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Der Mann mit der Krücke

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Es war ein kalter regnerischer November Nachmittag. Er machte sich für seinen täglichen Spaziergang bereit. Schloss alle Fenster zu, schaute nach, ob alle Lichter ausgeschaltet waren, nahm die Krücke in die Hand und den Regenschirm, schloss die Haustür zu und machte sich auf den Weg. Die Luft roch sehr frisch und kalt. Er hörte wie die Regentropfen leise auf seinen Regenschirm prasselten und hinunterflossen. Auch wenn er nicht mehr zu den Jüngsten gehörte, hören konnte er ganz gut und über sein Sehvermögen konnte er sich auch nicht beklagen. Er lief die kleinen Gassen zwischen die Häuser entlang und kam auf das Waldstück zu. Da ging er gerne spazieren, er mochte immer den Gesang der Vögel zu zuhören. Mittlerweile war er ihm schon so vertraut, dass er jede einzelne Vogelart anhand deren Gesang unterscheiden konnte.
Er brauchte immer eine kleine Verschnaufpause, den ganzen Weg zurück bis nach Hause würden seine Beine nicht aushalten. Er setzte sich auf eine Holzbank, die sich direkt unter einer großen Eiche befand. Er beobachtete, wie rechts und links Fahrradfahrer vorbei radelten, ältere und jüngere Ehepaare, die genauso wie er frische Luft schnupperten. Er blickte hoch in den Himmel und sah, wie sich die graue Decke des Himmels leicht aufzulösen begann.
Mit seinen Gedanken war er schon voraus, er überlegte schon, was er zum Abendessen machen könnte und was er sich im Fernseher anschauen würde.
„Sind Sie jeden Tag hier?“, hörte er plötzlich eine tiefe Stimme neben ihm. Er blickte zu seiner rechten Seite und sah einen Mann neben ihm sitzen, eingehüllt in einem Mantel, einer Wollmütze und dünne Handschuhe. Der Mann sah sehr nachdenklich aus, hatte kein Lächeln im Gesicht, durfte nicht älter als vierzig sein.
„ Ja. Ich gehe jeden Tag spazieren und auf dieser Bank hier, ruhe ich mich kurz aus. Was soll schon ein alter Mann wie ich in meinem Alter sonst unternehmen!“
„ Da haben Sie auch Recht. Begleitet Ihre Frau Sie nicht, wenn Sie rausgehen?“
„Sie ist vor 45 Jahren gestorben.“
„Das tut mir wirklich leid, dass ich Sie gefragt habe.“
„Nicht schlimm. Wenn Sie es gewusst hätten, hätten Sie ja auch nicht gefragt. Und Sie haben danach auch nie wieder geheiratet?“
„Nein, dafür liebte ich meine Frau zu sehr!“
„Fühlen Sie sich nicht einsam? Kann man denn alleine ein glückliches Leben führen?“
„Sind Sie denn verheiratet, wenn ich Sie fragen darf?“
Ja. Schon seit 10 Jahren. Wir haben ein Sohn, der ist 6 Jahre alt und geht in die erste Klasse.“
„Das heißt, Sie leben dann glücklich mit ihrer Familie?“
„ Nein, so würde ich das nicht sagen.“
„ Sehen Sie. Das hat gar nichts damit zu tun, ob man alleine lebt oder nicht. Es ist vollkommen den Schicksal überlassen. Es mag sein, dass Sie sich heute nicht wohl fühlen, aber schon morgen könnten Sie zu den glücklichsten Menschen auf dieser Erde gehören! Warum fühlen Sie sich denn nicht wohl, wenn ich Sie fragen darf?“
Der Himmel hatte sich inzwischen aufgelockert. Die grauen Wolken verschwanden allmählich und es hatte aufgehört zu regnen.
„ Ach, wissen Sie. Es ist alles wegen meinen Sohn. Das ist auch der Grund, warum ich hier so nachdenklich auf der Bank sitze. Mögen Sie Kinder?“
„ Ich?. Oh, nein. Ich mag keine Kinder, ganz und gar nicht. Ich mag mich nicht mal in ihrer Nähe aufzuhalten! Und ich möchte auch nichts mit denen zu tun haben!“
„Hat das einen bestimmten Hintergrund?“
„ Meine Frau starb bei der Geburt unseres ersten Kindes.“
