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3 Seiten

Verdrängungsmoment

Schauriges · Kurzgeschichten
„Oh mein Gott, oh mein Gott, sie hat sich bewegt, oh mein Gott, sie wacht auf!!!“

Eine Stimme. Eine fremde Stimme. In meinem Kopf? Nein, neben mir, über mir. Verdammt noch mal, wer ist nur diese kreischende hysterische Frau? Fass mich ja nicht an, oder ich………..oder ich? Meine Arme, meine Beine sind so schwer, so weit weg. Hey Schmerz, tob dich ruhig aus an mir, aber sag mir nur was mit mir passiert ist. Oh nein, jetzt fällt mir alles wieder ein: ich muss den bösen Stuhl verbrennen, sofort, Moment noch, ich steh gleich auf.

„Schwester, sie versucht aufzustehen, du liebe Güte, sie wird gleich aus dem Bett fallen. Schnell!“

Jetzt lass mich los du alte Fuchtel, ich hab dir schon einmal gesagt, dass du mich in Ruhe lassen sollst. Ich muss dringend weg, also schwing dich in die Lüfte! „Frau Weber, Frau Weber, können sie mich hören? Wenn sie mich hören können, dann nicken sie, in Ordnung?“ Was soll das? Ich hab eine Mission und die wollen, dass ich eine auf Headbanger mach. So, ihr zwei Irren, ich geh jetzt und keiner kann mich aufhalten. Muss den bösen bösen Stuhl vernichten, Schluss mit dem Ausruhen. Keine Ahnung wo ich bin und warum ich da bin, seltsam ist nur, dass ich mich erst sicher fühle, wenn alles wieder so wird wie früher. Es war schön früher, glaube ich im Moment.

„Ruhig Frau Weber, wir müssen sie niederschnallen und der Doktor gibt ihnen eine angenehme Spritze, das beruhigt. Verstehen sie, Frau Weber? Nicken sie wenn…..“

AHHHHHH! Was bitte schön ist eine angenehme Sprit…?

Endlich wieder gewohnte Dunkelheit. Mein Bewusstsein kauert hilflos in deinen Ecken. Wir warten. Wir warten auf den Verdrängungsmoment. Zeig dich, damit ich mit dir reden kann. Zeig mir in welchem Raum der Stuhl steht. Da staunst du, du irregeleitete Arroganz. Ich bin noch immer da. Mich bist du noch nicht losgeworden. Ein kümmerlicher Rest meiner Existenz kriecht aus deinem Schatten. Bald bin ich angekommen.

„Sie blinzelt wieder, Herr Doktor, jetzt tun sie doch was, sie windet sich. Sie verletzt sich noch selbst, die arme Frau. So tapfer. Helfen sie ihr, sie hat meinem Sohn das Leben gerettet. Sie darf nicht sterben!“

Hallo angenehme Spritze.
Alles weiß. Ich bin weiß. Ich denke und fühle weiß. Du bist ein weißer Raum. Da vorne stülpt sich ein schmaler Eingang aus dir. Danke für die Einladung. Was soll das denn schon wieder? Was wollen denn diese anderen Menschen hier? Ihr wollt auch hinein zu ihm. Jetzt heißt es drängen und stoßen. Hoppla, tut mir leid, dass ich dir ins Gesicht springen musste, aber sonst komme ich ja nicht weiter! Das verstehst du bestimmt, du arme Leiche….
Wow, das werden ja immer mehr Leute, die in den Raum wollen. Und immer mehr Leichen. Ihre verkrampften verlorenen Gesichter verblassen in die weiße Umgebung hinein. Soll ich umkehren? Soll ich lieber fliehen solange ich noch kann? Andererseits einmal eine Heldin sein? Ein Leben wurde durch mich schon verschont. Meine Güte, der Junge war schwach. Ein Möchtegern Mann von der harmlosesten Sorte.
Mein Kopf schmerzt. Aus meiner Nase rinnt weißes Blut. Schmeckt auch irgendwie weiß. Weiter, weiter. Ich muss ihn finden. Der Raum ist größer als ich dachte. In der Mitte sehe ich den weißen Stuhl majestätisch thronen. Mein Thron. Mein Leben. Die Wände sind mit vielen Spalten versehen, aus denen weiße Gestalten quellen wie Eiter aus einer ekligen Wunde. Eine Gestalt davon bin ich. Der Weg bis zur Mitte wird hart. Das weiße Licht beginnt meine Augen zu verbrennen. Langsam vorerst. Noch kann ich mein Ziel erkennen, noch kann ich.
Der Stuhl grinst mich steif an. Na warte, wenn ich dich habe, verbrenne ich dich. ..


