198


4 Seiten

Künstlerische Intelligenz

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
- Eine Parabel zum Thema "Gott und du" -

Meister Küfer hatte beschlossen, erst dann eine Pause einzulegen, wenn sein Werk vollendet war. Deshalb hatte er auch fast die ganze Woche in seiner Werkstatt verbracht.
Ein weiterer Handgriff, der von seinem Geniehirn gesteuert wurde.
Das Objekt sollte die gleiche Form haben wie er selbst und das war ihm auch hervorragend gelungen. Die Beine, die Arme, der Torso, der Kopf. Nur eben alles aus verziertem Metall. Sein Name sollte 'Justus' sein.
Man hatte zu Küfer immer gesagt, es käme auf die inneren Werte an; eine vermeintliche Floskel, die ihm vor kurzem wieder eingefallen war. Das war zugleich die Geburt von 'Projekt Justus'. Er würde der erste Roboter aus Meister Küfers Werkstatt sein, der diesem anspruchsvollen Kriterium Rechnung trug. Einer, den man persönlich kennenlernen und der seine Umwelt mehr und mehr entdecken konnte.
Noch eine kleine Handbewegung, die die Kunststoff-Nervenstränge, die das Gehirn mit dem Herz-Sensor verband, in die richtige Position brachte.
Küfer wusste, dass er es gleich geschafft haben würde, denn er hatte sich vorgenommen, nicht über diese Woche hinaus an Projekt Justus zu arbeiten. Nicht dass er nicht alles für eine möglichst perfekte Umsetzung gegeben hätte; aber er dachte gar nicht daran, morgen weiterarbeiten zu müssen. Da wollte er nämlich schon mit Justus zusammen Spaß haben.
Ein letzter Handgriff, der den Sensor am Herzen des Metallenen aktivierte und ihn zum Leben erweckte.
Impulse begannen, durch den ästhetischen Körper zu schwirren; die Beine fingen an sich zu rühren, die Arme streckten sich vorsichtig, der Torso richtete sich langsam auf und der Kopf neigte sich leicht nach oben. Dann begann Justus, durch den Raum zu gehen. Küfer beobachtete das Treiben mit großer Freude und legte sein Werkzeug nieder. Nur seinen Nachrichtenüberspieler hielt er fest in der Hand. Damit konnte er jederzeit Verbindung mit Justus aufnehmen und ihm Befehle erteilen, falls dies nötig sein sollte.
„Herzlich Willkommen, Justus, es ist schön, dich kennenzulernen!“
„Ich freue mich auch, Meister Küfer, ich fühle mich sehr gut!“
Küfer fühlte sich auch sehr gut.
„Los, Justus, lasse deiner Kreativität freien Lauf! Du kannst machen was dir gefällt.“
„Wirklich? Und was ist, wenn ich dabei auf die Schnauze falle?“
Küfer lachte vor Vergnügen, denn Justus war einfach zu komisch.
„Keine Angst, sobald du in Gefahr bist, werde ich dich warnen,“ sagte Küfer gelassen, „im Grunde kann dir gar nichts passieren, solange du mit der Hand nicht an deinen Herz-Sensor kommst. Da würde es nämlich einen Kurzschluss geben und deine Systeme würden mit dir durchgehen.“
„Danke, Meister, ich fühle mich sehr sicher. Hier gibt es wirklich viele Dinge zu entdecken.“
Wieder schmunzelte Küfer vor Erheiterung.
„Das ist nur eine kleine Werkstatt. Du wirst begeistert sein, wie viel es draußen noch zu entdecken gibt.“
Justus begann, den ganzen Raum zu erforschen. Er ließ dabei nichts unversucht. Manches gefiel ihm und machte ihm Freude. Alles andere ließ er einfach sein. Und Küfer stand interessiert daneben und hatte auch Freude. Wenn Justus in der Gefahr war etwas zu tun, was ihm geschadet hätte, warnte er ihn einfach rechtzeitig.
Besonders Küfers Werkzeuge gefielen Justus. Da ihm eine ungewöhnlich schnelle Lernfunktion gegeben war, war er sehr bald in der Lage, sich selbst Dinge damit zu basteln: Zum Beispiel ein Radio.
