!“
„Es geht ihm so, weil dein sauberer Assistent die Nerven verloren hat. Und dass er noch nicht zu Staub zerfallen ist, hast du einzig und alleine mir zu verdanken!“
„Ich hätte Dich einfach töten sollen. Schon im ersten Augenblick.“
„Na fein. Warum tust du es dann nicht?“
Paul huschte auf ihn zu. Binnen eines Augenschlags stand er vor Brendan.
„Du Narr. Hättest ja Deinen Herrn der Missgeburt rufen können. Der hätte euch sicher geholfen.“
Seine Aussage versetzte mir einen Stich. Gab es doch keinen, zu dem ich hätte gehen können. Dass ich zu Paul gekrochen kommen musste, war die schlimmste Demütigung.
„Interessiert es dich jetzt, was mit ihm passiert ist oder geht es dir nur darum, einen Schuldigen zu finden?“
„Du kannst nicht ermessen, was es bedeutet. Wir müssen ihn retten. Und Du Miststück wirst dabei helfen. Ich übernehme die Nächte, Du die Tage! Ein weiterer Fehler von Dir und ich hetz Dir den Clan auf den Hals.“
„So wie ich das sehe, habe ich eh schon die Clans am Hals. Aber danke für das Angebot!“ Die Überheblichkeit der Vampire widerte mich immer wieder aufs Neue an.
„Du wirst machen, was ich Dir sage und befehle. Keine Alleingänge und Du wirst mich Abends hier aufsuchen. Ich werde nicht hier schlafen. Aber nur ein Fehltritt und ich jage Dich. Du wirst den momentanen Schutz verlieren, den ich Dir in dieser Nacht begrenzt gewähre. Hast Du das verstanden?“
Es gefiel mir ganz und gar nicht, mich den Anweisungen Pauls zu unterwerfen. Doch ich musste an Christian denken, der jetzt reglos in seinem Sarg lag. Langsam blickte ich zu Paul auf.
„Ich werde alles tun, was nötig ist, um Christian zu retten!“ sagte ich mit entschlossener Stimme.
„Schön. Dann sind wir uns einig!“ knurrte Paul.
„Sieht ganz so aus“, knurrte ich zurück.
Paul griff umständlich in seinem Umhang und kramte. Er warf Geldscheine vor Brendans Füße.
„Du wirst die was Vernünftiges zum Anziehen kaufen und Seife. Jeder Wolfsjäger von uns kann Deinen Gestank sonst riechen. Nutze ebenfalls ein Aftershave oder etwas anderes. Irgendwas was stark riecht. Menschlich.“
„Morgen Abend bekommst Du eine Flasche von mir. Davon wirst Du täglich 15 Tropfen trinken. Dann kann Dich kein Vampir aufspüren. Du wirst Christians erste große Liebe suchen. Sie führt Dich zu seinem ersten Grab. Dort beschaffst Du Erde und bringst beides her. Muttererde und die Liebe wird ihn das Grab überwinden lassen. Hast Du das kapiert?“
Ich zog verwundert die Augenbraue hoch.
„Hört sich was okkult an. Bist du sicher, dass das funktioniert?“
„Hast Du Missgeburt eine bessere Idee?“
Ich hob die Hände in die Luft.
„Kein Problem. Wir können es gerne probieren. Du bist der Fachmann.“
Doch ich zweifelte daran, dass es funktionieren würde.
„Und wie finde ich seine erste Liebe?“
„Geh seinen Weg zurück. Sie in seinen Sachen nach. Ich kann mich ja schlecht nachts auf die Suche machen.“
„Also du hast keine Ahnung?“ stellte ich nüchtern fest.
„Hilf jetzt Leander den Sarg rein zu tragen. Wir benötigen auch ihn! Brendan ich warne Dich. Unsere uralte Mystik ist das einzige was wir haben. Wenn es scheitert, wirst du ein Leben lang mein Diener sein. Du wirst Dir wünschen, dass ich Dich töte, als mir zu Folgen. Wenn es gelingt, bist Du Frei und kein Vampir wird Dich mehr jagen. Dafür sorge ich.“
„Wenn man uns beide betrachtet, sollten wir davon ausgehen, dass es Mystik gibt. Aber über eines solltest du dir im Klaren sein: Ich bin nur hier wegen Christian. Und wenn du glaubst, dass du mich zu deinem Schoßhündchen machen kannst, hast du dich geschnitten. Ich fürchte auch nicht deine anderen Flattermänner. Also hör gefälligst auf mir zu drohen!“
Da Brendan etwas träge war, ging Paul zur Tür und öffnete beide Flügel. Der kühle Wind ließ seinen Umhang aufblähen. Im Schatten sah er majestätisch aus. Paul überging ihn und ging zum Friedhofstor. Leander hatte schon den Kofferraum geöffnet und guckte ängstlich zu Paul.
„Und ignorier mich gefälligst nicht!“ schrie ich ihm hinterher. Ich konnte spüren, wie das Blut in mir hoch kochte.
Paul grüßte ihn knapp mit einer Handbewegung und schulterte den Sarg, als sei es ein Rucksack. Als er Brendan passierte, stieß er mit Absicht gegen Brendans Kopf und dieser fiel auf die kalte, nebelige Erde des Friedhofs.
„Kümmere dich um das Gepäck!“
Die Verwandlung setzte ein. Ich konnte es spüren. Zum ersten Mal gelang es mir nicht, mein Temperament zu kontrollieren. Diese arrogante Schießbudenfigur machte mich wahnsinnig. Ohne zu überlegen, was ich tat, rannte ich los und warf Paul zu Boden. Der Sarg schwebte durch die Luft und mir gelang es gerade noch, ihn aufzufangen, bevor er am Boden zerschellt wäre.
Paul rappelte sich auf. Seine Zähne bildeten sich aus, seine Nägel wuchsen auf die doppelte Länge an. Er huschte auf Brendan los und schlug mit den Klauen auf ihn ein.
Behutsam schulterte ich den Sarg, als Paul plötzlich auf mich zu kam, ich schrie auf, als seine Krallen sich in mein Fleisch bohrten, doch ich ließ den Sarg nicht fallen. Ich schaffte es gerade noch, ihn abzusetzen.
Leander ging in Todesmut dazwischen. Er guckte beide durchdringend an und guckte mit wässrigen Augen auf den Sarg. Paul und Brendan guckten bestürzt. Ihr Hass aufeinander hatte sie die eigentliche Sache vergessen lassen.
Vorsichtig schulterte ich den Sarg und ging langsam an Paul vorbei.
„Kümmere dich um das Gepäck“, konnte ich mir jedoch nicht verkneifen zu sagen.
Paul guckte auf das Auto. Die Türen öffneten sich wie von Geisterhand. Er nahm Christians Rucksack und das Bündel von Brendan. Mit langen Schritten ging er Richtung Mausoleum. Als er am Brunnen stand, schmiss er Brendans Bündel ins matschige Wasser.
Ich war kurz davor, wieder auf ihn los zu gehen. Aber ich zügelte mein Temperament. Mit hochrotem Kopf stand ich neben Christians Sarg.
Leander guckte beide mit Entsetzen an. Eine Mischung aus Wut und Enttäuschung. Hatten sich seine Lieblingswesen wie Kinder verhalten.
„AAA-UF-HÖ-REN!“ stammelte er.
Verdutzt guckte ich Leander an. Ich hatte ihn noch nie sprechen gehört.
„GGGGEHT RRRRRRAUS! BEEEEIDE!“ er war schon verzweifelt.
Mir wurde schlagartig bewusst, dass wir uns kindisch verhielten. Ich warf Paul noch einen eisigen Blick zu, dann ging ich in Richtung Brunnen.
Dabei wischte er mit seinem Ärmel über den Sarg um den Staub zu entfernen. Er schubste Paul raus und schloss die Türen.
Mit einem Schlag waren die Türen geschlossen. Paul und Brendan hörten, wie Leander von innen die Riegel vorschob. Durch das Facettenglas sah man, wie er eine Kerze nach der anderen löschte. Als auch das letzte Licht erlosch, lag eine beklemmende Stille über dem Friedhof. Ein leichter Regen begann.
Ich zog meinen durchnässten Rucksack aus dem Wasser und sah und Paul an.
„So werden wir Christian nicht helfen können!“ sagte ich betrübt.
„Such dir eine Platz zum Schlafen. Besorg morgen deine Anziehsachen und halte Dich an den Plan. Tu es für Christian.“ Pauls Stimme klang versöhnlich.
„Wir müssen zusammenarbeiten, wenn wir Erfolg haben möchten. Wollen wir das Kriegsbeil fürs erste begraben?“ Ich streckte ihm die Hand entgegen.
Paul schlug seinen Kragen hoch, breitete die Arme aus und erhob sich in die Nacht. In wenigen Sekunden verschmolz er mit der wolkenverhangenen Nacht.
Ich zog meine Hand wieder zurück. Dieser Paul würde sich wohl nie ändern. Aber er war der Einzige, der mir helfen konnte, Christian zurück zu holen. Langsam drehte ich mich um und machte mich auf die Suche nach einem Schlafplatz.
Ich fühlte einen leichten Stich. In meinem Todeskampf spürte ich, dass etwas nicht stimmte.
<Brendan...Brendan...verlass mich nicht> schickte ich mit letzter Kraft, bevor mich wieder die Klauen des ewigen Todes gefangen hielten.
Mitten im Schritt hielt ich inne. Ich glaubte plötzlich Christian zu spüren. Sofort machte ich kehrt und ging auf das Mausoleum zu. Ich klopfte an der Tür. Es wäre mir ein leichtes gewesen, sie aufzubrechen. Doch das wollte ich nicht. Ich wollte Leander nicht bedrängen. Erst nach einiger Zeit wurde mir bewusst, dass er mein Klopfen ja gar nicht hören konnte. Ich versuchte, geistigen Kontakt mit ihm aufzunehmen, doch es gelang mir nicht. Ich war ja kein Vampir. Schließlich sah ich die Ratte. Ich bat sie, Leander zu holen.
Es dauerte einige Zeit, doch dann hörte ich, wie der Riegel beiseite geschoben wurde und Leander die Tür öffnete sich ein Stück weit.
„Ich muss zu Christian!“ sagte ich nachdrücklich und gleichzeitig fast flehend.
C: Ich wollte nicht mich dem Hingeben. Noch einmal bäumte sich das Leben ihn mir auf.
<Brendan....mein Blut in deinen Adern. Nutze die Kraft und das Wissen. Verschließ dich ni...> Meine Kraft verließ mich. Trotz geschlossener Lieder lief mein Leben rückwärts. Das Unterbewusstsein sagte mir, wenn ich bei meiner Geburt ankam, war mein Vampirleben verwirkt.
B: Nach kurzem Überlegen ließ Leander mich ein. Ich stürmte zum Sarg und öffnete ihn. Christian lag noch immer so da, wie zuvor.
Leander spürte, dass etwas vor sich ging. Er hinderte nicht ihn daran den Sarg zu öffnen. Auch die Tiere wichen zur Seite.
Wenn er noch lebte, würde mein Blut ihm helfen können? Ich biss mir ins Handgelenk ließ mein Blut in Christians Mund laufen. Voller Hoffen und Bangen sah ich ihn an.
„Was soll ich nur tun, Christian?“ stammelte ich. Tränen liefen über mein Gesicht. Er war noch da. Ich konnte ihn spüren. Doch gleichzeitig wusste ich auch, dass mir die Zeit davon lief.
C: Ich spürte Brendans Nähe, während der Strudel der Zeit mich hinab zog. <Meine Ket... Hals...> ich hoffte dass ihn die Gedanken erreichten.
B: Halskette? Ich drehte mich zu Leander um.
„Seine persönlichen Sachen!“ Wild zeigte ich in die Richtung. "Hol sie bitte!!!"
Leander griff nach dem Rucksack und leerte den Inhalt auf den Boden. Es gab nichts, was nach einer Kette aussah.
Ich hielt Christians Hand, während ich Leander zusah, wie er in den Sachen Kramte.
„Ist da eine Halskette?“ rief ich aufgeregt. Doch er schüttelte traurig den Kopf.
Der Regen ergoss sich über das Mausoleum als würden die Engel weinen und kaltes Wasser floss ins innere des Mausoleums.
„Paul!“ schoss es mir wieder durch den Kopf. Er würde meine Gedanken hören können. Nur er konnte wissen, wo diese Kette zu finden sein könnte. Ich schloss die Augen und versuchte, mit ihm Kontakt aufzunehmen.
„Paul!“ rief ich in Gedanken. „Ich brauche Christians Kette!“
Leander sprang auf und rannte zum Sarg. Er guckte Brendan flehend an und auf Brendans Kragen, seines weißen Hemdes. Stumm zeigte er auf die schwarze Krawatte.
Mit zitternden Händen löste ich die Krawatte und knöpfte das Hemd auf. Ein wenig hoffte ich, dass sein Herz wieder schlagen würde, nachdem ich seine Gedanken empfangen habe. Auf seiner unnatürlich blassen Haut konnte ich eine silberne Kette erkennen, an deren Ende ein Medaillon hing. Es war kunstvoll verziert und trug ein Symbol, das ich nicht kannte.
Behutsam fasste ich sie an und betrachtete sie genauer. Silber war heiß auf meiner Haut und ich musste aufpassen, dass ich mich nicht verbrannte.
Mit einem Mal stand Paul hinter den beiden.
„Paul, da bist du ja!“ Diesmal war ich froh, den Vampir zu sehen.
„Ich habe Christian gehört.“
„Nimm sie und schließ deine Hand! In Dir fließt Vampirblut Du wirst sein Leben durchleben! Mach schon! Vertrau mir! Vampire können das!“
Ich nahm sie in meine Hand und schloss meine Augen, konzentrierte mich ganz auf die Kette und Christian. Das Silber verbrannte meine Haut, doch ich beachtete es nicht.
Paul legte seine Hände auf Brendans Schläfen um ebenfalls das Leben und die Vergangenheit zu spüren.
Eine Welle von Bilder und Gefühlen durchströmten mich plötzlich. Zuviel, um sie auseinander halten zu können und doch intensiv und real.
Ich sah Ausschnitte aus seinem Leben als Mensch ebenso wie als Vampir. Nach einiger Zeit entglitt mir die Kette erschöpft und ich kniete vor Christians Sarg.
„Ich glaube, ich weiß jetzt was zu tun ist!“ sagte ich leise.
Leander guckte erleichtert. Es schien als seien sie dem Ziel ein Stück näher. Paul keuchte und setzte sich vor den zweiten Sarg im Mausoleum.
„Ich auch. Ruh dich aus. Heute Nacht können wir nichts mehr tun. Ihr beide habt viel vor. Brendan. Hier ist die Flasche. Nicht mehr als 15 Tropfen vor Sonnenuntergang.“
Ich nahm die Flasche entgegen und sah Paul an. Es schien plötzlich ein besonderes Verständnis zwischen uns zu herrschen. Es war eine kleine, amphorenähnliche Flasche aus dunkelgrünem Glas mit einem zähflüssigen Inhalt, der ein wenige zu leuchten schien. Ich nickte stumm und steckte sie ein.

