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11 Seiten

Vergeltung Kapitel 6 (Historisch)

Romane/Serien · Romantisches
© Lilly
Ihr Rücken schmerzte mal wieder als sie ihre Augen aufschlug und sie spürte noch immer eine bleierne Müdigkeit in ihren Knochen. Hatte sie überhaupt geschlafen? Sie war sich mit einem mal ganz und gar nicht sicher. Ganz langsam richtete sie sich auf ihre Ellenbogen auf und gähnte herzhaft. Die Sonne erhob sich gerade, es war noch etwas neblig und um einiges kälter als die letzten Tage. Ein nasser Film hatte sich über ihre Haare gelegt und Elisabeth strich diesen Gedankenverloren herab. Verwundert stellte sie fest, dass zwei weitere Decken, die sie vor wenigen Stunden noch nicht hatte, über ihr lagen und sie mollig warm hielten. Suchend sah sie sich um und entdeckte MacMahon, wie er und sieben weitere Männer um etwas herum standen, das sie auf einen Holzbalken gelegt hatten und angeregt darüber Diskutierten.
Es waren fremde Männer und all ihre Tartans trugen unterschiedlichste Farben. Wo kamen sie nur auf einmal her? Sie hatte doch nur eine Nacht geschlafen, oder etwa nicht? Sie war sichtlich verwirrt.
Umso mehr sie sich verstört umblickte, umso mehr wurde ihr bewusst, dass es viel mehr Soldaten waren, als letzte Nacht noch. Geordnet wirkend schienen sie irgendetwas zu tun, doch was? Keiner nahm Notiz von ihr, sie waren einfach viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt und das, obwohl sie mitten drin noch immer auf dem Boden saß.
Sie bemerkte an einer größeren Gruppe, dass sie offenkundig über etwas diskutierten, das nicht jedem zu gefallen schien. Sie gestikulierten wild, manch einer wurde wohl auch ausfällig und andere versuchten ihn dann wiederum zu beruhigen. Elisabeth verstand kein Wort, doch sie erkannte sofort, dass Broch, der inmitten dieser Männer stand, immer die Oberhand behielt und sie alle irgendwann im Wesentlichen mit dem, was er zu sagen hatte, einverstanden waren. Sie sah, dass er aufblickte und hinüber zu MacMahon schaute. Schnell folgte Elisabeth seinem Blick und erkannte, dass dieser just in diesem Augenblick auch zu ihm herüber sah und ihm aufmunternd zunickte.
Langsam setzte sich Elisabeth ganz auf und beobachte sie eine Weile, bis auf einmal Brow neben sie trat und sie beschämt, als hätte man sie bei etwas verbotenem erwischt, von den Männern wegblickte.
„Ihr müsst etwas essen, wir brechen bald auf“, sagte er knapp und warf etwas Brot und Schinken auf ihren Schoß, dann ging er sofort wieder. Hungrig biss sie in das trockene Brot und kaute ausgiebig darauf herum, bevor sie es etwas schwerfällig ihren trockenen Rachen herunter schluckte. Zwischendurch kämmte sie sich mit ihren Fingern durch ihre Haare und flocht sie geschickt zu einem lockeren Zopf. Danach rutschte sie etwas schwerfällig von ihrem Lager, kniete sich auf den feuchten Boden hin und legte sorgfältig ihre Decken zusammen. Sie spürte die feuchte und kühle Luft, die sich nun unter ihre Röcke schlich und langsam begann sie zu frieren. Dies war ein abscheulicher Tag, nicht einmal ansatzweise so warm wie die letzten. Wo war nur das schöne Wetter hin, fragte sie sich. Hatten sie alles in England zurück gelassen? Oder war der Himmel über diesem Ort so traurig, dass er der Sonne verbat zu scheinen? Alles ist möglich, sagte sie sich.
„Guten Morgen.“
Sie erschrak fast zu Tode, als sie urplötzlich angesprochen wurde und blickte zusammengefahren nach oben. MacMahon stand vor ihr und blickte auf sie herab, sein Gesicht war regungslos, nicht zu deuten und so lächelte Elisabeth etwas gequält zu ihm hinauf.
