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7 Seiten

Arithmogriph

Romane/Serien · Spannendes
John Doyle roch das Leder der Autositze. Er legte seinen Kopf bequem zurück in die Kopfstütze und spürte wie die Last der Nacht von ihm abfiel. Besonders der Lederduft beruhigte ihn, es gab ihm einen Hauch von Luxus, es gab ihm das Gefühl, dass diese Quälerei sich doch irgendwie lohnte. Die Nacht-arbeit verlangte viel von ihm ab, nicht nur von seinem Geist, besonders von seinem Körper. Und daher kam dieser Duft, nach getaner Arbeit, genau richtig.
Als er nach einiger Zeit den Rückwärtsgang von seinem neuen Mercedes einlegte schaute er in den Rückspiegel. Müde schloß er fest seine Augen, um sie danach langsam wieder zu öffnen und erneut in den Rückspiegel zu sehen. Tatsächlich, beim ersten Blick hatte er sich nicht getäuscht. Hinter ihm war nicht das gewohnte Bild vom Parkplatz und geparkten Autos. Er sah im Rückspiegel etwas ande-res, etwas was schon einmal gewesen ist, gewesen vor ca. 6 Stunden.
Die Zeit spiegelte sich wie ein blaßes Bilderbuch, belebt von Farbwechsel, Schattierungen und unter-legt von der melancholischen Musik seines MP3 - Players, wider.