66

Ich hatte aufmerksam zugehört und war überrascht über Pauls plötzliche Offenheit.
"Wie kommt es, dass du dich so für ihn eingesetzt hast am Anfang? Sogar nicht getrunken hast. Hast du ihn vorher schon gekannt?" fragte ich vorsichtig.
"Du hast nicht zugehört. Er war Minderjährig und es war ein Befehl vom Prinz."
"Wir Nosferatu stehen loyal zu unseren Prinzen."
"Also hast du ihn in dieser Nacht das erste mal gesehen?" hakte ich nach.
"Nein, ich habe ihn das erste Mal als Mensch gesehen." Paul war verärgert, weil Brendan offenbar nicht wirklich zugehört hatte.
„Dort sah ich Christian zum ersten Mal. Ein jugendlicher von gerade Mal 16 Jahren. Schön wie eine griechische Statue, doch mit einem traurigen Blick. Gequälte, leere Augen. Aber irgendwie schaffte er es immer, in der Gesellschaft zu funktionieren und an allen Verpflichtungen des Erbes teilzuhaben
Christians Bild kam mir wieder in den Kopf. Seine traurigen Augen in der schönen Gestalt. Ich wusste genau, was er meinte.
Ich spürte, dass Paul ärgerlich wurde und wollte nicht einen weiteren Streit provozieren. Offensichtlich war dies ein heikles Thema. Und ich war begierig darauf, mehr von Christian zu erfahren, nicht nur um die Bilder besser interpretieren zu können.
"Was ist mit seiner Mutter? Weiß sie, dass er ein Vampir ist oder was wurde ihr erzählt?"
„Christian hat sehr früh seinen Vater verloren. Ich vermute, sein Verhältnis war sehr innig und er vermisst ihn sehr.“
"Das wissen wir leider nicht. Niemand weiß, außer Christian, wie die Nachricht in jener Nacht lautete. Ich vermute aber, dass sie es weiß. Er will ja zu ihr"
"In meinen Bildern von ihm taucht immer wieder ein junges Mädchen auf. Weißt du, wer sie ist?"
"Seine damalige Freundin. Sie war bei einigen Empfängen dabei."
"Ich glaube, sie müssen wir finden."
"Das sagte ich Dir schon. Nur die Liebe kann den Tod bezwingen." Paul dachte sich dass Brendan offenbar vollkommen verblödet war.
"Weißt du, wo wir sie finden können? Oder kennst du ihren Namen?"
"Sie heißt Tracy. Früher hätten wir sie in der Schule gefunden. Jetzt müsste sie aber über dreißig sein."
"Dann lass uns hoffen, dass sie nicht weg gezogen ist."
"Wir haben Helfer in der Meldebehörde. Ich kümmre mich darum."
"Vielleicht finden wir aber auch ein Andenken in Christians Sachen. Dann kannst Du sie orten."
"So wie mit dem Medaillon?" Ich war mir nicht sicher, ob das mit jemand anderen als mit Christian funktionieren würde. Ich fühlte mich nicht sonderlich vampirisch.
"Ja genau. Bei Christian hat es funktioniert. Somit klappt es auch bei jeden anderen Gegenstand."
Ich teilte seine Zuversicht nicht sonderlich, nickte aber stumm. Einen Versuch war es auf jeden Fall wert.
Ich ging zu Christians Sachen, die immer noch auf dem Boden verstreut waren. Es war eine bunte Mischung der unterschiedlichsten Utensilien, vom Flaschenöffner bis hin zu den Eintrittskarten zur Freakshow, die ich Christian gegeben hatte. Aber nichts war darunter, was einem Mädchen hätte gehören können.
Ich schaute noch einmal in der Tasche nach, ob dort vielleicht noch etwas zu finden war. Vielleicht hatte Leander nicht alles ausgeleert oder es gab ein Geheimfach oder so etwas. Doch ich fand nichts. Vielleicht im Sarg?
Brendan wurde von einem Eifer ergriffen. Er wühlte in Christians Sachen, in der Hoffnung die Heilung zu finden.
Ich stand auf und näherte mich dem Sarg. Ich erinnerte mich, dass er vor unserer Abreise einige Dinge hinein gelegt hatte. Mit einem beklemmenden Gefühl schob ich den Sargdeckel beiseite. Erst ein kleines Stück. Ich wollte nicht wieder ohne eine Vorbereitung meinen entstellten Freund sehen. Ich atmete noch mal aus und schob den Deckel ganz zur Seite.
Sein Anblick versetzte mir aufs Neue einen Stich. Er lag so leblos da. Eigentlich war es jetzt seine Zeit, wach zu werden. Ich wünschte, er würde sich aufsetzen und mit mir Streiten, oder mich zu einem neuen Bad in dem kalten Wasser zwingen. Doch nichts geschah. Er lag einfach nur da mit den Verbrennungen in seinem einst makellosen Gesicht.
Mit zitternden und feuchten Händen näherte ich mich seinen Sachen am Fußende. Die Schlange fauchte und spannte sich, aber sie ließ mich gewähren
Auch hier fanden sich wieder Gegenstände, die wohl vor allem für Christian von Wert gewesen sein mochten. Selbst ein kleines Kreuz konnte ich entdecken. Dafür, dass Vampire ja allgemein hin für gottlose Wesen gehalten wurden, erschien mir dies ein wenig ironisch. Gleichzeitig hatte ich das Gefühl, dass er ihm vermutlich näher war, als manch ein Mensch. Schließlich fand ich etwas, das meine Aufmerksamkeit erregte. Ein alter Brief, schon sehr vergilbt und mitgenommen. Auf dem Umschlag stand in geschwungener, weiblicher Handschrift "Für Christian".
Mit zittrigen Händen nahm ich ihn hoch.
"Ich glaube, ich habe etwas gefunden!" meinte ich halb zu mir selbst und halb zu Paul. Mir war nicht ganz wohl dabei, seine Post zu öffnen und der Brief sah so aus, als ob er ihn schon lange bei sich trug.
"Ist er von diesem Mädchen?"
"Ich weiß nicht genau. Kann gut sein," antwortete ich unschlüssig. Noch einmal fiel mein Blick auf Christian, als erwartete ich, von ihm eine Erlaubnis zum lesen zu bekommen. Aber nichts geschah.
"Bring ihn her. Ich helfe Dir, seine Botschaft zu entschlüsseln."
Gewissenhaft legte ich die Sache wieder so zurück, wie ich sie vorgefunden hatte. Dann schloss ich behutsam den Sargdeckel, so dass kein Lichtstrahl eindringen konnte. Den Brief hatte ich immer noch in meiner Hand.
Ich ging zurück zu Paul und setzte mich neben ihn. Ich hielt den Brief in meiner Hand und starrte ihn an.
Dann öffnete ich vorsichtig den Brief, sorgsam darauf achtend, dass ich das alte Papier nicht beschädigte.
"Du musst den Brief nicht lesen!" fauchte Paul entsetzt.
Ich war fast erleichtert, als Paul das sagte. Ich fühlte mich nicht wohl dabei, den Brief zu lesen.
Allerdings zuckte ich erst einmal heftig zusammen vor Schreck, als Paul mich anfauchte.
"Es reicht, wenn wir ihn berühren. Wenn er für Christian Bedeutung hatte, dann wird es so gehen. Erschreck nicht. Du wirst jetzt gleich ihr Leben rückwärts sehen. Bis zu dem Moment, wo sie den Brief Christian gegeben hat."
Ich fühlte wie ich rot im Gesicht wurde und steckte den Brief eilig wieder zurück in seinen Umschlag
"Was muss ich tun?" fragte ich ein wenig hilflos.
"Halt die Ecke fest, schließe deine Augen und konzentrier dich auf das Papier und auf Christian."
Ich glaubte immer noch nicht, dass das funktionieren würde. Aber ich war bereit, alles zu versuchen, um Christian zu retten. Ich dachte an Christian, wie er in seinem Sarg lag und an die Momente, die wir miteinander verbracht hatten.
"Fertig?" fragte Paul ungeduldig
Ich schloss die Augen und versuchte mich zu konzentrieren.
Wieder schossen mir Bilder durch den Kopf, diesmal von der Frau.
Die Bilder waren immer noch Chaotisch und da ich die Frau nicht mal kannte, konnte ich mit ihren Gefühlen und Eindrücken noch weniger anfangen, als bei Christian.
Ich war überrascht, dass es überhaupt funktioniert. Paul hatte Recht Gehabt. Die Bilder liefen in umgekehrter zeitlicher Reihenfolge ab und näherten sich dem Punkt, an dem sie den Brief verfasst hat. Ich verlor dabei jedes Zeitgefühl.
Paul berührte Brendan, um die Bilder abzufangen. Brendan zuckte und befand sich in einer Art Trance. Er würde danach so erschöpft sein, dass er möglicherweise die Bilder nicht sortieren konnte.
Als der Moment erreicht war, wo sie ihn geschrieben hatte, brach die Verbindung urplötzlich ab. Ich hatte das Gefühl zu fallen. Alles um mich herum verschwand und ich spürte, wie ich zusammen sackte.
Paul rüttelte Brendan an den Schultern. Benommen guckte Brendan auf.
Einige Momente lang wusste ich nicht, wo ich war. Ja, ich war mir nicht mal sicher, WER ich war.
"Was hast du gesehen?"
Ich sah ein scheußliches Gesicht und erschrak, bis mir bewusst wurde, dass ich es kannte. Langsam kam ich in der Wirklichkeit wieder an.
"Vielen Dank, dass Du mein Gesicht scheußlich ist!" sagte Paul mit einem amüsierten Unterton.
„Hä?“ Benommen schüttelte ich den Kopf. "Ich weiß nicht recht. Bilder. Viele, viele Bilder. Gefühle und Eindrücke."
"Ok. Die Bilder sind momentan nicht so wichtig. Wie ist die Emotion? Hast Du Liebe gespürt?"
"Vertrautheit, Begehren?"
"Ja. Aber ich bin mir nicht sicher, ob sie für Christian waren."
Paul stand auf. Ging zum Rucksack und den verstreuten Sachen auf dem Boden. Er griff nach einem bestickten Taschentuch mit Christian Monogramm. Er ging zurück zu Brendan und hielt es ihm hin.
"Nimm es und konzentrier dich auf Christians Liebe. Jeder Vampir hat eine Schattenliebe. Konzentrier dich und reise erneut durch die Zeit!"
"Nun mach schon! Das bist du Christian schuldig!"
Ich erbleichte, als ich das Taschentuch sah. Noch einmal sollte ich mich auf die Zeitreise begeben? Mir graute davor.
Dennoch ergriff ich das Taschentuch, schloss die Augen und konzentrierte mich. Wieder startete die Reise. Sie begann bei unserer Fahrt, als er versehentlich den Jungen getötet hat. Ich spürte seine Verzweiflung, seine Selbstvorwürfe. Die bitteren Tränen, die er mit dem Taschentuch fort gewischt hatte. Erst jetzt erkannte ich, wie tief ihn dieser Vorfall getroffen hat und ich schämte mich dafür, dass ich ihn in dieser Nacht gestört habe. Und dass ich ihm auch keine große Hilfe in seinem Schmerz gewesen bin.
Weiter ging die Reise und tiefer wurde ich in das Tal der Tränen geführt. Ich erkannte wie einsam, verstoßen und unverstanden auch er sich häufig gefühlt hat.
Christian, von dem ich geglaubt habe, dass er mit jeder Situation spielend fertig werden würde, den nichts angreifen konnte, hatte eine zerbrechliche Seite, die er zu schützen versuchte.
Enttäuscht von seinem Clan hat er sich eines Tages entschlossen, lieber allein zu sein, als mit falschen Freunden Gesellschaft zu erleben. Dass es besser ist, einsam zu sein, als sich selber untreu und bewunderte ihn für seine Konsequenz, konnte ich doch den damit verbundenen Schmerz spüren.
Ich begleitete ihn durch die einsamen Nächte nach seiner Verwandlung, unwissend was mit ihm geschehen war. Verängstigt durch seine eigenen Fähigkeiten und den Bluthunger. Dem Jäger in ihm und den Wunsch und den Drang zu töten. Und seiner bewundernswerten Selbstkontrolle in diesen Momenten, wo es ihm danach gierte, den letzten Tropfen Blut aus seinem Opfer heraus zu saugen und er sich trotzdem jedes mal unter Kontrolle hatte und rechtzeitig aufhörte. Jedes mal, bis auf einmal. Wo er meinetwegen so lange nichts getrunken hatte, dass der Durst übermächtig geworden ist. Ich fühlte mich schuldig.
Auch das Mädchen tauchte wieder auf. Ich konnte seine Sehnsucht spüren und den Schmerz, den eine unerfüllte Liebe zwangsläufig verursacht. Ich spürte, wie seine Knie zittrig wurden, wenn sie in seiner Nähe gewesen ist und welche Hoffnungen er sich gemacht hatte, wenn er mit ihr sprach. Die unbändige Freude, wenn sie mit ihm flirtete.
Und ich erlebte, wie ihm sein Herz gebrochen wurde. Die schlimmste aller Erfahrungen und die schmerzhafteste.
Sie war es. Die Frau, die wir zu suchen glaubten. Sie hat ihm das Herz heraus gerissen, hat mit ihm gespielt und ihn am Ende ausgelacht.
Die Verbindung brach ab. Schwer atmend hielt ich das Tuch in meiner Hand. Ich spürte den Schmerz und Wut kam in mir auf. Wut auf diese Frau, die es gewagt hatte, mit meinem Christian ein falsches Spiel zu spielen. Ich brauchte all meine Konzentration, um mich nicht zu verwandeln. Wäre das passiert, wäre ich vermutlich sofort losgelaufen und hätte dieser Hexe den Kopf von ihren Schultern gerissen.
Christian hasste sie noch immer nicht, aber ich tat es. Das konnte ich deutlich fühlen. Ich fühlte den Schmerz, den sie ihm angetan hatte und wünschte mir in diesem Moment nichts sehnlicher, als es ihr gleich zu tun.
Doch es würde Christian nicht helfen. Und darum ging es schließlich in diesem Moment. Alle Hoffnung schien verloren zu sein. Seine große Liebe liebte ihn nicht und somit war es unmöglich, ihn zurück zu holen.
Ich fing an zu schluchzen. Ich glaubte zu fühlen, wie er mir entglitt. Das Leben erschien mir fade und sinnlos ohne ihn. Er war in der kurzen Zeit mein Halt geworden, meine Familie – meine Liebe!

Die Erkenntnis traf mich wie ein Donner. Ich hörte auf zu schluchzen und ergründete meine Gefühle.
Ich liebte ihn. Es war viel mehr als Kameradschaft, als Freundschaft oder Zuneigung, was ich für ihn empfand. Obwohl wir uns häufig stritten und ich ihn noch nicht lange kannte, war das Gefühl unbestreitbar, intensiv und dominant. Ich habe noch nie wirklich und wahrhaftig geliebt zuvor. Ich habe versucht, das Gefühl zu ignorieren und zu verleugnen, doch je mehr ich darüber nachdachte, umso mehr wurde mir bewusst, wie sehr ich mir selber etwas vorgemacht hatte. Es war nicht einfach nur die Tatsache, dass er der Erste gewesen ist, der sich tatsächlich für mich interessiert und um mich gekümmert hat. Keine falsch verstandene Dankbarkeit, die ich empfand. Es war ein Gefühl, wie es reiner und ehrlicher nicht sein konnte.
Wenn seine Liebe ihn zerstört hatte, vielleicht konnte meine Liebe ihn ja retten? Es war wie ein Strohhalm, an den ich mich klammerte. Die Wahrscheinlichkeit, dass er dasselbe für mich empfand, war äußerst gering. Doch wenn es nur darum ging, dass er von jemanden zurückgeholt werden konnte, der ihn liebte, dann war ich der Richtige. Dessen war ich mir sicher.

Langsam stand ich auf, drehte mich zu Paul um und sah ihm in die Augen. Unsere Blicke trafen sich und ich konnte fühlen, wie er sich in meine Gedanken einklinkte. Ich ließ es zu. Er sollte ruhig sehen und fühlen, was ich fühlte. Umso eher würde er mich verstehen.
„Ich möchte es selber versuchen“, sagte ich ruhig und entschlossen.

67 (Brendan)