„Guten Morgen“, begann sie mit noch rauer Stimme:“ Ähm, entschuldigt bitte meine Neugier, aber wer sind diese fremden Männer alle und wo kommen sie auf einmal über Nacht her?“
„Freunde“, antwortete er knapp und Elisabeth musste sich wohl damit zufrieden geben. Er beugte sich etwas mehr zu ihr herab und meinte:“ Wir brechen auf, macht Euch fertig.“
Sie nickte etwas enttäuscht über ihre unbefriedigte Neugierde, war ihr das doch alles überhaupt nicht geheuer. Gehorsam packte sie aber die Decken zusammen und erhob sich ganz vorsichtig, denn ihre Gelenke fühlten sich unglaublich steif an und ihr Rücken brannte noch etwas. So fühle ich mich dann wohl im Alter, dachte Elisabeth und musste fast schon schmunzeln. Denn so wie die Dinge nun standen, würde sie wohl die allgemeine Bürde des alt werdens erleben dürfen. Aber sie schwor sich, sich niemals darüber zu beklagen, denn dies war mehr, als sie noch vor wenigen Stunden erwartet hatte. Zwar wusste sie nicht wie ihre Zukunft nun aussehen würde, doch hatte sie eine - und das war für sie auf einmal mehr als genug. Auch wenn sie nichts mehr besaß, nicht einmal mehr eine würdigen Namen, hatte sie doch ihr Leben. Sie musste erst alles verlieren, der ständigen Angst in die Augen schauen, ihre eigene Psyche durchwühlen und die Hölle auf Erden sehen, bevor sie erkennen konnte wie wichtig und einzigartig das eigenes Leben sein kann.
Ungefragt umfasste MacMahon ihren Ellenbogen und half ihr beim aufstehen, weil es für ihn vollkommen umständlich und steif aussah. Sie war überrascht, dass er sie nicht mehr los ließ. Er hielt sie nicht allzu grob fest, aber dennoch bestimmte er ihr somit ja nicht wegzugehen. Einer seiner Krieger kam vorbei gelaufen und MacMahon nahm ihr die Decken weg und drückte sie ihm einfach schweigend in die Hand. Der Soldat sagte auch nichts, schaute nur etwas verdattert drein, ging dann aber direkt weiter. Elisabeth blickte sich etwas nervös um, alles war so seltsam, so befremdlich und einschüchternd. Was gestern noch totes Land war, sprudelte nun vor Leben und aufbruchsdrang. Sie hatte das Gefühl, eine gewisse Unruhe zu spüren. Es war aber keine gewöhnliche Ruhelosigkeit, denn sie fühlte einen seltsamen Erwartungsdrang und eine Art kämpferische Energie. Selbst bei MacMahon. Gestern noch verzweifelt, heute anscheinend für alles bereit. Was war hier auf einmal nur los? Alle schwirrten um sie herum und dennoch war es irgendwie mucks Mäuschen still.
Er drehte sich ein wenig um und rief den Männern etwas für sie Unverständliches, durch den wieder stärker werdenden Nebel hindurch zu. Schnell kamen alle auf die beiden zu und umstellten sie. Noch immer nervös und eingeschüchtert versuchte Elisabeth sich etwas hinter MacMahon zu verstecken, doch es gelang ihr nicht so recht, denn er hielt sie weiterhin an ihrem Ellenbogen fest. Jetzt begannen sie sich etwas lauter untereinander zu unterhalten. Aus einem zurückhaltenden Murmeln, wurde bald lautes Geschwätz.