„ Oh. Das muss ja für Sie schreckliche Sekunden gewesen sein! Und was ist mit dem Kind passiert?“
„ Sie haben es beide nicht überlebt! Vielleicht wäre meine Frau heute noch am Leben geblieben, wenn wir kein Kind gewollt hätten.“
„Darum ist auch Ihre Einstellung gegenüber Kindern so aggressiv! Das kann ich gut verstehen.“
„ Nun, erzählen Sie mal. Was macht Sie denn so traurig? Ist Ihrem Sohn etwas zugestoßen?“
„ Nein, das nicht. Wissen Sie, er ist körperlich behindert. Sein rechtes Bein ist etwas kürzer als das Linke. Wenn er läuft, sieht es so aus, als würde er über die Straßen humpeln. Er kann nicht wie all die anderen Kinder rennen und spielen. Selbst im Bus sitzt er allein, wenn er zur Schule fährt. Und Freunde hat er auch keine. Jeden Tag, wenn er nach Hause kommt, macht er ein trauriges Gesicht. Er erzählt immer, dass ihn keiner mögen würde und dass er am liebsten zu Hause bleiben möchte. Ich kann es gar nicht mitansehen, wie er sich jeden Tag in seinem Zimmer versteckt. Ich weiß wirklich nicht, was ich machen soll! Verstehen Sie, deshalb sitze ich hier so nachdenklich!“
„ Na ja, aber das hilft Ihnen ja auch nicht weiter, wenn Sie hier den Nachmittag so einsam verbringen?“
„ Würden Sie mir weiterhelfen?“
„ Nein, das glaube ich eher nicht.“
„ Na, also.“
„ Ach, wissen Sie was. In 30 Minuten fangen die Spätnachrichten an. Die habe ich nie verpasst. Ich muss Sie jetzt leider hier alleine sitzen lassen. Es war nett, sich mit Ihnen zu unterhalten und hoffe doch sehr, dass es Ihnen und Ihrer Familie bald sehr gut geht.“
„ Danke. Ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Tag.“
Er nahm seine Krücke wieder in die Hand und machte sich auf den Rückweg. Der Mann sah ihm zu, wie er langsam aus dem Waldstück verschwand. Nur kurze Zeit später machte auch er sich auf den Weg nach Hause.
Als er am nächsten Tag von der Arbeit nach Hause kam, konnte er es nicht mit seinen eigenen Augen glauben. Sein Sohn ging auf ihm zu, hängte sich um seine Hals und freute sich riesig.
„ Du Vati, du wirst mir nicht glauben, heute hat sich jemand im Bus neben mir hingesetzt und hat mit mir die ganze Zeit unterhalten. Er hat mir gesagt, dass er morgen wieder neben mir sitzen wird. Er hat mir tolle Geschichten erzählt.“
„ Das ist ja toll, ich freue mich so sehr für dich.“
„ Ja Vati, er ist auch ganz lustig.“
„ Und, wie heißt er denn? Geht er auch bei dir auf die Schule?“
„ Er hat mir nicht gesagt, wie er heißt, aber er ist viel älter als ich, er ist auch älter als du, Vati!“
„ Hatte er eine Krücke bei sich?“
„ Ja. Wieso fragst du das?“
„ Nichts. Nur so.“
 
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Kommentare  

Ciao...
Ich finde deine Story voll gut... es hat meine Interesse geweckt zu lese. Was ich sonst nicht gern tue. Mach weiter so... Freue mich auf deine nächste Story!!! Gruss Neha


Neha (01.09.2006)

Hi, ne tolle Story...eine Geschichte, mit der man viel anfangen kann...hast viele Aspekte verwendet...sehr schön... ;-)

Swetha (26.08.2006)

Hallo, hatte die Geschichte heute angefangen zu lesen und musste dann leider sehr schnell den PC ausschalten. Hatte mir leider den Namen nicht gemerkt und habe nun so lange bei webstories rumgesucht, bis ich den Text wiedergefunden habe. Wollte unbedingt wissen, wie es ausgeht. Eine rührende und tolle Geschichte. Gefällt mir gut. LG Sabine

Sabine Müller (20.08.2006)

Hoi mister miau miau,
ich bins ... ist echt ne schöne Geschichte. Mach weiter so.... hoffe du weißt wer ich bin... :-) bis bald im msn


 (19.08.2006)

sie haben ein guter geschichte.
machen sie so weiter


tharsi (17.08.2006)

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