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6 Seiten

Rotampler 1/3

Amüsantes/Satirisches · Kurzgeschichten
Es war Sommer. Und Sommer bedeutete für die Zeitungen immer auch eine Lücke, in der es für sie nichts zu berichten gab. Diese Lücke wurde auch Sommerloch genannt. Um dieses Sommerloch doch noch irgendwie füllen zu können, war den Zeitungen so ziemlich jedes Mittel recht. In diesem Sommer hatten sie es auf die Menschen abgesehen, die bei roter Ampel über die Strasse zu gehen pflegten. Von ganz bestimmten Zeitungen, nämlich den sogenannten Boulevardzeitungen, wurden solche Menschen in diesem Sommer als “Rotampler” bezeichnet.

Plötzlich, vom einen auf den anderen Moment, konnte man Menschen, die - aus welchem Grund auch immer - bei rot über die Strasse gingen, oder auch gehen mussten, als “Rotampler” bezeichnen.
Doch weshalb hatten sich die Boulevardzeitungen so plötzlich auf die “Rotampler” gestürzt?

Polizeiarbeit ist immer auch Öffentlichkeitsarbeit. Die Polizei muss nach außen hin, das heißt den Bürgern gegenüber, ein möglichst positives Image haben. Denn erstens legitimiert dies ihre Arbeit und zweitens erleichtert es sie auch. So gut wie jede polizeiliche Intervention hat mit den Bürgern zu tun. Diese Interventionen können nun aber dadurch erschwert werden, dass die Polizei ein schlechtes Image nach außen hin hat. Denn Bürger, die ihre Polizei als wichtig und legitim ansehen, sind auch viel eher dazu bereit, sich polizeilichen Maßnahmen unterzuordnen.

Diesen Sommer hatte nun der Polizeipräsident dieser Stadt, in der auch Sebastian lebte, - von dem aber erst an späterer Stelle wieder die Rede sein wird - eine geniale Idee gehabt, um das Image der Polizei aufzubessern. Er hatte zuvor in einer Statistik bemerkt, dass es im Vorjahr 250 Unfälle in der Stadt gegeben hatte, die von Menschen verursacht worden waren, die bei rot über die Strasse gegangen waren. Anschließend hatte er die Statistik für die Jahre davor begutachtet und dabei zu seiner Entzückung festgestellt, dass es niemals zuvor zu solch einer immensen Anzahl von derartigen Unfällen gekommen war. Er hatte daraufhin nicht lange überlegen müssen, was denn nun zu tun war, schließlich war er kein Anfänger in seinem Job. Der Polizeipräsident wusste natürlich, dass in der Zeit des Sommerloches alle Zeitungen nach jeder noch so abstrusen Geschichte, und sei sie auch noch so unbedeutend, wie hungrige Vampire, die schon seit langer Zeit kein Blut mehr zu sich genommen hatten, stürzen würden, um ihre Existenz bis zum nächsten lohnenden Opfer notdürftig erhalten zu können. Welche Nachricht sich an den zahlreichen Kiosken in der Stadt verkaufen ließ, hängte schließlich nicht von der Nachricht an sich ab, sondern lediglich von der Art und Weise, wie diese Nachricht nach außen hin präsentiert wurde. Alle Zeitungen taten und tun dies so, ob sie es nun zugaben, zugeben oder auch nicht. Allerdings gab es große Unterschiede in der Methode. Denn was für eine Zeitung, außer vielleicht einer Boulevardzeitung, würde sich wohl eines Begriffs wie “Rotampler” bedienen?!

Wie dem auch sei. Angesichts der Statistiken war es nun natürlich viel wahrscheinlicher, dass die Anzahl der Unfälle, die durch Menschen verursacht wurden, die bei rot über die Strasse gingen, wieder fielen, oder besser gesagt: ihren normalen Durchschnittswert wieder annehmen würden, als dass sie noch weiter anstiegen. Und sollte die Statistik aller Wahrscheinlichkeit zum trotzt doch noch weiter ansteigen, so gab es dennoch Wege und Mittel, dass dieser Umstand doch nicht zum Nachteil der Polizei gereichte. Denn solche schlechten Nachrichten ließen sich stets ganz leicht vertuschen. Es wurde dann einfach nichts mehr darüber berichtet.

