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Nicht nur Flammen töten Menschen

Kurzgeschichten · Erinnerungen
© Kwiatek
Ich möchte euch von einem Schicksal erzählen, von dem ich durch meine Großmutter erfahren habe. Meine Familie kommt aus Schlesien. Meine Großmutter lebt heute noch immer in dem kleinen Dorf Wawelno. Ich möchte hiermit betonen, dass diese Geschichte genauso passiert ist. Lediglich die Namen habe ich geändert.

Früher war sie einmal froh und glücklich, heute ist sie nicht mehr.
Früher hat sie sich auf die Zukunft gefreut, die sie nie erleben durfte.

Wenn ich heute so an sie denke, und das tue ich sehr oft, fühle ich noch immer diese Verwunderung.

Du bist noch jung, aber alt genug um zu verstehen, also werde ich dir erzählen was passiert ist.

Es war ein warmer Novembertag. Es war ein Sonnabend und die Kinder spielten auf der Straße. Heute ist die Straße asphaltiert, das war vor fünfzig Jahren anders, weißt du?

Natalia, sie war erst 15, sollte Feuer in der Waschküche machen. Sie holte Holzscheitel und Kleinholz und fing an. Erst etwas Papier, dann die dünnen Brettchen. Sie nahm die Streichhölzer und zündete. Ein Funken und das Papier brannte.
Ein Funken.
Ein Funken ist auf ihren Pullunder übergesprungen. Ihr rechter Ärmel hat angefangen zu brennen.
Sie rannte auf die Straße und schrie. Sie rannte und rieb ihren Arm an ihrem Bauch.
Ihr Bauch fing auch Flammen.
Immer mehr und immer stärker.

Frau Kaminski von gegenüber, du kennst sie. Sie war früher Lehrerin, weißt du?
Sie hat damals eine Decke genommen und Natalia auf den Boden geworfen.

Sie hat nämlich studiert und wusste dass man Feuer so löschen kann.

Die Nachbarn sind durch das schreien aufmerksam geworden. So auch Natalias Mutter, Tante Gertrud. Du kennst sie nicht mehr.
Schnell fuhren sie ins Krankenhaus. Natalia war nicht ansprechbar. Sie wimmerte die ganze Zeit und schrie von Zeit zu Zeit auf.

Endlich! Das Krankenhaus!
Schnell zum Arzt. Ich weiß nicht mehr wie der Doktor hieß, es ist schon lange her, weißt du?
Sie schnitten den Pullunder auf und versuchten den angebrannten Stoff zu entfernen.
Am nächsten Tag, kam Natalia wieder zu sich. Sie war erst 15!
Ich habe ihr mit meiner Mutter Suppe gebracht. Sie lächelte, als sie mich sah. Sie schlürfte ein bisschen. Sie bedankte sich.
Der Doktor kam. Der Doktor kam in das dunkle, graue Zimmer. Er hatte eine Brille und tiefe Falten auf der Stirn.
Er hatte einen Löffel dabei und eine kleines, dunkel Gefäß.
Er begrüßte uns kurz und sah sich Natalia an.
Sie öffnete die Augen und sah ihn an.
Erwartungsvoll.
Er nahm den Löffel und schüttete etwas von dem Medikament darauf.
Beugte sich zu ihr und sie trank. Sie öffnete die Augen, das letzte Mal.
Sie sah uns an und lächelte.

Damals wusste ich nicht was passiert war. Ich verstand nicht, warum sie die Augen nicht mehr öffnete. Heute weiß ich es.

Nicht nur Flammen können Menschen töten, auch Menschen können Menschen töten.

Der Doktor stand da. Sah sie an. Sah uns an. Er sagte, dass die Haut ihres rechten Armes und die ihres Bauches verbrannt waren. Sie wäre ein Krüppel gewesen und niemand hätte sie gewollt.

