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Die innere Zerstörung des Vaters

Trauriges · Kurzgeschichten
Die Tränen laufen ihm übers Gesicht, eine Träne nach der nächsten rollt aus Toms Augen, über seine Wangen direkt ins beigefarbene Kopfkissen seines Bettes. „Er wird mich nie verstehen.. dabei ist er doch mein Vater.. wie kann ein Mensch nur so emotionslos und kalt sein? Er schafft in Bruchteilen von Sekunden all das zu zerstören, was ich mir in den letzten Jahren mühsam erarbeitet habe.“ Alle gute Gedanken, positive Gefühle, Toms Glaube an sich selbst, ja sein komplettes Selbstwertgefühl scheint wie vom Tisch gefegt.
„Bin ich denn ein solch schlechter Mensch, dass ich es nicht wert bin, von meinem eigenen Vater respektiert zu werden? Ich wünsche mir doch nur, dass er mich versteht und dass er stolz auf mich ist.“

Toms Gedanken drehen sich im Kreis. Er liegt in seinem ehemaligen Kinderzimmer im Haus seiner Eltern auf dem Bett und starrt ohne etwas wahrzunehmen an die Zimmerdecke. Da klebten doch noch tatsächlich die weißen Kunststoffsterne, die nachts leuchteten, und er sich dazu die spannendsten Abenteuer ausdachte. Immer dann.. wenn er sich einsam fühlte oder nicht schlafen konnte.
Die Zeit scheint hier wie stehengeblieben zu sein.
Doch all das nahm Tom in diesen Minuten nicht wahr.

Die nächste Träne kullert aus seinen Augen - was ihn ebenfalls wütend macht. Er hätte nicht sagen können, was ihn gerade mehr ärgert: Ist es sein Vater, der ihm gegenüber gefühlskalt und hart ist, ihn als Teenager noch nie verstanden hat und dies auch jetzt als 42-jährigen Mann nicht tut? Oder ärgert er sich mehr über sich selbst, weil ihn das Verhalten seines Vater so schmerzt? Warum nur hatte sein Vater eine solche Macht über ihn?“

Seinem Vater hatte noch nie gefallen, dass er, als sein einziger Sohn, Sportwissenschaft studiert und jetzt als freiberuflicher Tennistrainer sein Geld verdient. Er hatte von seinem Sohn erwartet, dass er in seine Fußstapfen tritt und die Firma – die schon seit Generationen ein Familienbetrieb war – übernahm.
Doch die Firma interessierte Tom nie. Tom hatte handwerklich zwei linke Hände. Er war im Gegensatz zu seinem Vater absolut sportbegeistert und manchmal etwas chaotisch. Das und seine freiheitsliebende und unverbindliche Lebensweise schloss die Übernahme und Leitung einer Schuhwerkstatt von vorneherein aus.
So blieb seinem Vater vor 12 Jahren nichts anderes übrig, als die Schuhwerkstatt in fremde Hände zu geben. Er hatte es lange hinausgezögert die Firma zu verkaufen, doch als er mit 67 Jahren seinen Unfall hatte, blieb ihm nichts anderes übrig, als seinen wohlverdienten Ruhestand anzutreten.

„Das muss aufhören! Es muss aufhören, dass mir mein Vater so weh tut. Es muss aufhören, dass er mich so fertig macht. Das ist emotionale Folter! Ich will das nicht. Ich will das nicht aushalten und ich kann nicht damit umgehen.
Entweder muss ich mich dagegen wehren oder den Kontakt zu ihm einstellen. Aber das geht schon wegen Mutter nicht. Ich bin doch ihr einziges Kind.
Aber wenn ich mich dagegen wehre, gibt es immer nur Streit. Das macht mich fertig. Ich kann das nicht.
Er wird sich nie ändern. Er ist jetzt 78 und hackt schon seit ich ein Teenager bin auf mir herum. Ich habe ihm schon oft gesagt, dass ich das nicht möchte – mir sein Verhalten weh tut - doch ohne Erfolg. Er wird sich also nicht mehr ändern.
Meinetwegen kann er so bleiben wie er ist, aber es muss endlich aufhören, dass es mir weh tut!“

