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4 Seiten

Verloren

Trauriges · Kurzgeschichten
© hexy
Sie hatte sich solche Mühe gegeben. Zuerst wusch sie die Wäsche, wie jeden Dienstag. Bezog die Betten frisch, wie er ihr es am Morgen aufgetragen hatte. Dann war sie stundenlang in der Küche gestanden, hatte das Fleisch mit größter Sorgfalt gebraten, den Nudelteig selbst gemacht, weil er keine gekauften Nudeln mochte. Danach wurde das Gemüse geputzt. Die Küche wieder sauber geschrubbt, der Flur gewischt und schließlich das Tischtuch noch einmal gebügelt, weil es an einer Stelle Falten warf. Das durfte nicht sein. Dies war ein sauberes, anständiges Haus.

Bis es Zeit war, dass er nach Hause kam. Pünktlich. Er war immer pünktlich.

„Sag mal, was soll das denn sein?“ Angeekelt schmiss er Messer und Gabel in den Teller. Soße und Nudeln spritzten auf das makellose Weiß der Tischdecke, quer über den ganzen Tisch. Ein Teil davon landete auf dem gemusterten Teppich des Esszimmers.

Sie würde ihn nachher auf Knien sauber machen müssen.

Er funkelte sie wütend an. „Das schmeckt zum Kotzen!“ Um sie anschauen zu können, musste er sich extra umdrehen, weil ihr Platz auf einem harten, unbequemen Stuhl gleich neben der Tür war, dort gehörte sie hin. Es war ihr nicht gestattet, gemeinsam mit ihm zu essen. Dennoch war es sein unumgänglicher Wunsch, dass sie ihm Gesellschaft zu leisten hatte, während er selbst aß. Es war ihr auch nicht erlaubt, zu reden, wenn sie nicht gefragt wurde. Aber was hätte sie schon sagen sollen?
Ihre Augen starrten unverwandt zu Boden. Die Lippen waren zu schmalen Strichen zusammengepresst, die Hände über dem knielangen Rock auf dem Schoß gefaltet, heftig gegen die Schenkel gepresst.

„Zieh nicht so ein Gesicht, wenn ich das schon sehe. Das macht dich nicht grade attraktiver. Wer wird dich schon wollen, mit so einer Fratze, ganz zu schweigen davon, dass du so etwas“, er schob den immer noch halb gefüllten Teller heftig von sich, „ein Essen nennst.“ Seine große, kräftige Hand nahm die akkurat gebügelte Serviette auf, wischte damit die Soßenreste aus dem üppigen Schnurrbart und warf sie schließlich mitten auf den Teller.

Er war heute schon mit schlechter Laune von der Arbeit gekommen, das geschah ab und zu. Ihr war nicht klar, was immer schief lief für ihn an diesen Tagen, aber meistens hatte es was mit seinem neuen Vorgesetzten zu tun, der immer alles besser wusste wie er. Oder mit den Kunden, mit denen er sich so viel Mühe gab, und die dann doch nicht kauften. Oder war die nette Verkäuferin im Supermarkt, in dem er immer die Einkäufe machte, an diesen Tag nicht so nett zu ihm, wie sie es sonst war? Oder war es der Mann von der Bank, der ihm kein Geld gegeben hatte? Hatte sein Auto Mucken gemacht? Oder regnete es einfach nur, obwohl er Sonne wollte? Wahrscheinlich war ein Grund so gut wie der andere.

Heute hatte er noch nicht mal, wie sonst üblich, seine Stiefel an der Türe abgeputzt. Er stapfte einfach so mit Dreckbatzen von der seit Jahren unbefestigten Einfahrt daran durch die von ihr erst am Morgen blitzend gewienerte Diele. Natürlich nur, um sie dann gleich darauf zu rügen, nicht ordentlich sauber gemacht zu haben. Was dann kam, kannte sie schon, aber immer, wenn er es sagte, kam sie sich klein und dumm vor. Unnütz. Ungenügend. Und sie machte sich noch ein Stückchen kleiner. Verschwand irgendwo. Nur seine Worte waren groß in ihrem Kopf.
Ob sie denn nicht einmal das bisschen Hausarbeit machen könne, wo er doch den ganzen Tag NUR FÜR SIE arbeiten ging? Sich den Buckel krumm schaffe, NUR FÜR SIE? Ob es denn zu viel verlangt sei, dass sie ihm dann dafür wenigstens ein ordentliches Zuhause bereite und ein zumindest gerade noch genießbares Essen kochen könne, WIE ES SICH GEHÖRE? Für eine Frau. Für eine Tochter, deren Vater IMMER NUR DAS BESTE für sie wolle. Ob sie ihm den nötigen RESPEKT verweigern würde, und wenn ja, ob er ihr dann mal wieder zeigen müsste, WO DER VATER DEN MOST HERHOLT?

