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Aftermath - Kapitel 2 "Sieben Schwestern"

Romane/Serien · Fantastisches
2. Kapitel „Sieben Schwestern“
Raoghnaild verlor die Orientierung. Obwohl sie unter ihren Füßen den weichen Sand fühlte, war ihr, als ob sie zu schweben beginnen würde und keine Kontrolle mehr über ihren Körper und sein Verhalten hätte. Ein Vorgeschmack auf die Zwischenwelt in der die Naturgesetze aufgehoben waren.
„Unsere Körper bestehen aus Materie und Geist“ hörte sie in ihrer Erinnerung die Stimme ihrer Lehrerin und Gildenmutter Cessily. „Beides ist untrennbar miteinander verbunden und macht euer Wesen aus. Wenn ihr euren Geist in die Zwischenwelt schickt, dann hat das auch Auswirkungen auf euren Körper in der Welt. Aber mit etwas Übung werdet ihr die Nebenwirkungen unter Kontrolle haben und euch daran gewöhnen.“
Leise rief sie in Gedanken die Namen ihrer Schwestern „Arlete, Muirgen, Deoiridh, Ginessa, Kirrina, Shanell“ und wartete auf ein Zeichen ihrer Anwesenheit. Plötzlich umströmte sie von allen Seiten ein Gefühl der Liebe und der Erleichterung.
Wie ein Echo ihrer Frage hallten plötzlich von allen Seiten die Stimmen ihrer Schwestern und riefen nach ihr und den anderen. Zu ihrer großen Freude nahm sie die Stimmen aller Sieben wahr. Also lebten sie alle noch. In die Freude über ihre Anwesenheit mischten sich auch Besorgnis Trauer und Fragen. Hier und jetzt waren sie sich nah, aber in der Welt waren sie meilenweit voneinander entfernt und durch die Wirren der Unruhen getrennt.
Durch die Weite der Zwischenwelt und wie durch eine dicke Watteschicht gedämpft drangen die Fragen der anderen zu ihr: „wo seid ihr?“, „seid ihr gesund?“, „hast du dich anderen angeschlossen?“, „seid ihr schon auf dem Weg nach Mouren?“, „wie geht es Marvina?“…
Als sie den Namen Marvina in den Gedanken der anderen wahrnahm, begannen ihr die Tränen über das Gesicht zu laufen. Die kleine, quirlige Marvina. Ihre Schülerin, die sie nicht hatte beschützen können. Mit einem energischen „Marvina lebt nicht mehr“ verbannte sie die Fragen und Gedanken der Anderen aus ihren Kopf. Sie hatten heute Nacht nicht genug Zeit, um die Erlebnisse der letzten Monate auszutauschen. Und im Moment gab es Wichtigeres zu tun.
Nach einer kleinen Ewigkeit öffnete sie die Augen und sah eingebettet in die Wolkendecke den Kreis der sieben Kristallkugeln. Jede schimmerte in einer anderen Farbe des Regenbogens. Jede Schwester besaß eine dieser Sphären, deren Farbe ihrem Charakter und ihren Fähigkeiten entsprach.
Doch etwas irritierte sie und es dauerte einige Sekunden bis es ihr auffiel. Neben dem gewohnten Regenbogen, einem Zeichen für den Bund zwischen den Welten, der sich in einem perfekten Bogen zwischen den weißen, flauschigen Wolken spannte, waren auch eine dunkle, bedrohliche Wolkenwand und Blitze zu sehen.
Fragend wandte sie sich an die anderen. Aber auch sie hatten keine Antwort auf dieses beunruhigende Wetterphänomen. Sie würde Cessily fragen müssen, wenn sie irgendwann wieder zuhause war.
Bevor ihre Gedanken wieder abdriften konnten, hörte sie Deoiridh´s Frage: “Wann könnt ihr alle in Mouren sein?“ Ihr Tonfall ließ keinen Zweifel aufkommen. Es war keine Frage, sondern ein Befehl, so schnell wie möglich in ihr Gildenstammhaus zurückzukehren. Ein aufgeregtes Gemurmel setzte ein. Alle wollten wissen was so wichtig war, dass sie sich persönlich treffen mussten. Auch wenn sie hier nicht wirklich laut sprachen bildeten die Gedanken einen Geräuschteppich, der es fast unmöglich machte auch nur einen Satz zu verstehen. Mit ihren tiefen, fast brummenden Stimme, unterbrach Deoiridh die anderen und fing an zu berichten: “Cessily hat Kontakt zu mir aufgenommen. Sie ist sehr beunruhigt. Fyfa ist plötzlich gestorben und die Leiterinnen werden sich in Mouren versammeln, um eine neue Leiterin für die Gilde der Heilerinnen zu bestimmen. Sie brauchen unsere Kräfte und unseren Schutz. Sie werden in 4 Monden ankommen und Cessily erwartet, dass wir bereits vorher vollständig dort versammelt sind, um die Vorbereitungen zu treffen. Macht euch sofort auf den Weg und seid vorsichtig. Die Wege sind immer noch gefährlich. Wenn es geht, verbergt eure wahre Identität.“
Die sieben Schwestern bildeten in Gedanken einen Kreis und hielten sich für ein paar Minuten stumm an den Händen. Dann lösten sie den Kreis und begannen sich langsam zu entfernen. Raoghnaild sah zu, wie die Sphären durchsichtiger wurden und schließlich ganz verschwanden, ihre Schwestern waren verschwunden. Nur ihre eigene schimmerte immer noch orange, begann aber auch zu verblassen. Es war ein so trostloser und einsamer Anblick…
Als sie es nicht länger ertragen konnte schloss sie ihre Augen. Nur Augenblicke später fühlte sich ihr Körper an, als würde er unendlich lange auseinandergezogen und würde schließlich wie Wasser zerfließen. Plötzlich fühlte sie wieder den Boden unter ihren Füßen. Der Sand war nun nicht mehr warm, sondern kalt und feucht. Mit einem Ruck war sie wieder in der Gegenwart und auf der Welt angekommen.