Bis vor 8 Jahren war dies der Moment als Tom sich den ersten Drink genehmigte. Doch wie er in den letzten Jahren seiner Therapie gelernt hat, war Alkohol keine Lösung. Ganz im Gegenteil. Alkohol verschlimmerte seine Lage nur.
Kurzfristig vergaß er seinen inneren Schmerz, seine wirren Gedanken und konnte seiner Situation entfliehen. Doch auf Dauer brauchte er immer mehr Alkohol und verbrachte bald keinen Tag mehr ohne zu trinken. Er trank direkt morgens nach dem Aufstehen sein erstes Glas Wein. Er wurde süchtig.

Jetzt hatte er andere Strategien entwickelt um solchen Gefühlen und seelischen Schmerzen zu begegnen. Doch schien ihm dies, als Tom da so tränenüberströmt auf dem Bett liegt, in weite Ferne gerückt zu sein.

Er fühlt den stechenden Schmerz in seiner Brust, als ob jemand mit einem Messer in seinem Herz herumstochert. Ja genau. So fühlte es sich für ihn an. Als ob er an offenem Herzen operiert wurde.
„Warum tut er das? Will er mich klein machen und sich selbst groß? Ich würde Vater so gerne verstehen...“

Tom schreckt aus seinen Gedanken hoch, als es zaghaft und leise an der Zimmertür klopft. Kaum hörbar, aber aufgrund der Stille in seinem Zimmer, hätte er wahrscheinlich selbst das Aufprallen einer Nadel auf dem Teppichboden gehört.
Seine Mutter öffnet sachte die Zimmertür und streckt ihren Kopf durch die Türspalte. „Ist alles wieder gut?“ fragt sie in einem sanften Ton. „Sie ist so ganz anders“, denkt Tom, „genau das Gegenteil von Vater: zurückhaltend, fürsorglich, ja.. fast etwas ängstlich,.. aber voller Liebe.“ Tom nickt und unterdrückt seine Tränen. Er möchte nicht, dass seine Mutter ihn weinen sieht. Sie wirkt oft so zerbrechlich auf ihn, und Tom möchte ihr nicht wehtun.
„Na, du musst es doch mal lernen. Vater kann nicht über Gefühle reden, das konnte er noch nie. Aber deshalb ist er trotzdem ein guter Mensch. Er meint es nicht böse, das weißt du.“

Tom schweigt. Er will mit seiner Mutter nicht über seinen Vater diskutieren. Das führte in der Vergangenheit noch nie weiter, und wird es auch jetzt nicht tun. Deshalb nickt Tom wieder.

Es ist Sonntag Nachmittag. Am Tag zuvor fuhr Tom mit dem Zug von Köln nach Berlin. Die gut vierstündige Zugfahrt nutzte er um den brandakuellen Krimi seines Lieblingsautoren zu Ende zu lesen. Seine Freundin Lisa hatte ihn frühmorgens auf den Zug gebracht, obwohl er wusste, dass sie am Wochenende gerne lange schlief. Lisa selbst musste am Nachmittag arbeiten, so dass sie Tom nicht bei seinem Besuch seiner Eltern begleiten konnte.

Ganz unrecht war Tom dies nicht. Er zog gerne hin und wieder alleine los. Vor allem seit in letzter Zeit sehnte er sich oft nach einer Auszeit von Lisa.
Doch könnte er Lisa niemals wehtun, geschweige sich von ihr trennen. Dafür liebte er sie viel zu sehr. Und er wusste, dass sie ihn brauchte.
Manchmal klammerte sie sich regelrecht an Tom, was ihn dann die Flucht ergreifen lässt. Dennoch hatte er in über zehn Jahren Partnerschaft zu keinem Zeitpunkt das Bedürfnis die Beziehung mit Lisa zu beenden. Er brauchte einfach nur manchmal etwas Zeit für sich selbst, das war alles.
Dieses Wochenende war war wieder eine solche Zeit.
 
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Tlonk (03.12.2013)

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