Doch welcher Plan war es denn nun eigentlich, den der Polizeipräsident da im Sinne gehabt hatte, und der dann später auch tatsächlich zur Ausführung kommen sollte?
Der Staat braucht Geld. Das weiß wohl jedes Kind. Und wo bekommt der Staat sein Geld her? Klar: vom Bürger. Und wo bekommt der Bürger sein Geld her? Klar: bestenfalls von seiner Arbeit.
Nun weiß aber der Bürger ganz genau, was er für sein Geld getan hat; wie viele Entbehrungen es ihn gekostet hat. Möchte der Staat nun von seinen Bürgern eben dieses Geld, für das der Bürger so viel geleistet hat, braucht er hierzu eine Rechtfertigung. Die Rechtfertigung, die sich der Staat selbst dafür gibt, ist, dass er es ja nur tut, um dem Bürger, dem er es wegnimmt, indirekt zu helfen, d.h. dass es zuerst dem Staat direkt und dann dem Bürger indirekt wieder zugute kommt.

Nun ist der Durchschnittsmensch aber ein Mensch, der nur direkte Beziehungen wahrzunehmen vermag. Mit komplizierten Beziehungen ist er heillos überfordert, was aber eigentlich auch verständlich ist. Denn der Erwerb von Geld beansprucht oftmals so viele Ressourcen eines Menschen, dass für komplizierte Beziehungen einfach nichts mehr übrig bleibt. Damit sich der Bürger nun aber auf seine Tätigkeit, d.h. auf den Erwerb von Geld, konzentrieren kann - was wichtig ist, weil er damit dazu beiträgt, dass es dem Staat gut geht - und hierzu alle komplizierten Beziehungen, die im Grunde ja auch ihn angehen, jemandem, in diesem Falle dem Staat, anvertrauen kann, braucht es nun einmal Vertrauen. Und damit der Bürger Vertrauen in seinen Staat haben kann, ist es nun die Aufgabe des Staates, alles, was der Bürger direkt wahrzunehmen vermag, so darzustellen, dass der Bürger es auch verstehen kann, ohne dass er hierzu alle komplizierten Beziehungen, die auch noch etwas damit zu tun haben, verstehen muss. Keine leichte Aufgabe, denn es muss darüber hinaus auch immer so aussehen, als sei jede staatliche Intervention, die dem Bürger Geld wegnimmt, moralisch gerechtfertigt.

Als der Polizeipräsident die Statistik nun gesehen hatte, und deren Bedeutung verstanden hatte, hätte man Funken in seinen Augen sehen können, die in etwa so ausgesehen haben könnten: €. Ein Geistesblitz; eine Intuition auf der Basis von früher gemachten Erfahrungen:

Der Staat braucht Geld. Die Polizei ist Teil des Staates. Bekommt der Staat Geld, kann dadurch auch die Arbeit der Polizei finanziert werden. Wird dadurch die Arbeit der Polizei finanziert, wird dadurch auch das Gehalt des Polizeipräsidenten finanziert. Wird sein Gehalt finanziert, kann er sich weiter den Lebensstandart leisten, an den er und seine Frau sich schon längstens gewöhnt haben. Kann er sich diesen Lebensstandart auch weiterhin leisten, wird auch weiterhin seine Frau bei ihm bleiben. Wird auch weiterhin seine Frau bei ihm bleiben, hat er alles, was er von seinem Leben erwartet.
Fazit: In dem Maße, wie der Polizeipräsident dafür sorgt, dass der Staat mit Geld versorgt wird, in dem Maße sorgt er auch indirekt dafür, dass er weiterhin alles vom Leben hat, was er vom Leben erwartet. Dadurch entsteht ein Eigeninteresse. Und wo Eigeninteresse entsteht, dort entsteht immer auch auf ganz natürliche Weise Motivation.

