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Die Zahnbürste (überarbeitet)

Amüsantes/Satirisches · Kurzgeschichten
Die Zahnbürste ist ja noch da

Ich habe die Krankheit „Leeres Bett“ und gar niemanden, den ich anstecken
könnte. Bin ganz allein im All, seitdem sie mit einem anderen fusionierte. Im Bad liegt noch ihre Zahnbürste und vermisst Zähne, der Spiegel schaut mich auch schon traurig an und seit sie nicht mehr da ist, knarren die Türen und geben so ihrem Unmut Ausdruck.
Meine Anrufe drückt sie ins besetzte Telefonland und die Briefe, die ich ihr schicke, bekomme ich selber, weil ich nur diese Adresse habe und ihr Name noch am Briefkasten steht.
Mir wird ganz übel, wenn ich daran denke, dass eine andere Hand die ihre
umfingert oder sogar Haut angefasst wird, die man nicht offen trägt, wenn man mit dem Bus zum Friedhof fährt. Wenn sie es sich doch noch mal durchs Herz gehen lassen würde … Vielleicht würde sie dann erkennen, dass ich viel besser für sie sorgen kann. Hätte ich sie zum Beischlaf von irgendeinem Mann losgeeist, dann hätte ich doch auch darauf geachtet, dass sie ihre Zahnbürste nicht vergisst. Das ist doch wichtig!

Fast jeden Tag sitze ich nun hier in unserem alten Zuhause, das für mich
nur noch ein großer Schuhkarton ist und packe immer mehr Trauer hinein.
Fühle mich wie ein einzelner Schuh, ohne mein Gegenstück, und meine
Sohle ist auch schon ganz durchlöchert, durch das nervöse Schaben.
Arbeiten gehen kann ich nicht mehr. Es könnte ja sein, dass sie genau dann wieder zurückkommt, wenn ich gerade nicht da bin, und dann denkt sie sicher, dass ich nicht auf sie gewartet habe und sie gar nicht mehr will.
Sie muss ja auch noch mal wiederkommen, weil ja ihre Zahnbürste noch da ist.
Damit ich gut auf sie aufpasse, hat sie sich als Pfand meine EC-Karte
mitgenommen. Also muss sie ja wiederkommen. Um mir zu zeigen, dass es ihr gut geht, hebt sie einmal pro Woche irgendeinen Geldbetrag mit
der Karte ab. Die Geheimnummer hab ich ja, Gott sei Dank, mit einem Edding
in Spiegelschrift vorne unter das EC-Zeichen geschrieben.

Morgens stehe ich um 14 Uhr auf, schaue in den Briefkasten, finde einen
Brief, den ich ihr geschrieben habe, öffne und lese ihn. Eigentlich ist
das ja strafbar, wegen Briefgeheimnis und so, aber ich glaube, dass sie mich nicht anzeigen wird. Irgendwie machen mir die Briefe Mut. Sie schreibt mir zwar nicht, aber ich ihr. Dadurch fühle ich, dass es irgendwie weitergeht.
Morgen wird sie vielleicht schon wieder vor der Tür stehen, ein Rehauge
gegen den Türspion drücken und säuseln: „Hallo Schatzi, ich bin zurück! Wo ist die Fernbedienung, die ’Laura’ und ne Packung Salzbrezel?“. Dann gebe
ich ihr alles und packe oben drauf noch die 1355 Briefe, die ich ihr in der letzten Zeit geschrieben habe. Dazu mache ich Xavier Naidoo an, die CD läuft seit acht Monaten auf Pause, zünde rote Kerzen an und schließe mein kleines Bummelchen dann in die Arme.
Oh, das wird so schön. Ach, eigentlich kann ich aus den 1355 ja auch locker
noch 1356 Briefe machen. Es ist ja längst nicht alles in Zeilen gepresst, was ich empfinde. Wo hab ich jetzt mein Diddl-Briefpapier?