Mit einem Mal zog er sie noch etwas dichter an sich heran. Da ließ er sie plötzlich los, doch nicht für lange, nur einen kurzen unscheinbaren Augenblick lang. Ihr Ellenbogen war nun wieder frei, doch er schlang fest seinen Arm um ihre Taille und somit lag sie untrennbar an seine Brust gepresst. Elisabeth legte ihre Hände gegen seinen harten Brustkorb und wollte sich etwas von ihm wegstemmen, doch er hielt sie unnachgiebig umschlungen und das mit einer ungezwungenen Leichtigkeit, die ihr fast den Atem nahm. Mit gerunzelter Stirn sah sie dann zu ihm auf und hätte gerne eine Antwort für sein seltsames Verhalten erhalten, doch traute sie sich in diesem Augenblick nicht zu fragen. Sie öffnete zwar ihren Mund, schloss ihn aber gleich darauf wieder, vollkommen verwirrt, als er zu ihr hinabsah und lächelte.
Er lächelte sie liebevoll an. Aber weshalb, um Himmels Willen, tat er so etwas absurdes und das jetzt und hier? Schockiert stockte ihr Atem und ihr Herz setzte aus.
Da brüllte er auf einmal über ihren Kopf hinweg:“ Sluagh-gairm (sammelt euch).“
Elisabeth verstand ihn mal wieder nicht, zuckte aber erschrocken über seine laute Stimme zusammen. Sie hasste es wenn er das tat und sie hasste es, dass sie jedesmal aufs Neue über seinen tiefen und lauten Tonfall erschrak. Mittlerweile müsste sie das doch schon kennen und ignorieren können, so oft wie er sie angebrüllt hatte.
Verblüfft beobachtete sie, dass alle plötzlich wieder zur Ruhe kehrten. Während er seine anscheinende Ansprache hielt, starrten sie alle auf sie herab, bis er fertig gesprochen hatte. Dann sahen sie ihn an, nickten zuerst stumm und dann brüllten sie ein unbeschreiblich lautes und einheitliches:“ Aye“, um danach in verschiedene Richtungen zu verschwinden.
Darauf ging er mit ihr, sie noch immer an sich gedrückt, zu seinem Pferd. Elisabeth fühlte sich in seinem Arm wie eine leblose Puppe die man einfach so mit sich zog, ohne sie um Erlaubnis zu fragen. Noch immer kein Wort an sie richtend, ließ er plötzlich von ihr ab, umschlang aber gleich daraufhin mit beiden Händen ihre Hüfte, hob sie hoch und setzte sie in seinen Sattel. Doch er ließ sie wieder nicht los, sondern hielt sie weiterhin fest umschlungen.
Maskenhaft starrte er ihr in die Augen und Elisabeth blickte bewegungslos zurück. Seine Hände lagen warm auf ihr und sie fühlte sich direkt unbeschreiblich wohl und sicher. Dieses Gefühl beunruhigte sie unbeschreiblich, denn wie konnte sie sich in solchen Momenten wohl fühlen, geschweige denn sicher, und dann mit ihm? Er nahm ihr doch alles fort was ihr wichtig war. Er war der Mörder ihres Vaters und er war der Mann, der noch immer ein Urteil über sie sprechen konnte. Auch wenn er sie nicht mehr töten wollte, so war sich Elisabeth nicht sicher, ob er dabei bleiben würde und schon gar nicht, was sie in Zukunft zu erwarten hatte. Sie war so weit fort von dem Ort, den sie immer ihr Zuhause nannte, dass sie gar nicht wusste, wie sie jemals wieder dort hin finden würde.
Wo würde sie leben? Wie würde sie leben? Himmel, die anfängliche Erleichterung von vor wenigen Minuten war auf einmal wie weg geblasen. Sie seufzte verzweifelt laut, ohne sich dessen bewusst zu sein.
„Es … oh Elisabeth“, MacMahon zögerte einmal kurz, denn es fiel ihm nicht leicht, das nächste zu sagen“ Es tut mir wirklich leid“, stotterte er nun verlegen drauf los:“ Mein Tun tut mir wirklich leid, doch … doch ich … wir brauche Eure Hilfe, um ihn aufhalten zu können.“
Sie nickte sofort. Auch wenn es etwas hecktisch wirkte, beeindruckte ihn ihre schnelle Zustimmung, weil er das ganz und gar nicht erwartet hatte. Er hatte einfach mehr Wiederspruch erwartet. Nur allein aus dem Prinzip heraus, dass sie Engländerin ist und egal was sie letzte Nacht zu ihm gesagt hatte, würde sie sich wahrscheinlich wieder daran erinnern und auch so handeln. Doch anscheinend hatte sie sich nun ganz und gar ihrem Schicksal und ihm ergeben.
