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4 Seiten

KU

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Hat das Leben gefühlt gerade erst begonnen, nähert es sich auch schon gefühlt wieder seinem Ende. Zumindest an dieser Stelle hat es eine KI, also eine Künstliche Intelligenz, eindeutig besser. Denn sie tut nur so, als würde sie leben. In Wirklichkeit stimmt das alles, was sie da sagt und was sie behauptet, wie zum Beispiel wie sie sich fühlt, gar nicht. Es ist gelogen. Es ist das Vorspielen falscher Gegebenheiten. Da ist eine KU doch viel ehrlicher und vor allem auch zugänglicher. Sie ist das Ergebnis eines Projektes eines Ausnahmewissenschaftlers, Herr Dr. Friedberg sein Name. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, Fragen anders zu denken; neue Wege zu finden; neue Ansätze auszuprobieren; überraschende Ergebnisse zu liefern; die Welt dadurch möglichst tiefgründig zu verändern. Eine KU ist wie eine KI. Nur dass es sich bei ihr um keine Künstliche Intelligenz handelt, sondern um eine Künstliche Unintelligenz. Ja, richtig gelesen. Es wird Dummheit simuliert. Das ist gar nicht so einfach, wie es sich vielleicht im ersten Moment anhört. Denn Intelligenz ist berechenbar. Dummheit aber nicht. Herr Dr. Friedberg hat mit dieser radikal neuen Fragestellung geradezu einen neuen Wissenschaftszweig kreiert: die systematische Erforschung der Dummheit. Was macht sie aus? Was muss in einem Verhalten oder in einer Äußerung vorliegen, damit man unzweifelhaft von Dummheit sprechen kann? Der Wissenschaftler hat Jahre benötigt, um überhaupt nur einen Ansatz für seine Fragestellung finden zu können. Vor allem die Unberechenbarkeit, die in der Dummheit liegt, machte ihm sehr zu schaffen. Wie sollte man mit Hilfe eines Algorithmus etwas Unberechenbares erschaffen können, wo es sich doch bei dem zugrundeliegenden System um reine Logik, ja, gerade um Berechenbarkeit in den ausgeführten Operationen handelt? Etwas, das nach derart logischen Prinzipien funktioniert, fällt es sehr schwer, ausgerechnet Dummheit zu simulieren. Dabei fehlt zwangsläufig Authentizität, schon im Ansatz, erst recht in der Ausführung. Alle diesbezüglichen Tests sind, wie zu erwarten gewesen war, enttäuschend ausgefallen. Vor allem der Dummheits-Deep-Learning-Versuch war ein regelrechter Reinfall gewesen. Dummheit ist einfach nicht zu erlernen. Geradezu ist das Gegenteil der Fall. Dummheit weiß in der Regel nichts von der eigenen Dummheit. Es hat auch keine Ahnung, wie es etwas an diesem Zustand ändern kann, denn dann wäre sie ja nicht dumm. Dummheit hat sich im weiteren Forschungsverlauf als sehr stabil erwiesen. Sie kann nur sehr schwer in Verlegenheit gebracht werden, denn sie weiß nicht, was das ist. Ihr ist nichts peinlich, weil das, was dieses Gefühl auslöst, zu komplex ist, um von ihr verstanden werden zu können. Dummheit kann ein sehr hohes Funktionsniveau erreichen, weil bei ihr recht einfach das Reiz-Reaktions-Schema angewendet werden kann. Dummheit kann sehr beliebt sein, denn sie neigt dazu, sich zu fügen und nichts zu widersprechen oder gar zu hinterfragen. Dummheit ist nicht selig, aber sie ist auch nichts von sich aus Böses. Alle diese Prämissen sind dem Forscherteam im Laufe seines EU – geförderten Forschungsprogrammes als wichtig erschienen, um endlich auch die pure Dummheit wissenschaftlich greifbarer machen zu können, vor allem auch um die Unberechenbarkeit dahinter irgendwie verstehen und letztendlich auch darauf beruhend simulieren zu können. Den Algorithmus im Hintergrund, das heißt die grundsätzliche Funktion der Berechnungen, hat man nicht ändern können. Dies hat man dadurch umgangen, dass man die Berechnungen, also die Algorithmen, die man geschrieben hat, einfach eine zweite