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7 Seiten

Vergeltung Kapitel 9 (Historisch)

Romane/Serien · Spannendes
© Lilly
Die Sonne stand hoch am Himmel und manch einer seiner Männer schlief tief und fest. Er saß etwas abseits von allen und ließ die Hütte schon seit Stunden keine Sekunde aus den Augen.
Sie waren letzte Nacht überaus erfolgreich gewesen. Hatten das Lager dieser englischen Bastarde ausgelöscht und keiner überlebte ihren Angriff. Alles stand lichterloh in Flammen, als sie den Schauplatz verließen und er wusste, dass er auch diesmal diese Bilder niemals wieder aus seinem Kopf löschen würde können.
Überaus erschöpft rieb er sich durch sein, im Moment alt aussehendes, Gesicht. Himmel, was sehnte er sich die Vergangenheit herbei, in der er einfach nur er selbst sein konnte. Er hätte sich irgendwann einmal eine Frau genommen, Kinder bekommen und ein wohliges Heim gegründet. Natürlich hätte er seiner Familie beigestanden, auch im Krieg, schließlich waren es schwere Zeiten, doch wollte er niemals, dass die Verantwortung ganz allein bei ihm lag. Was wiegt schwerer als die Entscheidung treffen zu müssen, wer leben darf und wer nicht? Er war doch nicht Gott!
Und jetzt war da auch noch diese englische Frau, die Tochter des langjährigen Feindes seiner Familie. Die Tochter des Mannes der seine ganze Familie auslöschte, der ihn in diese ausweglose Situation zwang. Sie war dessen Tochter und doch auch eine Frau. Von der ersten Sekunde an, in der sie ihm gegenüber gestanden hatte, war auf einmal alles anders geworden. Noch niemals zuvor hatte er so etwas Schönes und Mutiges gesehen. Niemals war der Drang so schmerzlich und groß jemanden beschützen zu müssen, koste es was es wolle. Niemals hätte er gedacht, dass er sich in den Feind verlieben würde, niemals!
Er verriet sich, und alles was seine Familie und seine Herkunft war, damit selbst, stellte er erschrocken fest und rieb sich erneut durch sein unrasiertes Gesicht. Gott … er war verloren, doch er würde damit untergehen. Er hatte einen Plan, der nun vollkommen anders verlief. Jedoch durfte er sie nicht zu nah an sich heran lassen, das würde keiner verstehen, keiner begreifen und sie würden ihn und seine Schwäche, einem englischen Weib gegenüber, verurteilen.
Er war ein Narr, dachte er wütend, zu jung und zu unerfahren um abgeklärt an diese Sache heran gehen zu können. Da kam ein hübsches Weib und sie schien alles schreckliche was ihr Vater getan hat zu relativieren … dummer, einfältiger Narr!
„Onkel Kinkaid?“
Erschrocken blickte er neben sich und sah Ailean und Stan Hand in Hand dort stehen. Man hatte ihr einen Plaid mit den Farben seiner Familie um den kleinen Körper geschlungen, um das kaputte Kleid etwas zu verdecken, doch in ihren zerzausten roten Haaren hing noch immer das Moos der Nacht. Stan hingegen sah noch immer so aus wie vorher, nur müde schien er zu sein. Es erschien MacMahon, als hätten beide ihre Kindheit dort im Wald zurückgelassen. Als wären sie auf einmal andere und das nur allein, weil ihre Augen anders auf ihn herab sahen. Irgendwie so, als wüssten sie nun um das Geheimnis des Lebens bescheid. Eine Erkenntnis, die Kinder nicht haben dürften, denn es war etwas, das ihnen das leichte und unbeschwerte ihrer Kindheit nahm und zu seelischen Krüppeln machte.
„Wird die Lady wieder gesund?“,fragte Stan besorgt und setzte sich neben ihn. Dabei zog er Ailean mit sich herab.
„Ich denke schon.“,antwortete ihm MacMahon und zupfte zärtlich das Moss aus Aileans wirren Haaren.
„Onkel …“, begann Stan zögerlich leise, auf seine Finger starrend, die gerade Gras kämpferisch in kleine Teile zerrissen.
„Was ist Stan?“
