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DIe Fälle des Josef Hartmanns Teil 1 (Perücke)

Amüsantes/Satirisches · Kurzgeschichten
Vor etwaiger Zeit flog eine schuppige Perücke an einem Fenster vorbei. Das sie ver- und beschuppt war, erkannte Josef erst als er vom Küchentisch aufsprang, die Treppen hinunterlief und dann vom Bordstein das Bündel Fell klaubte. Es war ein wenig nass, schmiegte sich in seine beiden Hände und schickte einen Fluss Flüssigkeit seine Arme entlang. An den Ellenbogen versickerte der Rinnsal in seinem Baumwollhemd. Dies machte die Arme unmerklich schwerer.
Als er nach oben schaute, die eventuelle Flugbahn visuell nachzeichnete, traf er am Ende auf eine glänzende unbekannte Glatze. Das heißt, Moment, ihm fiel ein, er multiplizierte Haarteil aus seiner Hand mit gesehener Kopfhaut, setzte auch das Gesicht hinzu, dass dies nur Frau Höckel sein konnte. Für dieses zusammengesetzte Bild im Kopf sprach auch die Tatsache, dass sich das Fenster direkt über seinem befand und er von der Klingelleiste im Erdgeschoss wusste, dass sie da wohnte.
Darüber war nur Dach mit Schornstein, Wolken, Himmel und irgendwann Weltall.
Alles sprach für die Vermutung, dass Frau Höckel eine Glatze und eine Perücke besaß und weil Josef, überspannt mit ehrlicher Haut auch noch auf einen deftigen Finderlohn hoffte, umschloss er die falschen Haare und bestieg die Treppen.
Ganz aus der Puste, fast aus den rote Latschen kippend, klingelte er ein paar Mal gegen die kahle Wand, traf dann den Knopf, wartete, sah und schaute ins Gesicht einer kopfhandtuchtragenden Höckel.

„Bitte!?“

Josef reichte die Haarkonstruktion luftraumtechnisch über die Schwelle vom Haupthausflur in den Wohnungsflur. So etwa in Richtung Rentnerbrust, die sich mit einem alten, löchrigen Frotteebademantel umhüllte. Sein Gehirn zeigte ihm schon einen kleinen Trailer indem die Frau sich die Kopfbedeckung beschämt schnappte, stotterte und dann einen Euroschein in seine Hände warf. Aber Pustekuchen. Sie schaute erst ihn an, dann das Haar, wieder ihn und schüttelte dann den Kopf.

„Nein Danke, ich kaufe nichts.“

Die Tür schlug zu, Josef zuckte zusammen und in dem winzigen Sekundenbruchteil zwischen Wurf und Türschnappen konnte er sehen, wie das Handtuch vom Kopf rutschte und echtes, nasses Naturhaar zum Vorschein kam. Auch registrierte er, dass das Haar in seinen Händen braun und ihres schwarz wie Sternzwischenraum war.
Er blieb stehen, der Türspion zielte genau zwischen seine Augen und er überlegte.
Schon bald jedoch spürte er, dass die Denknuss, die ihm das Leben, der Zufall, das Schicksal, Gott in den Schoß, den Kopf, das Gehirn geworfen hatte hier im Flur unknackbar war.
Er nahm sie mit, öffnete seine Tür mit einem Fußtritt, setzte sich an seinen Schreibtisch, platzierte das Haarteil, nahm ein leeres, liniertes Blatt und schrieb:

„Eine Perücke“

Er hielt kurz inne, sammelte alles in sich zusammen und fügte ein paar Begriffe hinzu:

„feucht, braun, Frau Höckel ohne und mit Haaren, Flugbahn“

Nachdem er letzteres aufgeschrieben hatte, trat er zum Fenster und überprüfte Windrichtung, Windgeschwindigkeit, Windtemperatur und Umweltbelastung mit einem bespuckten Finger. Das heißt, er wollte es überprüfen. Leider war es nämlich so, dass er gar nicht wusste worauf er dabei zu achten hatte. All sein Wissen bezog sich auf irgendwelche Filme, in denen der Finger mit Speichel gereckt wurde.
Josef kniff die Augen zusammen und wartete, dass das Ergebnis kommen würde, aber es ließ auf sich warten und schon bald gab er es auf.
So besann er sich auf eine andere Messmöglichkeit, riss sich mit einem Ruck ein Haar vom Arm und übergab es der Luft. Doch seine Augen verloren bald den organischen Strich und es war keine Windrichtung erkennbar. Damit hatte er nicht gerechnet.

Es blieb ihm nichts anderes übrig als einfach darauf zu vertrauen, dass die Windrichtung richtig war. Also dass die Perücke wirklich über ihm abgesprungen, -geworfen oder –gefallen war.

