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Die Kinder von Brühl 18/ Teil 3/ Die Russen und die Neue Zeit/Episode 6/ Der Waschtag die Kohlköpfe und der Russe

Romane/Serien · Erinnerungen
© rosmarin
Episode 6

Der Waschtag die Kohlköpfe und der Russe

Da war schon was dran. Immer, wenn große Wäsche angesagt war, versuchten die Kinder, nicht in Elses Nähe zu kommen. Denn Elses Laune war dann jedes Mal auf dem Tiefpunkt angelangt.
Schon einen Tag vorher merkten die Kinder die Anspannung. Noch bevor sie schlafen geschickt wurden, heizte Else den kleinen Ofen im Waschkessel. Der Ofen befand sich ganz unten vorn im Waschkessel. Das Feuerloch war so klein, wie das im Kanonenofen in der Stube. Allerdings dauerte es im Waschkessel ewig, bis das Wasser so warm war, dass Else die Kochwäsche darin einweichen konnte. In das angewärmte Wasser schüttete Else ein Gemisch aus Soda- und Seifenpulver, damit eine schöne Lauge entstehen konnte, die den ersten Schmutz aus der Wäsche saugte. Dazu musste Else die schweren Wäschestücke immer wieder durchwalken.
„Das geht ganz schön über die Arme“, sagte sie oft. „Und über den Rücken.“ Else richtete sich dann mühsam auf, reckte und streckte sich, bevor sie wieder einige Scheite Holz oder eine Kohle in den Ofen schob. „Das Wasser braucht ja ewig“, ärgerte sie sich. „Nicht, dass ich noch drei Tage für die Wäsche brauche.“
Während sich das Wasser langsam erwärmte, sortierten Rosi, Jutta und Karlchen die Wäschestücke, die Else in einem riesigen Korb, der unter der Treppe neben der Waschkammer stand, gesammelt hatte. Einen Stapel Kochwäsche. Also Bettwäsche. Tischdecken. Handtücher. Einen Stapel Arbeitssachen von Richard. Die kamen in das Einweichwasser der Kochwäsche. Natürlich, nachdem Else die Wäschestücke mit einem großen Kochlöffel aus Holz und einer Wäschezange herausgefischt und in einen Bottich, der neben dem Waschkessel stand, geworfen hatte. Dann gab es noch einen Stapel Kindersachen, die Else nicht mit der täglichen Windelwäsche gewaschen hatte. Zum Beispiel Hosen und Jacken.
Das war der Tag vor der richtigen Wäscherei. Also das Einweichen und Vorwaschen. Die richtige Plagerei war dann am nächsten Tag. Für diesen Tag sollte nach Möglichkeit sonniges, oder zumindest, warmes Wetter sein. Damit die viele Wäsche schnell trocknen konnte. Auf der dicken Wäscheleine. Im Hof.

*

„Wachet auf, wachet auf!
Es krähte der Hahn.
Die Sonne betritt
ihre goldene Bahn.
Wachet auf!
Wachet auf!
Es krähte der Hahn …“

Vor Schreck sprang Rosi mit einem Satz aus dem Bett. Else war ja heute gut drauf. Heute, am ersten Ferientag. Der dann ja auch gleich der Waschtag sein sollte. Nachdem sie gestern alles vorbereitet hatten.
„Wachet auf!
Wachet auf “, trällerte Else fröhlich weiter, während sie die Treppe hinauf eilte.
„Jutta! Bertraud! Aufstehen. Mama kommt.“
Schnell zog Rosi die kratzige, blauweißkarierte Bettwäsche über ihre Zudecke und das Kopfkissen. Wenn Else sie dabei erwischen würde, gäbe es ein ganz schönes Donnerwetter. Als Rosi den letzten Knopf des Kopfkissenbezuges zugeknöpft hatte, stand Else in der Tür. „Na, ihr Langschläfer“, sagte sie, „raus aus den Betten. Ran an die Arbeit. Oder habt ihr vergessen, dass wir heute große Wäsche haben?“
Jutta und Bertraud Johanna setzten sich fast gleichzeitig in ihrem Bett auf. Verschlafen rieben sie sich die Augen.
„Wie spät ist es denn“, fragte Jutta. „Ich bin doch noch müde.“
„Ich auch.“ Stürmisch legte Bertraud ihre Ärmchen um Juttas Schultern. „Wir sind beide noch müde“, sagte sie.
„Gleich sechs Uhr“, erwiderte Else. „Unser Hahn hat schon gekräht. Und den Tag begrüßt. Also Zeit, aufzustehen.“
„Wir kommen gleich.“ Rosi schaute kurz zu den zwei Pferdeköpfen mit den traurigen Augen hinter Glas. Dann zu dem Bild über dem Bett gegenüber. Mit dem Jungen, der furchtlos über eine Brücke geht, weil der Engel über ihm seine Flügel ausbreitet und ihn beschützt.
„Na, hat euch der Engel heute Nacht auch wieder beschützt“, neckte sie Jutta und Bertraud. „Und euch schön schlafen lassen?“
„Ja“, sagte Jutta, „aber wir sind trotzdem noch müde. Und außerdem ist es der erste Ferientag. Nicht mal da kann man sich ausschlafen.“
„Das lass mal nur Mama nicht hören“, flüsterte Rosi. „Sonst wird sie wieder sauer und kriegt schlechte Laune.“
„Ich meine ja nur“, flüsterte Jutta zurück.
Else weckte schnell noch Karlchen mit ihrem Gesang: „Wachet auf! Wachet auf… „