Er sah wie diese fünf jährige Junge mit sich kämpfte, weil er nicht wusste, wie er etwas sagen sollte, was er aber anscheinend aber unbedingt erzählen wollte. Aufmunternd sah MacMahon ihn an und als er dann noch immer nichts sagte, meinte er eindringlich:“ Stan, du weißt doch, wir Erwachsene können sehr gut ein Geheimnis bewahren und wir können dir alle Fragen beantworten. Sag einfach was du mir sagen möchtest.“
Doch der Junge schwieg, den Tränen unbeschreiblich nahe. Da löste sich auf einmal Ailean von Stans Seite und kroch auf ihren Knien etwas näher an MacMahon heran. Sie blickte starr auf die schlichte Brosche mit ihrem Distelemblem, die seinen Plaid zusammenhielt und sagte erschreckend unbeschwert wirkend:“ Er will wissen, ob es viele Männer gibt, die von kleinen Mädchen verlangen sich auszuziehen?“
MacMahon erstarrte, denn eine abartige Ahnung umfing seine Fantasie und er sah auf den kleinen eingeschüchterten Jungen vor sich, der es nicht wagte ihn anzusehen. Und da war er auf einmal wieder vollkommen Kind. Ein Kind, dass das alles nicht verstand und auch nicht in der Lage sein würde, zu verstehen. Der nur das gute kannte, der bisher immer beschützt wurde und nichts als Liebe erfuhr. Vor ihnen tat sich eine Welt auf, die grausam war, unberechenbar und keinen Halt vor Kindern machte. Eine Welt für die die drei noch viel zu jung waren. Sie hätten noch Zeit haben sollen, sie hätten noch Zeit gebraucht. Jetzt war nicht mehr sicher, welchen Weg sie einmal einschlagen würden und er trug die Schuld daran. Hätte er sie doch nicht alleine dort zurück gelassen. Einen Mann hätte er entbehren müssen – das wäre kein Problem gewesen.
Mühsam kämpfte er gegen einen Schwall Hass an, der sich mal wieder in ihm ausbreitete, sich aber diesmal gegen sich selbst richtete.
„Stan“, meinte er eindringlich:“ Junge, sieh mich bitte an.“
Es brauchte einige Sekunden bis er es wagte endlich aufzublicken und noch mal die gleiche Zeit, bis er ihm wirklich in die Augen sah.
„Jetzt hört mir beide mal ganz genau zu“, und das taten sie dann tatsächlich auch, sie wurden ganz aufmerksam:“ Es sind nur unglaublich böse Männer die so etwas verlangen. Es ist nicht normal und keiner …“, tief atmete MacMahon durch:“ Wirklich keiner darf das von einem Kind verlangen. Und eines ist vollkommen sicher, ihr habt keine Schuld daran! Versteht ihr das?“
Sie nickten im Einklang, fast schon euphorisch und erleichtert.
„Onkel?“
Jetzt war es Ailean die ihn auf einmal so seltsam ansprach und er blickte mit gerunzelter Stirn auf ihren gesenkten roten Schopf.
„Ist das bei großen Frauen auch so? Ich meine, bei der Lady?“
Sein Herz blieb stehen, als er das hörte und sah, dass ihre Schultern ganz leicht bebten. Sie wollte anscheinend nicht weinen, nicht schwach sein und mühte sich gegen diese Emotion.
„Ailean, bitte erzähl mir endlich was passiert ist, ich muss es wissen.“
Er hörte ihren leisen, kindlichen Seufzer und wartete geduldig darauf, dass sie begann zu reden.
„Sie haben der Lady weh getan … sie haben sie geschlagen, weil sie ihnen nicht sagte wer sie war und weil dort Spuren waren. Sie haben mich an den Haaren gezerrt und Stan und Sean an einen Baum gefesselt. Dann … dann hat mich dieser eine Mann einfach mitgenommen und wollte, dass ich mich ausziehe …“, jetzt fing sie wirklich an zu weinen, sie verlor gegen sich selbst, doch sie erzählte tapfer weiter:“ Er hat mich auf den Boden geworfen, nachdem er mich geschlagen hat, weil ich es nicht wollte. Ich habe mich geweigert, ich habe ganz tapfer nein gesagt, aber er wollte es so sehr, dass er mein schönes Kleid kaputt gemacht hat. Dann hat die Lady auf einmal ganz laut geschrien“, sie stockte kurz und blickte in das bleiche Gesicht des Lairds, der sich keinen Millimeter rühren konnte, während sie dann weiter berichtete:“ Ich habe angefangen zu weinen. Ich hatte so Angst, dass ich ihn getreten habe und er hat mich noch mal gehauen, doch nicht so fest, es tat kaum weh.“
