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2 Seiten

Zwischen Tod und Leben eine handbreit Nacht

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Seit vierzig Jahren geht mir eine Geschichte nicht aus dem Sinn. Ihren Autor habe ich vergessen. War es vielleicht Stefan Zweig? Der Titel könnte in etwas geheißen haben "Die Wirren einer Nacht". Seinerzeit habe ich sie auf meiner zwölf Quadratmeter kleinen Studentenbude gelesen:
Es herrscht Krieg. Die deutschen Truppen sind in Polen eingefallen. Eine Einheit hat sich weit hinter der Front auf engstem Raum einquartiert. Nur dem Divisionsgeistlichen hat man auf dessen inständiges Bitten hin für diese kommende Nacht ein Einzelzimmer gestattet.
Dieser sitzt gebeugt über der Strafakte eines jungen Soldaten, der wegen Kollaboration mit dem Feind zum Tode verurteilt wurde und bei Morgengrauen hingerichtet werden soll.
Bevor der Geistliche den Verurteilten aufsuchen will, und bevor er ihn bei Anbruch des Tages auf seinem letzten Gang begleiten wird, versucht er sich aus den Bruchstücken dieses Schnellverfahrens ein Bild von dessen Leben zu machen, um mit ihm innerlich Kontakt aufnehmen zu können. Aus den mageren Protokollen des unangefochtenen Kriegsgerichtsverfahrens, bei dem Gott und die Menschlichkeit abwesend waren, erfährt er, daß der Verurteilte zwanzig Jahre jung ist, und daß sein Vater bereits in den ersten Kriegstagen gefallen ist. Er erfährt weiter, daß der Verurteilte aus Arbeiterkreisen stammt, und daß ihm die Eltern gleichwohl das Studium der Medizin ermöglicht hatten, bevor er zu seinem Ruhme und zu dem des Vaterlandes eingezogen worden war.
Der Geistliche, der selbst einen Sohn in diesem Kriege hat, entnimmt der Akte ferner als Grund für diese Verurteilung zum Tode, daß der junge Soldat sich mit einer Polin eingelassen hat, die der Spionage bezichtigt wird, und daß man aber die Beweise dafür und den Umfang der Spionage erst noch in Verhören zusammentragen muß. Doch scheint dies nur noch eine Formsache zu sein. Denn allein die Tatsache, daß die Polin fließend deutsch spricht, ist bereits Beweis genug.
Der Verurteilte, so liest der Geistliche weiterhin, soll den Urteilsspruch mit einer Bitte an das Standgericht entgegengenommen haben. Man möge ihm Papier und einen Schreibstift geben, um noch zwei Briefe schreiben zu können. Diese beiden Briefe befinden sich geöffnet in der Akte. Den einen, gerichtet an die Mutter des Verurteilten, trägt auf dem Umschlag den amtlichen Vermerk: "Weiterleiten nach Vollstreckung".
Der Geistliche liest folgendes:
"Liebe Mama,
es schmerzt mich, daß Du von meinem Tod und seinen Umständen erfahren mußt, wo Du doch erst kürzlich soviel Leid ertragen mußtest. Ich bin zwar noch jung, vielleicht auch zu jung, aber doch schon alt genug, um gefaßt dem Unausweichlichen begegnen zu können. Ich habe nichts Verwerfliches begangen. Ich liebe Dich aus tiefstem Herzen. Und das ist nicht vergänglich.
Dein Uwe."
Der Geistliche nimmt seine Brille ab und fährt sich über die Augen, bevor er den zweiten Brief zur Hand nimmt, der den amtlichen Vermerk trägt: "Beförderung abgelehnt".
"Liebe Grazyna,
Du warst die erste Frau und Liebe in meinem Leben und die letzte. Dies jedenfalls ist gewiß. Ich wünschte mir nun sehnlichst, daß man zumindest Dir Glauben schenken wird. Aber man wird es nicht wollen, zumal Du doch der Feind bist. Gott beschütze Dich also, wenn er überhaupt unser Leid sieht.
Ich umarme Dich.
Dein Uwe."
In diesem Augenblick klopft es an die Zimmertür. Der Geistliche öffnet die Tür. Vor ihm steht ein junger Offizier, und neben diesem eine ebenfalls junge Frau. Der junge Offizier trägt mit tiefem Ernst, und indem er dem Geistlichen in die Augen schaut, sein Anliegen wie folgt vor:
"Ich muß morgen an die Front und es ist ungewiß, ob ich davon zurückkehren werde. Meine Verlobte," wobei er ihre Hand ergreift, "hat durch glückliche Umstände die Erlaubnis erhalten, mich zu besuchen und ist soeben eingetroffen. Wir bitten Sie, Herr Pfarrer, uns für diese Nacht ihr Bett zu überlassen. Es ist die einzige Möglichkeit."
Der Geistliche deutet stumm hinter sich auf das Feldbett. Er schaltet die kleine Tischlampe ein und löscht das Oberlicht. Sodann verläßt er für einen Augenblick das Zimmer. Nach einer Weile klopft er leise an die Tür und nimmt wieder am Tisch Platz, ohne das Paar im Bett zu beachten. Er studiert die Akte mit der Todesbotschaft zuende, während hinter ihm vielleicht neues Leben entsteht. Sodann schlägt er die Akte zu und verläßt geräuschlos den Raum, um dem zum Tode verurteilten jungen Soldaten beizustehen.
18.I.2004
 
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Kommentare  

Meinungsanschluß.
Das ist eine Inhaltsangabe, das widergegebene Buch kenne ich allerdings nicht.


Dr. Ell (10.02.2004)

Also, ich finde das ist echt keine Story, sondern eine Inhaltsangabe zu einer vielleicht nicht schlechten Geschichte!

 (22.01.2004)

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