Kurz darauf saß die Familie am Frühstückstisch. Die kleine Margitta schlief friedlich in ihrem Stubenwagen. Richard war schon auf Arbeit.
„Rosi“, Else sah Rosi streng an. „Sprich das Morgengebet“, forderte sie. „Diesmal ohne Mätzchen.“
„Ja“, war Rosi einverstanden. „Ohne Mätzchen.“
Sofort falteten die Kinder die Hände. Sie schlossen die Augen und senkten die Köpfe.
„Lieber Gott, wir danken dir“, begann Rosi, „dass du uns eine erholsame Nacht geschenkt hast. Und wir gesund und munter aufgewacht sind. Und nun alle gemeinsam frühstücken dürfen. Danke für den gedeckten Tisch. Für Speis und Trank. Und lass an diesem Waschtag Mama keine schlechte Laune haben. Amen.“
„Keine schlechte Laune haben“, plapperte Bertraud Johanna nach.
Herausfordernd sah Rosi zu Else. Jutta und Karlchen hielten vor Schreck den Atem an. Doch zum Erstaunen der Kinder verzog Else keine Miene. „Amen“, sagte sie gelassen. „Es kann ja wohl sein, dass einem mal eine Laus über die Leber läuft.“
„Eine Laus über die Leber läuft“, freute sich Bertraud.
„Eine Laus über die Leber“, lachte Else. „Und nun esst und trinkt schön.“

Die Kinder aßen und tranken schön. Eine Semmel. Einen Klecks Marmelade. Eine Tasse Muckefuck. Danach warteten sie auf weitere Anweisungen.
„So“, sagte Else, „wenn ihr den Tisch abgeräumt habt, geht Rosi mit mir in die Waschküche. Jutti passt auf Berti und Gitti auf. Und du“, wandte sie sich an Karlchen, „kannst dir wieder ein kleines Taschengeld verdienen.“

Seit einiger Zeit verdiente sich Karlchen in der Thükofa ein kleines Taschengeld, wie Else es nannte. Es war tatsächlich ein kleines Taschengeld. Denn den größten Teil seines Verdienstes musste Karlchen an Else abliefern. Um so etwas zum Haushalt beizusteuern. Wie Else sich ausdrückte.
Bevor Karlchen zur Tükofa ging, warf er sich stolz in die Brust. Er war sich seiner Verantwortung voll bewusst. Er war ja neben Richard der Mann im Haus. Und Männer mussten vorrangig für den Unterhalt sorgen. Zweimal in der Woche, gleich nach der Schule, verdiente sich Karlchen sein Taschengeld in der Thükofa. Meistens musste er Flaschen und Gläser nach Größe sortieren und auf ein dafür bestimmtes Fließband legen. Neben den Fließbändern standen Kontrolleure. Aufpasser oder Aufseher. Sie mussten für Ordnung sorgen. Denn in der riesigen Halle mit den unzähligen Fließbändern musste alles seine Ordnung haben. An den Fließbändern standen die Arbeiter acht Stunden am Tag. Männer. Frauen. Auch Kinder. Meistens ältere. Die sich, wie Karlchen, ein Taschengeld verdienten.
Nach dem Krieg waren die Besitzer der Thükofa geflüchtet oder entlassen worden, weil sie Nazis waren. So stand der Betrieb vorerst unter Leitung der Russen. Obwohl die Russen ja weiter gezogen und auf den Straßen keine mehr zu sehen waren.

