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4 Seiten

Ein Leben

Fantastisches · Kurzgeschichten
[b]1. Tod[/b]

Ein Junge geht eine dunkle Straße entlang. Einzelne Lichter brennen noch in den Straßenlampen und werfen ein trübes Licht auf die Pflastersteine.
Der Teenager geht langsam, er hat es nicht eilig. Warum sollte er auch?
Schritte.
Er bleibt kurz stehen, dreht sich um. Niemand ist hinter ihm. Der Junge zuckt mit den Schultern und geht weiter.
Schritte.
Er bleibt erneut stehen, lächelt. "Komm raus. Wer immer du auch bist."
Ein schwarzer Schatten huscht aus der Dunkelheit hervor. Langer, wehender Umhang, eine Kapuze, welche das Gesicht bedeckt. Die Gestalt stellt sich direkt vor den Jungen.
Dieser lächelt müde. "Wer bist du?"
Die Stimme des Fremden ist hoch und tief, freundlich und bedrohlich zugleich. "Ich wurde gesandt, um dich zu holen."
"Mich zu holen? Wofür?"
"Deine Lebensspanne ist abgelaufen, mein Sohn."
"Meine Lebensspanne ist abgelaufen? Aha..." Der Junge kratzt sich kurz am Kopf, dann grinst er breit. "Das verstehe ich nicht."
Die Gestalt seufzt leise. "Gott ruft dich zu sich nach Hause in den Himmel."
"Ähm... ja... warum?"
"Er tut es."
"Warum?"
"Da es seine Pflicht ist."
"Warum?"
"Sag mal, kannst du dein Schicksal nicht einfach akzeptieren?" Die Stimme klingt leicht verärgert.
Der Junge grinst weiterhin. "Nö. Warum sollte ich?"
"Weil es Gott so beschlossen hat!"
"Och, Gott. Wenn der was beschließt, muss ich nach seiner Pfeife tanzen?"
Die Knochenhände der Gestalt fahren zum Kopf und über die Augen, dann wird die Kapuze zurückgeworfen. Ein Totenschädel, bleich und weiß, schaut den Jungen an. "Sieht so aus."
"Wirklich? Hm." Der Junge überlegt. "Aber noch lebe ich. Wie werde ich also sterben?"
"Wenn ich es dir sage, wirst du versuchen, es zu verhindern!"
"Warum sollte ich? Wenn es Gottes Willen ist..."
Der Totenkopf legt sich schräg. "Du würdest in deinen Tod gehen?"
"Gibt´s dich denn jetzt schon mehrfach? Und man kann in euch reingehen?"
Die Gestalt kratzt sich am blanken Knochen. "Sag mal, bist du so dumm oder tust du nur so?"
"Zweiteres. Also, wie werde ich sterben?"
"Und du wirst auch nicht versuchen, deinem Tod zu entrinnen?"
"Es gibt euch also tatsächlich mehrfach! Für jeden Menschen einen?"
"Sei ruhig!" Der Totenkopf schaut verärgert in die Augen des Jungen, während er ein kleines Büchlein aus dem Umhang hervorzog. Eine Nickelbrille erscheint mit einem leisen Knall auf seiner plötzlich gewachsenen, langen Hakennase. "Also, pass auf, das sieht folgendermaßen aus: dein Tod soll laut Gott besonders schmerzvoll sein. Du machst dir gerade etwas zu essen, dann wirst du dir erst die Finger verbrennen und versuchen, das entflammte Fett mit Wasser zu löschen. Die gesamte -"
"Hey, Moment mal! Ich würde niemals versuchen, Fett mit Wasser zu löschen, man lernt ja schon in der 7. Klasse in der ersten Chemie-Stunde, dass brennendes Fett und Wasser eine kleine Explosion ergeben."
"Das lernt ihr?"
"Sieht so aus. Anscheinend hat es sich sogar gelohnt."
"Ähm... gut." Ein Stift erscheint in der anderen, knöchernen Hand, dann streicht die Gestalt einen Satz durch und kritzelt etwas darüber. "Unter diesen Umständen versuchst du eben, das Zeugs irgendwie zu löschen, aber es gelingt dir nicht. Alle Türen sind wie magisch versperrt, und du wirst elendig im Haus verbrennen."
"Geht mein PC auch drauf?"
Verwundert blickt der Tod von seinem Notizbüchlein auf. "Dein Computer? Nun, ich denke, ja. Wieso?"
"Och, dann rette ich heute noch meine Bilder auf meinen MP3-Player und gebe sie meinem Freund, die machen sich bestimmt schön auf dem Grab."