...immer wieder zeigte sich das aschfahle, aufgedunsene, nasse, tote Gesicht seines Mitarbeiters. Die Leiche des Mannes lag am Fundort, zwischen hochgelegenen Silos, auf dem regennassen Asphalt der Straße, verschwommen von austretenden Dampfschwaden. Der leblose Körper zeigte Spuren eines Absturzes.
Ein übler Geruch von totem Fleisch stieg in Johns Nase auf, und in seiner Mundhöhle breitete sich ein bitterer Geschmack aus. John mußte sich zweimal übergeben. Sein Herz raste. Er konnte seinen Puls vom täglichen Lauftraining her gut einschätzen, aber dieser Rhythmus war ihm bisher völlig unbe-kannt. Hier lag kein Routinefall vor, keine Stofffreisetzung von umweltgefährdenden oder giftigen Stoffen, kein Arbeitsunfall mit gequetschtem Finger oder aufgeschlitztem Bein, nein, es war ein Körper mit verdrehten Gliedmaßen, aufgeschlagenem Kopf, austretendem Blut, vermischt mit Regentropfen und gelber, dickflüssiger Masse.
Aber das nervenaufreizendste war die Hilflosigkeit. Neben dem Toten zu knien und zu warten, nichts tun können, nur auf das Eintreffen von Profis warten. Ihm kam es vor, wie eine halbe Ewigkeit bis der Krankenwagen und die Polizei eintrafen.
Das Blaulicht, gemischt mit dem Regen und Dampfschwaden, versetzte den ganzen Ort in eine kalt-nasse unwirkliche Atmosphäre, passend zu Johns Bewußtsein.
Die Polizei sicherte die Unfallstelle ab und befragte alle anwesenden Mitarbeiter. Dazu wurde John`s Büro genutzt. Der leitende Hauptkommissar war ein großer übergewichtiger Mitvierziger. „Ist das ein Nichtraucherbüro?“, fragte er, obwohl er schon kräftig an einer glimmenden Zigarette zog. John war es gleich und gab keine Antwort. Der Hauptkommissar stellte sich als Flash Googler vor. Schnell kam er auf seine Feststellung, dass hier kein Arbeitsunfall sondern ein Mord vorlag. „Sehen Sie Mr. Doyle,“ sagte er ganz langsam, „am Nacken und an der linken Schulter des Toten sind Schlagspuren von einem stumpfen Gegenstand, vermutlich aus Holz, zu sehen. Genaueres wird uns die Gerichtsmedizin in den nächsten Stunden bekanntgeben können.“
„Was sagen Sie, ein Mord?" fragte John stotternd, „Mord, Mord, wer soll das getan haben?"
Hauptkommissar Googler schaute John direkt in die Augen und sagte: „Das wollte ich Sie eigentlich fragen.“, machte eine lange Pause und fragte fast beiläufig, „Was war Mike für ein Mensch, wer waren seine Freunde oder besser gefragt, war er ein Kollegenschwein?"
Anstatt sofort zu reden, dachte John nur, wieviel schlechtes oder böses oder auch beides zusammen, muß dieser Mann schon gesehen haben, um solche Sätze in dieser Situation zu bilden. John sam-melte sich und antwortete: „Mike war nicht besonders beliebt. Seinen Kollegen gegenüber gab er sich klüger.“
„Er wußte alles besser, ein Besserwisser!“ stellte der Hauptkommissar fest.
„Nein, anders.“ wiedersprach John, „ Fast jedes Gespräch endete mit Sprüchen wie `..., nicht in die Opferrolle gehen oder ...nicht fordern sondern einbringen`. Er hatte ein Dutzend solcher Weißheiten auf Lager. Viele seiner Kollegen fanden ihn, wie soll ich sagen,.... arrogant."
„Und Sie mochten die Sprüche?" fragte Googler nachdem er seine zweite Zigarette ausdrückte,
„Er schleimte sich bei Ihnen ein..." „Nein, ich halte nichts von Schleimern. Seine Sprüche waren mir egal, solange er es nicht übertrieb." verteidigte er sich.
„Trotzdem hatte er bei Ihnen ein Stein im Brett" provozierte Googler.
„Hm, wie soll ich sagen, er vereinfachte meine Arbeit. Was ebenso auffiel, war dass er gerne Aufga-ben übernahm, die kein anderer wollte."
„Was z. B., ihr Büro putzen?" bohrte Googler.
„Was sind Sie nur für ein Mensch, so über einen Mann zu reden, der gerade erst einige Stunden tot ist? Wiederlich." stellte John fest.
„Ok, ok, bleiben wir sachlich," reichte der Kommissar ein Friedensangebot an John weiter, „und sagen Sie mir lieber wie die letzten Stunden vor dem Mord verliefen!".
John faltete seine Hände zusammen, stützte sein Kinn darauf und fing an zu erzählen. „Wir lösten wie immer um 21:15 Uhr zur Nachtschicht ab. Auch Mike war dabei. So gegen 22:00 Uhr kam Mike in unseren Leitstand, die Zentrale von wo aus fast alles gesteuert wird."
„Ich verstehe und Sie waren auch dort?"
„Ja, Mike wollte Geld für die Schichtkasse einsammeln." Googler weitete seine Augen ein wenig, aber genug für John um seine Reaktion zu sehen.
„Wie viel Geld ist in der Schichtkasse?"
„Ich weiß nicht genau, an die 2.000 Pfund, vielleicht sogar mehr." schätzte John. "Ein ganzer Batzen. Hatte er alles dabei?" fragte der Hauptkommissar. „Hören Sie, Sie glauben doch nicht, dass Mike we-gen dem Geld umgebracht wurde?", bei den letzten beiden Worte zögerte John merklich.
Mr. Googler zündete eine weitere Zigarette an und nahm einen tiefen Zug bevor er leise vermerkte „Menschen wurden schon für weniger, wesentlich weniger getötet. Wußten alle, dass er das Geld bei sich hatte?"
„Ja, gestern hat er angekündigt, dass er kassieren wollte. Wie gesagt um 22:00 Uhr war er da." „Wo-her wissen Sie noch so genau die Uhrzeit?"
„Mein Bruder rief an und erzählte mir von seinem neuen Handy und dass er ab 22:00 Uhr einen preis-werteren Tarif hat. Ich notierte mir seine neue Handynummer und das Gespräch ging noch einige Minuten weiter, bevor ich auflegte und seine Handynummer abspeicherte. Ich bezahlte als letztes in die Schichtkasse".
„Alle haben bezahlt?" wollte Hauptkommissar Googler wissen.
„Meines Wissens ja, das können Sie im Kassenheft feststellen. Mike muß es in seiner Tasche dabei gehabt haben".
„So, so, glauben Sie." Mr. Googlers Stimme war nachdenklich. „Mr. Doyle, wir haben bei Mike kein Heft gefunden."
John gleitete in seine Sitzlehne zurück und sagte nebenbei „Und die Geldtasche? Ist das Geld auch verschwunden?"
„Zumindest haben wir keine Geldtasche und auch kein Geld entdeckt."
Die Befragung dauerte noch eine halbe Stunde und dann konnte er endlich duschen gehen.