„Ich muss heute mit dem Handwagen zur Thükofa“, sagte Karlchen. „Wir sollen Kohlköpfe sortieren.“
„Kohlköpfe?“, wunderte sich Else. „Jetzt? Im Sommer.“
„Ja“, stimmte Karlchen Else zu. „Ich habe mich auch schon gewundert. Vielleicht sind ja noch welche übrig geblieben. Vom vorigen Jahr.“
„Kann sein“, sagte Else. „Es war ja eine gute Ernte im vorigen Jahr. Dann mal ab mit dir.“ Das ließ sich Karlchen natürlich nicht zweimal sagen.
„Jutta“, bestimmte Else, „du passt hier auf Berti und Gitti auf. Gib mir dann Bescheid, wenn sie wach ist. Damit ich sie stillen kann.“
Margitta hatte sich gut entwickelt. Sie war zwar für fast ein Jahr noch ziemlich klein und zart, ansonsten aber geistig voll auf der Höhe, wie Else immer wieder betonte. Else war stolz darauf, dass aus dem Frühchen so ein quicklebendiges, kluges Kind geworden ist. Margitta konnte schon verschiedene Worte sprechen und versuchte sogar, einige Schrittchen zu laufen. Das war eine tolle Leistung.
„Muttermilch braucht sie noch“, sagte Else. „Jedenfalls so lange, bis das neue Schwesterlein oder Brüderlein das Licht der Welt erblickt.“

*

Else und Rosi gingen in die Waschküche. Die Wäsche war für den heutigen Waschtag vorbereitet. Nun konnte sie richtig gewaschen werden. Else hatte einen riesigen Holzdeckel über den Waschkessel gelegt. Damit die Wäsche schön kochen konnte. Sie zog den Deckel etwas zur Seite, um zu sehen, ob die Wäsche sauber war. Sofort erfüllte der Laugenwasserdampf den engen Raum.
„Ich kann nichts sehen“, sagte Rosi. „Der blöde Dampf steigt mir in die Augen.“
„Dann mach die Tür etwas auf.“ Vorsichtig zog Else den Deckel von dem Waschkessel und stellte ihn an die Wand. Der Geruch wurde noch beizender und stieg Rosi noch mehr in die Augen und die Nase. „Und die Tür zum Hof auch“, sagte Else. „Dann zieht der Dampf gleich ab.“
Wie befohlen, öffnete Rosi auf dem Flur die Tür zum Hof. Endlich konnte sie tief durchatmen. Das war schon eine Befreiung. Und das Wetter schien auch schön zu werden.
Der Hahn hatte die Hennen um sich versammelt und sich in Positur gestellt. Die Hennen gackerten und scharrten aufgeregt, wie immer, auf dem Mist herum. Die Blätter des längst verblühten Fliederstrauchs hinter dem Mist bewegten sich sacht im kaum spürbaren Wind. Zippi und Zappi spielten mit den kleinen Zicklein lustig im Hof.
„Ihr habt es gut“, sagte Rosi. „Nur ich muss wieder in die blöde Waschküche.“
Da steckte Frau Schmids ihren Kopftuchwuschelkopf über die Mauer. „So ein Waschtag ist kein Zuckerschlecken“, freute sie sich. „Ich kann ein Lied davon singen. Aber ihr habt Glück. Heute scheint die Sonne. Und du bist ja schon eine große Hilfe.“
„Rosi! Wo bleibst du nur so lange“, rief Else aus der Waschküche. „Komm her. Die Luft ist wieder sauber. Bring noch ein Waschbrett mit. Das steht im Schuppen. Neben deinem Fahrrad.“
Wie auf Befehl verschwand der Wuschelkopf hinter der Mauer.
Rosi holte das Waschbrett aus dem Schuppen und ging wieder in die Waschküche, in der Else schon emsig ein Stück nach dem anderen auf ihrem Waschbrett schrubbte. Immer wieder schmierte sie das Waschbrett mit einem Stück Kernseife und einem Klecks Persil ein, um dann mit beiden Händen die Wäsche darüber zu rubbeln. Auf ab. Auf ab. Bis die Wäschestücke sauber waren. Die saubere Wäsche kam in den Bottich. Neben dem Bottich mit der dunklen Wäsche.
Else stampfte die Wäsche mit dem Wäschestampfer noch einmal kräftig durch, bevor sie zu Rosi sagte: „Du kannst die kleinen Stücke nehmen.“ Sie richtete sich langsam auf, wischte sich mit dem nassen Handrücken den Schweiß vom Gesicht und fügte hinzu: „Also erst schön einseifen. Dann schön rubbeln.“
Eifrig stellte Rosi ihr Waschbrett in den Kessel. Seifte es mit der Kernseife gleichmäßig ein, rubbelte. Auf ab. Auf ab. Hemdchen. Höschen. Leibchen. Kleidchen. Röckchen. Jäckchen. Auch kleine Handtücher und Taschentücher. Und Richards Nachthemden. Die rührte Rosi allerdings nicht an. Warum trug Richard nur immer Nachthemden? Aus Leinen. Es gab doch auch Schlafanzüge. Aus leichteren Stoffen.
„Muss der Richard immer diese Nachthemden anziehen?“, murrte Rosi. „Sogar im Sommer. Die kannst du waschen.“
„Mach ich auch“, sagte Else unwirsch. „Aber du misch dich nicht ständig in Dinge ein, die du nicht verstehst.“
Else rührte die Waschlauge wieder um, so dass ein neuer Schaum entstand. Irgendwie plötzlich wütend, fischte sie ein Hemd von Richard aus der dampfenden Lauge und schrubbte mit der Wäschebürste wie wild auf ihm herum.

