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"Ich find deine Stimme schön" - Der Hund von Wien

Aktuelles und Alltägliches · Kurzgeschichten
Man kann Vieles in die Vergangenheit hinein interpretieren, die Gegenwart in den Rausch der Erinnerungen versetzen. Aber eins kann man nicht - Ereignisse rückgängig machen. Ereignisse, wie sie sich zugetragen haben an jenem Abend in Wien, der mich fraglos fragend auf dem falschen Fuß erwischte. Natürlich hing das alles wieder mit "Ich find deine Stimme schön" zusammen. Mit wem auch sonst konnte ich in jener Wohnung in Wien einen Abend verbringen, der wundersamer nicht sein konnte. Der Hund hatte auf seiner Decke Platz genommen, ich auf dem Sofa neben der Hundedecke und "Ich find deine Stimme schön" neben mir. Alles schien romantisch und der Abend begann.

Er begann mit einem Gespräch über meine Anziehungskraft auf Frauen - stimmt, da war doch etwas. Die Zeit schritt fort und erreichte jenen Zenit, bei dem man als Mann all seine Hormone Richtung Schlafzimmer eilen lässt. Sie schaute mich an, lächelte verwegen, lüstern und der Hund begann zu bellen. Sollte jemand vor der Tür stehen und Einlass begehren? Ich schaute ihr in die Augen. "Da ist niemand, Kuckuck", beruhigte sich mich, derweil der Hund sich auf seiner Decke aufrichtete. Seine Aufmerksamkeit galt der Wohnzimmerwand, die bei Kerzenschein in gespenstisches Licht getaucht schien. Irgendetwas begann sich dort zu manifestieren, was einen leichten Schauer über meinen Rücken laufen ließ. "Mach dir keine Sorgen, Kuckuck. Ich werde dich beschützen", begleitete sie meinen Hormonausschuss, der angesichts des zunehmenden Schauers langsam versiegte.

Während der Hund immer aufgeregter die Wand anbellte, wuchs in mir das Gefühl, dass noch eine dritte Person den Raum betreten hatte. Wohlgemerkt, eine Person - der Hund zählte nicht. Gelassen folgte ich den Minuten, die sich aneinander reihten. Eine leichte Gänsehaut akzeptierend, die sich auf meinen männlich wirkenden Oberarmen ausbreitete. Hier geschah etwas, was man erleben, aber nicht in sein Leben lassen durfte. Die Szenerie konzentrierte sich auf den Hund, der unablässig die Wand anbellte. Beide hatten wir - bedingt durch meinen männlichen Hormonschub, Grund genug, der anwesenden Person einen Namen zu geben - sie nannte sie Oma, ich dachte an meine verstorbene Frau . Auch mischten sich in unser beider Empfinden Erinnerungen, folgten dem Hundegebell und suchten nach Antwort. Allein die Wand erschien weiterhin gespenstisch flackernd im Kerzenschein.

Ich weiß nicht mehr, wie lange sich diese Stimmung fortsetzte - es mögen zwei Stunden gewesen sein, in deren Verlauf meine Hormone gegen die Gänsehaut auf meinen männlichen Oberarmen kämpften. Der Hund legte sich auf seine Decke zurück und schwieg plötzlich. "Kuckuck, mach dir keine Sorgen. Solche Dinge passieren hin und wieder." Erleichtert ob der Reaktion des Hundes entglitt meinen Gedanken die Vergangenheit. Die Hormone richteten sich auf und die Erinnerungen verblassten. Nur die Kerze flackerte weiter - nicht gespenstisch, sondern romantisch. Ich war der Interpretation der Erinnerungen noch einmal entronnen. Selbstbewusst spielten meine Muskeln mit der schwindenden Gänsehaut und führten "Ich find deine Stimme schön" ins Schlafzimmer. Der Hund rollte sich auf seine Decke, während die Kerze erlosch.

Seit diesem Abend erinnere ich mich nur vorsichtig, wenn Kerzen vor sich hinflackern. Erinnerungen suchen manchmal einen Weg in die Gegenwart, der lebendiger ist, als wir wahrnehmen wollen. Zeugnisse einer vergangenen Zeit an Wänden in einer kleinen Wohnung in Wien. Tiere haben einen Instinkt für solche Ereignisse. "Ich find deine Stimme schön" schlief an diesem Abend lächelnd neben mir ein. So verrückt, wie alles war, was sich in jenen Tagen ereignete, so einfach war doch das Gefühl füreinander. Und das ist es, was zählt. Die Gegenwart, die heute Vergangenheit ist, heute, wo ich alles niederschreibe.
 
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