Paul blickte auf und sah mich interessiert, aber auch ein wenig amüsiert an.
„Du?“ fragte er abfällig. „Ich glaube kaum, dass du die notwendigen Voraussetzungen dafür mitbringst.“
„Was für Voraussetzungen?“ fragte ich ein wenig trotzig.
Nun erhob sich auch Paul. Langsam schritt er auf mich zu, ein diabolisches Lächeln im Gesicht. Seine Augen blitzen tückisch.
„Im Blut steckt die Lebenskraft eines jeden Wesens. Wenn wir trinken, saugen wir sie auf. Sie ist es, die uns unsere beeindruckenden Fähigkeiten verleiht.“
Schlagartig breitete er die Arme aus und sofort entzündeten sich alle Kerzen im Raum, während er sich langsam in die Luft erhob.
„Es ist mehr, als nur eine Verlängerung der Lebenszeit!“ Er schwebte jetzt ein gutes Stück über mir.
„Es ist Leben!“ Seine Stimme war laut und gebieterisch geworden und hallte in dem Mausoleum wider.
„Aber ich habe doch schon versucht, ihm mein Blut zu geben.“
Paul schwebte elegant zum Boden zurück und sah mich ernst an.
„Es geht nicht darum, ihn zu füttern oder aufzupäppeln!“ Er sprach mit einer Mischung aus Verachtung und Überheblichkeit. „Wovon ich rede, ist ihn vor dem sicheren Tod zu bewahren. Deswegen brauchen wir jemanden, der ihn liebt. Und den er liebt.“
Ich sah ihn fragend an. Er knurrte und ärgerte sich offensichtlich über meine Begriffsstutzigkeit.
„Was wir brauchen, ist eine starke Verbindung im Blut. Und wir brauchen starkes Blut, heißes Blut. Blut, dessen Kräfte sich direkt in seinem Körper frei setzen können, ohne dass er die Kraft erst umwandeln muss. Also Blut, dass für ihn bestimmt ist.“
„Kann er haben!“ rief ich und krempelte meinen Arm hoch, froh eine Möglichkeit zu haben, ihm zu helfen.
„Warte, du ungeduldiger, verlauster Fellbeutel!“ fauchte Paul energisch. „Glaubst du etwa, es wäre so einfach?“
Ich hielt inne.
„Damit es klappt, braucht er all deine Kraft und all deine Liebe!“ Er lächelte jetzt tückisch.
Wie ein Schlag traf mich die Erkenntnis.
„Also all mein Blut?“ fragte ich zögerlich.
„Ganz genau!“ Sein Lächeln verschwand langsam und er wurde wieder ernst. Noch einen Schritt trat er auf mich zu. „Und auch das ist noch nicht alles.“
„Was noch?“ fragte ich zögerlich.
„Selbst wenn du ihm all dein Blut geben würdest, würde ihn das noch nicht retten.“ Er machte eine bedeutsame Pause.
„Ich habe eben von der Verbindung gesprochen, die notwendig ist. Es reicht nicht, dass du ihm dein Blut gibst. Du musst auch seines trinken. Nicht nur um zu überleben.“ Er sah mich verächtlich an. „Dein Tod wäre schließlich eh kein großer Verlust!“
„Danke!“ meinte ich trocken.
Doch Paul redete unbeirrt weiter. „Sondern um ein Vampir zu werden!“
„Aber ich habe doch bereits von seinem Blut getrunken und bin kein Vampir geworden. Wie könnte ich auch? Ich bin ein Werwolf!“
„Ehrlich gesagt gibt es keine Aufzeichnungen darüber, dass es schon einmal ein Werwolf versucht hätte. Normalerweise übernehmt ihr ja keinerlei Verantwortung. Aber der Knackpunkt ist ohnehin die Bereitschaft.“
„Wie meinst du das?“ fragte ich.
„Du musst bereit sein, die Ewigkeit als Vampir mit ihm zu verbringen. Das ist der wesentliche Kern bei der Verwandlung. Deswegen hat es auch bei dir nicht funktioniert.“
„Ich verstehe das nicht“, gab ich zu.
„Weil du es nicht verstehen willst!“ fuhr mich Paul wütend an. „Auch Vampire sind sterblich. Trotzdem ist es zwingend notwendig, dass du bereit bist, die EWIGKEIT mit ihm zu verbringen. Die Verpflichtung endet nicht mit dem Tod.“
Langsam wurde mir das Ausmaß des Rituals bewusst, während Paul weiter redete.
„Wärst du ein Mensch, würdest du deine Menschlichkeit aufgeben. Automatisch, in dem Moment, wo du das Vampirblut trinken würdest. Deine menschliche Existenz hätte geendet. Der Mensch in dir wäre gestorben und übrig geblieben wäre nur der Vampir.“
„Aber ich bin doch kein Mensch. Ich bin ein Werwolf, “ protestierte ich.
Paul nickte genervt. „Und der Werwolf stirbt nicht an Vampirblut. Sonst wäre er schon längst tot.“
„Also kann ich ihm nicht helfen?“ fragte ich.
„Vielleicht doch.“ Paul sah mich ernst an. „Auch hier kommt es wieder auf die Bereitschaft an. Zwar würde der Wolf nicht sterben, aber du könntest ihn unterdrücken, verleugnen – vergessen. Du musst bereit sein, alles Wölfische an dir fallen zu lassen. Nur wie ein Vampir zu denken und zu handeln. Am Ende wärst du tatsächlich ein Vampir.“
Er erhob den Zeigefinger. „Aber wenn du betrügen willst, lass es gleich. Wenn auch nur ein Funken in dir ist, der den Wolf hinüber retten möchte, wird das Ritual nicht funktionieren.“
Ich überlegte einen Moment.
„Aber wenn ich es tue. Wenn ich mich für ihn opfere, wird sich meine Liebe nicht früher oder später in Hass umkehren? Dafür, dass ich mich für ihn aufgegeben habe? Oder wird er mich nicht hassen? Dafür, dass ich nicht mehr der bin, den er lieben gelernt hat? Würde ich ihm die Schuld hierfür geben oder würde er sie sich auferlegen? Oder beides?“
Paul sah mich überrascht an.
„Du bist ja doch nicht so dumm, wie ich geglaubt habe“, stellte er fest. „Die meisten stellen das erst nach vielen Jahren, vielleicht sogar Dekaden fest. Ja, Hass und Liebe liegen eng beieinander. Es sind zwei Seiten derselben Medaille.“ Er zuckte mit den Schultern und fuhr beinahe beiläufig fort. „Also was macht es für einen Unterschied, ob euch auf Dauer Liebe oder Hass vereinen? Das Resultat ist dasselbe.“
„Nein, ist es nicht!“ rief ich aus. Entsetzt sah ich Paul an. Wie konnte er so etwas behaupten?
Paul baute sich drohend vor mir auf.
„Es ist deine Schuld, dass er jetzt da so liegt. Deine Schuld, dass er stirbt. Und es ist deine Pflicht, ihn zu retten!“
Ich sah ihn schockiert an. Noch immer hallten seine Worte in meinem Kopf nach.
„Der Morgen dämmert“, stellte Paul plötzlich fest. „Uns bleibt jetzt keine Zeit mehr für das Ritual. Ich erwarte dich morgen nach Sonnenuntergang wieder hier. Dann werden wir sehen, ob du ihn wirklich liebst.“


68 (Christian)

Ich lag ihn eine Traumzustand und sah mein Leben rückwärts laufen. Immer wieder umgeben von einer dunklen Ohnmacht. In etwas wacheren Momenten versuchte ich Paul, oder Brendan zu kontaktieren. Doch es schien mir nicht zu gelingen. Ich war zu schwach und sie offenbar nicht imstande mir zu helfen. Ich merkte dennoch Brendans, Pauls und Leanders Nähe immer und immer wieder, doch es geschah nichts. Ich sah sie nicht einmal und dennoch fühlte ich mich sicher. Zwischendurch schmeckte ich etwas warmes, wildes, salziges Blut. Das musste von Brendan sein, denn ich hatte es ja schon einmal gekostet. Wo war ich überhaupt? Waren wir auf der Reise nach Hause und ich musste mich vor dem Sonnenlicht schützen? Waren wir noch in dem Wald, oder sind wir noch gar nicht aufgebrochen. Die Gedanken im Unterbewusstsein quälten mich wahnsinnig und dann kam immer wieder diese Dunkelheit. Nichts. Normalerweise konnte ich in der Dunkelheit klar sehen, doch da war nichts. War ich vielleicht schon tot?
Dann kamen diese Bilder… Es war in einem Wald und Brendan stand hinter mir. Wir gaben uns die Hand… Leere… Ich schmeckte Blut… Menschenblut…? Nein… Es war wild und kochend, verlieh mir Kräfte… Vampirblut! Ich hatte einen Vampir gebissen und getrunken. Ich hatte meines gleichen getötet. Das war das schlimmste Übel, was ich meiner Rasse antun konnte. Dann brannte ich auf einmal lichterloh. Jede Faser in mir schmerzte. Ich schrie. Hört mich denn keiner? Was war da los? Dann wieder dieses Nichts. Schwärze. Dann die Erinnerung an meinen Biss. Ich war auf einer Party, die meine Mutter gegeben hatte, ich trauerte noch immer um meinen Vater und diese Partys nervten mich. Als ich mal eines Morgens meiner Mutter den Unmut darüber klar machte, meinte sie, die Geschäfte müssen irgendwie weiter gehen. Also machte ich gute Mine zum bösen Spiel, überlegte was ich Anziehe und bereitete mich auf den Abend vor. Ich hatte nicht vor, lange dabei zu bleiben. Als unsere alte Standuhr in der Diele 20:00 Uhr schlug, machte ich mich auf den Weg nach unten in unseren Wintergarten. Schon auf der Treppe hörte ich Gelächter, Menschen reden, Musik, Geschirr klappern, Gläser zuprosten. Ich wusste nicht, warum sie alle so vergnügt taten, wo doch mein Vater vor wenigen Wochen verstorben war. Ich hasste diese so genannte, „Feine Gesellschaft“, die nicht einmal unsere Trauer respektierte. Als ich den Wintergarten betrat, sah ich als erstes meine Mutter. Schön wie eine Rose, in einem langen, schulterfreien Samtkleid. Die Haare hochgesteckt und um den Hals eine kostbare Kette mit einem Rubin und dazu die passenden Ohrringe. Sie nickte mir freundlich zu. Aufgrund der Vorbereitungen den ganzen Tag über, hatte ich nichts gegessen und merkte, dass ich hungrig war. Ich ging zu dem Büffet und machte mir einen Teller fertig und nahm mir dazu ein Glas Fruchtbowle. Mit beiden Sachen suchte ich mir eine ruhige Ecke auf der Veranda und ass.
Wie aus dem Nichts stand ein Mann vor meinem Tisch. Er war mir schon beim Eintreten aufgefallen, da er meine Mutter hofierte. Obwohl er groß und kräftig war, war er mir vom ersten Moment unsympathisch. Nun stand er direkt vor mir. Er trug einen teuren, schwarzen Anzug, seine Haare hatte er streng zurück gekämmt. Sein Gesicht war blass und es leuchtete fast, dennoch war es ebenmäßig und vollkommen. Ich schaute zu ihm auf und musterte ihn reglerecht; an seinen Augen blieb ich hängen. Sie waren, so was hatte ich noch nie gesehen. Sie waren blau, aber es war kein normales Blau. Es leuchtete regelrecht, als hätte er künstliche Augen.
Ich riss mich von diesen Augen los, denn eine Art Erregung überkam mich. Ich schlug mit Anstand die Lider nieder und.
„Guten Abend junger Herr.“ sagte er mit eine ruhigen, kräftigen Stimme.
„Guten Abend“ erwiderte ich kühl. Ich mochte ihn irgendwie trotzdem nicht, obwohl seine Stimme noch in meinen Ohren hallte. Ich wollte aber nicht meine Mutter blamieren und meinen Vater nicht beschämen. Ich wusste ja nicht, wie er zu meiner Familie stand.
Ich legte meine Serviette neben den Teller, stand auf und reichte ihm die Hand.
„Ich bin Christian der Sohn des Hauses.“ Sagte ich mit aufgesetzter Höflichkeit.
Er reichte mir auch die Hand und als ich sie berühren wollte, ergriff er sie mit einem festen Druck. Ich erschrak und zuckte zusammen. Ich hatte noch nie einem so kalten Menschen die Hand gegeben. Wie magisch sah ich erneut zu ihm auf, in diese blauen Augen und mir schien, als bliebe die Zeit stehen. Er öffnete seinen Mund und es kam mir wie eine Zeitlupe vor.
„Ich bin ein Geschäftsfreund deiner Familie. Mein Beileid zu deiner tiefen Trauer, ich habe deinen Vater sehr gemocht. Er war ein hervorragender und Sachkundiger Kunsthändler.“
Ich war stolz, dass ein so eleganter Mann meinen Vater so lobte.
„Und Sie sind?“ fragte ich forsch.
„Ich bin Bardo von Weitershausen zu Badenburg.“

69 (Brendan)

Ich ging noch ein wenig in den Sonnenaufgang spazieren und dachte nach. Wieder lenkten mich meine Schritte in den Wald. Es war ein schöner Tag und das Licht der ersten Sonnenstrahlen umspielte die Blätter der Bäume.
Die friedliche Stille des erwachenden Waldes stand im krassen Gegensatz zu meinen Gefühlen, die wie ein wilder Sturm in meinem innersten tobten. Was sollte ich tun? Christian sterben lassen, ihm seine wohlverdiente Ruhe gewähren oder ihn zurück ins Leben reißen, für einen fürchterlich hohen Preis?
Liebe und Hass liegen eng beieinander. Ich müsste mich für ihn aufgeben, um ihn zu retten. Doch wenn ich das täte, wäre ich nicht mehr derselbe. Wenn er mich lieben sollte, so würde er den Menschen bzw. den Wolf vermissen, der ich gewesen bin. Den ich für ihn aufgegeben hätte. Und ich würde früher oder später anfangen, ihn ebenfalls zu hassen. Dafür, dass ich mich für ihn geopfert habe. Vermutlich würde ich es ihm vorwerfen. Ja, wir würden die Ewigkeit miteinander verbringen. Doch wäre es nicht besser, ihn zu verlassen, so lange ich ihn noch liebe, anstatt zuzulassen, dass sich diese wertvolle Liebe in das Gegenteil verkehrt?
Ich musste wieder daran denken, was er auf sich genommen hat, um mir zu helfen. Wie er sich gegen seinesgleichen gestellt hat, nur um mich zu schützen und zu verteidigen.
Was sollte ich nur tun? Ich wollte weglaufen. Weiter in den Wald hinein. Am besten in eine Höhle, um mich für immer dort zu verkriechen. Fernab der Außenwelt – und seinem Grab.
Ich liebte ihn viel zu sehr, um ihn hassen zu können. Wie konnte ich dieses ungerechte Schicksal aufhalten?
Mitten im Schritt blieb ich wie angewurzelt stehen. Ich hatte die Lösung! Ich hatte keine Ahnung, ob sie funktionieren würde. Aber mir war klar, dass es die einzige Chance war, die wir hatten.
Ich machte auf dem Absatz kehr und ging zurück in Richtung Friedhof. Die Sonne stand inzwischen schon hoch am Himmel und ich spürte die Müdigkeit in meinen Knochen.
Wieder im Mausoleum angekommen schritt ich langsam auf seinen Sarg zu. Mein Entschluss war getroffen. Ich spürte, wie mein Herz anfing, schneller zu schlagen, als ich mich dem Sarg näherte. Behutsam strich ich mit der Hand über den hölzernen Sargdeckel und glaubte Christian darunter zu spüren. Ich schloss die Augen und spürte, wie mir die Tränen kamen, ohne dass ich den genauen Grund nennen könnte. Unendliche Trauer erfüllte mich. Wusste ich doch, dass ich ihn nie wieder sehen würde. Egal, ob es funktioniert oder nicht. Die Scharniere des Deckels quietschten laut auf, als ich langsam den Deckel hob.
Behutsam krabbelte ich in seinen Sarg, der nun auch mein Sarg werden sollte. Ich schloss den Deckel wieder und Finsternis umgab mich. Ich spürte Christian und kuschelte mich eng an seinen kalten Körper, umschloss ihn mit meinen Armen.
Ich wusste nicht, ob das, was ich vorhatte, auch funktionieren würde, oder ob es ein sinnloses Opfer für uns beide darstellen würde. Aber ich wäre lieber im Tod mit ihm vereint, als im Hass.
Noch lange kreisten meine Gedanken ehe ich einschlafen konnte und manche Träne vergoss ich beim grübeln. Teils vor Glück, wenn ich an unsere gemeinsame Zeit denken musste, teils vor Trauer.
Als ich wieder erwachte, wusste ich nicht, wie viel Zeit vergangen war. Aber ich fühlte mich ausgeruht und bereit. Ich spürte, dass die Zeit gekommen. Meine Hand ertastete sein Gesicht. Zärtlich streichelte ich ihm den Kopf.
„Es ist Zeit!“ flüsterte ich.
Ich schloss die Augen (was nicht notwendig gewesen wäre in der absoluten Dunkelheit) und horchte in mich hinein. Ich suchte nach meinen Gefühlen für Christian. Und fand sie. Intensiv und strahlend fühlte ich sie in mir.
Langsam öffnete ich die Augen und mir war, als könnte ich ihn trotz der Dunkelheit sehen. Noch einmal nahm ich all meinen Mut zusammen und biss mir in das linke Handgelenk. Ein stechender Schmerz durchschoss sofort meinen Arm und ich spürte, wie das Blut lief.
Ich führte den Arm zu Christians Mund und ließ mein Blut hinein laufen. Langsam bettete ich meinen Kopf wieder auf das Kissen. Mit jedem Herzschlag ergoss sich ein weiterer Schwall Blut in seinen Mund. Ich lag auf der Seite, halb auf Christian drauf und mein Kopf berührte seinen. Mein linker Arm lag auf seinem Mund, während ich ihn mit dem anderen umschlossen hielt. Mir wurde leicht übel und ich spürte, wie ich mit jedem Herzschlag schwächer wurde. Mir wurde kalt und ich fing an zu zittern. Ich wusste, dass es mit mir zu Ende ging. Doch Christian rührte sich immer noch nicht. Ich bekam Sorgen. Ich wollte mein Leben für ihn geben, nicht uns beide in den Tod schicken. Doch es war bereits zu spät. Das fühlte ich. Wenn es nicht klappen würde, würden wir beide im Jenseits vereint sein. Es war ein Handel mit dem Tod. Mein Leben gegen seins. Die Frage war nur, ob er drauf eingehen würde.
Dies waren die letzten Gedanken, bevor mir die Sinne schwanden.