Josef setzte sich zurück, nahm seinen Umsonstsparkassenkugelschreiber und machte hinter „Flugbahn“ ein kleines Häkchen. Es war ein zaghaftes, ungeschlossenes Dreieck das ihn nicht richtig befriedigte.
Als nächstes sprang ihm das Adjektiv „feucht“ in die Augen, er nahm das Haarteil in die Hände und presste die Restflüssigkeit auf den hellen Dielenboden. Nun stand die Frage im Raum, woher die Feuchte gekommen war. Natürlich fiel da zuerst Frau Höckel auf , die ja, so wie es aussah, frisch geduscht hatte. Eine fixe Idee zur Überprüfung knickte seine Beine ein, beugte seinen Rücken, ließ den Kopf sinken und die Zuge herausschnellen.

Die Pfütze schmeckte weder nach Seife, noch nach Mensch und schon gar nicht nach Shampoo. Außerdem konnte sich Josef nicht vorstellen, dass eine Frau mit Glatze sich mit ihrer Perücke unter eine Dusche stellen würde.

Der Lecktest bestätigte dies oder nicht oder doch oder nicht. Es war reines Wasser. Vielleicht ein wenig metallisch im Abgang, bitter auf der Zunge aber doch eindeutig normales Wasser. Im Nachhinein war er froh, dass es kein gift oder Sekundenkleber gewesen war.
Ein zweites Häkchen sprang aufs Papier.

Die Tatsache und der Stichpunkt: „braun“ brachte keinen Grund zur Zweifelei. „Braun“ stand unumstößlich fest. Wobei es natürlich da auch Farbabstufungen gab. Kuhlederbraun, nussbraun, herbstlaubbraun, naziuniformbraun und sonnenbrandbraun. Josef versuchte die Haare in diese Abstufungen einzugliedern und merkte, dass es ein ganz besonderes braun war.
Wenn er es ins Licht hielt, leuchteten die Härchen dunkelblond und im Schatten verwandelten sich die Farbe in ein kräftiges Braunschwarz. Es hatte keine bestimmte Farbstärke, sondern wandelte sich irgendwie direkt mit seiner Umgebung. Hielt er die Perücke nach Norden brannte ein rötliches Feuer darin. Westen brachte sogar einen Blauton.
Hinter dem Stichpunkt „braun“ schrieb er in Klammern „oder etwa so rot, blau, blond, schwarz“.

Nun wurde es ein wenig schwieriger, denn das eigenartigste an der ganzen Angelegenheit war natürlich diese mysteriöse Höckel. Einmal ohne Haare, dann wieder mit. Einmal mit Glatze und einmal ohne. Wie konnte er sie einmal so und einmal so blicken? Die Denknuss, die er im Kopf trug bestand nur aus dieser Frage und er wusste, dass er sie knacken muss um an seinen Finderlohn zu kommen oder noch wichtiger, um die Haare wieder loszuwerden. Letzteres musste er unbedingt, denn er wollte nicht in Erklärungsnot geraten, wenn Besuch das Haarteil mit spitzen Finger finden sollte.
„Was ist das denn hier? Bekommst du jetzt eine Glatze oder wie?“

Darauf dann

„Ach die Perücke, die hab ich auf der Straße gefunden“

antworten zu müssen. Nein das wollte Josef nicht. Das klang unglaubwürdig. Auch wenn es die reine Wahrheit war. Nein, sie musste weg und einfach aus dem Fenster werfen ging nicht. Dagegen sprach seine Erziehung. Seine Eltern hatten nie im Leben etwas weggeworfen was noch irgendwie nützlich sein konnte und ein Haarteil war für vieles nützlich. Ihm fielen tausend Dinge ein, die man damit machen könnte. Seine Fantasie war grenzenlos und zeigte ihm Eierwärmer, Pelzkragen und Putzlappen. Das war das Problem.

Um die Haare also aus der Wohnung zu entfernen, musste er an der Denknuss vorbei. Mal legte er die Höckelproblematik in seinem Gehirn nach rechts, mal nach links. Dann schüttelte er den Kopf, horchte in sich hinein, hoffte auf ein verdächtiges Geräusch, auf das Splittern der Schale und das Erblicken des Kerns. Doch alles was aus diesen Versuchen heraus resultierte waren Hammerkopfschmerzen.

Auch Selbstzweifel tauchten auf. Vielleicht hatte seine Auffassungsgabe einen kleinen Schaden gehabt, als er nach oben blickte und die Glatze gesehen hat. Hatte er wirklich Höckel geschaut, als er an der Tür gestanden hatte? Hatte er einfach alles nur geträumt? Ach nein, da war ja die Perücke auf dem Schreibtisch. Aber konnte es sein, dass er gerade immer noch träumte?
Hatte er so etwas wie einen Blackout gehabt ? Wenn ja könnte es ein herrliches Knackwerkzeug sein. Also eine schnelle, schmerzlose Erklärung für alles. Doch Josef ahnte schon, dass das Leben nicht so nett sein würde. Überprüfen musste er es trotzdem.