Der Polizeipräsident hatte nun also eine sehr starke Motivation, dass das Staatsorgan, für das er verantwortlich war und in absehbarer Zeit auch bleiben sollte, so viel Geld dem Bürger wegnahm, wie es nur konnte. Allerdings musste dies auf eine Art und Weise geschehen, die dem Bürger so vorkam, als sei es gerechtfertigt. Und weil der Bürger nach einfachen Beziehungen verlangt, mussten komplizierte Beziehungen notgedrungen als einfache dargestellt werden.

Es ist verboten, bei rot über die Ampel zu gehen. Und eigentlich müsste so ziemlich jedem Menschen einleuchten, weshalb dies verboten ist, schließlich handelt es sich dabei um eine einfache d.h. um eine direkte Beziehung. Es ist verboten, weil es dadurch zu Unfällen kommen kann, weil kein Autofahrer damit rechnen muss, dass, sollte seine Ampel auf grün geschaltet sein, eine Fußgängerampel, die an “seiner” Strasse angebracht ist, ebenfalls grün sein könnte. Die Wahrscheinlichkeit hierfür ist so erstaunlich gering, dass er mit solch einem Szenario nicht ständig zu rechnen braucht, und er sich deshalb voll und ganz auf das Gaspedal seines Autos konzentrieren kann.

Dem Staat ist es also möglich, dem Bürger zu vermitteln, weshalb es verboten ist, bei rot über die Strasse zu gehen. Dies liegt im eigenen Interesse des Bürgers. Und immer dann, wenn vermittelt werden kann, dass ein Verbot im eigenen Interesse des Bürgers liegt, immer dann ist es auch recht einfach eine Rechtfertigung zu konstruieren, die beim Übertreten eines solchen Verbotes verlangt, dass dafür auch gezahlt wird.

Verbote, für die gezahlt werden müssen, und deren Rechtfertigung darüber hinaus auch noch mithilfe einfacher Beziehungen nach außen hin zu vermitteln sind, waren unserem Polizeipräsidenten natürlich die allerliebsten. Denn diese Verbote bedeuteten für den Staat Geld, und zwar ganz genau jenes Geld, welches ihm seinen Lebensstandard sicherte.

Damit nun die Arbeit der Polizei dem Bürger als gerechtfertigt erscheint, müssen dem Bürger auch noch nachweisbare Erfolge präsentiert werden. Hierfür eignen sich Statistiken hervorragend, denn diese umweht immer auch eine Art Wissenschaftlichkeit, d.h. ein Anspruch auf Objektivität, auf einen Bereich also, zu dem ein Subjekt, z.B. ein Polizeipräsident, keinen Zugang hat, weshalb dieser Bereich von ihm auch augenscheinlich nicht manipuliert werden kann.

Selbstverständlich war und ist dies ein Trugschluss. Denn ganz gleich, welche Interventionen der Polizeipräsident angesichts der Statistiken, die ihm zur Verfügung standen, einleiten ließ: Es war höchst wahrscheinlich, dass die Unfallrate mit Beteiligung von Fußgängern, die bei rot über die Strasse gingen, im nächsten Jahr sinken würde. Leitete der Polizeipräsident nun aber eine Maßnahme ein, die dem Staat Geld einbrachte, und setzte diese Maßnahme in direkte Beziehung zu dem von ihm zu recht erwartenden Sinken der Unfallbeteiligten, die bei rot über die Strasse gingen, so kann tatsächlich der Eindruck entstehen, als könne man dies auf die Interventionen der Polizei zurückführen.

Dies war nun also der Plan und dieser Plan kam zur Ausführung. Selbstverständlich mit dem zu erwartenden Erfolg.