„Ich wüsste aber beileibe nicht wie?“
Er schmunzelte sie beruhigend an und erklärte ihr:“ Das erfahrt Ihr sobald es von Nöten ist. Alles zu seiner Zeit.“
Sie nickte wieder, aber diesmal total zögerlich und nun vollkommen unsicher, ob sie dies überhaupt wissen wollte. Elisabeth war bewusst, dass sie in diesem Augenblick ziemlich schnell und leichtfertig ihr Land verraten würde. Aber für was oder wen sollte sie noch kämpfen? Für ein Land, dass seine Ritter aussendet um Menschen abzuschlachten, Kinder zu ermorden? Für ein Land, das ihren Vater während ihrer gesamten Kindheit in den Krieg schickte und ihn ihr somit nahm?
Nein! Es war nun egal, denn sie war heimatlos.
Nach einer Weile nahm MacMahon endlich seine Hände wieder fort, denn irgendwie wurde dieser Moment immer seltsamer. Sofort kühlte die warme Stelle ab, wo er sie gerade eben noch schützend festgehalten hatte.
„Später unterhalten wir uns erst einmal über Dommhan, Ihr müsst mir alles sagen was Ihr über ihn wisst. Ich muss wissen wie er denkt.“
Er sah, dass sie ihren Blick senkte und meinte betrübt:“ Augenscheinlich weiß ich nichts über ihn. Wahrscheinlich weiß ich nur das, was er mir gewillt war zu zeigen.“
Und so wie es ihr schien, war es bei weitem nicht sein wahres Gesicht. Elisabeth erschauerte, als sie sich ungewollt vorstellte, wie es wohl gewesen wäre seine Ehefrau zu sein. Ob er mit ihr genauso schonungslos verfahren wäre, wenn sie sich nicht seinen Vorstellungen gegenüber verhalten hätte? Schnell schüttelte sie diese beängstigenden Gedanken ab. Es war ja nicht so gekommen und es würde auch niemals soweit kommen. Die Zeit war nun eine andere.
Ein fremder junger Mann, mit schulterlangen dunkelblonden Haaren und dunklen Augen, trat auf einmal neben MacMahon und sagte etwas, worüber der Laird seine Stirn in Falten legte, nickte und ihm freundschaftlich auf die Schulter klopfte. Da blickte der Fremde auf einmal zu ihr auf und ein schiefes Lächeln erschien auf seinem unrasierten Gesicht. Wieder sagte er etwas zu MacMahon, diesmal aber flüsternd, Elisabeth dabei nicht aus den Augen lassend und ihr seltsam zuzwinkernd. Sie verzog ihre Augen zu engen Schlitzen, denn sie glaubte nicht, dass es etwas Nettes war.
„Was soll das?“, fragte sie direkt, ihre Wut nicht unterdrückend.
„Wenn man schon über mich spricht, dann würde ich es gerne verstehen, damit ich auch dementsprechend reagieren kann.“
Der fremde Mann lachte leise auf, murmelte erneut etwas und ging dann, aber nicht ohne sich noch einmal zu ihr umzudrehen und ihr erneut so seltsam anzüglich zu zuzwinkern.
„Was hat er gesagt?“
Wollte sie gereizt jkingend wissen und verschränkte ihre Arme vor der Brust.
„Oh …“, MacMahon lachte etwas verhalten und nestelte etwas nervös am Zaumzeug seines Hengstes herum:“ Das wollt Ihr sicherlich nicht wissen.“
„So schlimm, ja?“
Genüsslich beobachtete er, wie sich ihr Gesicht rot verfärbte.
„Sagen wir es einmal so“, er schwang sich kraftvoll hinter ihr in den Sattel:“ Es ist nichts für Eure zarten und unschuldigen Ohren. Dannys Gedanken sind oftmals zu … naja, zu freizügig was Frauen anbetrifft und Ihr scheint seine Fantasie entflammt zu haben.“
MacMahon umfasste sie von hinten und nahm die Zügel in seine Hand.
