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Erwachen

Schauriges · Kurzgeschichten
Ich erwache. Noch bin ich nicht Herr meiner Sinne, aber ich spüre schon etwas. Der erste Urtrieb, alles was ich bin. Durst. Eine drängende, überwältigende Gier. Jede Faser meines Körpers schreit danach. Ich will es. Langsam werde ich mir meiner Selbst bewußt, doch er ist immer noch da, stark, fordernd, der Trieb. Ich brauche sie, die Essenz des Lebens, Blut. Ich will es, mein ganzes Ich strebt danach. Ich bin die Gier, ich bin der Durst. Doch langsam kommt noch etwas. Durch den roten Schleier der Begierde kriecht auf langen, haarigen Spinnenbeinen eine leise Erkenntnis heran. Meine Sinne beginnen zu arbeiten. Erst das
Fühlen, dann das Riechen, langsam strömen Eindrücke auf mich ein. Ich kann mich kaum bewegen, ich bin gefangen. Allein in einer engen Dunkelheit mit dem stählernen Verlangen nach dem roten Saft des Lebens. Eng ist es, daß ich mich kaum bewegen kann. Meine Lippen wollen das warme, schwere Blut schmecken. Meine Glieder zucken bei dem Gedanken an den Genuß. Die
Macht, die darin fließt. Der Nektar, der durch die Adern rinnt. So eng ist es, so dunkel. Meine Arme stoßen an Wände in den wilden Verrenkungen, die mich erregen. Die Vorstellung des eisernen, bittersüßen Geschmacks, nach dem ich mich verzehre.
Das sprudelnde Wasser des Herzens. Wo bin ich hier? Warum kann ich mich nicht bewegen? Eingesperrt. Ich brauche es
doch, das, was alles lebend macht. So eng, so eng. Mein Gefängnis, nicht größer als mein Körper. Alles zu, nur Mauern um mich. Blut, Blut, wo ist es, für mich, so großen Durst, so dunkel. Ich schlage um mich, doch kaum, daß ich die Hände von meiner Seite bringe. "Nein! Laßt mich heraus! Ich habe nichts getan, warum habt ihr mich eingesperrt?" Meine Zunge formt die Wörter in gleichzeitiger Suche nach jenem Ambrosia, den ich brauche, ich verdiene, ich will. Ein Gefängnis, ein Kerker, so groß wie ein Mann, und ich liege darin, ich liege, weil ich nicht aufstehen kann. Es ist ein Grab, mein Grab. Und mit dieser Erkenntnis
entringt sich meiner verdorrten Kehle ein Schrei, der von Entsetzen zu Gier und wieder zu Schrecken übergeht. Ein fremder Klang in meinem Ohr, denn nichts menschliches bringt solch einen Ton absoluter Qualen hervor. Der Entsetzensschrei eines blutgierigen Tieres, einer Kreatur, die sich von Blut ernährt. Doch der Schrei verklingt nicht. Er hallt immer weiter. Zeit verschwimmt. Ich merke kaum, wie meine Hände wild gegen den Deckel meines Sargs hämmern, den Rhythmus gebend für den schreienden, schrecklichen Gesang, der sich aus meinem Hals herauswürgt. Gezeugt von Haß, Hunger, Angst und Gier.
Endlos lange. Haß, Haß auf die Welt, die mich hier eingesperrt hat, Hunger, immer noch ist das Verlangen in mir, Angst, ich bin gefangen in einem Grab, Gier, immer wieder, Gier. Endlos lange. Ein Sirenengeheul voller Bösem. Meine Ohren sind taub von meinem Schreien, und meine Hände enden in zerfetzten, um sich schlagenden Stümpfen. Die Zeit scheint zu stehen und Stunden vergehen mit jedem Augenblick. Hilflos zuckt mein Körper um sich, unfähig etwas zu tun, außer zu schreien und zu schlagen.
Sämtlichen Willens beraubt, ohne Macht etwas zu ändern. Lang schon hat sich mein Verstand verkrochen, sich abgewendet von dem grausamen Spiel, das mit meinem Körper geschieht. Nur noch nebensächlich bemerke ich die Schmerzen meiner anstoßenden Glieder und meiner Lunge, die sich selbst aus meinem Leib schreit. Und noch immer ist sich mein Körper nicht sicher, welcher Trieb überwiegt, Blut oder Freiheit. Aber mein Geist hat sich entschieden, der Haß auf die Welt ist der Antrieb, der den Verstand lockt, sich nicht gehenzulassen. Jahre vergehen wie Minuten und Sekunden scheinen niemals zu enden. Zeit ist schon lange vergessen, alleine bewegt sich mein Leib in immer wieder gleichen Zuckungen. Und der Gesang der Hölle weht aus
meinem weit geöffneten Mund.