Sie schien fertig zu sein, doch MacMahon hinterfragte das alles noch etwas, aber ganz vorsichtig:“ Ailean, hat er dir noch mehr weh getan?“
Sie schüttelte energisch ihren Kopf, sah ihn nun endlich an und es war ihm als würde sie lächeln, während sie ihm antwortete:“ Nein, ich bin weggelaufen, aber er hat mich gefangen und dann kam die Lady und hat ihm weh getan.“
„Sie hat auch den anderen Männern weh getan. Sie hat uns beschützt … wie Papa.“,fügte Stan noch hinzu und nickte wie zur Bekräftigung. MacMahon sah über seinen Kopf hinweg, denn da stand MacAvoy an einen Baum gelehnt, er hatte alles mit angehört.
Auf einmal ging die Tür der Hütte auf und die Alte trat heraus. Sie sah noch genauso aus wie am Morgen, nur nicht mehr ganz so grimmig. MacMahon sprang sofort auf seine Füße, blieb aber in voller Erwartungshaltung stehen. Brow lief in der Zeit zu ihr hin und hörte aufmerksam zu, was sie zu sagen hatte. Er nickte und zeigte auf seinen Laird. Sie folgte seiner Deutung, betrachtete MacMahon einen Augenblick ausgiebig bevor sie dann flüchtig nickte und wieder im Haus verschwand. Brow schien irgendwie erleichtert zu sein und rief seinen Laird zu sich. Sofort war er bei ihm an der Tür der Hütte und dieser meinte:“ Du darfst zu ihr.“
Etwas unschlüssig blickte er hinein und roch sofort den Sud verschiedenster Pflanzen.
„Na los, geh schon, bevor sie es sich wieder anders überlegt.“
Langsam, als würde er die Höhle eines unberechenbaren Bären betreten, überquerte er die Schwelle und schloss die Tür hinter sich. Irgendwie war ihm das alles nicht so recht geheuer. Es war dunkel und die Luft war stickig und schwer vom Feuer, das viel zu heiß angefeuert war. Überall hingen getrocknete Kräuter von der Decke und es roch unangenehm nach allem Möglichen. Angestrengt versuchte er diese Gerüche, die sich schwer auf seine Zunge legten, herab zu schlucken. Es wollte ihm nicht so recht gelingen und so musste er sich wohl oder übel daran gewöhnen.
Die Alte stand rechts von ihm am Kamin und rührte etwas in einem kleinen Kessel um. Ohne ihn anzusehen, sagte sie mit ihrer alten und leicht keifenden Stimme:“ Sie liegt dort hinten … es geht ihr bald wieder gut. Sie waren sehr grob mit ihr und ich musste sie nähen, aber ich glaube nicht, dass er ihren Bauch gefüllt hat.“
MacMahon schloss für eine Sekunde schockiert seine Augen. War es doch das was er geahnt hatte, aber gehofft hatte, dass er sich täuschte.
„Aber keine Sorge“, sprach die Alte unberührt weiter:“ Zur Sicherheit habe ich ihr etwas gegeben, was das dann erledigen würde“, jetzt sah sie auf Elisabeth und es war ihm, als hätte er für eine Sekunde Mitleid in ihren Augen gesehen:“ Sie hat noch einmal Glück gehabt, es wird gut verheilen und vielleicht nimmt sie irgendwann mal wieder einen Mann mit in ihr Bett … Vielleicht.“
Er war nicht willkommen, dass spürte er direkt, doch um sie schien sich tatsächlich zu sorgen und sie war anscheinend wirklich gewillt zu helfen, so gut es ihr möglich war.
Ganz langsam, als würde er sich auf Eis bewegen, ging er hinüber zu der provisorisch wirkenden Schlafstätte und blieb daneben etwas unschlüssig wirkend stehen. Sie lag in ihrem Unterkleid, das schmutzig und zerrissen war, in Felle gehüllt da und schlief tief und fest. Auf ihrer Stirn standen kleine Schweißperlen und hinter ihren Lidern bewegten sich ihre Augen wild umher. Sie träumte.
Ganz langsam ging er auf seine Knie und betrachtete dabei ausgiebig ihr bleiches Gesicht. Schwer schluckte er seine Schuldgefühle herab. Sie plagten ihn seitdem er sie gefunden hatte. Wie konnte er sie und die Kinder nur schutzlos zurücklassen? Warum hatte er niemand zu ihrer Sicherheit bei ihnen gelassen? Weshalb hatte er daran nicht gedacht? Gott verdammt, er war für so etwas einfach nicht gemacht. Übersah wichtige Dinge, dachte einfach an so vieles nicht und andere mussten dafür zahlen.
