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3 Seiten

Ein beengter Raum

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Ein Raum. Ein sehr beengter Raum. In ihm stehen Tobi und Max, zwei Freunde. Sie sind so um die 17 Jahre alt.

Tobi schaut sich um, sagt zu Max: „Eng hier.“

Max schaut sich ebenfalls um: „Ja, Alter. Hast recht. Ziemlich eng. Ist mir, ehrlich gesagt, noch nie so recht aufgefallen.“

Tobi (ein bisschen belehrend): „Siehste Mal. Das fällt einem erst auf, wenn man sich mal die Zeit nimmt darüber nachzudenken.“

Max: „Da haste wohl recht. Aber wäre es nicht eigentlich besser für uns, gar nix darüber zu wissen?“

Tobi: „Wie meinste das denn, Alter? Willste denn nicht wissen, wie es wirklich ist?“

Max: „Nee, manchmal will ich das nicht, denke ich. Ich meine, manche Dinge kann ich nicht ändern. Und wenn sie unangenehm sind, dann ist es manchmal besser gar nicht erst was davon zu wissen.“

Tobi: „Wenn es einem zu eng ist geht man einfach woanders hin.“

Max: „Und wenn ich nicht woanders hingehen kann? Ist es dann nicht viel besser gar nicht erst zu wissen, dass es eng ist?“

Tobi: „Wenn es einem nicht auffällt ist es nicht zu eng.“

Max: „Gut. Aber was ist, wenn es mir zu eng ist, ich aber nichts dran ändern kann?“

Tobi: „Man kann immer etwas dran ändern.“

Max (schaut sich noch einmal um): „Ich könnte diesen Raum hier ändern?“

Tobi: „Nö, aber wenn er dir zu eng ist, kannst du einfach in einen anderen gehen.“

Max: „Und wenn dies nicht möglich ist?“

Tobi (verdreht die Augen): „Warum sollte das denn nicht möglich sein?“

Max: „Na, sagen wir mal, ich bin im Gefängnis. Mir ist der Raum zu eng. Ich kann also nicht eben einfach so rausgehen. Was dann?“

Tobi: „Du kannst versuchen deine Einstellung dazu zu ändern.“

Max: „Was? Wie soll das denn gehen? Soll ich einfach so tun, als würde ich mich dort wohl fühlen, obwohl es mir viel zu eng ist? Das soll funktionieren?“

Tobi: „Man kann sich so einiges vorstellen. Das ist doch gerade die große Begabung des Menschen, sein großes Talent, das ihn von allen anderen Lebewesen angeblich unterscheidet. Wir haben Fantasie; wir haben Vorstellungsvermögen. Wir können uns etwas vorstellen, das es eigentlich nicht gibt; das eigentlich gar nicht da ist.“ Tobi macht eine ausladende Geste. „Schau dir den Raum doch mal etwas genauer an. Siehst du etwa nicht die Sterne? Siehst du etwa nicht die Sonne; die Milchstraße; den Asteroidengürtel; Saturn, mit seinen irren Ringen; die geheimnisvolle Venus; der dominante rote Mars; der riesige Jupiter, mit seinem ewigen Wirbelsturm; Neptun; Merkur; Uranus? Siehst du sie etwa nicht, im weiten Weltraum? Stell dir einfach vor du würdest auf einem Lichtstrahl reiten, vorbei an unserem vertrauten Mond; vorbei an all den Planeten aus unserem Sonnensystem; vorbei an dem winzigen Pluto, der auch einmal dazugehört hat; aus unserem Sonnensystem heraus; heraus aus unserer Galaxie, aus der Milchstraße; weit hinaus in die Unendlichkeit. Kannst du es denn nicht sehen?“

Max sagt traurig: „Nein, ich kann es nicht sehen.“ Dann blickt er verlegen zu Boden.