„Sie blutet aus der Nase, Schwester, kümmern sie sich darum und das Bett höher stellen. Ihre Werte verschlechtern sich. Noch ein paar Tests, dann wissen wir mehr. Keine Sorge, das kriegen wir schon wieder hin. Das ist üblich, wenn Komapatienten langsam erwachen. Ihr Gehirn arbeitet auf Hochtouren. Wahrscheinlich träumt sie gerade etwas Aufregendes…. Sie sollten jetzt nach Hause gehen. Das wird noch länger dauern. War offensichtlich falscher Alarm.“



Die letzten drei Figuren taumeln Richtung Raummitte. Sie sind schon blind und halb erschlagen. Nicht so stark wie ich es bin. Schade, dass hier kein Spiegel ist. Zu gerne würde ich mein Siegerlächeln in ihm bewundern. Das Weiß fühlt sich immer schwerer an. Es ist nicht mehr weit. Du da, du mit dem letzten Hoffnungsschimmer, mach Platz für die letzte Entscheidung…..was? So stark noch? Damit habe ich nicht gerechnet. Kraftlos rolle ich das Monster von mir ab. Der Boden ist rutschig vom weißen Blut. Von meinem weißen Blut.
Der Stuhl ist heiß, brennt wie Feuer, meine Haut bleibt kleben…..

„ Sie hat wieder starkes Fieber, krampft. Geben sie ihr 2 mg………..“



Sei gegrüßt, Schmerz, tob dich wieder aus an mir. Wo ist nur deine Feindin die angenehme Spritze? Egal, ich hab’s geschafft. Rund um mich am Boden liegen weiße Existenzen in einem weißen stinkigen See aus Blut und Tränen. Nur ich ……
Oh nein, das Stuhlbein knickt und bricht ab. Mit einem Schlag liege ich am Boden. Mit gebrochenem Genick werfe ich meinen letzten Atemzug aus meinem Körper……….



„Ein, zwei, drei und weg……..noch einmal eins, zwei, drei und weg…………“
Zeitpunkt des Todes: 18:32 Uhr.“


Irgendwo in einem weißen Raum in einer weißen Existenz hört man einen weißen Stuhl zufrieden lachen und sich langsam wieder aufrichten.
 
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Kommentare  

Liebe Fan-Tasia!
Danke für deine treffende Interpretation. Diese verwirrende Geschichte ist ein in Worte gefasster Traum, der mich lange verfolgt hat........einen richtigen Sinn kann nur jeder für sich selbst finden....


Marion Lady Aline (22.05.2009)

Ein Kampf zwischen sterben und am Leben bleiben wollen oder aber vielleicht sieht sie selbst die Erlösung in einem Sterben als dieses Leben ohne Leben und von irgendwas abhängig oder gefesselt zu sein und versucht sich gegen das Wiederbeleben zu wehren, was vielleicht für den Titel sprechen würde. Auch wenn man nicht genau drauf kommt und vor allem der Titel des Textes "Verdrängungsmoment" die Verwirrung des Textes perfekt macht, regt es aber auch gleichzeitig die Gedanken an, was mir immer sehr gut gefällt an solchen Geschichten. Dieses chaotische Durcheinander der Gedanken, des Erlebens, des Kampfes, Zwiegesprächs oder was auch immer die Lösung ist, ist in jedem Fall sehr gut dargestellt, das Panische daran gefällt mir sehr gut.

Fan-Tasia (22.05.2009)

Irngendwie unheimlich, aber so richtig klar ist mir bei dieser Geschichte eigentlich nichts.Vielleicht versteht ja jemand anders diesen Text besser?

Petra (21.05.2009)

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