70 (Christian)

Die Sonne senkte sich und erneut zogen von Norden schwarze Wolken die wahrscheinlich eine Regennacht brachten. Paul erhob sich aus seinem Grab im alten Teil des städtischen Zentralfriedhofs. Er dachte an Christian und schaute in den Himmel. Die Sterne, die mühsam und vergebens leuchteten hatten nicht genug Kraft, gegen die dunklen Wolken anzukämpfen. Ein kalter, schneidender Nordwind kam auf und leichte Tropfen lösten sich als Vorboten aus den Wolken. Paul drehte sich um zu dem Grab, aus dem er gerade entstiegen war und mit einer lässigen Handbewegung legte sich die Erde über das Loch und der Efeu legte sich über die nasse Erde.
Das schmuddelige Wetter kam Paul entgegen. So wären die Menschen damit beschäftigt, eilig nach Hause zu kommen und niemand würde auf andere achten. Eine perfekte Nacht also. Paul machte sich auf den Weg Richtung Mauer, übersprang sie mühelos und landete auf der anderen Seite, in einem kleinen Park. Die Sonne war bereits vollkommen untergegangen und der Regen wurde stärker. Die Straßen mit Ihren Laternen sahen regelrecht verwaschen aus. Paul schlug den Kragen hoch und lief mit eiligen Schritten dir Zufahrt hoch in Richtung Stadt um dann an den Stadtrand zu gelangen. Als er den Ausgang erreichte, lief er an einer demolierten Bushaltestelle vorbei, die ihm im Flug bisher nicht aufgefallen war. Er näherte sich ihr und nahm wenige Meter den Wolf wahr, der hier vor ein paar Nächten gewütet hat. „Brendan!“ dachte Paul. Dieser Wahnsinnige bringt noch unsere gesamte Existenz in Gefahr. Während Paul die Haltestelle ein wenig musterte, näherte sich eine junge Frau so Anfang zwanzig der Haltestelle. Sie musste aus einem der kleinen Läden gekommen sein. Sie trug einen dunkelblauen Trenchcoat und schützte sich vor dem Regen mit einem albernen, bunten Regenschirm. Sie ging auf die Haltestelle zu und suchte offenbar etwas. Paul beobachtete sie einen kurzen Augenblick und näherte sich ihr mit langsamen Schritten. Als sie zum Greifen nah war, drehte sie sich um, guckte Paul an und lächelte.
„Oh Hallo. Können Sie mir sagen, ob der Bus noch kommt? Man kann den Fahrplan nicht mehr lesen. Normalerweise fahre ich mit dem Auto, aber es ist heute Morgen nicht angesprungen und so musste ich nach langer Zeit mal wieder mit dem Bus fahren.“
Sie redete regelrecht auf Paul ein, doch der sagte nichts. Dachte sich nur, dass die Menschen einfach seltsam seien und ständig ihre ganze Lebensgeschichte einem erzählten. Paul begutachtete sie einfach weiter, während sie einfach weiter erzählte.
„Ein scheußliches Wetter, dieser Herbstregen. Finden sie nicht? Man fühlt sich immer gleich nass, egal was man an hat und ein Schirm bringt bei dem Wind auch nicht so sehr viel. Wird sicherlich ein kalter Winter. Aber auch schlimm, was mit der Haltestelle passiert ist. Wer macht so was? Haben Sie die Zeitung vor ein paar Tagen gelesen? Da soll in der Nachbarstadt ein grausamer Mord passiert sein. Man hat die Leiche eines Jugendlichen in einem Fluss gefunden. Haben sie eben in den Nachrichten gebracht. Die Polizei steht vor einem Rätsel.“

Paul riss der Geduldsfaden. Direkt nach dem Aufstehen so eine Plaudertasche zu finden war mindestens so schlimm wie vor Sonnenuntergang zu erwachen.
„Halt die Schnauze.“ Paul fauchte sie an und machte noch einen Schritt auf sie zu. Während er den Schritt ausführte, schlug er ihr mit der flachen Hand gegen die Schläfe. Sie guckte noch für einen Lidschal verwundert und ging zu Boden. Paul fing sie auf, damit sie nicht fiel und sie verletzte. Als sie in seinen Arm, wie ein Sack hing, rutschte ihr Trenchcoat zur Seite und zum Vorschein kam eine Uniform der nahe gelegenen Imbisskette. Ich furchtbarer Regenschirm rollte auf die Straße und wurde vom Wind erfasst und führte einen regelrechten Tanz auf.
„Dumme Pute. In deinem Alter solltest du mehr auf dich acht geben“, dach Paul, kontrollierte dabei ihren Puls. Der Puls war fühlbar. Sehr gut. Somit hatte er sie nicht getötet. Im selben Augenblick wurde Paul von einem hellen Licht erfasst. Der Linienbus näherte sich der Haltestellenbucht. Damit niemand den Überfall bemerkte, packte Paul das Mädchen und flog in die Nacht hinaus. Sollte der Fahrer das gesehen haben, würde er eher an eine Halluzination glauben; dass die Augen haben ihm einen Streicht gespielt haben.
Der Wind machte den Flug leichter, doch der Regen behinderte, der mittlerweile ein regelrechter Landregen war. Paul flog mit großer Geschwindigkeit und immer wieder wurde seine Sicht von dem langen, blonden Haar des Mädchen verschleiert, so dass er ein paar mal ins trudeln kam, weil er sich nicht auf den Flug konzentrierte und die Thermik ihm manchmal ein Schnippchen schlug.
Die Felder rasten nur so dahin und Wasser peitschte ihm ins Gesicht. Durch das kalte Wasser, erwachte das Mädchen aus ihrer Ohnmacht. Starrte auf den Boden und dann in Pauls Gesicht. Sie fing an zu schreien und um sich zu treten. Paul geriet in so heftige Turbulenzen, dass sich beide mit rasender Geschwindigkeit der Erde näherten. Das Mädchen schrie noch mehr und Paul ließ sie einfach auf das nasse Feld prallen. Wieder wurde sie von einer Ohnmacht überfallen. Im Flug ergriff Paul sie erneut und stieg wieder auf die gewohnte Höhe. Diesmal schlugen ihm nicht nur die Haare ins Gesicht, sondern auch etwas Flüssiges, Warmes. Ein Kontrast zu dem kalten Regen. Etwas köstliches, worauf Paul sofort reagierte. Blut! Sie musste sich bei dem Sturz den Kopf angeschlagen haben, denn auf ihrer Schläfe sickerte Blut raus. Paul beschleunigte seinen Flug und nach wenigen Minuten erreichte er den Friedhof. Lautlos landete er in einer großen Pfütze vor dem Mausoleum, in dem Christian versteckt war. Er legte sich das Bewusstlose Mädchen in die Arme und ließ die Portale durch Willenskraft öffnen. Eisiger Wind und Regen fielen in das Mausoleum. Leander hatte ein paar Kerzen angemacht und saß auf seinem Strohsack. Paul suchte den Blickkontakt zu Leander und erreichte seine Gedanken.
<Wo ist der Wolf?> schickte Paul.
Leander kramte nach seinem Block und schrieb hastig darauf.
<Ich weiß es nicht. Ich bin seit ein paar Stunden wach, habe ihn aber nicht gesehen.>
„Dieser elende Feigling hat die Fliege gemacht!“ polterte Paul los.
„Um so besser. Eine Last weniger.“
Er ging mit der Bewusstlosen zum Sarg und öffnete den Deckel mit der rechten Hand. Als der Deckel knarrend nach oben ging, traute er seinen Augen nicht. In dem Sarg lag nicht nur, wie erwartet Christian, sondern auch Brendan. Er hatte sich die Pulsadern geöffnet und sein Blut sollte Christians Mund erreichen. Das gesamte Kopfkissen und Christians Gesicht waren voller Blut, da Brendans Kreislauf so abgesunken war, dass er kollabierte. Paul ließ das Mädchen achtlos auf den Boden fallen und in der gleichen Bewegung riss er Brendan aus dem Sarg; spuckte auf Brendans zerfetztes Handgelenk. Der Blutstrom wurde langsamer und versiegte allmählich. Die Wunde war verschlossen.
Paul griff nach dem Mädchen, biss ihr ins Handgelenk und hielt es über Brendans Mund. Blut floss langsam in Brendans Mund und nach ein paar Minuten bekam Brendan seine übliche Gesichtsfarbe. Paul trat ihm in die Seite und der langsam zu sich kommende Brendan öffnete mit einem Knurren die Augen.

71 (Brendan)

Ein stechender Schmerz holte mich wieder zurück ins Leben. Ich krümmte mich. Mir schwindelte, war übel und ich konnte mich kaum bewegen. Was war passiert?
Langsam kehrten meine Sinne zurück. Ich erkannte den Fußboden des Mausoleums.
„Du verfluchter Narr. So dankst du mir mein Vertrauen. Dich davon stehlen, wie ein Dieb. Du Feigling.“
Ich hörte Paul, doch seine Worte ergaben noch keinen Sinn für mich. Was war passiert? Christian schoss mir in den Kopf!
„Hat es funktioniert?“ röchelte ich mühsam.
„Nein du Schwachkopf. Du hättest ihn töten können. Wenn er dein Blut bis zu deinem Herzstillstand aufgenommen hätte, wäre er tot.“
Seine Worte trafen mich wie Faustschläge. Es hatte nicht funktioniert! Es war, als würde alle Hoffnung schwinden.
Zum ersten mal nahm ich die Frau wahr, die auf dem Boden lag. Ich versuchte mich aufzuraffen. Langsam erhob ich mich, allerdings schien der Boden zu schwanken.
„Kannst du deine Fassung später sammeln? Wir haben nicht ewig Zeit!“ Paul knurrte Brendan barsch an.
Ich spürte an Pauls Ungeduld, dass Christian in Gefahr war. Ich konzentrierte mich und der Boden hörte auf zu wanken.
Ich ging zu der Frau hinüber und packte ihre Füße.
„Was willst du mit Ihren Füßen. Wir brauchen Ihr Handgelenk über Christians Mund. Stell sie auf die Füße und achte darauf, dass sie nicht erwacht aus der Ohnmacht. Wenn sie erwacht, schlag sie K.O. aber töte sie nicht. Sie wird schon früh genug verbluten.“
Ich fühlte mich überhaupt nicht imstande, irgendjemanden k.o. zu schlagen. Trotzdem ließ ich die Füße los.
Also umfasste ich ihren Oberkörper und legte ihn auf den Sarg.
Paul riss grob ihren linken Arm hoch, biss in die Pulsadern und drückte das Handgelenk auf Christians Mund. Mit jedem Herzschlag des Mädchens wurde Blut in Christian gepumpt. Als nach ein paar Minuten der Körper schlaffer und blasser wurde, ließ Paul den Arm los und überließ das Mädchen Brendan.
„Töte sie! Meinetwegen friss sie auf, liegt ja in deiner Natur, oder mach sonst was mit ihr. Nur: hinterlass keine Spuren!!“
Etwas unschlüssig sah ich das Mädchen an. "O.K." sagte ich nur.
Ohne die geringste Ahnung zu haben, was ich mit ihr anfangen sollte.
„Wenn du fertig bist, erwarte ich dich zurück. Ohne Umschweife und VOR Sonnenaufgang.“
„In Ordnung, Chef“, sagte ich nur.
Sein spitzer Unterton ist mir nicht entgangen, doch im Moment war mir das egal. Ich fühlte mich ausgebrannt und enttäuscht, dass mein Versuch so kläglich gescheitert war.
„Mach dich an die Arbeit. Wir haben nicht ewig Zeit. Deinen blöden Kommentar kannst du dir sparen!“
Ich wollte mich schon umdrehen, als ich inne hielt und ihn ansah.
„Welchen Kommentar? Chef?“ Ich zuckte mit den Achseln. „Sorry, Chef.“
„RAUS MIT DIR!“ Paul guckte Brendan kühl an und ließ kurz einen Sturm aufleben. Leander kauerte sich in die Ecke; er konnte die Situation nicht einschätzen, würde aber, unabhängig vom Vorfall, loyal zu Paul stehen.
Er guckte Brendan jedoch flehend an, es nicht auf einen Streit ankommen zu lassen.
Ich hatte keine Lust, mich auf einen weiteren Streit mit Paul einzulassen. Außerdem war mir immer noch schlecht. Also drehte ich mich einfach um und schulterte die Frau.

Kaum schlug die Tür des Mausoleums hinter mir zu, versagten meine Beine ihren Dienst. Die Knie wurden weich und ich sank zu Boden. Der tote Körper der Frau landete neben mir im Matsch. Es regnete. Ich habe mir keine Blöße geben wollen, so lange Paul zugegen war. Doch nun spürte ich wieder überdeutlich, wie nah ich dem Tod entgangen war. Mir war wieder schlecht. Ich krümmte mich und erbrach etwas Blut. Einen Moment lang machte ich mir Sorgen, warum ich Blut ausspie. Doch dann wurde mir bewusst, dass es sich um das Blut der Frau handelte. Aber ich war kein Vampir. Zwar hatte es mir offensichtlich das Leben gerettet, doch jetzt wehrte sich mein Körper gegen das Blut. Heftige Magenkrämpfe setzten ein. Ich krümmte mich vor Schmerz und wälzte mich auf dem schlammigen Boden. Es dauerte einige Minuten, dann wurden die Schmerzen schwächer. Noch immer war mir übel, doch ich rappelte mich hoch. Ich hatte eine Aufgabe zu erfüllen und ich wollte vermeiden, vor Paul als Schwächling dazustehen. Er schien sich über ja über jede Schwäche, die er bei mir entdeckt, wie ein kleines Kind zu freuen. Ich wollte die Frau wieder schultern, doch sie schien plötzlich Tonnen zu wiegen. Wo wollte ich überhaupt mit ihr hin?
Mein Magen beruhigte sich Zusehens und obwohl mir immer noch schlecht war, verspürte ich langsam Hunger. Ich wertete das als gutes Zeichen. Zumindest erbrach ich kein Blut mehr. Also wohin mit der Leiche? Immerhin war ich auf einem Friedhof. Es dürfte doch kein Problem sein, hier eine Leiche los zu werden? Ich überlegte, ob ich einfach eines der Gräber ausbuddeln sollte. Aber erstens hatte ich keine Lust, mich drei Meter ins Erdreich zu graben – noch dazu mit bloßen Händen – um dann auf eine verfaulte Leiche zu stoßen. Und zweitens würde man sehen können, wenn ein Grab frisch ausgehoben war. Also keine gute Idee.
Also packte ich die Leiche an den Händen und zog sie hinter mir her zum nächsten Mausoleum. Hier würde es bestimmt einfacher sein.
Langsam wurde der Hunger drängend. Ich hörte, wie mein Magen knurrte. Ein leckeres Steak wäre jetzt toll. Schön blutig. Von mir aus bräuchte es nicht mal angebraten zu sein. Oh ja, ein Hüftsteak. Oder eine Keule. Eigentlich verdirbt das Braten und die Gewürze ja nur den leckeren Fleischgeschmack…
Ich erreichte das Mausoleum. Es war nicht so groß wie das, das Christian sich ausgesucht hatte und viel schäbiger. Das Innere bestand aus nacktem Stein. Es war eigentlich nur ein kleiner Raum mit jeweils zwei steinernen Särgen auf jeder Seite, die übereinander in die Wand eingelassen worden sind. Ein Schmuckloser, steinerner Altar stand in der Mitte und das Dach war undicht, so dass an mehreren Stellen Wasser von der Decke tropfte oder an den Wänden entlang lief. Große Pfützen hatten sich auf dem Boden gebildet. Ein einsames, mit Eisen verstärktes Fenster hing über dem Altar. Es war zerbrochen. Die Wolken schluckten das meiste Licht des abnehmenden Mondes. Das spärliche Licht, das durch die Tür und das Fenster eindrang, versetzte den Raum in ein dunkles Zwielicht.
Ich ließ die Frau los und ging zum ersten Sarg auf der linken Seite. Der Hunger wurde langsam unerträglich. Wo konnte ich nur was zu essen auftreiben? Irgendetwas roch hier auch lecker. Aber der alte Friedhof lag weit außerhalb. Es dürfte kein Mensch weit und breit sein, geschweige denn eine Pommes-Bude oder ein Metzger, der noch offen hatte. Aber was roch dann so gut? Wieder grummelte mein Magen.
Ich zog den steinernen Sarg aus der Nische hervor, was mich fast meine ganze Kraft kostete. Ich ärgerte mich über mich selber. So schwach war ich ja noch nie! Ich kam mir fast vor, wie ein Mensch. Übrigens war ich auch noch nie so hungrig.
Ich zog den steinernen Deckel vom Sarg runter und eine halb verfaulte Leiche kam darunter zum Vorschein. Ich dachte immer, Verwesungs-Geruch wäre abstoßend, aber so empfand ich es gar nicht. Obwohl die Leiche schon irgendwie eklig aussah. Aber in der Dunkelheit konnte man ja eh nur Umrisse erkennen.
Ich ging zur Frau zurück und hob sie hoch. Sie war immer noch ein klein wenig warm und roch irgendwie gut. Ich erschrak vor meinen eigenen Gedanken. Was dachte ich denn da? Verstört legte ich sie in den Sarg.
Ein wenig schuldbewusst sah ich auf sie herab. Immerhin war es auch meine Schuld, dass sie tot war. Vielleicht hätte sie überlebt, wenn ich nicht auch noch ihr Blut gebraucht hätte. Nach kurzem Zögern hob ich sie wieder raus und entfernte die andere Leiche. Wenn sie schon in einem fremden Sarg liegen musste, sollte sie zumindest ihren eigenen bekommen. Also nahm ich den ursprünglichen Besitzer des Sarges und legte ihn zu seiner Frau. Der Gedanke gefiel mir ein wenig. „Bis dass der Tod euch scheidet“, lautet doch das Eheversprechen. Jetzt sind sie selbst im Tod vereint. Mein Hunger wurde immer quälender. Ich spürte, wie meine Zähne anfingen zu wachsen und die Verwandlung einsetzte. Die Frau kam mir plötzlich ungewöhnlich schmackhaft vor. Ich habe schon öfter Tiere gejagt und roh verspeist. Es lag irgendwie in meiner Natur. Aber ich hatte noch nie einen toten Menschen vor mir gehabt. Es mag abstoßend klingen, aber für mich war es in dem Moment, als würde ich ein Festmahl wegschmeißen. Ich schloss die Augen und versuchte, mich zu sammeln. Es brauchte meine ganze Willenskraft, die Verwandlung aufzuhalten. Behutsam legte ich sie nun wieder in den Sarg, der nun ihr alleine gehören sollte und schloss den Deckel. Der verführerische Geruch nahm augenblicklich etwas ab, obwohl er immer noch im Raum hing. Wenn ich nur nicht so einen Hunger hätte! Ich musste mir dringend etwas zu essen besorgen.
Mühsam schob ich den Sarg wieder zurück an seinen alten Platz und verließ das Mausoleum. Ich hatte nicht viel Zeit, wollte ich Paul doch nicht allzu lange warten lassen. Ich nahm Witterung auf, was aufgrund des Regens etwas schwer war, doch bald fand ich die Spur eines Hasen, über das ich geradezu herfiel. Ich machte mir nicht die Mühe, es zu braten, was bei dem Regen eh schwierig gewesen wäre und fraß es hastig und fast vollständig auf.
Ich mochte es nicht, wenn der Wolf derart in mir hervor trat. Ich kam mir immer ein wenig primitiv dabei vor. Nicht so elegant und geschmeidig, wie ein Vampir, der seine Opfer förmlich verführte. Ich ging zum Brunnen zurück und wusch mir hastig das Blut von Gesicht und Händen.
Dann ging ich zurück zum Mausoleum. Die nassen Kleider klebten an meinem Körper und ich fühlte mich sehr unbehaglich.