„Aber weiß er denn nicht wer ich bin und woher ich komme?“
Sie war wirklich sichtlich und hörbar überrascht und sogar etwas empört.
„Oh doch, nur interessiert ihn so etwas herzlich wenig. Er sieht immer nur eines in einer Frau und wie gesagt, es ist nichts, das Euch gefallen würde.“
Elisabeth schnaubte abfällig und registrierte gar nicht, als er sie noch etwas näher an sich heran zog. Sie war viel zu sehr von ihren eigenen Gedanken abgelenkt, die sich nur um diesen unverschämten Krieger drehten.
„Abscheulicher Kerl“, maulte sie leise und brachte ihn wieder einmal zum Lachen.
„Ja, Danny kann sehr abscheulich sein, aber auch in einer Art, in der Frauen es wiederrum anziehend finden. Glaubt mir, ich habe es mit meinen Augen gesehen.“
Mit entsetztem Gesicht blickte sie hinter sich und meinte abfällig feststellend:“ Ach wirklich? Irgendwie kann ich mir vorstellen um welche Frauen es sich dabei handelt.“
Es schüttelte sie bei der Vorstellung, das eine Hure sich um ihn bemühte und er sich so gab wie eben. Doch da holte sie ein Gedanke schlagartig ein – nämlich, war sie das in seinen Augen, eine Hure?
Nun, für die meisten schottische Männer waren englische Frauen nicht mehr wert als eine Hübschlerin. Wahrscheinlich war es für die Engländer gegenüber den schottischen Frauen nicht anders. Es war wohl etwas, das sie nicht ändern konnte, womit sie versuchen musste zu leben. Zumindest so lange das hier alles andauern würde. Wer kann schon einen Menschen und seine verfahrene Einstellung zu etwas ändern, was dessen Leben bis ins Kleinste bestimmte? Wahrscheinlich war dazu niemand in der Lage, denn ihnen allen wurde der Hass und die Vorurteile schon in die Wiege gelegt und Tag für Tag verstärkt. Jedoch lag dieses Problem gleichwiegend auf beiden Seiten und keiner würde nachgeben und sich Fehler eingestehen.
„Ihr findet ihn also nicht äußerst anziehend“, riss er Elisabeth mit sanfter Stimme aus ihren verwirrten Gedanken.
„Mir wird immer wieder gesagt wie gut aussehend Danny doch ist.“
Warum wollte er so etwas von ihr wissen, doch sie antwortete, sehr versucht gelassen zu klingen:“ Nein, sein Verhalten ist eher abstoßend und trübt sein wohlmöglich gutes Aussehen ungemein“, kurz zuckte sie fast schon gelangweilt mit ihren Schultern:“ Dann hat er so dunkle Augen und einen so undurchdringbaren Gesichtsausdruck. Er erschrickt mich eher, als das er mich faszinieren würde.“
„Dann ist ja gut.“
Sagte er leise zu sich selbst, aber Elisabeth hörte es. Sie verstand den Sinn zwar nicht, ignorierte es aber lieber, denn sie wollte es gar nicht wissen.
Er setzte sein Pferd in Bewegung und ein Teil seiner Männer folgten ihm, ein anderer Teil bewegte sich jedoch in gegengesetzte Richtung, angeführt von Broch. Während die anderen, die ihr Fremd waren, auch andere Richtungen einschlugen. Es war seltsam verwirrend und für sie vollkommen unverständlich.
„Wohin reitet denn Euer Cousin?“
Elisabeth beugte sich zur Seite und blickte an MacMahon vorbei um sehen zu können, wohin die anderen ritten. Doch er zog sie bestimmend wieder zurück und erst jetzt fühlte sie seinen ganzen Arm fest um ihre Taille geschlungen. Sie wollte ihn wegschieben, doch da ritten sie an den Gräbern vorbei und sie umschlang ihn unbedacht und drückte sich dichter an seine Brust. Ein eiskalter Schauer umhüllte sie und er bemerkte wie sie sich Hilfe suchend an ihn schmiegte. Fest lag ihr Kopf an seiner Schulter und ihr ganzer Körper wurde steif. Sie zitterte am ganzen Leibt und er spürte es.