Nach ungefähr zwei Stunden stand Jutta in der Tür. „Gitti ist wach“, sagte sie. „Sie ist schon ganz quengelig.“
Mühsam richtete sich Else aus ihrer gebückten Haltung. Sie reckte die Arme in die Höhe und sagte: „Na, dann machen wir mal Pause. Wir sind schon ganz steif. Was Rosi?“
„Ich nicht“, trotzte Rosi, obwohl ihr auch der Rücken weh tat. Und besonders die Hände. Aber das würde sie niemals zugeben. „Ich kann ja weiter schruppen.“
Else eilte ins Wohnzimmer, Margitta zu versorgen. Rosi schruppte weiter.

Kurz vor dem Mittagessen konnte die Kochwäsche auf dem Hof aufgehängt werden. Nachdem Else und Rosi sie mehrmals gespült und ausgewrungen hatten. Das war auch so eine Prozedur. Denn das Wasser mussten sie ja mittels eines Schlauches aus dem Wasserhahn des winzigen Waschbeckens im Flur nehmen und das schmutzige Wasser dann in das Plumpsklo leiten. Dann erst wurde der Kessel für die bunte Wäsche vorbereitet.
„Der Richard könnte ja seine dreckigen Arbeitssache selbst waschen“, schlug Rosi vor, während sie Else die Wäschestücke und die Klammern reichte.
„Das lass ihn mal nicht hören“, erwiderte Else. „Seine Arbeit ist so schon schwer genug. Und dann ist ja auch noch das Feld. Da gibt es genug zu tun.“
„Klar“, war Rosi nicht überzeugt, „aber trotzdem.“
„So, Richard kommt gleich“, sagte Else. „Wir müssen schnell noch Essen kochen.“

*

Nach dem Mittagessen verschwanden Rosi und Else wieder in der Waschküche. Die dunkle Wäsche musste jetzt gewaschen werden. Die weiße Wäsche war in der Mittagssonne schon fast trocken geworden. Dunkle Wäsche. Das waren zumeist Richards Arbeitssachen. Die machten die meiste Arbeit.
Nach diesem Waschtag stand für Rosi fest: Sie würde niemals einen Arbeiter heiraten. Sie verspürte nicht die geringste Lust, sich für einen Mann so abzuplagen. Naja. Falls sie überhaupt heiraten würde. Bisher hatte sie ja mit Eheleuten nicht so gute Erfahrungen gemacht. Irgendwie gab es mit den Männern immer Streit. Oder zumindest Meinungsverschiedenheiten.