Ich ging zur Frau zurück und hob sie hoch. Sie war immer noch ein klein wenig warm und roch irgendwie gut. Ich erschrak vor meinen eigenen Gedanken. Was dachte ich denn da? Verstört legte ich sie in den Sarg.
Ein wenig schuldbewusst sah ich auf sie herab. Immerhin war es auch meine Schuld, dass sie tot war. Vielleicht hätte sie überlebt, wenn ich nicht auch noch ihr Blut gebraucht hätte. Nach kurzem Zögern hob ich sie wieder raus und entfernte die andere Leiche. Wenn sie schon in einem fremden Sarg liegen musste, sollte sie zumindest ihren eigenen bekommen. Also nahm ich den ursprünglichen Besitzer des Sarges und legte ihn zu seiner Frau. Der Gedanke gefiel mir ein wenig. „Bis dass der Tod euch scheidet“, lautet doch das Eheversprechen. Jetzt sind sie selbst im Tod vereint. Mein Hunger wurde immer quälender. Ich spürte, wie meine Zähne anfingen zu wachsen und die Verwandlung einsetzte. Die Frau kam mir plötzlich ungewöhnlich schmackhaft vor. Ich habe schon öfter Tiere gejagt und roh verspeist. Es lag irgendwie in meiner Natur. Aber ich hatte noch nie einen toten Menschen vor mir gehabt. Es mag abstoßend klingen, aber für mich war es in dem Moment, als würde ich ein Festmahl wegschmeißen. Ich schloss die Augen und versuchte, mich zu sammeln. Es brauchte meine ganze Willenskraft, die Verwandlung aufzuhalten. Behutsam legte ich sie nun wieder in den Sarg, der nun ihr alleine gehören sollte und schloss den Deckel. Der verführerische Geruch nahm augenblicklich etwas ab, obwohl er immer noch im Raum hing. Wenn ich nur nicht so einen Hunger hätte! Ich musste mir dringend etwas zu essen besorgen.
Mühsam schob ich den Sarg wieder zurück an seinen alten Platz und verließ das Mausoleum. Ich hatte nicht viel Zeit, wollte ich Paul doch nicht allzu lange warten lassen. Ich nahm Witterung auf, was aufgrund des Regens etwas schwer war, doch bald fand ich die Spur eines Hasen, über das ich geradezu herfiel. Ich machte mir nicht die Mühe, es zu braten, was bei dem Regen eh schwierig gewesen wäre und fraß es hastig und fast vollständig auf.
Ich mochte es nicht, wenn der Wolf derart in mir hervor trat. Ich kam mir immer ein wenig primitiv dabei vor. Nicht so elegant und geschmeidig, wie ein Vampir, der seine Opfer förmlich verführte. Ich ging zum Brunnen zurück und wusch mir hastig das Blut von Gesicht und Händen.
Dann ging ich zurück zum Mausoleum. Die nassen Kleider klebten an meinem Körper und ich fühlte mich sehr unbehaglich.



Dreckig und durchnässt erreichte ich die Tür zum Mausoleum.
„Hast du das Mädchen entsorgt?“ fragte Paul.
„Ja, habe ich. Mach dir um die keine Sorgen mehr.“
„Was hast du mit ihr gemacht?“
Ich hatte keine Lust, ihm jetzt meine Odyssee mit der Frau zu erzählen. Ich sah ihn also nur intensiv an und sagte: „Ich habe dir doch gesagt, es ist erledigt!“
„Was hast du dir bei der Aktion mit Christian gedacht? Denkst du, du hast die Ahnung und das Wissen über Sterben und Tod?“
„Ich glaube nicht, dass ich es nötig habe, dir meine Gründe zu erklären“, erwiderte ich eisig.
Ich ging hinüber zum Sarg, vor dem Paul immer noch stand und sah auf Christian.
„Wie geht es ihm?“
"Wie du meinst. Ich erwarte von dir Kooperation. Ich habe mit dem Prinzen gesprochen. Christian wird 6 Nächte Blut eines Menschen erhalten, den kein Vampir zuvor gekostet hat. Ich erwarte von dir, dass du das Mausoleum, den Friedhof und vor allem Christian mit deinem Leben beschützt. Solltest du versagen, ist die Jagd auf dich eröffnet.“
„Oh, das heißt dann wohl, dass sie eingestellt worden ist? Mach dir keine Sorgen, Paul. Ich habe Christian einmal enttäuscht, ich werde es nicht noch einmal zulassen.“
„Nur Christian, der Prinz und ich wissen von deinem Aufenthaltsort. Die Jäger habe ich in die Irre geführt.“
„Ich werde ihn mit meinem Leben beschützen. So, wie ich es heute schon einmal für ihn geben wollte.“
„Damit wärst du eine tolle Hilfe gewesen. Mir ist es vollkommen egal. Von mir aus, kannst du in dein Zirkus, oder verrecken. Mir geht es um Christian. Damit das klar ist!“
„Ich glaube, das hast du schon zur genüge klar gemacht!“ erwiderte ich.
„Vergiss es nicht. Hast du Hunger? Du musst bei Kräften sein, damit du deine Aufgabe erfüllst.“
„Ich - äh - habe eben schon was gegessen“, erwiderte ich verlegen.
„Dann eben nicht.“ Paul nahm eine Kerze und entfachte aus ihr ein Feuer. Er lockerte seinen Umhang und gab Leander 2 große Steaks. Leander machte sich daran aus seinem Zeug eine Pfanne zu holen und grillte sie duftend in der Pfanne.
„Nun wieder zu dir.“
„Was gibt es denn noch?“ fragte ich neugierig.
„Du hast von den Tropfen nichts eingenommen, wie ich dir aufgetragen habe. In der Stadt warst du bisher auch nicht. Du musst nicht meinen, wenn ich in meinem Grab ruhe, dass ich nicht deine Schritte kenne. Um genau zu sein; du hast nichts erledigt.“
„Na ja, ich dachte ja auch nicht, dass ich den Abend überleben würde“, gestand ich ehrlich.
„Wann gedenkst du, in die Stadt zu gehen? Vor Heinrich hast du nichts zu befürchten. Dein Herr ist weiter gereist. Meine Späher sind ihm immer dicht auf den Fersen. Sollte er dennoch zurückkommen, wirst du benachrichtigt. Du kannst dich somit frei in der Stadt bewegen.“
„Besteht tagsüber für Christian Gefahr?“
„Leander ist auch noch da und die Tiere. Du musst ja nicht gleich eine Sightseeing Tour buchen. Sag mal, bist du so dumm, oder willst du mich nur aufregen?“
„Wenn eine echte Gefahr für ihn besteht, möchte ich das nicht Leander zumuten.“
„Wenn du mit den einfachsten Aufträgen überfordert bist, dann sag es und verschwinde von hier.“
„Geschickt genug, um die Scheinwerfer anzuschalten“, erwiderte ich ein wenig schuldbewusst.
„Aber beruhig dich wieder. Ich werde morgen in die Stadt gehen, wenn es dir so wichtig ist.“
„Wärst du nicht, wäre Christian nicht mehr hier und in dieser Verfassung, sondern im Kreis seiner Familie. Hör zu du Köter! Kann ich mich auf dich verlassen?“
„Christian kann sich auf mich verlassen!“
„So wie heute?“
„Ja, so wie heute. Wo ich mein Leben für ihn gegeben hätte!“ erwiderte ich erbost.
„Noch eins! Solltest du versagen, mich enttäuschen, oder Christian in Gefahr bringen; ich finde dich überall und werde dich persönlich erlegen und mit deinem Fell meinen Sarg ausstatten.“
„Die alte Platte schon wieder! Wann kapierst du endlich, dass mir deine Drohungen herzlich egal sind? Es geht einzig und alleine um Christian!“
„Genau. Hier hast du Geld.“ Paul warf ihm ein Bündel Geldscheine vor die Füße, als sei es Abfall. Er vermutete, dass Brendan noch nie so viel Geld gesehen hatte.
„Kümmere dich ebenfalls um Leanders leibliches Wohl. Er wird von Christians Sarg nicht weichen.“
Ich sah zu Leander rüber und lächelte ihn automatisch an. Dann drehte ich mich wieder zu Paul.
„Ja, ich hätte nichts anderes von ihm erwartet. Mach dir keine Sorgen Paul. Ich werde mich gut um ihn kümmern.
Paul guckte ihn abschätzend an. Entblößte einen seiner Fangzähne und sagte mit einem diabolischen Grinsen:
„Gut. Zeit zum Abendessen.“ Vor den Augen von Brendan und Leander verdampfte Paul und nur ein silbriger Streifen von kaltem Nebel entwich durch dir Tür. Im Mausoleum hörte man nur noch Leander das Fleisch essen.
Mit einem Lächeln lud er Brendan zu sich ein, um mit ihm zu teilen.

72 (Brendan)

Nachdem Paul verschwunden war stand ich noch lange an Christians Sarg und wünschte mir nichts mehr, als dass er zu mir zurückkommen würde. Er war gefangen an der Grenze zwischen Leben und Tod und ich hatte mit jeder Minute mehr das Gefühl, ihn in Stich zu lassen. Meine Versuche, ihn zu retten, kamen mir halbherzig und unausgereift vor. Meine Streitereien mit Paul beschämten mich ebenfalls. Wir waren beide daran interessiert, Christian zu helfen. Doch je mehr ich darüber nachdachte, umso mehr wurde mir bewusst, dass uns dieses Wunder nur gemeinsam gelingen konnte.
Paul verabscheute mich nicht nur, weil ich ein Werwolf bin, sondern auch, weil ich Mitschuld daran trug, dass er in dieser Lage war. Und vielleicht ein wenig, weil er nicht da gewesen ist, als es passierte. Weil er seinen Schützling nicht beschützen konnte und er ihn wider besseren Wissens mit mir hat ziehen lassen - dem Werwolf, auf dessen Seite sich Christian gestellt hatte. Selbst wenn er damit den Zorn seiner Brüder und Schwestern auf sich gezogen hat. Ein Zorn, der so groß war, dass nicht einmal Paul ihn davor beschützen konnte.
Ich drehte meinen Kopf zur Seite und sah Leander, der mich mit großen Augen beobachtete. Augen, die mehr zu sehen schienen als die eines gewöhnlichen Menschen. Und auch in ihnen glaubte ich Schuld lesen zu können. Machte er sich Vorwürfe, weil er das Licht betätigt hatte? Und was ist mit mir? Gab ich ihm die Schuld an Christians Zustand? Ich versuchte, in mich hinein zu horchen. Mir viel auf, dass ich Leander seit dem Vorfall wenig Beachtung geschenkt hatte. Er war immer da, an Christians Seite, und es schien ihm förmlich das Herz zu zerreißen, wenn Paul und ich uns stritten.
„Es tut mir leid!“ sagte ich leise und ich spürte, wie Tränen in mir aufstiegen.
Leander sah mich fragend an. Langsam ging ich zu ihm rüber und setzte mich neben ihn. Behutsam nahm ich seine Hand und sah ihn eindringlich an. Langsam und deutlich sagte ich:
„Es ist nicht deine Schuld!“
Eine Sekunde sah er mich mit weit geöffneten Augen an. Nun war es Leander, dem die Tränen in die Augen stiegen. Er riss seine Hand weg und stand auf, taumelte ein paar Schritte zurück. Dann fing er wie wild an, Zeichen in die Luft zu machen. Wilde Gebärden, von denen ich natürlich kein Wort verstand. Aber das war auch nicht nötig. Ich wusste, was er sagen wollte. Tränen liefen seine Wangen hinunter. Er versuchte mir zu erklären, dass es sehr wohl seine Schuld wäre, und zwar einzig und alleine.
Langsam stand ich auf. Er gebärdete immer noch wie wild. Mit traurigen Augen sah ich ihn an. Es schien, als hätte ich ins Schwarze getroffen.
„Leander!“ Ich war mir nicht sicher, ob er bei den Tränen und in dem schlecht beleuchteten Mausoleum meine Worte überhaupt noch lesen konnte.
„Hör mir zu! Es ist nicht deine Schuld!“
„Wwohhl!“ Er schrie fast, aber seine Gebärden wurden langsamer. Er bemühte sich, vermutlich in der Hoffnung, dass ich sie verstehen würde.
„Die Vampire waren hinter mir her. Ohne mich hätten Sie uns nie angegriffen. Und niemals hätten Sie Christian angegriffen, wenn er sich nicht auf meine Seite gestellt hätte. Wenn überhaupt, ist es meine Schuld! Du wolltest nur helfen und die Idee war gut!“
Er akzeptierte meine Einwände nicht. Ich konnte es an seinen Gebärden und vor allem seiner Mimik sehen. Sie waren verneinend, abblockend und wieder schneller. Schließlich drehte er sich von mir weg und schlug die Hände vors Gesicht. Seine Schultern zuckten. Er weinte.
Ich konnte es kaum mit ansehen, wie er litt. Ich ging zu ihm rüber und nahm ihn vorsichtig in den Arm. Er ließ es geschehen. Er vergrub seinen Kopf in meine Schulter und weinte. Auch ich konnte meine Tränen nicht zurück halten.
„Wir werden ihn retten! Das verspreche ich dir!“ flüsterte ich ihm in sein Ohr, obwohl er es natürlich nicht hören konnte.
Ich weiß nicht, wie lange wir so da standen. Es mögen Minuten oder auch Stunden gewesen sein. Als wir uns voneinander lösten, waren wir beide erschöpft. Diese Nacht schlief ich neben Leander.