So war das damals, weißt du?“
 
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Kommentare  

bewegende geschichte , der dialog stil , mit der vereinfachten redensart für die enkelin verständlich ...toll

Sternensucher (17.02.2008)

Hallo Kwiatek,
diese Geschichte ist so erzählt, als würde man einem tatsächlichen Gespräch lauschen.
Das mit dem Pullunder kannst Du leicht ändern. Üblicherweise trug man Pullunder über irgendetwas drüber, eine Bluse oder Rollkragenpullover. Vielleicht kannst Du den Satz ein wenig ändern, dann wird es eindeutiger.
Gruß Christa


CC Huber (13.02.2008)

@ Kwiatek

Hallo Kwiatek, ich bin überzeugt davon, dass deine Oma die Wahrheit gesagt hat. Aber in einer fiktiven Geschichte muss das auch glaubwürdig rüberkommen, da muss man schon mal das eine oder andere Wort "hinbiegen", um die Botschaft rüberzubringen. Jedenfalls wünsch ich dir weiterhin gutes Schaffen!

DL


anonym (11.02.2008)

Danke für die Kritik.
Als junge Autorin werde ich versuchen aus meinen Fehlern zu lernen.

Übrigens ist das wirklich die Wahrheit. Meine Oma hat mir die Geschichte vor zwei Jahren ungewähr so erzählt. Ich habe ihre Erzählweise aufgegriffen, deswegen auch der Pullunder.

Sie war auch wirklich nicht entetzt. Sie sagte einfach: "Früher war das so. Man hatte einfach fünf andere Kinder, die man noch versorgen musste."

Deswegen habe ich dieses Thema aufgegriffen. Ich war entsetzt übre ihre Ansicht.


Kwiatek (11.02.2008)

Achja, das hatte ich noch zu erwähnen verabsäumt:
Dummerweise kann ein Ärmel bei einem Pullunder kein Feuer fangen, weil eben der Pullunder sich gerade dadurch vom Pullover unterscheidet: Ein Pullunder ist ärmellos!
DL


anonym (11.02.2008)

Ich finde den Anfang leidlich gelungen, zu belehrend klingt dieses unrechtmäßig vertraute „euch“, zudem ist der Hinweis auf die absolute Authentizität der Geschichte entbehrlich, schließlich ist die Geschichte nicht zwingend wahr, nur weil eine Großmutter sie erzählt.
Man braucht einige Zeit um dahinter zu kommen, dass sich der Satz „Früher war sie einmal froh und glücklich, heute ist sie nicht mehr“ auf Natalia bezieht und nicht auf die Großmutter.
Dass diese in Gedächtnis an das Unglück von „Verwunderung“ spricht ist mehr als verwunderlich – „Entsetzen, Grauen, Traurigkeit“ eigneten sich m. E. besser.
Leider erfahren wir nichts über die genaue Zeit, in der die Geschichte gespielt haben soll, ja, wahrscheinlich vor 50 Jahren, aber von welchem Jahr ausgehend (denn dann könnte man eventuell Nazi-Euthanasie dahinter vermuten)? Jedenfalls kann ich mir nicht vorstellen, dass ein Arzt in Polen einfach so, ohne Einverständnis der Verwandten, ein Menschenleben auslöschen durfte. In diesem Fall schon gar nicht, die Verbrennungen hätten nicht unbedingt die Arbeitsfunktionalität des Mädchens eingeschränkt und ich denke nicht, dass man damals Hauptaugenmerk auf die Attraktivität von Mägden gelegt hat.
Zu Vieles bleibt in diesem Geschichtchen unklar, zu wenig ist ausgearbeitet – schade!

DL


anonym (11.02.2008)

Tragische Geschichte, mit einem extrem harten, erschreckenden Ende. Solche Handlungen sind für mich als Heilerziehungspfleger (aber [hoffentlich!] auch für jeden anderen) natürlich absolut abstoßend, menschenunwürdig und aus heutiger Sicht nicht nachvollziehbar. Durch meinen Beruf bin ich mit der damaligen Denkensweis bezüglich behinderter Menschen (Stichwort "Krüppel") durchaus vertraut und der Text schildert ein sehr aufwühlendes Beispiel.
Rein vom literarischen her finde ich den Text bezüglich Form, Wortwahl und Intensität gut gelungen.
Gruß
Christian Hoja


Chrstian Hoja (10.02.2008)

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