Noch immer starrte Aonghas wie gebannt auf die Frau am Seeufer. Er wusste nicht wieviel Zeit inzwischen vergangen war, aber die beiden Monde waren schon fast vollständig hinter den Bergen verschwunden. Sie stand völlig bewegungslos da, nur ein eigenartiges Glimmen umrahmte ihre Silhouette. Gerade als er aufstehen wollte, um näher an sie heranzuschleichen löste sich langsam ihre Erstarrung und sie begann sich zu bewegen und die Aura um ihren Körper verblasste.
Wie betrunken wirkten ihre Bewegungen, fahrig und unkoordiniert. Nur sehr langsam gewann sie die Kontrolle über ihren Körper wieder. Doch plötzlich drehte sie sich um und starrte in seine Richtung. Aonghas duckte sich hinter ein Gebüsch, um nicht entdeckt zu werden. Doch seine Angst war unbegründet, sie hatte ihn nicht gesehen. Mit einem Ruck zog sie das Kleid über ihren Kopf und lies es fallen. Für einen Moment stand sie nackt da, bevor sie sich nach vorne beugte und das lange Band vom Boden aufhob. Sie wickelte es wieder fest um ihren Oberkörper, zog dann Hemd und Hose an. Erst als sie auch in die Kutte schlüpfte und die Kapuze über das blonde, kurze Haar zog, begriff Aonghas wen er vor sich hatte.
Diese wunderschöne Frau war niemand anderes als sein Begleiter Beathan, der Söldner. Seine Gedanken überschlugen sich nun. So gut wie sie mit Bogen und Schwert umgehen konnte war sie keine gewöhnliche Frau, die versuchte sich in diesen unruhigen Zeiten irgendwie durchzuschlagen ohne selbst Schaden zu nehmen oder versklavt zu werden. Sie musste zu den „crionna mnathan“ gehören, jener großen Vereinigung von Frauen, die sich in im Laufe der Jahrhunderte in sieben Gilden aufgespalten hatte. Jede dieser Sieben widmete sich einer anderen Aufgabe und wenn man den Gerüchten Glauben schenken konnte hielten einige der Frauen durch Kristallsphären den Kontakt zueinander und nahmen so auch Einfluss auf die Geschehnisse in dieser Welt und der unsichtbaren Welt.
Trotz dieser Gerüchte waren die Gilden hoch angesehen und jede Familie, egal ob arm oder reich, war stolz, wenn eine ihrer Töchter dem Bund beitreten durfte. Egal aus welchem Grund ein Mädchen in eines der Gildenhäuser gebracht wurde, alle wurden ohne Rücksicht auf ihre Herkunft gleich erzogen, unterrichtet und mussten alle anfallenden Arbeiten verrichten. Sie waren „Pari inter pares“ und durften, anders als die meisten anderen Frauen, sich ihren Beruf und Ehemänner selbst aussuchen.
Als Aonghas sah, wie Beathan langsam auf dem Weg zu ihm zurückkam, duckte er sich schnell und versuchte sich möglichst lautlos zurück unter seine Decken zu legen, um nicht entdeckt zu werden. Er hatte viele Geschichten gehört, die davon erzählten, wie die Frauen der „crionna mnathan“ reagierten, wenn man sie bei ihren geheimen Ritualen beobachtete. Trotz seiner Aufregung brachte er seinen Herzschlag und seine Atmung unter Kontrolle und atmete so ruhig, flach und langsam wie möglich, damit Beathan keinen Verdacht schöpfen würde.
Mit den untergehenden Monden schien auch die Stille zurückzuweichen und die Laute des Waldes zurückzukehren. Beathan´s Schritte waren nun deutlich zu hören und Aonghas lauschte gespannt wie sein Begleiter Schritt für Schritt näher kam. Plötzlich verstummten die Schritte und Beathan war zurück in ihrem Lager…
 
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