73

Als ich erwachte, war es bereits Mittag. Leander schlief noch. Ich hatte etwas Hunger und würde gerne Frühstück machen. Ich kramte im Rucksack, der ja noch von unserer Reise gefüllt war, und fand eine Dose Hühnersuppe. Na ja, ein etwas eigentümliches Frühstück, aber es würde gehen. War ja ohnehin eher Mittagszeit. Außerdem brauchte man sie nur zu erwärmen und ich war ein miserabler Koch.
Es hatte aufgehört zu regnen, obwohl es immer noch bedeckt war. Also entschied ich mich, draußen das Feuer zu machen. Trockenes Holz zu finden war nicht das Problem. In nahm einfach in einem anderen Mausoleum ein altes Holzkreuz von der Wand. Als ich mit der fertigen Suppe rein kam, erwachte Leander. Entweder durch den Duft der Suppe oder das plötzlich einfallende Licht, als ich die Türen öffnete. Oder beides. Verschlafen rieb er sich die Augen.
„Guten Morgen!“ sagte ich fröhlich. Aber ich war mir nicht sicher, ob er es gesehen hatte, doch er winkte mir fröhlich, wenn auch verschlafen. Seine Augen strahlten, als ich ihm den Suppentopf vor die Nase stellte.
„Ich werde gleich in die Stadt fahren“, sagte ich, als wir zu Ende gegessen hatten. Leander nickte.
„Möchtest du mitkommen?“ fragte ich.
Er schüttelte den Kopf und deutete fast empört auf Christians Sarg.
„Ihm wird nichts passieren. Niemand weiß dass er hier ist und die Vampire schlafen eh. Und es würde dir gut tun, etwas raus zu kommen, “ versuchte ich ihn zu überzeugen.
Doch er schüttelte entschieden den Kopf und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Wie du willst“, sagte ich lächelnd. „Ich werde versuchen, mich zu beeilen.“
Er nickte dankbar. Mir war nicht ganz wohl dabei, ihn hier alleine zu lassen. Aber ich musste seinen Wunsch respektieren. Also ging ich zur Bushaltestelle und nahm den nächsten Bus in Richtung Stadt. Unterwegs kam ich an der Haltestelle vorbei, die ich eines Nachts versehentlich zertrümmert hatte. Sie waren gerade dabei, eine neue aufzubauen. Ich zählte das Geld, das ich von Paul bekommen habe. Er hatte mir jetzt zweimal Geld vor die Füße geworfen und ich vermute, dass er es nicht einmal gemerkt hat. Jedenfalls war es mehr, als ich in meinem ganzen Leben insgesamt besessen habe. Was sollte ich mit soviel Geld?
Ich hatte den Rucksack ausgeleert und mitgenommen. Jetzt musste ich mir Gedanken machen, was wir eigentlich alles brauchten.
Als ich aus dem Bus ausstieg, zog es wieder etwas zu. Vermutlich würde es diese Nacht wieder regnen. Plötzlich hatte ich das Gefühl, verfolgt zu werden. Ich schaute mich um, doch es war unmöglich, jemanden auszumachen. Wie Ameisen wuselten die Menschen über den Bahnhof. Ich ging los und machte meine Erledigungen, doch ich wurde das Gefühl einfach nicht los. Doch so sehr ich mich auch umdrehte, es war keiner zu sehen. Langsam wurde ich wohl paranoid. Schließlich war heller Tag. Wie sollten mir die Vampire da nachstellen?
Mein Rucksack war inzwischen prall gefüllt mit Lebensmitteln und Dingen des täglichen Bedarfs, als ich einmal falsch abgebogen bin. Ich war wieder in der Altstadt. Ich hatte die ganze Zeit darauf geachtet, dass ich mich an Orten bewegte, wo viele Geschäfte und Menschen unterwegs waren. Doch dies war eine Nebenstraße und offensichtlich menschenleer. Ich wollte gerade kehrt machen, als ich Schritte hinter mir hörte.
Langsam drehte ich mich um. Vier Männer und eine Frau standen mir gegenüber und allesamt sahen sie aus, als wären sie gerade aus einer schäbigen Spelunke am Hafen rausgeflogen. Der Vorderste war der Kräftigste und schien der Anführer zu sein. Er trug eine dunkelbraune Lederjacke und zerrissene Jeans, einen Dreitage-Bart und seine Haare waren offensichtlich nicht gekämmt. Er war vielleicht Mitte dreißig, die Anderen ebenfalls so um den Dreh. Auch sie hatten alle Jeanshosen an und wirkten etwas abgerissen. Die Frau war ebenfalls attraktiv, wirkte aber auch ein klein wenig nuttig.
Urplötzlich fühlte ich mich an die Falle erinnert, die Heinrich mir schon einmal in der Altstadt gestellt hatte.
„Was wollt ihr?“ fragte ich barsch.
Der mit der braunen Lederjacke ging ein paar Schritte auf mich zu und lächelte dabei durchaus freundlich.
„Mein Name ist René. Das da sind Timo, Markus, Bernd und Sabine.“
„Aha“, sagte ich nur.
„Entschuldige bitte, dass wir dich so überfallen. Du glaubst ja gar nicht, was für eine Ehre es für uns ist, dich gefunden zu haben, Brendan.“
Ich verstand die Welt nicht mehr.
„Woher kennt ihr meinen Namen?“ fragte ich.
Er lachte kurz auf, als hätte ich einen guten Witz gemacht.
„Wer kennt ihn nicht? Du bist ein Held! Eine Berühmtheit!“
Das Ganze wurde irgendwie immer mysteriöser.
„Wie meinst du das?“
„Lass uns das nicht hier auf offener Straße bereden. Komm, ich lade dich auf ein Bierchen ein!“ Er klopfte mir aufmunternd auf die Schulter und schob mich vorwärts. Er schien bester Laune zu sein und erzählte mir fortwährend wie glücklich er sei, mich gefunden zu haben. Die anderen folgten uns in einem gewissen Abstand. Ich kam mir einerseits immer noch vor, als wäre ich in einer Falle getappt, aber andererseits schienen sein Lächeln und seine Freude echt zu sein. Er hatte auch einen gewissen Charme, dem ich mich nicht entziehen konnte und so ließ ich mich von ihm zwei Straßen weiter in eine etwas runter gekommene Kneipe führen, in die ich unter normalen Umständen nie einen Fuß hinein gesetzt hätte. Es war erst Nachmittag und nicht viele Besucher da. Trotzdem war die Luft dick vom Rauch und die Einrichtung bestand aus groben, hölzernen Tischen und Stühlen. Wir setzten uns an einen großen Tisch in der hintersten Ecke.
„Könnte ich vielleicht endlich erfahren, was hier los ist?“ fragte ich verärgert.
„Ja, natürlich. Das sollst du. Dafür sind wir ja hier!“ sagte er und zwinkerte mir zu, während er per Handzeichen für jeden ein Bier bestellte.
„Entschuldige meinen Enthusiasmus,“ begann René. Die Anderen sahen mich fast ehrfürchtig an und hatten immer noch keinen Ton gesagt.
„Ehrlich gesagt hätte ich gedacht, dass du was größer und kräftiger bist. Aber so kann man sich irren!“ schmunzelte er.
„Was wollt ihr von mir!“ langsam wurde ich wütend.
René wurde ernst und sah mich einen Moment lang intensiv an. Dann begann er zu reden.
„Ein Werwolf ohne Rudel überlebt gewöhnlich nicht lange,“ begann er. Er sprach jetzt ganz leise, um belauscht zu werden. Ich erschrak etwas. Er kannte nicht nur meinen Namen, sondern wusste auch, dass ich ein Werwolf bin.
„Besonders nicht, wenn er reinrassig ist.“
„Reinrassig?“ fragte ich nach.
„Ja. Du wurdest nicht gebissen, du wurdest geboren. Wer weiß, wie weit dein Blut zurück reicht.“ Er unterbrach kurz, als das Bier gebracht wurde, dann fuhr er fort.
„Ohne den Schutz des Rudels ist ein Werwolf den Attacken der Vampire schutzlos ausgeliefert. Es ist ein Wunder, dass du so lange überlebt hast.“
„Wer seid ihr?“ fragte ich noch einmal.
„Wir sind Werwölfe. Wie du. Ich bin René, wie du ja schon weißt. Ich bin der Anführer eines Rudels. Wir sind etwa fünfzehn Werwölfe, teils reinrassig, teils nicht. Damit ist es schon ein großes Rudel. Ein Rudel hat nie mehr als 20 Familienmitglieder. In einem Rudel sind wir relativ sicher vor den Vampiren. Sie wissen, dass sie einen Krieg provozieren, wenn sie einen Werwolf grundlos töten. Das ganze Rudel wird sich rächen und die Familienmitglieder des Angreifers töten. Aber bei einem Rudellosen ist das anders.“
„Warum töten sie sie überhaupt?“ hakte ich nach.
„Weil sie Angst haben!“ antwortete René abfällig.
„Angst? Wovor?“
„Dass jemand kommen könnte wie du. Jemand, der das Potenzial hat, uns zu vereinen.“
„Kannst du vielleicht mal Klartext reden?“ antwortete ich wütend.
„Vampire sind strikt organisiert. Sie haben Prinzen, Generäle und Clans, die einen Waffenstillstand haben. Das macht sie mächtig. Wir leben in Rudeln. Wir würden nie einen Führer aus einem anderen Rudel, einer anderen Familie akzeptieren. Die Familie ist uns heilig. Es gibt Kämpfe unter den Rudeln, aber wenn ein Anführer besiegt wird, würde die Familie trotzdem niemals den Sieger als Rudelführer akzeptieren. Auch politische Heiraten sind nicht möglich. Wenn zwei Werwölfe aus unterschiedlichen Rudeln sich vereinigen, machen sie automatisch ein neues Rudel auf. Und genau aus diesem Grund können wir uns niemals gegen die Vampire erheben. Weil es nie einen Führer geben würde, den alle Rudelführer akzeptieren.“
Er machte eine rhetorische Pause.
„Jedenfalls keinen, der zu einem Rudel gehört.“ Er sah mich durchdringen an.
„Aber ich habe kein Rudel“, führte ich den Gedanken zu Ende.
„Deswegen jagen die Vampire erbarmungslos jeden Werwolf, der nicht durch sein Rudel geschützt ist. Weil sie Angst haben, es könnte sich ein Anführer der Wölfe erheben.“
Ich schluckte. Langsam dämmerte mir, worauf er hinaus wollte.
„Und nun sieh dich an!“ Er lächelte und klopfte mir noch einmal enthusiastisch auf die Schulter.
„Ein halber Wölfling, der nicht nur einen vom Prinzen geschickten Assassine tötet, sondern auch ein ganzes Überfallkommando ausradiert!“ Er lachte. „Die Vampire sind in heller Aufregung. Überall suchen sie nach dir! Shit, du wirst noch nicht mal gegen irgendwelche Rudelführer kämpfen müssen, weil keiner deine Autorität in Frage stellen wird. Und das bei deiner mickrigen Statur! Hätte ich dir echt nicht zugetraut!“
Mir wurde urplötzlich schlecht.
„Ich muss los!“ sagte ich nur und stand auf.
René hörte unvermittelt auf zu lachen.
„Wo willst du denn hin?“
„Weg von hier“, antwortete ich nur.
„Aber du kannst nicht gehen! Die Vampire werden dich finden. Bei uns bist du in Sicherheit!“
„Mein Leben lang habt ihr euch einen Scheißdreck um für mich interessiert, jetzt brauche ich euch auch nicht!“ Ich schrie jetzt fast.
„Beruhig dich bitte!“ Er flehte fast. „Versteh doch. Du bist zu wertvoll. Sie werden dich jagen und töten.“
„Ich kann sehr gut auf mich alleine aufpassen!“ Ich musste verhindern, dass sie mir folgen. Ich durfte Christians Versteck nicht preisgeben! Das war im Moment meine einzige Sorge.
„Und ich werde jeden töten, der versucht, mir folgen! Gleichgültig ob Vampir oder Werwolf! Habt ihr das verstanden?“ Ich sah jeden kurz in die Augen, während ich die Worte sprach und fixierte am Ende René. Sie sollten alle sehen, dass ich keine Spielchen trieb. Er sah mich lange an, dann nickte er langsam.
„Ganz wie du wünschst“, sagte er schließlich. Er blickte traurig und enttäuscht, aber ich war mir nicht sicher, ob ich ihm trauen konnte. Zumindest ließen sie mich gehen. Eilig verließ ich das Lokal.

74 (Chritian)

Nachdem Brendan das Mausoleum verlassen hatte, blieb Leander mit dem Sarg, in dem Christian lag, allein zurück. Die Ratte huschte durch das Mausoleum. Da Brendan weg war, brauchte sie den Sarg nicht vehement zu verteidigen. Sie suchte nach Gräsern, Körner und was so vom Essen so übrig blieb. Leander packte die Sachen zusammen, von denen sie eben gegessen hatten und brachte sie nach draußen, wo er sie in dem Brunnen wusch. Das Wasser war eisig und in kürze färbten sich seine Finger rot vor Kälte. Ein kühler Wind wehte von Norden her über den Friedhof und holte die letzten Blätter von den Bäumen. Nur noch die Tannen waren grün. Wolken zogen mit dem Wind auf und es verdunkelte sich schrittweise. Der Winter war nicht mehr weit. Nachdem Leander alles abgewaschen hatte, suchte er etwas Reisig auf dem Friedhof zusammen und ein paar lose Steine. Diese trug er in das Mausoleum. Aus den Steinen formte er einen kleinen Kreis und legte das Holz in die Mitte. Er riss ein Stück Papier von seinem Block raus und zündete es an um dann ein kleines Feuer auf traditionelle Weise zu entfachen, was ihm zügig gelang. In wenigen Minuten brannte es und verteilte eine angenehme Wärme im Mausoleum, woran er sich die Hände wärmte. Auch die Schlange kam näher gekrochen, um sich an dem Feuer zu wärmen. Als Leanders Hände wieder eine normale Farbe hatten, griff er nach seinem Rucksack und kramte darin rum. Er holte sein Handy raus, tippte die Geheimnummer ein und suchte ein Netz. Nach ein paar Sekunden war seine vertraute Antenne in der Anzeige zu sehen. Der Akku war auch voll, notfalls hätte er es im Auto neu aufgeladen.
Er hielt das Handy in der Hand und überlegte einen Moment. Dann stand er auf und ging zum Sarg rüber. Er öffnete vorsichtig den Deckel und guckte nach ihm. Christian erschien noch blasser und die Haut noch eingefallener. Lange würde er so nicht überleben. Er dachte nach und schaute auf den leblosen Körper. Eigentlich sieht er aus wie eine richtige Leiche, dachte er. Diese blöden und kindischen Fabelwesen streiten sich an seinem Grab und entweihen hier den ganzen Friedhof mit ihren dummen Gehabe, anstatt nachzudenken, wie man Christian helfen kann. Er war richtig sauer. Er nahm Christians Hand erneut und sie fühlte sich kalt und hart an. Erschrocken wich er zurück. Dann näherte er sich wieder. Dann fiel es ihm ein, das Blut fing an zu stocken und zu stehen. Das darf nicht passieren. Jedenfalls nicht bei Menschen, die im Koma liegen. Er griff beherzt Christians Bein und hob es langsam an und ließ es wieder sinken. Das wiederholte er mit dem Anderen und dann ging er über, um die Arme auch wieder an- und abzuheben. Er fühlte, wie in Christians kalten Händen sich das Blut bewegte und auch eine ganz leichte röte sich unter der Haut bildete. Max kam heran geflogen und setzte sich auf den Rand des Sargs. Er guckte mit einer Mischung aus Vorsicht und Argwohn. Er wusste und spürte, dass von Leander keine Gefahr ausging. Er schüttelte sich und fing an, seine Federn zu putzen und zu ordnen. Durch die verursachten Schwingungen wurde Leander auf Max aufmerksam und guckte zu ihm. Max putzte sich entspannt weiter. Dabei ließ er eine lange und nicht mehr brauchbare Feder fallen. Leander guckte, wie die Feder langsam kreisend zu Boden sank. Er bückte sich und hob sie auf. Max hatte die Bewegung sofort registriert und guckte Leander mit schiefem Kopf an, was er da tat. Leander wechselte von der Feder zu Christians Gesicht und wieder zurück zur Feder. Er näherte langsam und sacht die Feder Christians Mund und Nase und hielt sie vorsichtig und ruhig davor und guckte intensiv auf die Feder. Langsam bewegten sich die Federn unter dem Atem. Man konnte es kaum mit bloßem Auge erkennen, aber es bewegte sich leicht. Leander strahlte etwas, legte eine Decke über Christians Körper und schloss behutsam den Sarg und ging zu seinem Platz zurück. Dann widmete er sich wieder seinem Handy und tippte eine Textnachricht ein und versendete diese.
Draußen wurde der Wind stärker und wehte die Türen des Mausoleums auf, die Leander nur angelehnt hatte. Er stand auf und schloss die Türen. Er wollte zuerst den Riegel und Balken vorschieben; Paul würde ohne Probleme reinkommen, wenn man Vampiren den Zutritt in ein geschlossenes Gebäude gewährt, dann können sie sich immer Zutritt verschaffen. Das Problem jetzt, war Brendan. Entweder würde er die Türen einreißen und man währe Stunden damit beschäftigt, oder er würde sich eine andere Katastrophe ausdenken, um Reinzukommen. Er dachte kurz über Brendan nach. Der Kirmesjunge aus der Kuriositätenshow. Eigentlich war er nett im Ansatz, wusste eigentlich nie, was er aber machen sollte, oder musste. Ständig musste man ihm alles vormachen, oder hinter ihm herräumen. Doch seine Stärke konnte von nutzen sein. Er vertrieb die Gedanken und zog Christians Kiste vor die Tür. Er hoffte nur, dass Brendan die Türe nicht so aufschlug, dass diese kaputt ging.
Als er sich wieder umdrehte, vernahm er ein leichtes, blaues Blitzen, wo er eben noch gesessen hatte. Das blinken kam von seinem Handy, was auf seiner Decke lag. Mit schnellen Schritten lief er zur Decke, hockte sich hin und nahm sein Handy. 1 Textmitteilung erhalten. Er drückte auf OK und begann zu lesen:
< Danke für Nachricht. Treffen dich 16:00 Uhr Eingang Friedhof. Ich komme alleine. Marc.>
Leander guckte auf seine Armbanduhr und sah dass es 15:15 Uhr ist. Er hatte noch etwas Zeit. Er guckte zu Christians Sarg auf und lächelte leicht. Du wirst sehen, es wird alles gut, dachte er. Marc ist ein Vampirkenner und hatte viel über sie gelesen und man konnte ihm trauen, da er auch gehörlos ist. Leander war zufrieden, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen und sein Fehler wieder gut zu machen.