Ebene hat entstehen lassen, eine Art Anwendungsebene. In dieser zweiten Ebene hat man einen biologischen Organismus simuliert, virtuell, und ihn auch Denken gelassen. Die Themen des Denkens hat man explizit einfach gehalten. Es ging dabei in erster Linie um grundlegende Bedürfnisse, wie etwa Essen, Sex oder die Möglichkeit, die eigene Notdurft verrichten zu können. Wichtig war dabei nur gewesen, dass es dem Bewusstsein so vorkommen sollte, als ob es bei der Erfüllung der Bedürfnisse keinen Aufschub geben könnte; keine Umwege; keine Zwischenschritte oder gar Ersatzbefriedigung. Alles musste möglichst direkt und genau so geschehen, wie es dem Bewusstsein situativ so vorkommt, dass es gerade gebraucht wird. Das Vorstellungsvermögen durfte generell nur sehr rudimentär ausgeprägt sein. Das Gestern nicht allzu weit weg, und auch das, um das es im Morgen geht, nicht in allzu weiter Ferne. Auch durfte in dem kreierten Denken nach Möglichkeit nur eine Ebene entstehen. Keine Makro und schon gar keine Metaebene. Alles auf eine Ebene komprimiert; alles findet nur dort statt, und sonst nirgends. Zudem wurde das Bewusstsein mit einer relativ hohen Wahrnehmungsschwelle ausgestattet. Damit etwas von außen eindringen kann, muss es schon ein sehr lauter und sehr penetranter Reiz sein. Auch ist die KU selbst in ihrem Verhalten und in ihren Äußerungen sehr laut und sehr penetrant programmiert worden. Denn es hatte sich gezeigt, dass dies ebenso ein wichtiges Merkmal von Dummheit sein kann. Als man diese KU eingeschaltet hat, hat man zuerst seinen Augen nicht getraut. Sie hat sich doch tatsächlich einem ehemaligen US-Präsidenten gar nicht einmal so unähnlich verhalten. Waren die Ergebnisse der Forschung bis dahin weitestgehend unbeachtet in der Forscherwelt geblieben, wurde man nun schlussendlich doch noch darauf aufmerksam. Dr. Freising hat von allerlei seltsamen Leuten aus Regierungs- und vor allem Geheimdienstkreisen Besuch erhalten. Sie wollten sich die KU näher anschauen; mit ihr unbeobachtet Kontakt haben, ja, sie einfach verstehen. In kleinen Kreisen hat Herr Dr. Freising vor allerlei zwielichtigen Regierungsvertretern und komischen Regierungsorganisationen seine Ergebnisse zu seiner Erforschung der Dummheit gehalten. Als Höhepunkt war es diesen Leuten dann einzeln gestattet, 10 Minuten alleine mit der KU in Kontakt zu treten. Nicht wenige von ihnen hatten Herrn Dr. Freising danach gefragt, ob es von diesem Programm nicht auch eine Pocketversion für zu Hause oder für das Handy gibt. Anscheinend haben sie in kürzester Zeit mit ihr eine tiefergehende Freundschaft geschlossen. Herr Dr. Freising hatte dabei den Eindruck gehabt, als wollten die Bittsteller am liebsten mit der KU zusammen in der nächstbesten Bar einkehren und erst am nächsten Morgen reumütig zu ihren Frauen zurückkehren und ihnen schwören, dass dies wirklich das allerletzte Mal gewesen war; dass so etwas wirklich nie wieder vorkommen würde.
Dies alles wurde von Dr. Freising und von seinem Team als großer Erfolg ihrer Erforschung der Dummheit gewertet. Diese KU schien reif für eine allgemeine Anwendung zu sein, sei es nun die Ansage an einem Flughafen oder Bahnhof oder bei einem Navigationssystem, vielleicht als Ergänzung zu den herkömmlichen Stimmen. Dann müsste man bei seinem Navi einfach nur den Doofheitsmodus aktivieren.
Es hatte nicht lange gedauert, und die Gesellschaft wurde mit dieser Art von Dummheit in diesen und in ähnlichen Weisen förmlich überrollt. Dr. Freising hatte wohl mit seiner KU geschafft, woran viele vor ihm gescheitert waren: einer Künstlichkeit menschliche Wärme einzuhauchen, indem man sie mit Hilfe von Hightech einfach möglichst dumm erscheinen lässt.
 
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