In diesem Sommer gab es viele Polizisten in Zivil an vielen Ampeln in der Stadt, die nur darauf warteten, dass sie jemanden erwischten, der bei rot über die Strasse gehen wollte. In solch einem Falle wurde die Person angehalten und mit einem Bußgeld von 30 € belegt. Damit der Bürger mit diesen Maßnahmen auch einverstanden war, musste die Rechtfertigung hierzu selbstverständlich irgendwie an die Öffentlichkeit vermittelt werden. Hierzu dienten nun die Zeitungen mit ihrem Sommerloch, die jede noch so unbedeutende Information gierig aufnahmen und zu einer bedeutenden Geschichte aufbliesen, nur damit sie ihre Blätter irgendwie über das Sommerloch hinwegretten konnten. An allen Kiosken in der Stadt lagen Boulevardzeitungen, die mit der Titelseite bei den potentiellen Käufern mit folgender Schlagzeile um Aufmerksamkeit buhlten: “Stadt jagt Rotampler”. Plötzlich hatten die Menschen, die - aus welchem Grund auch immer - bei rot über die Strasse gingen, auch einen Namen. Plötzlich waren sie “Rotampler” und dem Artikel zufolge im letzten Jahr für die unglaubliche Anzahl von 250 Unfällen verantwortlich! Selbstverständlich MUSSTE da etwas getan werden. Das leuchtete selbst dem noch so ungebildeten Leser absolut ein.

Nach dieser Maßnahme konnte der Polizeipräsident dann auch tatsächlich einen unglaublichen Erfolg verbuchen: Er hatte dadurch Unmengen an Geld in die Staatskasse und somit auch indirekt in die eigene Kasse gespült. Dass anschließend die Unfallrate mit der Beteiligung von “Rotamplern” auch tatsächlich auf 227 sank, war nebensächlich und schaffte es auch nicht mehr auf die erste Seite der Boulevardblätter. Auch die Tatsache, dass selbst diese Statistikzahl noch deutlich über dem Durchschnitt der letzten zehn Jahre lag, schaffte es nicht mehr in die Zeitung. Das wäre schon zu kompliziert gewesen, als dass es dem Bürger hätte verständlich vermittelt werden können.

Dass solche aufwendigen Maßnahmen im einzelnen auch ungewollt negative Konsequenzen nach sich ziehen konnten, das war allen Beteiligten von Anfang an klar. Der Polizeipräsident pflegte so etwas auch Kollateralschäden zu nennen, die man nun einmal für ein höheres Ziel, nämlich höhere Staatseinnahmen, in Kauf nehmen musste. Und einer dieser negativen Konsequenzen bekam Sebastian in diesem Sommer am eigenen Leibe zu spüren.
Aber davon später. Wenden wir uns zunächst Karl und seinem Sohn zu.
 
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Kommentare  

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Evi Apfel (23.08.2009)

Du schreibst sehr flüssig und humorvoll, doch einige Passagen sind in deiner Geschichte zu lang. Zum Inhalt kann ich noch gar nichts sagen, weiß ja nicht wohin du uns noch führen willst.

doska (22.08.2009)

Naja, noch kann ich nicht viel dazu sagen, da dieser Text nur ein Teil der Story ist. Ich habe einen Unfall miterlebt, wo ein Radfahrer noch schnell bei rot hatte rüber fahren wollen und das hat gar nicht gut für den ausgesehen. Ich weiß, dass du dieses Thema zwar nur als Methapher gebrauchst, aber es ist etwas unglücklich gewählt. Außerdem bin ich NICHT der Meinung, dass der Staat nur deshalb das Geld der Bürger einsteckt, um es selbst zu verbraten. Auch bin ich froh, dass es die Polizei gibt. Sie hat mir schon so manches Mal geholfen. Aber vielleicht sehe ich deinen Text ja zu eng. Bin gespannt, was die anderen dazu sagen werden.

Petra (21.08.2009)

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