75 (Brendan)

Vor der Tür atmete ich erst einmal tief durch und versuchte zu verstehen, was mir gerade passiert war. Ich wusste, dass es unhöflich, vielleicht sogar gefährlich gewesen war, einfach so aufzustehen. Zumal sie mir vermutlich noch viele Frage hätten beantworten können, die mir schon seit ich denken kann durch den Kopf gingen. Ich hatte so gut wie keine Ahnung von meiner eigenen Rasse, von den Gebräuchen und der Kultur der Werwölfe. Aber sie hielten mich für einen eiskalten Vampir-Killer. Eine zweifelhafte Heldenfigur, ein Maskottchen, das sie für ihren dämlichen Krieg benutzen wollten. Meine Sorge um Christian überwog meine Neugier. Wenn ich sie zu ihm führen würde, würden sie ihn ohne zu zögern töten. Das musste ich auf jeden Fall verhindern.
Ich musste wieder über seine Worte nachdenken. Ein Anführer. Ich! Der ich mich ein Leben lang von einem Menschen habe unterdrücken lassen. Sie hatten ja keine Ahnung, wen sie sich da ausgesucht hatten. Oder vielleicht doch? René hielt mich vermutlich für leicht manipulierbar. Die Gier nach Macht stand in seinen Augen. Es war klar, dass er mich nicht so einfach würde gehen lassen. Ich hatte mich sowieso schon gewundert, dass er mich hat aufstehen lassen. Jedenfalls war es Zeit, zu verschwinden.
Ich lenkte meine Schritte eilig wieder in Richtung Zentrum. Ich wollte in den Menschenmassen verschwinden. Immer wieder sah ich mich um, entdeckte jedoch niemanden, der mir folgte. So wie ich versuchte, in den Massen zu verschwinden, verschwanden sie allerdings auch. Selbst wenn ich verfolgt würde, wäre es mir vermutlich nicht möglich gewesen, sie auszumachen. Der Wind wurde stärker. Es schien sich ein Unwetter zusammen zu brauen. Irgendwie passte das Wetter zu meiner Stimmung. Ich eilte an vielen Geschäften vorbei, ging in Kaufhäuser, durch die Fußgängerpassagen und überall, wo viele Menschen waren. Es ist schon merkwürdig, wie schnell sich ein Leben ändern kann. Noch vor kurzem hatte ich mir die Nase platt gedrückt an den vielen Schaufenstern und neidisch die Leute beobachtet, die sich ganz selbstverständlich das leisten konnten, wovon ich nur träumen konnte. Jetzt hatte ich plötzlich Geld in der Tasche und hätte mich mir all diese Wünsche erfüllen können und doch hatte ich keinen Blick mehr dafür. Ich wühlte mich durch die Kaufhäuser und Konsumtempel mit dem einen Ziel, ungesehen wieder hinaus zu kommen. Ich suchte Spiegel, um dezent hinter mich zu gucken.
Ich fragte mich, ob ich nicht langsam paranoid wurde. Ich hatte das Gefühl, dass es die ganze Welt auf mich abgesehen hatte. Jeder, der mich ansah, hielt ich für einen potenziellen Werwolf oder Vampir, der auf der Jagd nach mir war.
Nachdem ich etwa eine Stunde lang so herum geirrt war, sah ich ein, dass es keinen Zweck hatte. Ich hatte keine Möglichkeit festzustellen, ob ich verfolgt wurde oder nicht. Außerdem wurde das Wetter immer schlechter. Es fing an zu regnen und der Wind peitschte durch die Straßen. Die Folge war, dass die Straßen zunehmend leerer wurden. Die Menschen flüchteten sich ins Warme.
Mir kam eine Idee. Ich musste einen Ort finden, an dem ich meine Verfolger aufspüren konnte, wenn es sie denn gab. Den Park. Mir graute etwas davor, hierhin zurück zu kehren. Genauso wie ich mich inzwischen fürchtete, mich in einen Werwolf zu verwandeln. Ich musste an den Vampir zurück denken, dessen Leben ich hier ausgelöscht hatte und wie er mich in den Vollmondnächten verfolgt hatte.
Als ich mich dem Park näherte, kam mir ein einzelner Mann mit einem Regenschirm entgegen. Er kämpfte gegen den peitschenden Wind, der in Böen an dem Schirm zerrte und immer wieder drohte, ihn umzureißen. Ich war schlechtes Wetter gewohnt. Die Kirmes wartete nicht auf schönes Wetter, wenn es darum ging, die Fahrgeschäfte aufzubauen. Ansonsten war die Straße menschenleer. Nur vereinzeln schoben sich Autos an mir vorbei, was vermutlich daran lag, dass ich inzwischen in einem Wohngebiet war, wo der Verkehr nicht so dicht war. Aber das Gefühl, verfolgt zu werden, blieb. Wie ich es auch schon gespürt hatte, als ich aus dem Bus ausgestiegen bin. Und da hat es mich ja auch nicht getäuscht.
Ich erreichte den Park. Der Wind peitschte deutlich hörbar durch die Bäume und verursachte dabei einen derartigen Lärm, dass ich mir keine Sorgen machen brauchte, gehört zu werden. Obwohl die Sonne noch nicht untergegangen war, drang kaum ein Lichtstrahl durch die düsteren Wolken und tauchte die Gegend in ein dunkles Zwielicht. Der Wind war jetzt so stark, dass der Regen fast waagerecht flog.
Der Park war von einer hohen Mauer umgeben. Wieder einmal würde ich ihn zu meiner Arena machen. Allerdings würde mich der prall gefüllte Rucksack stören. Ich überlegte, was darin war und ob ich ihn zu Not entbehren konnte. Ich hatte ihn ja vorher ausgeleert und es waren eigentlich nur Vorräte darin. Sollten sie ihn finden, müsste ich halt noch einmal los ziehen und sie neu einkaufen, aber Geld genug hatte ich ja noch. Jetzt war ich froh, dass ich nicht der Versuchung erlegen war, irgendwelchen Kram zu kaufen. Aber auch Pauls Tropfen waren darin! Vielleicht sollte ich sie jetzt endlich einmal ausprobieren. Ich nahm den Rucksack von meinen Schultern und kramte in einer der Seitentaschen, wo ich das Fläschchen fand. Fünfzehn Tropfen hatte er gesagt. Mir war nicht ganz wohl, als ich die matt leuchtende, grüne Flüssigkeit betrachtete. Ich öffnete die kleine Amphore und roch an ihrem Inhalt. Es roch ein klein wenig süßlich. Ich ließ sie direkt auf die Zunge tropfen und musste mich zurückhalten, nicht gleich alles wieder auszuspucken. Es roch zwar süßlich, schmeckte aber unglaublich bitter und ekelhaft. Dennoch ließ ich geduldig die 15 Tropfen in meinen Mund fallen und schluckte das Ekelzeug tapfer runter.
Dann deponierte ich den Rucksack einige Meter von Eingang des Parks entfernt hinter einem Busch und bedeckte ihn behelfsmäßig mit Laub und Ästen. Dann kletterte ich auf den nächsten Baum, sprang aber noch zwei Bäume weiter, um keine Spuren zu hinterlassen. An sich haben Werwölfe eine natürliche Höhenangst. Wir bleiben lieber mit den Füßen auf dem Boden. Aber Heinrich hatte das nie sonderlich gekümmert. Im Gegenteil Er schickte mich mit Vorliebe auf die höchsten und gefährlichsten Punkte beim Aufbau; natürlich ohne Sicherung. Manchmal glaubte ich, er wünschte sich, dass ich abstürzte oder erfreute sich an meiner Angst. Aber mit der Zeit habe ich gelernt, mich auf den Gerüsten zu halten und meine Angst zu bezähmen. Ansonsten hätte ich die Flüge auf Christians Rücken wohl ebenfalls nicht überlebt. Obwohl ich immer noch Respekt vor der Höhe hatte.
Ich wählte also einen Baum, von dem aus ich sowohl meinen Rucksack, als auch den Eingang sehen konnte. Ich hatte Glück, denn der Wind kam aus Richtung Eingang. Sie würden mich also nicht wittern können. Auch wenn der Baum gefährlich unter dem Wind schwankte. Ich durfte nur nicht runter fallen. Nach ein paar Minuten kamen tatsächlich fünf Gestalten auf den Eingang zu. Es waren Sabine und die anderen Werwölfe, die René begleitet haben. Nur René sah ich nicht.
Sie gingen immer wieder auf alle Viere runter, wohl um meine Fährte aufzunehmen. Aufgrund des Regens wurde dies wohl zunehmend schwieriger. Als sie die Stelle erreicht hatten, wo ich den Trank genommen habe, wurden sie plötzlich hektisch.
„Er ist weg! Ich kann ihn nicht mehr wittern!“ sagte der Wolf, den René als Markus vorgestellt hatte.
„Idiot!“ antwortete Sabine wütend und verpasste ihm eine schallende Ohrfeige. Sie redeten so laut, dass ich ihr Gespräch problemlos auch über den Sturm hinweg belauschen konnte.
„Dann benutz halt deine Augen!“ sie deutete auf den Boden, wo meine Fußspuren im Matsch deutlich zu sehen waren. Ich ärgerte ich mich in diesem Moment über meine Unvorsichtigkeit. Die Spuren führten sie direkt zu meinem Rucksack!
„Ha!“ rief Sabine triumphierend, als sie ihn entdeckten. „Er wird bestimmt wieder kommen, um ihn zu holen!“
„Das bedeutet aber auch, dass er weiß, dass wir ihm folgen“, warf dieser Markus ein.
„Ja, leider, antwortete Sabine. „Timo! Du bleibst hier und legst dich auf die Lauer. Und ihr drei sucht ihn. Er ist bestimmt noch irgendwo im Park. Ich passe auf, dass uns unser Wölfling nicht abhaut. Aber denkt dran: Es darf ihm nichts geschehen!“
Alle vier nickten stumm. Die beiden, die mir als Bernd und Markus vorgestellt worden waren, folgten meinen Spuren bis zu dem Baum, auf den ich geklettert bin. Aber sie kamen offensichtlich noch nicht einmal auf die Idee, dass ich dort hinauf geklettert sein könnte, denn ihre Köpfe drehten sich nicht mal nach oben. Statt dessen suchten sie in zwei unterschiedlichen Richtungen weiter und entfernten sich.
Der Typ, der sich Timo nannte, legte sich unweit von meinem Baum auf die Lauer, so dass er mit dem Rücken zu mir auf dem Boden hockte. Sabine schulterte meinen Rucksack und ging zurück in Richtung Eingang, wo sie in Richtung Park blickend stehen blieb. Allerdings konnte sie Timo von dort aus nicht sehen.
Ich riss einen Stock von dem Baum ab, der mir als Waffe dienen sollte. In dem Getose des Unwetters viel das Knacken nicht weiter auf. Mit einem Satz landete ich hinter Timo und verpasste ihm einen Hieb mit dem Stock, der ihn ohnmächtig werden ließ, noch bevor er sich umgedreht hatte. Ich checkte noch schnell seinen Puls um sicher zu stellen, dass er nicht ernsthaft verletzt war, dann kletterte ich über die Mauer, um mich Sabine von hinten zu nähern.
Sie stand immer noch am Eingang und scannte den Park aufmerksam mit ihren Augen. Den Rucksack hatte sie hinter sich, also zur Straße hin, abgestellt, von wo aus ich ja kam. Ich überlegte erst einen Moment, ob ich sie auch k.o. schlagen sollte. Aber im Grunde hatten sie mir noch nichts getan, außer mich zu verfolgen. Vielleicht sollte ich eine Konfrontation so weit es ging vermeiden. Schlimm genug, dass ich gezwungen gewesen war, einen anzugreifen. Außerdem sollte man sein Glück ja auch nicht überstrapazieren. Also schlich ich mich vorsichtig an sie heran, den Stock im Anschlag und bereit, jederzeit zuzuschlagen. Vorsichtig näherte ich mich dem Rucksack, ohne sie auch nur einen Moment aus den Augen zu lassen. Aber sie rührte sich nicht. Ich war nur wenige Zentimeter von ihr entfernt. Langsam, um möglichst keinen Lärm zu machen, ergriff ich den Rucksack mit der linken Hand, immer noch bereit, zuzuschlagen. Dann ging ich vorsichtig rückwärts, vom Park weg und immer noch fixierte ich Sabine. Ich konnte mir ein Schmunzeln nicht verkneifen. Sie würde schön dumm gucken wenn sie feststellt, dass ich ihr meinen Rucksack wieder zurück geklaut habe. Aber erst einmal musste ich entkommen.
Sowie ich um die Ecke war, schulterte ich den Rucksack, ließ den Stock fallen und rannte los. Das Gefühl, verfolgt zu werden, war weg. Dennoch fürchtete ich, dass sie mich wieder auffinden würden oder noch weitere Werwölfe mich verfolgten. Ich wagte auch nicht, den Bus zu nehmen und rannte zu Fuß in Richtung Mausoleum.
Obwohl ich keine Pause machte, erreichte ich den Friedhof erst weit nach Sonnenuntergang. Ich hielt inne und drehte einige Runden um den Friedhof herum, um sicher zu gehen, dass ich meine Verfolger auch garantiert abgehängt hatte. Dann erst wagte ich es, das Gelände zu betreten und blieb auch hier wachsam. Ich war völlig durchnässt und erschöpft und wünschte mir nichts mehr, als endlich ins Trockene und Warme zu kommen. Dennoch suche ich den ganzen Friedhof ab, bevor ich es wagte, mich zum Mausoleum zu begeben.

76 (Christian)

Der eine Flügel zum Mausoleum öffnete sich langsam und vorsichtig. Kühle Luft und ein paar Blätter wehten rein. Das Mausoleum lag in vollkommener Dunkelheit, als Brendan eintrat. Nicht einmal das Ewige Licht brannte auf dem Altar. Christians Sarg lag in vollkommener Dunkelheit und dennoch schien alles anders als sonst. Auch Leander war weit und breit nicht zu sehen. Nur die leere Matratze und die Rucksäcke von Christian und Leander waren da. Von Brendans Rucksack keine Spur. Brendan witterte in die Luft. Leander musste im Mausoleum sein, denn er konnte ihn riechen und auch die Decken hatten noch Restwärme. Brendan trat ganz ein und als er die Schwelle passierte, schloss sich dir Tür fest hinter ihm und auch ein rattern der Riegel war zu vernehmen.
„Paul!“ rief Brendan in die Dunkelheit. Nichts. Kein Geräusch und keine Bewegung waren zu sehen und zu hören.
Brendan bewegte sich langsam in die Mitte des Raumes. Schweiß bildete sich auf seiner Haut, obwohl er durchnässt und verfroren war, und ließ sein Gesicht in dem wenigen Licht glänzen. Unbehagen machte sich in ihm breit. Etwas stimmte hier nicht. Mit langen Schritten ging er zu Christians Sarg und öffnete ihn. Dabei beschlich ihn das Gefühl, beobachtet zu werden und drehte sich suchend um. Doch da war nichts. Er blickte in den Sarg und Christian lag drin, wie gewohnt. Noch immer mit den Brandverletzungen und sein Gesicht erschien noch eingefallener.
Er zog den Deckel wieder auf den Corpus des Sargs und in der Bewegung vernahm er ein schwirren. Max flog auf ihn zu, krächzte und landete auf den Sarg und guckte Brendan direkt in die Augen. Brendan zuckte zusammen und war nicht mehr in der Lage, dem Rabenblick stand zu halten. Er drehte sich um und guckte direkt in das Gesicht von Paul.
„Guten Abend.“ sagte Paul.
„Paul!“ Brendan zuckte zusammen.
„Heute ist die Nacht der Nächte für Christian. Wir holen ihn zurück.“
„Du hast einen Weg gefunden? Oh… Paul ich bin so froh.“ In Brendans Gesicht machte sich Entspannung breit und er lächelte Paul an.
„Gewiss.“ entgegnete Paul in seiner kühlen Art.
„Darf ich anwesend sein? Was und wie wirst du es tun?“ Brendan sprühte richtig vor Freude.
„Natürlich darfst du das. Du bist unser Ehrengast. Du musst sogar dem Ritual beiwohnen.“
Paul entzündete mit seinem Willen die Kerzen auf dem Altar und das Ewige Licht. Zischen stiegen Flammen empor um sich dann in einem Bruchteil von Sekunden in normales Kerzenlicht zu verwandeln.
Brendan erkannte Leander, der in einer Ecke saß und ein großes, altes Buch im Schoß hatte. Er guckte gebannt auf Brendan. Seine Augen hatten etwas melancholisches, als sich beide Blicke trafen.
<Warum sitzt er in der anderen dunklen Ecke?> fragte sich Brendan und versuchte Leanders Gedanken zu erreichen. Doch es kam keine Antwort zurück.
„Wann werden wir beginnen?“ fragt Brendan in Pauls Richtung.
„Mein lieber Brendan, darf ich dir unseren Prinz vorstellen?“
Aus der anderen Ecke tauchte ein langer schwarzer Umhang auf, wie aus dem Nichts. Ein großer, schlanker Mann, leicht zimtfarbene Haut und stechend grüne Augen. Sein braunes Haar war akkurat gescheitelt. Er machte langsame und ruhige Schritte in die Mitte zu Brendan und Paul. Sein Umhang öffnete sich beim Gehen und er trug einen dunklen Anzug, wie er vor vielen Jahren zu Beerdigungen getragen wurde. Auf seiner dunkelgrauen Krawatte war ein blutroter Stein in Form einer Brosche. Er reichte Brendan die Hand und seine schlanken Hände kamen zum Vorschein. Ein großer, goldener Ring mit dem gleichen Stein, wie seine Brosche, war an seinem rechten Ringfinger.
Brendan ergriff die Hand und zuckte zusammen. Der Händedruck des Prinzen war eiskalt und dennoch kräftig.
„Auf die Knie, du Köter!“ fauchte Paul Brendan an und verpasste ihm einen kräftigen Tritt gegen sein Knie und Brendan fiel dem Prinzen regelrecht vor die Füße.

„Du bist also der mysteriöse Werwolf. Von dir hört man ja recht viel in letzter Zeit. In deiner Kirmeszeit war es ja sehr still um dich und brauchten uns nicht wirklich um dich kümmern. Dass du auf Christian gestoßen bist, war Schicksal, was wir durch Christians Unabhängigkeit nicht verhindern mochten. Durch den Bluttausch in der Gasse wurdest du einer von uns, doch deine Herkunft, deine Dummheit und dein Stolz, ließ es nicht zu, die Seiten zu wechseln.“ Der Prinz sprach mit ruhigem Ton. Beim Reden entblößten sich immer wieder weiße, spitze Fangzähne.
„Sieh den Prinz an, wenn er mit dir redet!“ fauchte Paul Brendan erneut an und griff in seine Haare und riss ihm den Kopf hoch. Brendan musste bei dem Sturz auf das Gesicht gefallen sein und ein langsamer Blutfluss floss aus seiner Nase über die Lippen. Die Augen des Prinzen färbten sich für einen Moment rot und sein Blick bekam etwas wildes, doch innerhalb eines Augenschlags hatte er sich wieder im Griff.
„Paul! Wir brauchen den Wolf noch! Geh sorgfältig mit ihm um und verschütte nicht sein kostbares Blut.“
Paul machte eine demütige Geste in Richtung des Prinzen, machte aber keinerlei Anstallten, Brendan los zu lassen. Er genoss es offenbar, Brendan zu demütigen.
„Steh auf!“ Des Prinzen Stimme hatte etwas Befehlendes an sich und Brendan versuchte, sich aufzurappeln. Das wiederum ging Paul zu langsam und zögerte nicht lange, Brendan an den Haaren hoch zu reißen.