Liebste Ludmilla,

mein Augensternchen, Traum aller Träume, Messers Schneide, auf der ich lebe.
Du bist immer noch nicht da, wo du hingehörst! Überall anders bist du fehl
am Platze und je eher du das merkst, desto eher freu ich mich. Vor lauter
Sehnsucht hab ich schon die Arbeit verloren, aber das ist ganz egal, denn
ich arbeite ja auch hier bei uns genug. Weißt du noch, wie du gesagt hast,
ich solle dies und das reparieren? Alles fertig!
Die Waschmaschine hab ich abgedichtet (vorne dieses Bullauge ging auf), der
Computer ist virenfrei und die Gardinenstange hängt nun wie von dir
gewünscht zwei Zentimeter tiefer. Das Esszimmer ist jetzt dein Malzimmer, und das Wohnzimmer ist zum Schlafzimmer geworden. Ich hab dir jede Woche deine
’Laura’ gekauft und sogar meine Modelleisenbahn in den Keller geräumt. Und du wirst es nicht glauben, aber auf Gleis 8 steht ein neuer Zug. Modell 86759.
Davon hab ich dir doch erzählt, als du mit diesem Typen deine Sachen
abgeholt hast. Ich hab den Zug Ludmilla getauft. Richtig offiziell mit einer Flasche Sekt an einem Bindfaden. Dabei ist leider der Zug ein wenig
beschädigt worden und ein Miniatur-Plaste-Angler ist in seine Einzelteile
zersprungen.
Sag mal Ludi, dir geht es doch gut, oder? Du hast doch deine Sachen geholt
und mit Absicht die Zahnbürste dagelassen!? Jetzt denke ich, dass das ein Zeichen sein sollte. So was wie: „Ich werde gerade entführt und kann nichts
sagen und wenn ich mir die Zähne putze, kann ich ja auch nicht reden.
Zwinker, zwinker.“
Ludibaby, sei mir ja nicht tot! Nicht, dass er nur eine Chiffriererin für die Spiegelschrift auf meiner EC-Karte gebraucht hat.
Ich muss mich ganz schnell runterholen. Ich hab gerade vor Schreck so doll
schweißnasse Hände bekommen, dass ich am Stift abgerutscht und mit dem Kopf
auf den Tisch aufgeprasselt bin.
Doch du bist nicht tot. Das würde ich spüren. Du lebst noch! Das weiß ich
genau, denn du bist meine andere Dimension, die zu mir gehört wie der Nagel am Finger, der Finger zur Hand, die Hand zum Menschen, der Mensch zum
Universum und das Universum zu einem Glas Cola, und wenn der Schaum wegprickelt, ist Weltuntergang.
Würdest du also tot sein, würde mein Universum gar nicht mehr existieren.

Ich hab dich ein Leben lang gesucht, ein halbes Jahr hindurch gefunden und
dann wirst du mir weggenommen? Nee, nee so einfach geht das alles nicht. Du
bist der Sinn meines Lebens und deshalb musst du auch zurückkommen. Außerdem ist deine Zahnbürste ja noch hier.
Da ich kein T-Shirt von dir gefunden habe, das ich mit ins Bett nehmen
konnte und dich doch so vermisst habe, hab ich deine Bürste wie einen Nuckel in meinen Mund geschoben und bin dann selig eingeschlummert.
Vielleicht hast du dir das schon gedacht.
Kannst du bitte morgen schon zurückkommen? Dann könnte ich mich nämlich jetzt schon freuen. Ja? Oh schön!
Dann können wir ja alle Zimmer neu einweihen, uns gegenseitig Küsse
anhexen und ich würde auch ne Menge Porto sparen.
Wir wären wieder zusammen und ich würde nie wieder arbeiten gehen, um dir
keine Chance zu geben, dich noch einmal anderweitig umzuschauen. Da pass ich dann ganz doll auf. Schön, dass du morgen wieder da bist!
Ich hab auch eine Überraschung für dich. Du hast doch mal gesagt, dass ich
dir zu viel über unsere Probleme rede und eh zuviel quassel. He, kleine
Wunderbärin, ich hab dir fast alles, was ich dir sagen wollte, in 1355 Briefen aufgeschrieben. Das hier ist der 1356-te. Von 1 – 566 geht es darum, wie sehr ich dich vermisse. Brief Nummer 567 ist voller Wut gegen dich, aber das meinte ich ja nicht so. Und der Rest der Briefe beinhaltet die Freude
darüber, dass du ja schon bald wiederkommst.
Du hast also genug zu lesen, wenn du wieder da bist. Ich massiere dir dann
auch mit meinen Füßen deine Füße. Rumfüßeln.
Ha, ha, ha, ich denke gerade an deinen großen Zeh. Der sieht so lustig aus.
Ha, ha, ha, ha, ha. Ich kann nicht mehr. Ich muss … ha,ha,ha … Dein Zeh ... ha ... Ich muss aufhören. Ich fang nachher den 1357-ten Brief an.

Ha, ha
Dein Brummi

Die Briefe klebe ich immer mit Blut zu. Dazu schneide ich mit einem
Brieföffner ein wenig an meinem Schenkel rum und halte dann den
Briefumschlag hinein. Ein ganz persönlicher Brief. Na ja, zuerst bekomm ich den Brief ja, aber dann sie. Sie kommt ja morgen. Ihre Zahnbürste ist ja
noch da.
Ich überlege gerade, ob ich nicht Brief 567 verschwinden lassen sollte.
Der war nämlich wirklich ein wenig zu heftig. Da steht wortwörtlich drin:
„Weißt du was? Bleib doch, wo du auch immer bist!“. Nicht, dass sie das morgen liest, sich dann umentscheidet und doch wieder zu diesem Muskelheini
zurückflitscht.
Oder sie kommt gar nicht wieder zurück. Ach, ich weiß auch nicht. Aber ich
werde jetzt noch einmal versuchen …

Sie hat aufgelegt. Es ist schon komisch. Sie hat mich mit der Krankheit
„Leeres Bett“ angesteckt und sie ist mein einziges Heilmittel gegen diese
unglaubliche Leere. Vielleicht kann ich mir sie morgen schon als Salbe an jede Körperstelle reiben. Ansonsten übermorgen. Die Zahnbürste ist ja
noch hier.
 
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Seh da keine Satire

Specht (12.12.2005)

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