„Es ist alles gut.“
Flüsterte er liebevoll in ihr rechtes Ohr und legte seine Wange an die ihre, während er seine Augen unbedacht für eine Sekunde schloss. Elisabeth war von dieser überrumpelten Zärtlichkeit wie gelähmt und doch genoss sie seine Wärme und verspürte tatsächlich eine gewisse Art der Sicherheit.
Wie makaber, dachte sie im nächsten Augenblick, denn er war nicht ihr Freund – egal wie nahbar er sich ihr gerade gab. Er war der Mann der sie für die Taten ihres Vaters bestrafen wollte. Der wer weiß wie viele Menschen schon deswegen auf dem Gewissen hatte und vielleicht noch haben würde. Er war voller Wut und Traurigkeit und Elisabeth wusste nicht, wie sehr man solch einem Menschen Glauben schenken konnte, geschweige denn Vertrauen. Doch sie wollte es nur für einen Moment einmal vergessen und dieses Gefühl genießen, selbst wenn sie dafür in der Hölle schmoren würde.
„Stop“, schrie sie auf einmal fast schon panisch aus, als sie gerade ihre Augen schließen wollte und er erschrak so sehr, dass er sein Pferd wirklich stoppte. Ohne dass er hätte etwas dagegen tun können, rutschte sie aus seinem Sattel, kam etwas ungeschickt auf dem Boden auf und rannte mit gerafften Röcken zu einer großen wild gewachsenen Hecke. Sie blühte dicht in einem zarten Rosa und umso näher Elisabeth ihr kam, umso mehr roch sie den Frühling und umso mehr sah sie das, was sie gerade eben so erschrocken hatte.
MacMahon sprang ab und folgte ihr mit großen ausfallenden Schritten.
Was hatte sie denn nun schon wieder vor, fragte er sich?
Noch bevor er sie erreichen konnte verschwand sie im Gestrüpp und er blieb unvermittelt stehen. Irgendwie hilflos aussehend versuchte er etwas zu entdecken, doch es gelang ihm beim besten Willen nicht und er war schon drauf und dran ihr nach zu steigen.
Ian und MacAvoy tauchten auf einmal neben ihm auf und sein alter Freund fragte misstrauisch:“ Was ist los?“
„Ich habe keine Ahnung, aber wenn sie wieder wagt weg zu laufen, dann …“
Er sprach seinen wütend klingenden Satz nicht zu Ende, denn ihm blieben seine nächsten Worte ihm Hals stecken, als Elisabeth durch die dichten Äste trat und ein kleines rothaariges Mädchen trug. Es hatte ängstlich ihre Beine wie ein Schraubstock um ihre Hüfte geschlungen und ihre Arme lagen fest um ihren Hals. Das kleine Kleidchen war schmutzig und nass und ihre Haare hingen voll mit Moos und Blätter. Langsam kam sie mit ihr auf die Männer zu, die vollkommen versteinert waren.
„Was zum Teufel …“, murrte MacAvoy und konnte es kaum glauben, als plötzlich noch zwei rothaarige Jungen hinter ihr auftauchten. Sie wirkten apathisch und vollkommend abwesend.
„Sean, Stan“, flüsterte er und rannte auf die beiden Jungen zu. Vor ihnen fiel er auf die Knie und als sie ihn nach einer kurzen Sekunde erkannten, umschlangen sie beide fest seinen Hals. Zögerlich, nicht glaubend was da gerade geschah, blickte MacAvoy hinauf zu Elisabeth, die neben ihm stehen geblieben war und erkannte Ailean. Sie lebten, seine Nichte und seine beiden Neffen lebten. Er war letzte Nacht fast verzweifelt, weil sie ihre Leichen nicht finden konnten und er es nicht ertrug ihnen nicht die letzte Ruhe schenken zu können, die sie verdient hatten. Und jetzt das …
„Danke“, hauchte er ihr schmerzlich klingend entgegen und umfasste für eine Sekunde mit eisig kalter Hand den Arm, mit dem sie seine Nichte schützend umschlungen hielt.