Tobi: „Was siehst du denn stattdessen?“

Und Max blickt wieder auf, und sagt immer noch mit derselben traurigen Stimme: „Ich sehe rings um mich herum nur Wände. Einengende Wände. Ich fühle mich eingeengt von ihnen.“

Tobi: „Das ist ebenso nur deine Vorstellungswelt. Genauso wie das, was ich dir vorhin erzählt habe.“

Max (nun etwas aufgebracht): „Was, Alter? Willst du mich etwa verarschen?“

Tobi: „Nein, keines Wegs. Verstehst du denn nicht?“

Max (immer noch aufgebracht): „Nein, ich verstehe ganz und gar nicht!“

Tobi (tippt sich mit dem Zeigefinger an seinen Kopf): „Einfach alles, was wir sehen, entsteht hier drinnen. Alles wie wir es sehen, wie wir etwas empfinden, all dies entsteht hier drinnen.“ Und er zeigt wieder in einer ausladenden Geste in den Raum hinein. „Sicher, du kannst all dies hier als einengend betrachten. Du kannst dich unbehaglich hier fühlen. Du kannst es aber auch ganz anders sehen; kannst einfach deiner Fantasie freien Lauf lassen; kannst dich in den Weltraum hineindenken; kannst eine Sternschnuppe sein, oder ein Komet, der an der Erde vorüberfliegt. Verstehst du jetzt, Alter?“

Max: „Du meinst, es ist nicht so, wie es ist, sondern nur so, wie ich es mir vorstelle?“

Tobi: „Ja, Alter. Du selbst bist es, der bestimmt, in was für einer Welt du lebst. Du bist es. Du kannst die Dinge so sehen, oder auch so. Kannst gute Dinge schlecht reden, oder schlechte Dinge gut.“

Max: „Ja, aber gibt denn die Realität nicht vor, wie die Dinge sind? Sind denn meine Möglichkeiten da nicht eingeschränkt?“

Tobi lacht laut auf. Dann sagt er immer noch erregt zu seinem Freund: „Realität? Dass ich nicht lache! Was ist schon Realität? Doch nur, worauf sich eine Mehrheit irgendwann einmal geeinigt hat! Im Grunde ist es deine eigene Entscheidung, ob du dich diesem Diktat unterwirfst, oder nicht. Du weißt es vielleicht nur nicht, weil es dir niemand gesagt hat.“

Max winkt ab, während er sagt: „Ich bin einfach nicht so wie du, Alter. Wenn ich hier die Wände ansehe, dann sehe ich Wände, die mir zu nahe sind. Ich fühle mich eingeengt, und das ist kein gutes Gefühl. Ich sehe da keine Sterne, oder Planeten, und auch keinen Lichtstrahl, auf dem ich reiten könnte. Ich bin einfach nicht so wie du. Ich bin Realist.“

Tobi: „Realist? Ach, Alter. Realist.“ Nun winkt Tobi ab. „Was heißt das schon? So sagt ihr zu euch selber, ich aber nicht. Ich sage zu so etwas nicht Realist, sondern Ignorant. Der Mensch ist zu so viel mehr fähig, und diese Fähigkeit sollte der Mensch auch nutzen. Er kann, wenn er es möchte, durch die Wände sehen; kann sich dahinter eine fantastische Welt vorstellen, voller Riesen und Zwerge; voller Pilze, die so groß wie Menschen sind und unter die man sich im Regen stellen kann; sprechende Hunde und Katzen und riesige Schnecken, auf denen man reiten kann. Verstehste jetzt, Alter? Warum sich seiner Möglichkeiten künstlich beschränken?“

Max: „Es ist nicht immer von Vorteil, die Dinge nicht so zu sehen, wie sie sind.“

Tobi: „Siehste, genau da ist der Denkfehler.“

Max: „Wo denn?“

Tobi: „Kein Mensch auf der Welt weiß, wie die Dinge tatsächlich sind. Und das ist das ganze Geheimnis, und auch das wahre Drama der menschlichen Existent, vor dem alle fortzulaufen versuchen.“

Max: „Lass uns einfach von hier verschwinden. Mir ist es hier zu eng.“

Tobi: „Gute Idee.“

Beide verlassen den Raum.

ENDE
 
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Kommentare  

interessant... wenn es so einfach wäre, sich das so vorzustellen,... wie viel einfacher man es dann im Leben überhaupt hätte... da sollte man wirklich mal drüber nach denken...

Heidi elro Schumacher (15.12.2019)

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