Natürlich, sie gehörte nicht zu ihnen, war die Tochter seines Feindes, aber das … das wollte er nicht. Nein, er wollte nicht, dass sie so etwas durchmachen musste. Er wollte nicht, dass es nun etwas in ihrem Leben gab, dass sie niemals wieder vergessen würde. Er wollte ihr nicht in die Augen sehen müssen und dann den selben Schmerz wie bei seiner Schwester erkennen.
Unglaublich erschöpft aussehend strich er sich seine Haare zurück und schloss seine Augen. Niemals würde er sich das verzeihen können und es war aus seiner Sicht ausgeschlossen, dass sie ihm sein unüberlegtes Tun jemals verzeihen würde.
„Euer Weg ist noch lange nicht bestritten, habe ich recht?“
Die nahe Stimme der Alten ließ ihn erschrocken herum fahren und er sah, dass sie dicht hinter ihm stand, einen dampfenden Kelch in ihren knochigen Händen. Einen Augenblick starrte MacMahon sie etwas verwirrt an, bevor er schweigend nickte und wieder Elisabeth ansah. Er hörte ihre Schritte auf dem knarrenden Dielenboden, als sie noch etwas näher kam und ihm dann den Kelch reichte. Ein bitter riechender Dampf kroch in seine Nase und er rümpfte diese etwas angewidert.
„Nein danke“, verweigerte er ihre Gastfreundschaft, doch die Alte gab nicht auf und erklärte ihm murrend:“ Es wird Eure Gedanken ordnen. Trinkt.“
Wieder nahm er einen tiefen Atemzug, griff aber noch immer nicht nach dem Kelch.
„Meine Gedanken sind geordnet, Weib, danke für deine Fürsorge. Nur solltest du sie lieber voll und ganz ihr schenken.“
Sie gab nicht auf und hielt das Gebräu noch etwas dichter unter seine Nase. MacMahon traute sich kaum davon abzurücken, doch er lehnte sich etwas angewidert zurück und sah sie ungehalten an.
„Ihr kann ich nicht mehr helfen“, erklärte sie ihm nun langsam wütend werdend:“ Den Rest muss sie alleine schaffen. Doch Euch …“, sie schwieg für einen Augenblick und durchdrang fast mit ihrem Blick seine Augen, so als wolle sie sich in seine Seele bohren:“ Euch biete ich an Ordnung in Euer Chaos zu bringen … also, trinkt endlich.“
Nur wiederwillig ergriff MacMahon nun doch den Kelch, damit sie endlich Ruhe gab. Er blickte sie noch einmal an, bevor er einen großen Schluck nahm, was er direkt wieder bereute. Stark hustend, denn es brannte seine Speiseröhre herab und er spürte wie es glühend in seinen Magen lief und sich dort schnell auszubreiten schien.
„Was zum Teufel ist das?“,wollte er röchelnd wissen und blickte schockiert auf, als die Alte sich lachend abwandte und meinte:“ Ihr fragt spät, mein junger Krieger – etwas zu spät, würde ich meinen. Jetzt ändert es auch nichts mehr daran wenn Ihr es wisst. Genießt den Traum, er wird Euch hoffentlich erwecken.“
Schockiert blickte er auf den Kelch und spürte auf einmal wie seine Finger taub wurden und als dann das Gebräu über den Boden lief, hörte er noch immer ihr krächzendes Lachen. Er war sich sicher, dass sie ihn vergiftet hatte, doch noch bevor er überhaupt den Gedanken vervollständigen konnte, sackte er auch schon zur Seite ...
 
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Kommentare  

Du hältst die Spannung und die seelische Zerrissenheit MacMahons kann man sehr verstehen. Doch mir ist nicht ganz klar, weshalb er ohne viel zu fragen, das Getränk der Alten einfach trinkt. Ansonsten wieder sehr mitreißend geschrieben.

Jochen (03.03.2011)

Oh, Gott, die arme Elisabeth, aber die Kinder wissen, was sie für sie getan hat und MacMahon begreift es wohl so langsam auch. Eigentlich kommt mir die Heilerin gut vor, aber weil sie MacMahon das Kräutergetränk derart aufschwatzt, bin ich doch etwas skeptisch geworden. Sehr schön geschrieben.

Petra (02.03.2011)

ein wunderschöner teil voller seltsamer gedanken und unbequemer fragen. sehr einfühlsam geschrieben.
und jetzt bin ich auf den traum gespannt. ;-)
lieben gruß


Ingrid Alias I (25.02.2011)

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