Der Prinz streckte seine Hand aus und strich Brendan über den Hinterkopf. Sein Mund lächelte, aber nicht seine Augen.
„Dein Fehler war es, dass du dich mit deinesgleichen zusammengerottet hast. Wir haben Grund zur Annahme, dass du Christian opfern wolltest, um dich rein zu waschen. Das Serum, was Paul dir gab, ließ dich geruchlos für Wölfe werden, aber sichtbar für uns. So konnten wir deine Spur verfolgen. Sieh mal da zur Tür hin.“ Der Prinz zeigte zur Tür und Brendan drehte sich langsam Richtung Eingang. Just in diesem Moment öffneten sich wie von Geisterhand die Türen des Mausoleums und vier weitere Vampire traten ein. Sie schienen etwas zu tragen und näherten sich dem Prinzen, Paul und Brendan. Als sie den Kreis schlossen, knallten die Türen wieder zu und die Vampire warfen einen toten Körper nach dem anderen in die Mitte. Es waren die Werwölfe, mit denen Brendan am Mittag gesprochen hatte. Sie waren schneeweiß, ausgeblutet und tot.
Brendan war sprachlos und guckte von den toten Leibern zum Prinzen und von da zu Paul und zu den Vampiren.
„Ergreift ihn!“ befahl der Prinz den vier Vampiren, die sofort links und rechts von Brendan standen und ihn ergriffen. Brendan versuchte sich zu wehren und schaffte es, einen abzuschütteln, doch die anderen hatten ihn wieder schnell in der Gewalt. Brendan versuchte um sich zu schlagen und versuchte, die Verwandlung zum Wolf einzuleiten. Seine Rippen bogen sich, seine Augen nahmen eine Bernsteinfarbe an, doch die vier Vampire hielten den eisernen Griff. Ihre spitzen Fingernägel bohrten sich in Brendans Fleisch.
„Schwäche ihn Paul!“
Paul entblößte seine Fangzähne und biss ihn in den Arm. Sofort sprudelte das heiße Blut los und ergoss sich in Pauls Mund und auf den Boden. Der Prinz schoss mit der Hand nach vorne auf die Wunde und benetzte seine Hand. Die blutigen Finger führte er zum Mund und kostete Brendans Blut.
„Eindeutig Vampir-Wolfsblut. Heiß, brodelnd und salzig.“
Der Prinz ging zum Altar und holte einen alten Kelch und ein Dolch und kehrte zu der Gruppe zurück. Er fing Blut von Brendan in dem Kelch auf, machte einen großen Schnitt in seinen eigenen Arm und ließ es in den Kelch tropfen. Dann ging er zu Leander. Wie in Trance krempelte er seinen Ärmel hoch und hielt dem Prinzen den Arm hin. Dieser führte ebenfalls den Schnitt aus und ließ von Leander Blut in den Kelch laufen. Nachdem der Kelch zum viertel voll war, nahm der Prinz den Arm von Leander und leckte darüber. Binnen eines Atemzuges versiegte der Blutfluss und die Wunde schloss sich von selbst.
Der Prinz kam zurück und guckte den mittlerweile erschöpften Brendan an. Er hob den Kelch etwas an und hielt seine rechte Hand darüber, öffnete den Stein von dem Ring und ließ etwas reinrieseln. Das Blutgemisch im Kelch fing an zu brodeln.
„Trink!“ fauchte der Prinz und hielt Brendan den Kelch hin.
Brendan wehrte sich und versuchte wieder um sich zu schlagen und zu treten, doch auch diesmal bekamen die Vampire und Paul ihn unter Kotrolle.
Der Prinz griff in Brendans Haar, riss ihm den Kopf zurück und ließ das brodelnde Blut in Brendans Mund laufen. Brendan zuckte heftig und würgte. Paul lachte höhnisch, schallend und diabolisch und seine Lache hallte von den Wänden.
„Ihr könnt ihn jetzt loslassen.“ Die Vampire lösten ihren Griff langsam und Brendan taumelte. Er bekam noch etwas stütze und stand dann nach ein paar Minuten. Leicht torkelnd wie ein Betrunkener, aber er stand.
Der Prinz lächelte ihn warmherzig an und hatte regelrechte Engelszüge. Er spreizte seine Hand, während er sie langsam erhob und schlug sie in Brendans Brust mit den Nägeln voran. Brendan erschauderte und guckte mit weiten Augen auf den Prinz und auf seine Brust. Dann zog der Prinz die Hand zurück und hielt Brendans pochendes und pulsierendes Herz in der Hand.
Mit dem Herz in der Hand ging er zu Christians Sarg, schnippte den Deckel beiseite und drückte das Blut in Christians Mund. Brendan drehte wie in Zeitlupe seinen Kopf, sah sein Herz auf Christians Mund und brach zusammen. Sein letzter Blick hing auf diesem dunklen Engel, den er bewunderte und ins Geheime liebte. Sein letzter Gedanke, galt dem einzigen wahren Freund, den er je hatte.
„CHRISTIAN!“ schrie er noch einmal mit seiner letzten Kraft, salzige Tränen liefen über seine Wangen und der Blick von Brendan verschleierte sich und brach. Brendan war tot.

77

Ich merkte dass um meinen Sarg herum etwas geschah, doch was es war, wusste ich nicht. Ich war einfach zu schwach. Dennoch nahm ich die Stimmung wahr, die den Raum erfüllte. Sie schien zu kippen und eine Bedrohung lag in der Luft. Ich versuchte einen Kontakt zu einem meiner Tiere herzustellen, um durch ihre Augen zu sehen. Ich sah durch Max Augen, wie durch einen Schleier alles verschwommen und dennoch erkannte ich einige Vampire und machte Paul und unseren Prinzen der Nacht aus. Die anderen waren im Schatten und ich erkannte sie nicht, da Max im Dachstuhl saß. Brendan stand mitten drin. Sie schienen zu reden, doch dann wurde ich wieder von der Dunkelheit und Schwäche übermannt und auch das Gerede drang wie aus weiter ferne zu mir durch.

Ich nahm einen Schwall Blut in meinem Mund wahr. Frisch, jung, pulsierend und heiß. Ich sah durch meine geschlossenen Augen die Leben meiner Opfer, wie ein zu schneller Film. Vorbeiziehende Bilder wie in einem Sturm. Ebenso die Gefühle. Zusammenhanglos und doch Sinn ergebend, wenn man sie aneinander reiht. Wälder, ein Jahrmarkt, Kummer und Schmerz, Gerüche von Süßem und von Blut, Zuneigung und Hass, Mut und Angst, Einsamkeit und der Wunsch nach Kontakt; doch immer wieder wurde ich durchschüttelt von Traurigkeit und Verzweiflung.
Das pulsierende Blut durchflutete meinen Körper und es pumpte sich wie selbstständig in jede Faser meines Körpers und mein eigentlich toter Körper erwachte zum Leben. Mit jedem weiteren Strahl kehrte das Leben in mir zurück. Es kribbelte in jeder einzelnen Gliedmasse und meine Kraft kehrte zurück. Meine Muskeln verhärteten sich und entspannten sich wieder. Ich stand wie unter Strom und dennoch liefen immer noch diese Bilder vor meinen inneren Augen ab. Sie wurden, je stärker ich mich fühlte, umso verzweifelter, quälender und schmerzvoller. Ich war kurz vor dem endgültigen erwachen, als ich in meinem Inneren Brendans verzweifelten Schrei hörte. Es hallte in meinem ganzen Körper. Schwer und verzweifelt: CHRISTIAN!
*
Ich erhob mich aus meinem Sarg. Meine Kraft in mir war stärker als zuvor, meine Augen empfindlicher, meine Fangzähne suchten Ihren Weg und streiften meinen Unterkiefer. Meine Nägel wuchsen zu langen, scharfen und unbrechbaren Krallen. Ich entdeckte Brendan auf dem Boden liegend und blutend, doch ich spürte ihn noch. Mit einem Satz hatte ich die zwei Vampire angegriffen. Den einen Biss ich mit Wucht in die Kehle, dem anderen rammte ich meine Nägel in den Körper. Ich war schneller als das Licht und sie hatten beide nicht die Chance, sich zu wehren. Als sie wussten, was ich tat, zerfielen sie schon schreiend zu Staub. Ich drehte mich um und sah in Pauls erschrockenem Gesicht. Er sah nicht wie sonst nach Kampf aus. Er war einfach nur schockiert.
„Christian!“ sagte Paul. „Was tust du?“
„Was habt ihr getan, ihr mörderischer Abschaum?“ fauchte ich Paul in meinem Blutrausch an. Ich schaute auf Brendan hinab, der zu meinen Füßen, in seinem eigenen Blut lag. Ich guckte wieder zu Paul und zu dem Prinzen. Ich war hasserfüllt. Ich fühlte Hass, weil es jemand gab, der mir Vertraut hat und der mir durch meine Sippe genommen wurde.
„Ich verschone euch für heute Nacht! Verschwindet von hier und betet zu allen gefallenen Engel, dass sich unsere Wege nie wieder kreuzen!“ fauchte ich.
„Bitte, wir haben den einzigen Weg gewählt….“ erklärte Paul
„RAUS!“ meine Stimme überschlug sich und hallte in dem Mausoleum von den alten und kalten Wänden.
„Komm.“ sagte Paul zu dem Prinzen.
Sie setzten sich in Gang, als beide auf meiner Höhe waren, drehte sich der Prinz zu mir um, ich guckte in sein glattes und ebenmäßiges Gesicht, seine Augen blutrot.
„Das, und genau das, wirst du noch bereuen. Ich hätte dich nach deiner Wandlung in der Gosse lassen sollen, oder dich mit deinem Drecksköter hier verrecken lassen sollen.“ Sagte er in einer tonlosen Art.
Ich guckte ihn nur arrogant an und machte mir nicht mal die Mühe, ihm zu antworten. Als beide durch das Portal gingen, ließ ich mit Willen die Türen zuschlagen und die Riegel schnappten oben und unten zu. Der große Querbalken drehte das Schloss und verschloss die Tore von innen. Die Kerzen flackerten höher. Ich blickte mich in dem Raum um. Meine Tiere saßen verschreckt in einer Ecke, die verstaubten Skelette der Vampire hinter mir. Ich entfesselte einen Windhauch und ließ sie in Richtung Tor wehen, zusammen mit alten Blättern und Staub. Ich vernahm ein leises Wimmern aus einer dunklen Ecke. Mein Blick folgte dem Geräusch und ich entdeckte Leander unter einer braunen Wolldecke. Ich näherte mich ihm und zog die Decke von ihm. Er weinte und versuchte kein Laut zu machen. Ich kniete mich zu ihm herab, umschloss sein Gesicht in meinen kalten Händen, dabei viel mir auf, dass sie gar nicht mehr blutig waren, eine Eigenschaft der Vampirhaut. Auch sie lässt kein Blut ungenutzt. Ich formte mit meinen Lippen die Worte <Beruhig dich. Es ist alles überstanden. Wir haben nur unseren geliebten Brendan verloren. Wir müssen eine Beerdigung machen. Magst du mir helfen, oder magst du gehen?>
Leanders tränenschwere Augen schauten mich an. Er formulierte seine Gedanken und hinter seiner Stirn arbeitete es.
<Sie haben falsch gehandelt. Der Prinz und Paul. Es gab eine andere Lösung. Ich bleibe bei dir, wenn du erlaubst.>
Leander gab mir mit zittrigen Händen ein altes Buch. Ich guckte es an und es kam mir bekannt und doch fremd vor. Ich blätterte in den alten Seiten und dann stellte ich fest, es war eine Bibel, nur rückwärts.
Leander stand auf und zeigte mir mit den Händen, ich solle die Tore öffnen, er zeigte weiter, dass er eine Tafel für Brendan machen wollte. Ich ließ die Tore aufschnappen. Leander ging los. Mir fiel etwas ein.
<Leander!> dachte ich und er blieb stehen.
Ich ging zu ihm und guckte ihn an. Direkt in die Augen. Seine Augen guckten erst unsicher und fingen an immer mehr zu strahlen. Es lag eine Magie zwischen uns. Sein Wunsch wurde immer klarer, doch ich wollte es nicht überstürzen. Ich verneinte seinen Gedanken und sein Begehren. Ich hob meinen Arm jedoch an, biss mir in die Pulsader und hielt sie Leander hin. Er griff mein Handgelenk und führte sie zu seinem Mund. Er schloss die Augen und trank ein einen großen Schluck von meinem Blut und eigentlich auch von Brendans Blut.
Seine Augen öffneten sich wieder, als ich meinen Arm wegzog. Seine Augen hatten den gleichen Glanz wie meine, mit einer Prise von Brendans Wildheit. Mein Gelenk verschloss sich wieder und das Blut versiegte. Ich sprach zu Leander „Nun aber los! Die Sonne geht bald auf. Wir haben noch was zu tun.“ Leider war mein Blut nicht stark genug, ihm das Gehör zurück zu geben. Ich wiederholte den Satz nochmals in Gedanken und er verstand sofort und ging raus.
Ich drehte mich zu meinem toten Freund und Gefährten um und fühlte mein Herz schwer werden. Ich ging zu unseren Sachen, wählte eine Decke aus schwarzem Samt und ein weißes Hemd. Ich ging zu Brendan und zog sein blutiges, zerfetztes Hemd aus und zog ihn erneut an. Er sollte schön aussehen, wenn er, wohin auch immer, ging. Ich sah den aufgerissenen Brustkorb und sein fehlendes Herz. Ich suchte es auf dem Boden und fand es neben dem alten Kelch an meinem Sargsockel. Ich fasste es vorsichtig an und trug es mit beiden Händen zu ihm und legte es mit großer Vorsicht in seinem Brustkorb. Wie gerne hätte ich jetzt, dass er die Augen aufschlug und mit mir stritt in seiner unüberlegten Art.
Ich nahm ihn in meine Arme, hob ihn auf und trug ihn in meinen Sarg, legte die schwarze Samtdecke über ihn und schaute ihm ein letztes Mal in seine braunen Augen, die gebrochen ins Nichts starrten. Ich schloss seine Augen mit meiner linken Hand und weinte sein Blut. Es gab nichts, was ich mehr für ihn tun konnte. Ich würde einen Deal mit Gott und dem Teufel eingehen, um ihn wieder zu bekommen. Ich würde einfach alles tun, auch wenn er nur kurz in meinem Leben war, hat er es auf seine Art bereichert.
„Mein lieber Freund, ich werde dich immer in Ehren bei mir und in mir tragen.“ Ich drückte ihm einen Kuss auf und spürte Leanders Hand hinter mir. Er hatte im Handumdrehen ein wunderschönes Stück Stein gemeißelt mit den wenigen Informationen die wir hatten.


Brendan
+ 26.12.06
In Liebe dein Christian
In Trauer dein Leander

Wir schlossen den Sargdeckel, der viele Jahre meiner war und mir Schutz und Geborgenheit gab und Brendan war der einzige, der je mit mir hier die Tage und Nächte verbrachte. Er war der einzige, dem ich es je gestattet habe. Ich hoffte, er würde sich hier in unseren Erinnerungen wohl fühlen und die Geborgenheit finden, die ich einst fand, die Ruhe, die er mir bei Tag gab, die Abwechslung, die wir in der Nacht fanden. Leander und ich machten die Gebärde für Ich liebe dich.

Da hier ein Toter ruhte, durfte ich hier nicht mehr ruhen. Ich nahm meine Sachen und Leander seine, zum Abschluss legten wir Brendans wenige Sachen unter den Sockel. Meine Tiere bewegten sich Richtung Ausgang mit Leander und ich blieb noch einen Moment.
Meine blutigen Tränen kamen wieder in mir hoch.
„Danke mein Freund. Ich werde deine Familie suchen und ihnen Berichten von dir. Ich verspreche es dir bei meinem ewigen Blut.

Ich drehte mich um und ging. Verschloss das Mausoleum und würde in genau einem Jahr wieder hier stehen und das Siegel des Blutes an der Tür brechen, um bei meinem Freund zu sein.

Es hatte angefangen zu schneien und die Nacht sah hell aus. Leander und ich gingen zum Ausgang in das Auto. Verstauten unsere Sachen und fuhren mit unbekanntem Ziel los.

Ende Teil 1


Lieber Leser, das war noch nicht alles von Christian. Freut euch auf Teil 2, der in Kürze erscheint und begleitet weiterhin Christian durch ein spannendes Abenteuer.
 
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Kommentare  

Bin noch nicht ganz durch, aber mich fesselt die Story. Kleine "Unebenheiten", aber super geschrieben. GRÜN von mir.
LG Dublin ;0)))


Pia Dublin (27.11.2008)

BITTE, gebt eurer Geschichte eine Chance und postet nicht mehr als 10 Seiten auf einmal.
LG Dublin ;0)


anonym (21.11.2008)

Hallo ihr Zwei!
Habe den Text noch nicht gelesen, weil er einfach so extrem lang ist. Wenn ihr euch die Romane anderer Autoren hier auf der Website anschaut, dann werdet ihr sehen, dass diese ihre Texte in mehrere Abschnitte aufteilen (meistens Kapitel) und diese getrennt posten. So findet der Leser leichter die Stelle, an der er aufgehört hat zu lesen (denn wer liest eure 213 Seiten an einem Tag?) und kann die Abschnitte getrennt bewerten. Vllt wäre es möglich, dass ihr euch die Mühe macht und den Text aufsplittet und noch mal Stück für Stück postet.


Tintenkleckschen (09.11.2008)

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