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Vorne einsteigen

Aktuelles und Alltägliches · Kurzgeschichten
Vorne einsteigen, hinten aussteigen.
Ab sofort gilt der kontrollierte Einstieg. Die Vorteile für Sie:

- kein Gedrängel beim Einsteigen

- kein gegenseitiges Behindern beim Ein- und Aussteigen

- durch den bereits vom Fahrer kontrollierten Einstieg hat unser Begleitpersonal noch mehr Zeit für Informationen und Ihre Fragen

Diesen Aushang las ich an der Bushaltestelle, an der ich nach meinem Einkauf auf den Bus wartete. Ob diese Vorteile wirklich so sehr ins Gewicht fallen, fragte ich mich. Schließlich müsste ich jetzt jedes Mal vor dem Einsteigen nach meiner Fahrkarte kramen. Sicherlich handelte es sich um eine Personalsparmaßnahme. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass dann wirklich noch Kontrolleure eingesetzt werden, das wäre ja völlig sinnlos, wenn der Fahrer die Tickets schon kontrolliert. Dann könnten ja eigentlich auch die ohnehin überteuerten Fahrpreise gesenkt werden.

So eben traf der Bus ein. Da die Haltestelle sich mitten im Zentrum befand, warteten außer mir noch eine Menge anderer Fahrgäste. Tatsächlich stellte sich niemand den aussteigenden Fahrgästen in den Weg, als der Bus gehalten hatte. Alle Fahrgäste konnten völlig bequem aussteigen. Allerdings konnten sich die vielen Einsteigenden, nachdem alle ausgestiegen waren, nun nicht wie früher auf die drei Eingänge, die dieser Bus hatte, verteilen, sondern mussten alle vorn einsteigen. Es bildete sich eine Riesenschlange. Es ging nur mäßig voran. Normalerweise wären inzwischen alle eingestiegen, aber diesmal war noch nicht einmal die Hälfte eingestiegen.

Endlich, ich konnte einsteigen. Allerdings war dies alles andere als einfach. Ich hatte fünf Einkaufstüten bei mir, für die ich kaum Platz in den Händen hatte und jetzt konnte ich auch noch meine Fahrkarte vorzeigen. Während ich die Hand hochhielt, damit der Herr am Steuer auch alles genau sehen konnte, fielen mir zwei Tüten aus der Hand. Und natürlich fiel auch aus den Tüten Ware heraus. Fluchend bückte ich mich, was in dem Gedrängel gar nicht so einfach war und hinter mir regten sich die Leute auf, weil es gerade nicht weiter ging.
„Ein supertolles System“, sagte ich laut. „Das sind ja wirklich tolle Vorteile hier.“
Am liebsten wäre ich ausgerastet. Fluchend ging ich weiter, wobei ich, so voll wie es war, mit meinen Tüten jeden streifte, worüber sich auch alle aufregten, wobei es nicht meine Schuld war. Normalerweise wäre es besser, dort stehen zu bleiben, wo ich war, aber hinter mir drängten ja auch alle, dass man doch bitte durchgehen solle, damit alle einsteigen konnten.

Nach einigen Haltestellen wurde es glücklicherweise leerer im Bus, zwar nicht so leer, dass ich mich hinsetzen konnte, aber wenigstens war ich nun nicht mehr zwischen Fahrgästen eingeklemmt.
„Guten Tag, die Fahrausweise bitte“, ertönte es plötzlich. Da hatte sich doch irgendjemand einen Scherz erlaubt, unsere Tickets wurden doch gerade kontrolliert. Nein, ganz und gar nicht, tatsächlich wanderten drei Männer durch den Bus mit ihren Geräten und kontrollierten. Der erste ganz vorn, der zweite ging in den hinteren Bereich des Busses, wo er mit der Kontrolle begann und der dritte kam direkt auf mich zu.
„Guten Tag, Ihren Fahrausweis.“
„Das ist doch wohl jetzt nicht Ihr Ernst“, gab ich zurück.
„Doch, wieso?“
„Ich habe doch gerade schon beim Einsteigen meine Fahrkarte vorgezeigt und hatte die Hände voller Tüten. Jetzt kann ich schon wieder kramen.“
„Ja und? Wurde die Fahrkarte denn kontrolliert?“
„Ja natürlich, der Fahrer hat sie doch gesehen.“
„Das heißt doch trotzdem nicht, dass er sie richtig kontrolliert hat.“
„Wieso muss ich sie denn dann vorzeigen, wenn sie eh nicht richtig kontrolliert wird? Damit sich draußen nur unnötige Warteschlangen bilden und sich alles noch weiter verzögert? Wo sind denn da die Vorteile für uns? Das ist doch alles totaler Quatsch.“
„Junger Mann, wir machen hier Service…“
„Das nennen Sie Service“, fiel ich ihm ins Wort und konnte nur spöttisch darüber lachen. „Weil Sie jetzt mehr Zeit haben, um Auskünfte zu erteilen und unsere Fragen zu beantworten?“
„Ja, ganz genau.“
„Ich habe aber keine Frage. Ich weiß, wo dieser verdammte Bus hinfährt, ich weiß, wo ich aussteigen muss, ich weiß, wann er kommt. Und wie können Sie mehr Zeit haben als vorher, wenn der Fahrer doch nicht richtig kontrolliert? Oder kontrollieren Sie nur den Teil des Tickets, den der Fahrer nicht kontrolliert hat?“
Inzwischen hörten schon einige Fahrgäste aufmerksam zu. Da ich kein Aufsehen erregen wollte und meine Kritik sowieso auf null Verständnis stieß, holte ich schließlich mein Ticket hervor.