Als er das Werksgelände verlassen wollte um nach Hause zu fahren, sah er von weitem seinen Mitar-beiter Christoph in Begleitung von zwei Beamten in ein Polizeiauto steigen. Der Pförtner sagte zu John: „Alle die durch das Drehkreuz wollten, wurden von den Polizisten durchsucht. Bei ihm fand man eine Geldtasche im Rucksack. Sie sah aus wie Mikes. Sie war leer und er konnte nicht erklären wie sie in seinen Rucksack gelangt ist. Einer der Polizisten telefonierte kurz, sagte nach dem Telefonat etwas undeutliches zu seinem Kollegen und Christoph wurde abgeführt."
Jason, einer von Johns Mitarbeiter, stand neben dem Drehkreuz und sagte mit einer etwas triumpf-phalen Stimme: „Anscheinend haben die Bullen schon ihren Täter gefunden. Dieser Christoph, der war eh ein komischer Kauz, scheu und viel zu still, aber stille Gewässer sind bekanntlich tief." „Jetzt fang Du nicht auch noch mit Sprüchen an, ich habe die Nase gestrichen voll davon!" antwortete John ziemlich genervt.
Er mochte Jason nicht. Nicht genug das er nach Schweiß und Zigarettenqualm roch, er redete schlecht über alle Kollegen. Sicher auch über seinen Vorgesetzten, dachte John in dem Moment als Jason meinte: „Geh schon mal vor, ich muß noch telefonieren."
Früher wurde Jason von seiner Frau abgeholt, aber Sie hatte sich vor einigen Monaten von ihm ge-trennt. Deshalb fuhr er manchmal mit den Kollegen mit. Heute war John der Kutscher.

John blinzelte immer noch gedanken verloren in seinen Rückspiegel, als er plötzlich zusammenzuck-te. Jason klopfte mit seinem typischen Grinsen gegen die Autoscheibe. John empfand es eher als hämische Grimasse.
Als Jason im Auto Platz nahm, verdrang sein unausstehlicher Geruch den angenehmen Duft vom weichen Leder. Er überdeckte den Luxus, den John jetzt so dringend brauchte. Während der Fahrt redete der Beifahrer ununterbrochen von seinen Problemen und dass die anderen alles Schuld sind. Über die Vorkommnisse der letzten Nacht mit Mike verlohr er kein Wort. John hörte einfach nicht zu. Ständig mußte er an die Blutlache unter Mikes Kopf denken, die durch das Blaulicht schwarz wirkte. Noch nie hatte er etwas Vergleichbares gesehen, geschweige einen derartigen Geschmack verspürt, er fühlte sich ausgelaugt und müde.
Am Taxistand sah er von weitem zwei Personen stehen . Er verlangsamte seine Fahrt und hielt direkt vor den beiden an. Sein Bruder Finn erkannte sofort den Wagen und sagte „Hallo John, kannst Du mich mit..., wie siehst Du denn aus, was ist passiert?“ stotterte Finn. John sagte kein Wort und schaute Finn nur an. „Du willst wohl nicht reden?“ stellte Finn fest, öffnete die Tür und stieg ein.
Als John losfuhr leuchtete ein gelbes Signal am Armaturenbrett auf und John sagte selbstmitleidend: „Mir bleibt heute auch nichts erspart, ich muß noch tanken fahren." und unterließ es, Finn vom schrecklichen Vorfall zu erzählen. Er wollte nicht darüber reden, solange die lebende Geruchsquelle noch in seiner Nähe war. Als er auf die Einfahrt zur Tankstelle abbog, überlegte er, auf welcher Seite der Tankdeckel ist, links oder rechts? Die Fahrerseite gewann dieses kurze Duell und John steuerte seinen Wagen behutsam an die Tanksäule. Stoppte den Mercedes, schaltete den Motor aus und öff-nete seine Tür. „Nee, das auch noch, die Tür geht nicht weit genug auf."
„Du brauchst noch Fahrpraxis mit diesem Schlitten," sagte Finn als er die Hintertür öffnete, „denk mal drüber nach, ich gehe tanken, aber bezahlen mußt Du."
John hatte keine andere Wahl, er war eingesperrt. „Sei vorsichtig, mit 50 Pfund ist der Tank nicht voll.“ und gab ihm das Geld.
„Bring mir Zigaretten, eine Zeitung und `n Sixpack mit", sagte die nasale Stimme von Jason und reichte Finn eine 20 Pfund-Note. „Ist der auch echt." witzelte Finn und hielt den Schein zum Prüfen gegen das Neonlicht. Da das Licht flackerte, stand er einige Sekunden in dieser prüfenden Stellung und rief überrascht „He, das gibt`s doch nicht, da steht ja meine Handynummer drauf." John drehte den Kopf zu Finn und wollte nachfragen was er gesagt hatte.
Er schluckte seine Frage runter und befahl Finn: „Mach schon weiter, ich will ins Bett.".
John wußte sofort was Finns Worte bedeuteten. Sein Puls fing an zu rasen und die flackernde Neon-röhre setzte alle Bewegungen in Zeitlupe um. Im Wageninneren war es totenstill. Jason hatte auf ein-mal aufgehört zu reden. Seine Haut spiegelte das Licht wider, stärker als zuvor. Er schwitzte. John bedauerte, dass er sich selbst in eine Falle manövriert hatte. Die Türe öffnete nicht weit genug zum Aussteigen und einfach losfahren konnte er auch nicht, es sei denn er wollte die Zapfsäule mit hinter-herziehen. Jason hatte ihn unter Kontrolle. Undeutlich sah John, dass sein Beifahrer in seine Jacken-tasche griff. Johns Finger umfasten das Holzlenkrad so fest, bis die Fingerkuppen weiß waren.
Zum Frust kam auch noch Angst hinzu, denn Jason zog ein Messer heraus und machte damit seine Fingernägel sauber. Damit gab er seiner Überlegenheit noch mehr Ausdruck. Endlich war Finn mit dem Betanken fertig und hing den Zapfhahn wieder ein. Beim Vorbeigehen sah Finn nicht ins Auto und Jasons Blick haftete fest auf seinem Gefangenen. Johns Gedanken rasten hin und her. „Denke nach was Du tun kannst. Sitzt Finn wieder im Auto sind wir beide verloren." ging es ihm ständig durch den Kopf.
Jason unterbrach die Stille: „Fahr vor die Kasse, damit der hinter uns auch tanken kann. Komm beeile Dich, er steigt aus!"
Als der Wagen losfuhr ertönte ein akustisches Signal und es leuchtete ein neues Symbol auf. ‚Der Fahrer ist nicht angeschnallt.` „Was kann ich machen, wie komme ich hier raus?“ John‘s Gedanken überschlugen sich. Er fragte sich: „Ist der Hurensohn angeschnallt? Ich bin es nicht, das ist mein Vor-teil, ich muß es versuchen, sonst ...“ den Gedanken brachte er nicht zu Ende. Noch bevor der Wagen stand, öffnete John die Autotür, sprang mit einem Satz stolpernd aus dem Wagen, fiel auf den As-phalt, schlug die Türe liegend mit einem Fußtritt zu und verriegelte mit der Fernbedienung die Tür-schlösser. Der Mörder saß im Käfig.