"Wie du meinst..."
"Darf ich mir ein Wetter für meine Beerdigung bestellen?"
"Sag mal, dir geht´s schon noch ganz gut, ja?" Verärgert klackert der Tod mit den Zähnen. "Ich bin zwar für das Sterben verantwortlich und versuche, dass der gesamte Prozess möglichst gut und rasch über die Bühne läuft, aber ich erfülle doch keine Sonderwünsche! Außerdem könnte jeden Moment der nächste Kunde kommen, ich habe keine Zeit, lange mit dir zu reden!"
"Och komm schon! Ich sterbe immerhin nur einmal."
"Na gut." Das Büchlein geht wieder auf. "Was soll´s denn sein?"
"Weiß nicht so recht... am besten irgendein Schweinewetter."
"Das ist schlecht. Deine Beerdigung wird Anfang nächste Woche stattfinden, und da soll die Sonne scheinen. Laut Meteorologen."
"Mein Gott, die liegen doch sowieso dauernd falsch."
"Da hast du natürlich Recht... ich werde sehen, was sich machen lässt."
"Danke. War´s das dann?"
"Ja, wir sind..." Ein Dudeln unterbricht das Gespräch. Die Gestalt flucht leise. "Wer ruft mich denn mitten in der Arbeit an?!"
"Vielleicht deine Frau?"
"Scherzbold..."
"Sag mal, in der Hölle gibt´s doch sicherlich ein paar nette Girls, oder?"
"Natürlich, da landen die ganzen ungezogenen Mädchen aus den Erotikfilmen... Gott meint immer, die haben im Himmel nichts zu suchen. Der Teufel freut sich dementsprechend. Du entschuldigst mich einen Moment?" Der Tod entfernt sich ein paar Schritte und unterhält sich leise mit Demjenigen, der an der anderen Seite der Leitung sitzt. Währenddessen schaut sich der Junge gelangweilt in der Gegend um, bis die Gestalt wieder kommt.
"Und, war´s was Wichtiges?"
"Kann man wohl sagen. Gott hat angerufen."
"Cool! Kann ich mal mit ihm sprechen? Wobei, ich komme ja in den Himmel, oder? Dann habe ich ja ab morgen mehr als genug Zeit..."
"Genau darum geht es. Du wurdest begnadigt."
"Begnadigt?" Der Junge zieht eine seiner Augenbrauen hoch. "So was gibt´s?"
"Ja. Gott meinte, du hättest alles so gemacht, wie er es dir gesagt hätte, also kannst du noch ein Weilchen leben. Von wegen 'großartiger Glauben' und so was..."
"Hm. Und wie sieht´s mit dir aus?"
"Nichts Großartiges, heute Nacht wird´s wohl ruhig bleiben..."
"Lust auf ´nen Drink? Ich kenn ´ne gute Bar gleich hier in der Nähe..."
"Wie alt bist du überhaupt?"
"Das weißt du nicht?!"
"Bin mir nicht mehr sicher... merk du dir halt mal das Alter aller Menschen, wenn du jeden Tag an die 500 besuchen musst..."
"Bin 16."
"Ah, gut. Dann darfst du ja bis zwölf Uhr draußen bleiben."
"Wie alt bist denn du?"
"Weiß ich nicht mehr. Ein paar Jahrtausende werden´s schon sein."
"Klar. Also, wie sieht´s aus? Lust auf ein Bier?"
"Nun, Gott wird schon nichts dagegen haben."

*

Der Junge setzt sich noch halb schlafend auf seinen Stuhl. Seine Mutter schaut ihn missbilligend an. "Sag mal, wo warst du denn wieder die ganze Nacht? Du weißt doch, dass heute Schule ist!"
"Hm?" Der Junge schaut kurz auf, dann lächelt er. "Ich habe dem Tod ins Angesicht geschaut."
"Oh, na klar. Und was hat er gesagt?"
"Na ja, ich sollte eigentlich heute sterben, aber ich wurde begnadigt."
"Ich habe dir schon tausendmal gesagt, du sollst nicht lügen!"
"Ja, ja, schon gut..." Der Junge erhebt sich langsam. "Ich komme heute Nachmittag wieder nicht heim."
"Wieso?!"
"Ein... Freund will mir ein gutes Sushi-Restaurant zeigen, in dem er letztens Kunde war."
Der Junge verlässt die Küche.
 
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Kommentare  

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anonym (12.11.2008)

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