Ich beschloss, mir nun wieder ein Auto zu kaufen, einfach irgendeinen gebrauchten Kleinwagen. Eigentlich wollte ich etwas Gutes für die Umwelt tun und auf ein Auto verzichten, so lange es genug Busse und Bahnen gab. Schade, dass man durch solche Hindernisse seine guten Vorsätze bricht und doch wieder zum Auto fahren verleitet wird.
 
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Kommentare  

Wenn man seit Jahren auf öffentliche
Verkehrsmittel angewiesen ist, ist man dieses
Heck Meck in der Tat leid.
Natürlich sind die Fahrer und das Personal dazu
verpflichtet, Fahrscheine zu kontrollieren.
Aber einmal tut es auch. Ich habe auch nicht
Lust, ständig zu kramen - vor allem nicht, wenn
ich eh schon ewig warten musste, weil ein Bus zu
spät kam oder eine Bahn wieder ausgefallen ist
oder alle gestreikt haben am Vortag...
Eine gelungene Geschichte!


Sabine Müller (04.11.2012)

Haben wir uns wieder eingekriegt? Oder gehst du
dann gleich wieder an die Decke, wenn ich darauf
antworte?


Homo Faber (27.10.2012)

Ich fass das mal kurz zusammen: Weil du fünf (oder drei) Tüten trägst und es dir deshalb schwer fällt im Bus die Fahrkarte zu zeigen sind die öffentlichen Verkehrsmittel an deinem Ungemach schuld? Was kommt als nächstes? Eine Hasstirade auf faschistoide Kinokartenabreißer die doch tatsächlich die Kinokarte sehen wollen, während man doch aber sieben Packen Popcorn trägt und drei Cola auf dem Kopf balanciert? Sieht die Welt denn nicht, wer hier ihr eigentlicher Mittelpunkt ist?!?!?!

Nur weil eine Regelung für den Einzelnen in einer bestimmten Situation unbequem ist, ist sie doch nicht albern oder schlecht.

Die oben beschriebene Regelung ist auch in meiner Stadt Gang und Gebe. Da meine Arbeitszeit oftmals zwischen 14 und 15 Uhr beginnt, treffe ich auf meinen Busreisen zwangsläufig auf ganze Horden von Schulkindern, die die Busse stürmen.
Selbst jedes Kind weiß, dass man seine Fahrkarte beim Betreten des Busses vorzeigen muss und solange niemand extra noch beim Fahrer einen Fahrschein kauft, geht der Einsteigeprozess selbst mit zwanzig, dreißig Kindern in weit unter einer Minute von statten. Ja die meisten Menschen gehen sogar so weit, dass sie noch BEVOR sie vor dem Bussfahrer stehen, ihre Karte aus dem Portemonnaie kramen. Das ist Mitgedacht auf hohem Niveau!

Ich find es toll, wenn Satire Missstände aufzeigt, aber die eigene Faulheit/Unzulänglichkeit, alltägliche Kleinigkeiten (ja eher Winzigkeiten) zu tun, derart als Auslöser zu benutzen, um die Welt um sich herum schlecht zu machen... das kann ich nicht ernst nehmen.


Jingizu (25.10.2012)

Jedenfalls ist es so etwa vorgefallen, vor etwa
zehn Jahren, als diese Regelung nach und nach in
NRW eingeführt wurde.
Ich hatte damals keine fünf Tüten dabei, sondern
nur drei, glaube ich, was aber trotzdem das
Vorzeigen der Fahrkarte sehr erschwerte.
Und die Diskussion mit dem Kontrolleur fand nicht
während dieser Fahrt statt, sondern einige
Wochen später.


Homo Faber (25.10.2012)

Ich musste schmunzeln und könnte mir vorstellen, dass auch so etwas passieren kann.

Gerald W. (24.10.2012)

Warum kannst du dir nicht vorstellen, dass es ernst
gemeint ist?


Homo Faber (24.10.2012)

Es fällt mir bei dieser Geschichte schwer, zu sagen, ob du das tatsächlich ernst meinst oder es doch eher Satire sein soll. Ersteres kann ich mir kaum vorstellen, aber für Letzteres fehlt mir hier irgendwo ein augenzwinkernder Hinweis.

Mal abgesehen davon verwendest du das Wort "einsteigen" zwischen Absatz 2 und 3 eindeutig viel zu oft.


Jingizu (24.10.2012)

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