Etwas ist anders. Das Schreien verstummt, der Körper erlahmt. Geräusche sind zu hören, ein Klopfen, Metall auf Holz. Ein Spaten. Der Deckel hebt sich langsam. Jetzt ist die Zeit der Gier. In einer Sekunde umarme ich meinen Retter, dann schon zerre ich ihn mit in mein Grab. Tief senken sich meine Zähne in seinen Hals. Liebevoll und begierig, wie der Bräutigam in der Hochzeitsnacht. Eine Penetration und eine Defloration. Endlich spüre ich es, das bittersüße Rot, das meine Lippen benetzt und in meinen gierig saugenden Mund strömt. Der schwere, lang ersehnte Geschmack erfüllt mich. Gefühle fließen in mich, wie
Flüsse in das Meer. Immer mehr des Nektars ergießt sich in meinen Mund und länger und genießerischer werden meine Züge.
Ich sauge an meiner Quelle, an meiner Mutter Brust. Ein warmes Gefühl macht sich in mir breit. Hilflos, wild um sich schlagend liegt mein Retter in meinem Armen. Unschuldig, nach dem letzten Halm des Lebens greifend. Doch leicht widersteht mein Körper seinen schwachen, verzweifelten Attacken. Sanft, genüßlich zerbreche ich seinen Lebenswillen. Meine Züge werden langsam und ich erfreue mich an dem Gefühl der Macht, bade mich in der Dunkelheit meiner Kraft. Ich weide mich an seinen
Schmerzen und entzückt spüre ich,, wie ihn die Erkenntnis trifft. Die Kerze seines Lebens liegt in meiner Hand. Verwirrung und Resignation liegen in seinem Blick und ich sauge den letzten Glanz aus seinen Augen, der mit stillem Flackern erlischt, nehme seine letzten Gedanken in mich auf, werde eins mit ihm und sein Bewußtsein verschwindet in der grenzenlosen Weite meines wahnsinnigen Geistes. Ein letztes Aufblitzen, Aufbäumen seiner Seele, bevor sie in der schwarzen Nacht in mir verschwimmt und ausgelöscht wird. Sein Zucken erlahmt und ich schmecke die Grenze aus Leben und Tod, an deren Schranken ich stehe
und den Zoll eintreibe. Der Fährmann am Fluß Styx, der die Überfahrt mit Blut bezahlen läßt, auf einem brennenden Boot, das die Seele verzehrt. Dann ist es vorbei. Der Lebensfaden durchtrennt. Der Rausch der Ewigkeit erfüllt mich. Vorsichtig bette ich mein Opfer in den Sarg, der meiner war und seiner ist. Ein letzter wehmütiger Blick, auf den leblosen Körper, ein Erwachen aus dem Rausch. Der rote Schleier hebt sich und zurück bleibt der bittere Geschmack der Erkenntnis. Wie ein Süchtiger beim
Warten auf das nächste Mal. Wenn die süße Flut der Droge alle anderen Triebe versenkt und nur das klare Licht absoluter Macht in meinem toten Herzen leuchtet. Denn eines ist mir klar, der Durst ist gestillt, für dieses Mal, aber er wird wieder kommen. Ein Trieb, der alle Schranken niederreißt. Auf der Suche nach dem Feuer, das mich wärmt, der Geschmack von Blut auf meiner Zunge.
 
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Morgan (26.05.2002)

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