*

So gegen sechzehn Uhr stürmte Karlchen in den Hof. „Guck mal Mama“, schrie er. „Ich habe so viele Kohlköpfe bekommen! Und das Geld auch. Guck mal!“
Tatsächlich lagen in dem Handwagen fünf wunderschöne, große, glänzende Weißkohlköpfe.
„Hast du die etwa geklaut?“, wunderte sich Else. „Sonst hast du doch immer nur kleine, vergammelte angebracht. Und die musstest du auch noch bezahlen.“
„Diesmal nicht“, freute sich Karlchen. „Die Kohlköpfe hat mir der Russe geschenkt.“
„Welcher Russe denn?“ Else schüttelte ungläubig ihren Kopf. „Fängst du jetzt auch schon an, wie Rosi, und erzählst lauter Schauergeschichten?“
„Das sind keine Schauergeschichten“, wehrte sich Karlchen. „Das war so.“

Diesmal war Karlchens Aufgabe, aufzupassen, dass kein Kohlkopf vom Band fiel. Wenn doch, sollte er ihn sofort zurück auf das Band legen. Doch es fiel keiner herunter. So wurde es Karlchen langsam etwas langweilig. Er malte sich aus, wie es wäre, wenn so ein schöner, glänzender Kohlkopf in seinem Handwagen landen würde. Else würde sich bestimmt freuen. Das Verlangen nach dem Kohlkopf wurde immer mächtiger. Als der Aufseher einen Augenblick in eine andere Richtung schaute, ergriff Karlchen beherzt die Gelegenheit. Blitzschnell packte er den begehrten Kohlkopf und ließ ihn in seinen Handwagen plumpsen. In diesem Augenblick drehte sich der Aufseher zu ihm. Voller Wut lief er auf ihn zu. Er packte ihn bei den Schultern, schüttelte ihn wie einen leeren Sack hin und her und schrie: „Du verdammter Nichtsnutz! Du Hungerleider! Du unnützer Dreck! Kommst her und klaust Kohlköpfe. Her mit dem Ding!“
Mit einer Hand nahm der Aufseher den Kohlkopf aus Karlchens Handwagen. Achtlos schmiss er ihn auf das Fließband. Mit der anderen Hand schüttelte er Karlchen, dass diesem Sehen und Hören verging und ihm ganz schwindelig im Kopf wurde. „Ab mit dir“, wütete der Aufseher. „Lohn gibt es heute nicht. Und nie mehr. Lass dich nie wieder hier blicken. Du elendiglicher Dieb!“
Weinend schlich Karlchen mit seinem Handwagen zu der schweren Eisentür. Bestimmt würde er sie nie wieder sehen. Auch nie wieder ein Taschengeld verdienen.
Unaufhaltsam liefen die Tränen über Karlchens Gesicht. „Nie wieder“, schluchzte er. „Nie wieder.“
In diesem Moment erblickte Karlchen einen Russen, der den Vorfall vom anderen Ende des Fließbandes beobachtet hatte. Mit schnellen Schritten kam er den Gang entlang. Energisch packte der riesige Kerl den Aufseher am Schlawittchen. Er hob ihn wie eine Feder in die Luft. Ließ ihn dann auf den steinernen Boden fallen und versetzte ihm mit seinen groben Stiefeln einen kräftigen Tritt in sein Hinterteil. „Du! Sadist“, empörte sich der Russe in gebrochenem Deutsch. „Das sein ein Kind. Du ihm geben fünf schöne Kohlköpfe. Für seine Mutter. Sofort.“
Der Russe beugte sich zu Karlchen. Er nahm ihn auf seinen Arm und wischte ihm mit seinem Hemdsärmel die Tränen vom Gesicht. „Du sein ein guter Junge“, tröstete er Karlchen. „Du nichts dafür kannst.“ Der Russe nahm den Handwagen und trug Karlchen zum Tor hinaus.
Else nahm Karlchen ganz fest in ihre Arme. Zärtlich strich sie ihm die blonden Wuschelhaare aus der Stirn und sagte überzeugt: „Die Russen sind sehr kinderlieb. Sie haben ein großes Herz.“

***
Fortsetzung folgt
 
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Kommentare  

Danke lieber Axel für den Kommentar. Ja, ich will
mit diesem Roman ein Stück Zeitgeschichte wieder
lebendig machen anhand wahrer Begebenheiten.
Ich denke, es ist mir bisher ganz gut gelungen. Es
grüßt dich ganz herzlich


rosmarin (27.05.2023)

Dieses Kapitel hat mir besonders gut gefallen, nicht nur, weil du einen ganz hervorragenden Schreibstil hast, auch weil es vieles schildert, was meinen Großeltern und deren Kindern in ähnlicher Weise widerfahren ist. Ja, es gibt sie noch, die guten Menschen, ganz gleich in welchem Volk sie verborgen sind. Man muss nur etwas genauer hinschauen.
Viel Erfolg mit diesem tollen Roman und einen lieben Gruß von


axel (24.05.2023)

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