Per Willenskraft hackte er sich in seinen Kopf ein, spulte zu besagter Perückenfundstrassenhöckelschausequenz zurück und ließ dann ablaufen. Als er zu der Stelle kam, an der er die Glatze der Frau sah, wünschte er Pause und Pause war. Gehirnhälfte 1 hielt nun dieses Bild fest. Um genau vergleichen zu können musste jedoch auch Gehirnhälfte 2 ran und Frau Höckel zwischen Türwurf und Türschnappen erschien mit Haar auf einer imaginären Leinwand gleich hinter seinen Augen. So detailgetreu, genau und scharf, dass er sogar die „echten“ Haarwurzeln sehen konnte. Bei Bild 1 fiel auf, dass auf der Glatze zarte Strichlein zu sehen waren. Als Josef das Bild noch genauer heranzoomte, erkannte er dass auf der Oberfläche keine Poren zu finden waren. Diese Merkmale einer normalen Haut fehlten.
Selbst Leberflecke, die ja gerne mal Kopfhaut bespringen, waren nicht ausmachbar. Diese Striche waren aus näherer Sicht schwarz und verteilten sich über den ganzen Kopf. So, als hätte eine Laune der Natur, Frau Höckel besprungen und es so arrangiert, das ihr die Haare unter der Kopfhaut wachsen.

Potzblitz, da kam ihm ein Gedanke, er schaltete sein Gehirn wieder auf Automatik und stand eine Minute später ein Stockwerk über seiner Wohnung und lauschte den von ihm erzeugten Klingeln.
Der Türspion verdunkelte sich, er lächelte gezwungen, drückte die Perücke hinter seinem rücken nervös zusammen und dann öffnete sich das Brett im Loch.

Ihre schwarzen Haare lagen auf ihren Schultern, wie betrunkene dünne Kenianer auf Rindfleischstücken. Die Haare waren echt. Das passte.

„Frau Höckel. Bitte entschuldigen Sie die erneute Störung, aber Ihnen ist eine braune Perücke vor zwei Stunden entwischt“.

Mit den letzten Worten legte er das Haarteil vor. Seine Hände dienten als Serviervorrichtung und zur Bekräftigung seiner Worte faltete er es zu seiner vollen Größe auseinander. Frau Höckel schien interessiert und eher belustigt als erleichtert. Sie schüttelte den Kopf, schloss für einen kurzen Moment die Augen und bewegte dann ihre vollen Lippen.

„Nun erkenne ich Sie wohl. Doch ist mir der Zweck Ihres Besuches völlig entgangen. Ich weiß oder kann ahnen, dass es sich irgendwie um diesen fetzen handeln muss, aber trotzdem weiß ich nicht, was Sie von mir wollen.“

Ihr Körper lehnte sich in den Türrahmen, die Arme trafen sich in Verschränkung, ein Fuß ging hinter das andere Bein und Josef stand da und befand, dass er sich nun selbst in eine Sackgasse hineinmanövriert hatte. Und dabei hatte er gedacht, dass es der Weg an durch die Nuss ist. Nun stand er da, mit diesem Fell in der Hand und stammelte:

„Sie haben doch nach draußen geschaut, als ich nach oben geschaut habe und da hab ich geschaut, dass sie eine Glatze haben“

Damit war das Gespräch beendet. Der Ärger in ihren Augen war echt und auch der Knall der entstand als sich das Loch von der Höckelwohnung schloss. Da stand er wieder und ihm war, als würden Splitter der Tür auf ihn zufliegen und in seinen Körper einschlitzen.
Entgegen seiner Moral tat er dann auf dem Weg zu seiner Wohnung so, als würde er das Haarteil verlieren. Auf Stufe drei von Etage drüber zu Etage drunter hatte es nun Anhaftung gefunden. Schnell machte er die Tür hinter sich zu, warf sich mit seinem Rücken gegen die aufmachbare Trennwand zum Hausflur und fühlte sein Herz schlagen.

Poch, poch, poch, poch.

Jeder Schlag war wie ein Stufenhüpfen der Perücke. Poch, hüpf, poch, hüpf, poch, hüpf.

Blitzschnell öffnete er spaltbreit, warf seinen Blick, wie eine Angel aber da kam keine Perücke auf seine Tür zugehüpft. Alles was mit dieser Sache zu tun hatte, wollte er schleunigst beseitigen. Das Blatt Papier zerknüllte und warf es aus dem noch offenen Fenster hinaus in eine Windböe.
Dann klingelte es. Vor Schreck wäre Josef fast aus dem Fenster gefallen.
Als er zitternd öffnete, sah er sich dem Nachbarn gegenüber, der unter ihm wohnte. Er schien völlig abgekämpft, schaute ungläubig auf seine Haare, dann auf die Perücke in seinen Händen und klingelte immer weiter.

„Bitte!?“

Der Nachbar antwortete nicht, aber hielt die Perücke über die Schwelle. Josef reagierte blitzschnell, schlug die Tür zu und gab sich selbst die Anweisung bloß in zwei Stunden nicht die Tür zu öffnen.

Nach vier Stunden saß er in der Küche, es hatte vor zwei Stunden tatsächlich geklingelt und natürlich hatte sich Josef an seinen eigenen Rat gehalten und nicht aufgemacht, da sah er aus den Augenwinkeln heraus, wie Frau Höckel am Fenster vorbeiflog.
 
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Kommentare  

Nun gut, die Geschichte an sich ist eher weniger witzig... aber der letzte Satz... *gröööööööl*

Aves (20.10.2004)

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