„Onkel Jonas, wo ist Mama? Mir ist so kalt und ich habe hunger.“
Fragte Stan der jüngste und schniefte laut. Sie sahen ziemlich ramponiert aus, hatten überall Schrammen und ihre Kleidung war zerrissen, schmutzig und nass.
MacAvoy gab ihm keine Antwort, er konnte es nicht beantworten, da er auch ihre Leiche nicht gefunden hatte, sondern drückte ihn noch einmal fest an sich. Wie hätte er es ihnen auch erklären sollen? Wie erklärt man einem kleinen Kind, dessen Leben noch so unbeschwert sein sollte, dass alles, so wie er es kannte, nicht mehr existierte - niemals mehr existieren würde? Welche Worte könnte man wählen, um den Schmerz gering zu halten?
Keine! Für so etwas hatte das Unsterbliche keinen Wortschatz erwählen können und wenn schon das Göttliche es nicht konnte, wie sollte dann der Mensch so dreist sein und ihm dies abnehmen.
MacMahon blieb dicht vor Elisabeth stehen und betrachtete ausgiebig ihr müdes Gesicht und sie blickte unbeweglich zurück. Besorgt legte er eine Hand auf ihre Schulter und nickte ihr dankend und irgendwie beeindruckt wirkend zu.
„Wir müssen weiter, Jonas.“
Er wollte seinen alten Freund nicht hetzen, ihm diesen Moment des kurzen Glücks gönnen, doch ihnen lief die Zeit davon. MacAvoy nickte Pflichtbewusst, löste sich aus der festen Umarmung der Jungen und meinte zu ihnen:“ Wir machen eine Reise, kommt.“
Sie nickten gehorsam und als er sich wieder erhob klammerten sie sich an seinen Plaid. Sie waren vollkommen verängstigt, doch wiederum auch mutig, als Sean erzählte:“ Wir haben uns versteckt, Onkel, so wie Mama es gesagt hat. Ailean hat geweint, doch Stan hat sie getröstet, während ich aufpasste. Sie hätten uns beinahe gefunden und als dann alles brannte und alle so laut … so laut geschrien und geweint haben, sind wir in den Wald gelaufen.“
Über Elisabeths Wange rannte still eine einsame Tränen herab und sie drückte die Kleine noch fester an sich. Welch eine abscheuliche Angst mussten diese Kinder wohl durchlebt haben? Was hatten sie alles mit ansehen müssen, bevor sie wegliefen?
„Das habt ihr wirklich gut gemacht.“
Lobte MacAvoy die beiden, streichelte ihnen sanft und etwas verloren wirkend über das zerzauste Haar und führte sie zu den Pferden, wo sie von allen ungläubig angestarrt wurden.
„Woher wusstet Ihr, dass sie dort waren? Ich habe nichts gesehen.“,fragte MacMahon und Elisabeth erklärte ihm mit dünner Stimme:“ Ich wusste nicht, ob ich es mir nur eingebildet hatte, doch ich glaubte für eine Sekunde rote Haare gesehen zu haben. Ich wollte es wissen und nicht auf sich beruhen lassen.“
Er schmunzelte legte einen Arm um ihre Schultern und führte sie, irgendwie stolz aussehend, zurück zu seinem Pferd.
MacAvoy verteilte die beiden Jungen, nachdem er sie in warme Decken gehüllt hatte. Einen setzte er zu Ian und den anderen zu Lonny aufs Pferd. Dann wollte er Ailean aus Elisabeths Armen nehmen, doch die klammerte sich so fest um ihren Hals, dass es schier unmöglich war die beiden zu trennen, ohne jemanden weh zu tun.