Finn schaute zum Eingang des Shops und glaubte seinen Augen nicht. Schwankend betrat John den Shop und rief: „Finn, gib mir mal dein neues Handy.“ „Was ist los?“ stammelte Finn verwundert. „Du stürmst hier rein, kannst dich kaum auf deinen Beinen halten und willst mein neues Handy bewun-dern?“ „Nein, ich will telefonieren, die Polizei rufen.“ Finn stand wie ein Ochse vorm Berg und flüsterte zu sich selbst, „Die Polizei?“ „Ich erzähl‘ dir alles später, lass mich erst mal telefonieren.“ antwortete John erschöpft.

Zehn Minuten später stand er mit Finn neben Hauptkommissar Googler und erklärte beiden: „Wie gesagt, die Handynummer von meinem Bruder notierte ich mir während des Telefonats auf der 20 Pfund-Note, welche ich bereithielt um in die Schichtkasse zu zahlen. Ich gab Mike als letztes das Geld. Da Sie das Geld nicht bei Mike gefunden haben und die Geldtasche, die bei Christoph gefunden wurde, leer war, konnte nur der Mörder diesen Schein bei sich haben." Hauptkommissar Googler zog an seiner Zigarette und bemerkte beiläufig „Gut gemacht“.

John hörte die Worte nicht mehr, denn er saß bereits in seinem neuem Mercedes.
Er legte seinen Kopf bequem zurück in die Kopfstütze, und suchte den verlorengegangenen Leder-duft.
 
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Kommentare  

Ob "John Doyle" den Lederduft wiederfindet oder nicht, hängt von eurem Feedback ab. Ich freue mich besonders über positive aber auch negative Kritik nehme ich gerne an.
A.J.


A. J. Tynan (11.04.2006)

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