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Schatten

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Sanft strich sie mit ihren Fingerspitzen über das rissige, schwere Leder der Couch.
Tief eingesunken in die weiche Lehne saß sie dort mit geschlossenen Augen und genoss die angenehme Dunkelheit.
Ihr Finger folgte einer Falte im Leder, bis zu einem der großen Knöpfe.
Es war schön, dort zu sitzen, die Couch hatte schon viele Jahre hinter sich, aber gerade das machte sie so gemütlich und zu ihrem Lieblingsort.
‚Dann wollen wir mal’, dachte sie und versuchte aufzustehen. Ihre Finger klammerten sich an die runde Kante des großen Wohnzimmertisches, an dem sie sich hochziehen wollte.
Ihr Körper wippte nach vorne und wieder zurück, die Sehnen in ihren Armen knackten, als sie sich wieder vorwärts zog.
‚Frieda, Frieda, du bist nicht mehr die Jüngste’ Wieder holte sie Schwung, diesmal ausreichend und zog sich an der Tischplatte in die Vertikale.
„Na also“, sagte sie leise und wartete auf das trockene Knacken in ihren Knien, welches in letzter Zeit immer häufiger und auch lauter wurde.
Sie ließ die Augen geschlossen, atmete einige Zeit kurz durch und setzte sich langsam in Bewegung, die Augen immer noch fest zusammengekniffen.
Es war ein schönes Spiel, dass sie sich vor längerem ausgedacht hatte, ‚es trainiert Dein altes Gedächtnis’, redete sie sich ein.
Ihre Finger glitten an der Tischkante entlang, hielten an der Tischdecke inne und tasteten vorsichtig, bis sie an ihr vorbei war, während sie seitlich um den Tisch ging.
Auf der anderen Seite angekommen, drehte sie sich um, lehnte sich rückwärts an den Tisch, während sie ihren Oberkörper nach vorn beugte und mit ausgestreckten Armen in die Dunkelheit nach der Kommode vor sich suchte.
„Wo ist sie denn?“, fragte sie mit einem Lachen und ließ ihren altersgebeugten Körper nach vorn fallen, als sie den hölzernen Schrank berührte. Sie stützte sich auf der knarrenden Kommode auf und zog ihre schwachen Beine Stück für Stück hinter sich her.
Als ihr Stand sicher war, bewegte sie ihre Hände tastend über die Abstellfläche, die Augen fest zusammen gekniffen, den Kopf leicht nach oben gehoben, als würde sie einen angenehmen Duft wahrnehmen. „Was haben wir hier?“, murmelte sie, als sie an einen Gegenstand stieß. Sie nahm in zwischen ihre Finger, streichelte die glatte Oberfläche, ertastete die Blumenvase. „Ach, das gute Stück.“ Sie hatte die lange Vase von Fritz geschenkt bekommen, zu ihrem 50.Geburtstag. Sie nahm die Form und die Erinnerungen mit ihren runzligen Fingerspitzen in sich auf, glaubte, trotz der geschlossenen Augen das schmucke blaue Stück vor sich zu sehen. „Ach Fritz, was hast du mir damit für eine Freude gemacht!“, sagte sie mit einem traurigen Unterton, stellte die Vase wieder auf das kleine Deckchen und bewegte ihre Hände wieder über die glatte Oberfläche des Schrankes. „Und was ist das?“ Ihre Hände hatten einen glatten- kalten Gegenstand zu fassen bekommen, ein gerahmtes Foto. Sie berührte den Metallrahmen, strich sanft über die Glasscheibe, streichelte das Gesicht ihres Mannes und glaube die salzige Seeluft zu riechen, die Wellen brechen zu hören, als das Foto gemacht wurde.
Sie stellte es mit einem wehmütigen Seufzer wieder an seinen Platz und folgte mit geschlossenen Augen der Kante der Kommode, bis zur Wand. Langsam schleppte sie sich an ihr entlang, bis ihre Fingerspitzen einen Rahmen berührten. Es war ein großer, altmodischer Spiegel, vorsichtig, ohne die Augen auch nur einen Spalt zu öffnen, stellte sie sich vor ihm auf, entfaltete ihren gebeugten Körper zu ganzer Größe.
„Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im Land?“, fragte sie ihn lachend.
Kurz darauf antwortete sie mit verstellter Stimme: „Ach Frieda, deine besten Zeiten sind doch schon seit mindestens 60 Jahren vorbei!“ „Ich weiß, ich weiß, du brauchst die alte Frieda nicht immer wieder daran erinnern.“
Sie hob ihre Hände an ihr zerfurchtes Gesicht, folgte seinen Konturen, strich über die eingefallenen Wangen, die runzlige Stirn.
Ihr Alter hatte tiefe Spuren hinterlassen.
„Mein Gott, ich fühle mich ja fast wie eine Mumie an!“, lachte sie.
Ihre Finger strichen ebenso sanft über die Falten, wie vorhin über das Leder der alten Couch.
„Völlig verschrumpelt, wie ein getrockneter Apfel. Aber man wird eben nicht jünger!“, seufzte sie und ließ die Hände wieder sinken.
Vorsichtig drehte sie sich um, hielt ihre Arme, suchend wie eine Mumie, vor sich und machte einige kleine Schritte.
Sie wurde durch einen Stuhl gestoppt, an den sie mit ihrem Knie anstieß.
Sofort ließ sie die Hände sinken, ertastete die Lehne. „Wer hat dich denn so stehen lassen?“
Sie schob ihn wieder an den Tisch heran, hielt sich mit einer Hand an der Lehne fest, während sie mit der anderen nach der Tischplatte griff.
Als sie sie erreicht hatte, ging sie langsam um diesen herum, dann machte sie eine leichte Drehung und ging gebückt, die Hände wieder nach vorn ausgestreckt, vorwärts, bis sie das bekannte Gefühl des Couchleders erreicht hatte.
Als sie mit den Knien die Seitenteile berührte, streckte sie ihre Linke aus und griff nach der runden Kante des Wohnzimmertisches. Dann schlängelte sie sich, so gut es in ihrem Alter eben ging, zwischen diesem und der Couch hindurch, bis zur Mitte der Sitzfläche und setzte sich langsam. Als sie sich in das weiche Leder sinken ließ, knackten ihre Gelenke noch einmal wie zum Abschied. „Ach Gottchen, ist ja gut.“, sagte sie, während ihre knochigen, dünnen Hände ihre Knien wie zur Beruhigung streichelten. Sie ließ sich mit immer noch geschlossenen Augen in die hohe Lehne fallen, das alte, gut gepflegte Leder nahm sie dankbar und sicher in sich auf.
„Ach Gott, es ist irgendwie was anderes, wenn man gar nichts sieht!“ seufzte sie und öffnete die Augen.
Das eindimensionale Schwarz wich nach einigem Zwinkern einem eindimensionalem verwaschenem Grau, genauso konturenlos wie das Schwarz vorher.
 
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Kommentare  

Ich kann mir nur wünschen - wenn es einmal soweit ist - Alter und Gebrechlichkeit ebenso gelassen hinnehmen zu können.
Berührend.


Masima Silvia (10.03.2005)

Sehr schön geschrieben, man kann sich gut in die alte Dame hineinversetzen.
Das Ende der Story habe ich vorausgesehen, aber das liegt wahrscheinlich daran, daß meine Oma auch fast blind ist, und ich sofort an sie denken musste.


Chris Stone (04.03.2005)

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