„Ailean, süße“, flüsterte Elisabeth liebevoll:“ Geh zu deinem Onkel, er passt gut auf dich auf.“
Wieder versuchte ihr Onkel sie zu nehmen und diesmal ließ sie es zu. Blitzschnell löste sie sich von Elisabeths Hals und umschlang seinen wieder genauso fest, ohne einmal ihre Augen zu öffnen. Besorgt blickte sie ihm nach und sah, dass die Kleine endlich aufsah, ihr zuwinkte, dabei aber todtraurig aussah. Elisabeth seufzte schwer, und rieb sich verstohlen einige Tränen von ihren ausgekühlten Wangen und erschrak etwas, als sie sich plötzlich in MacMahons Armen wiederfand. Doch diesmal wollte sie sich ihm auch nicht entziehen, sie schmiegte sich fest an ihn und umschlang seine Taille. Diesmal wollte sie seine Nähe genießen. Einfach spüren, dass sie in diesem Moment nicht alleine war, auch wenn es nur ein Trugschluss zu sein schein. Doch dieser Moment gehörte nun ihr, sie hatte ihn sich verdient und er war so nötig gewesen wie Wasser bei unbändigen Durst.
Sie hörte seinen Herzschlag und spürte seinen regelmäßigen Atem. Sanft streichelte er ihr über das Haar, in dem einige Blüten der Hecke hingen und rieb mit der anderen Hand ihren Rücken. Er wärmte sie, er beruhigte sie und das alleine nur damit, dass er sie festhielt. Was danach kommen würde, war in diesem Augenblick vollkommen egal.
„Ich bin so müde.“
Murmelte sie gegen seine Brust und er drückte sie noch etwas fester an sich.
„Kommt“, flüsterte er nach einer Sekunde der Ruhe und brachte sie zu seinem Pferd zurück. Er hob sie hoch, setzte sich hinter sie, legte ihr ihren Umhang um die Schultern und endlich brachen sie auf.
Sie schwiegen alle und irgendwann war Elisabeth eingeschlafen. Sie lehnte an seiner Brust und er hielt sie gerne an sich gedrückt. Sie roch nach Wald, nach kühler Morgenluft … nach Leben. Ein Leben, das er sich vor kurzem noch verwehrte, da der Hass ihn steuerte. Er wurde von etwas geleitet, dessen Macht und Auswirkungen er sich gar nicht bewusst gewesen war. Doch dann kam sie und es war ihm, als würde sie ihn retten. Sie, ein Abkömmling seines größten Feindes, rettete ihn, ihren Feind.
Himmel, was sollte er nur tun … was nur? Warum verlief das Schicksal nur so abscheulich?
 
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Kommentare  

Danke Jochen und Petra!
Ihr seid meine treusten Leser/Kommentatoren und leider kann ich nicht mehr als nur immer wieder "Danke" sagen.

Ich wünsche EUCH und natürlich auch allen anderen Lesern, noch ein tolles Jahr 2011 und das all eure Wünsche und Träume in erfüllung gehen. Ich hoffe ihr erlebt unvergessliche Momente und unglaubliche Dinge!!!!

LG


Lilly (02.01.2011)

Schön beschrieben, wie die Liebe Brücken zwischen Feinde bauen kann. Bewundernswert die Beiden, wie sie versuchen, trotz allem Abscheulichen, einander nicht zu schaden, sondern eher zu helfen. Hat mir sehr gefallen.

Jochen (02.01.2011)

Ist dir mal wieder geglückt. Sehr schön wie du das Verhältnis, der beiden "Feinde" schilderst. Wie sich Elisabeth und MacMahon immer näher kommen, ohne, dass sie es eigentlich wirklich so recht wollen. Die Liebe kann eigentlich Berge versetzen, aber bei diesen Beiden ist es recht schwierig. Sind sie doch großen Belastungen ausgesetzt.
Toll, dass du diese Spannende Story noch vor Jahresbeginn ins Netz gestellt hast. Hat mir wieder sehr viel Spaß gemacht, denn die Zwei sind einfach süß!

Komm`gut rüber ins neue Jahr
Das wünscht dir


Petra (31.12.2010)

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