Sie hatte stumm den Kopf geschüttelt. Wie immer. Die Worte waren tot in ihrer Kehle, fanden den Weg nicht nach draußen. Still hatte sie sich sofort daran gemacht, den Boden zu reinigen. Einen Eimer geholt, auf dem Weg durch die Diele den Blick vom Spiegel abgewandt, der ihr sowieso nur ein verzerrtes Bild ihrer Selbst zeigte. Ein knapp achtzehnjähriges Mädchen, zu mager für ihr Alter und ihre Größe, mit unreiner Haut und seit Jahren ungeschnittenen, irgendwie braunen Haaren. Gekleidet in die mittlerweile altmodischen Sachen ihrer Mutter, die jene zurückgelassen hatte, als sie Tochter und Mann vor mehr als acht Jahren verlassen hatte. Der Spiegel zeigte nur ihr Äußeres, ihr schreckliches Äußeres, ohne den Menschen zu zeigen, der sie wirklich sein mochte. Sie blickte nie in den Spiegel.

Ihr Vater nahm sie mit vierzehn von der Schule, grade nach der Mindestschuljahreszahl. Hatte Geschichten erzählt, sie dürfe ab jetzt auf eine Privatschule gehen. Privatschule! Ausgerechnet sie, die damals schon so gut wie nicht sprach. Aber es hatte keiner nachgefragt. Er meinte, mehr bräuchte ein Mädchen nicht zu lernen. Sie sowieso nicht. So dumm, wie sie wäre. Und so hässlich. Nase und Lippen verzogen von Geburt an. Dass einem davon übel werden konnte, wenn man sie ansah.
Früher hatte sie ihr Geburtsmakel nicht so schlimm empfunden. Früher, als ihre Mutter noch da war. Heute schien es das Einzige zu sein, das sie ausmachte.

Ihr Vater hatte ihr schon oft gesagt, sie wäre der Grund gewesen, warum ihre Mutter gegangen war. Sie allein. Wer sonst? Welche Mutter wolle schon so ein Kind? So hässlich? So dumm? So unfähig, auch nur das bisschen Haushalt für zwei Personen auf die Reihe zu bekommen? Wo er doch alles für sie täte? Sein Leben aufgegeben habe, nur weil er für sie, seine Tochter, sorgen müsse? Sie glaubte ihm. Was blieb ihr anderes übrig? Warum sonst hätte eine so schöne und liebevolle Frau sie verlassen sollen? Wo sie es doch hier beim Vater so gut gehabt hatte. Wo er doch alles für Frau und Kind getan hatte. Das Haus gebaut, sich abgerackert. Schöne Kleider gekauft. Ferien an der See bezahlt. Es musste ihre Schuld sein. Konnte gar nicht anders.

Oder?

Sie mochte es nicht mehr hören. Konnte ihn nicht mehr ertragen und sich auch nicht. Dieses verdammte Haus, das ihr zum Gefängnis geworden war! Niemals durfte sie es verlassen. Noch nicht einmal zum Einkaufen ließ er sie. Das machte er selbst. Den Müll rauszubringen? Das hatte er ihr unter Strafe verboten und er hatte seine Methoden, ihr ganz schnell klar zu machen, was er von ihr erwartete. Wann hatte sie zuletzt Sonne ohne Fensterglas davor auf ihrer Haut gespürt? Wind, der ihre Haare zerzauste? Gras unter ihren bloßen Füßen? Einfach nur gelacht? Sie wollte hier raus!

Während sie den Teppich im Esszimmer von seinen Essensresten säuberte, überlegte sie zum ungezählten Male, ob sie nicht gehen sollte.
Raus hier. Raus aus diesem Haus. Weglaufen. Einfach weg. Wie andere Kinder. Das hatte sie schon gehört, im Radio. Oder wie ihre Mutter. Warum nicht?
Genauso ungezählte Male hatte sie allen Mut zusammen genommen, sich eine Tasche gepackt. Hatte Schuhe und Jacke angezogen. Aber weiter wie bis zur Haustüre hatte sie es nicht geschafft. Die Türklinke in der Hand, war sie weinend zurückgeschreckt. Die einzige Sicherheit aufgeben, die sie kannte? Ihr Schneckenhaus verlassen, ihre Höhle? Ihre Hölle, zu Gunsten von etwas, das noch viel schlimmer sein mochte?

Die Angst vor dem Draußen war viel zu mächtig. Der Himmel zu weit, zu blau, zu groß. Die Menschen zu fremd, zu viele. Sie wusste nicht, wohin sie gehen sollte, gehen konnte. So viele Straßen, so viele Wege. Sie hatte keine Worte, um zu sprechen, konnte sich nicht mal mehr erinnern, wann sie das letzte Wort überhaupt gesagt hatte. Wie sich verständlich machen? Sie wusste es nicht. Traute sich nicht. Hatte keinen Mumm, keinen Grips, kein Rückgrat. Sie war zu ungenügend. Zu klein. Zu dumm. Zu hässlich. Niemand würde sie wollen.

Niemand, nicht mal ihre Mutter hatte sie gewollt.

Und so hatte sie die Tasche wieder ausgepackt. War geblieben. Beim Vater.
 
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Kommentare  

Ich bin zutiefst bewegt. Sehr gelungen.

doska (27.02.2011)

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