Flotte Musik ertönte, als er es in Gang setzte. Küfer klatschte dazu und Justus begann zu tanzen. Beide lachten fröhlich.
„Was für eine schöne Musik, Justus!“
„Das habe ich selber gebaut. Großartig, nicht wahr?“
Er machte die verrücktesten Handbewegungen, während er sich im Kreise drehte. Meister Küfer flog nur noch so an seinem Blickfeld vorbei. Er war wie im Rausch. Alles, was er jetzt noch hörte, war die Musik aus dem Radio. Einfach schön war sie. Er konnte gar nicht aufhören zu tanzen, sondern drehte sich immer schneller.
Ein plötzlicher Piepton in seinem Nachrichtenempfänger störte ihn. Eine Mitteilung von Meister Küfer: „Pass auf, dass du mit den Händen nicht an den Sensor kommst!“
Beinahe hätte ihn das veranlasst, mit dem Tanzen aufzuhören. Aber dazu gab es eigentlich keinen Grund, wenn er es sich recht überlegte. Es machte Spaß und er hatte alle Freiheiten. Und schließlich hatte Meister Küfer ihm ja auch gesagt, er solle seine Umgebung erforschen. Also ließ er es sich nicht nehmen, seine Hand auf den Sensor zu legen.
Augenblicklich spielten die Systeme verrückt, Funken sprühten, die Gliedmaßen verloren mit einem Male an Kraft. Justus schüttelte sich, dann sackte er zu Boden und landete auf dem Bauch.
Damit war der Tanz beendet.
„Justus, ist alles noch heil? Warte, ich helfe dir hoch und bringe dich wieder in Ordnung. Gib mir deine Hand!“
„Wie selbstherrlich bist du doch, Küfer! Zuerst lässt du es zu, dass ich falle und dann möchtest du mich auch noch festhalten und mir meine Selbstständigkeit wegnehmen. Und überhaupt: ich sehe dich sowieso nicht.“ Konnte er auch nicht, denn er lag ja auf dem Bauch. Aber das war kein Problem für ihn, er konnte ja hervorragend kriechen. Mehr brauchte er nicht. Er würde einen Ausweg finden und damit seinen überheblichen Freund, der ihn einfach seiner Unabhängigkeit berauben wollte, das Staunen lehren.
Also begann er, mit den Händen auf dem Boden zu robben. Etwa achtzig Zentimeter vor sich sah er die Werkstatttür. Er kroch ihr entgegen. Eine weitere Nachricht erreichte ihn:
„Halt' an und dreh' den Kopf zu mir! Dann erkennst du meine Hand.“
„Wie kannst du das nur von mir verlangen? Du willst mich vom Blick nach vorne abhalten und zum Stillstand bringen. Niemals werde ich mich deiner Willkür hingeben.“
Er ließ sich nicht davon abhalten, sein Ziel zu erreichen, schließlich hatte er ja herausgefunden, wie das ging. Und wirklich: bald berührte er mit den ausgestreckten Händen die Tür. Nun kam alles auf seinen Willen an. Alles hing bisher von seinem Willen ab. Sonst wäre er schon längst auf der Strecke geblieben. Er durfte nicht aufhören, sich zu bewegen.
Deshalb machte er weiter. Sein Kopf prallte gegen die Tür - die achtzig Zentimeter waren zu Ende. Nicht aber sein Wille.
Deshalb robbte er weiter. Wieder prallte sein Kopf gegen die Tür. Nur nicht aufgeben!
Deshalb boxte er weiter dagegen. Er begann, Schmerzen zu spüren. Sie waren aber gering.
Deshalb vergrößerte er den Schaden weiter. Langsam wurde das Bild vor seinen Augen schief.
Eine neue Nachricht: „Justus, du zerstörst dich! Ich will dich nicht verlieren!“
„Wer gibt dir das Recht, mich zu belehren? Du hast deinen eigenen Körper. Also lass meinen in Frieden!“
Er robbte und boxte weiter, bis er merkte, dass das Bild vor ihm verschwunden war und sich in eine dunkle Fläche verwandelte, da seine Glasaugen nun endgültig zertrümmert waren. Danach sein künstliches Gehirn, sodass augenblicklich alles in ihm lahmgelegt wurde - bis auf den Herz-Sensor, der war ja schon kaputt.
Justus lag regungslos da und Küfer wusste, dass es keinen neuen geben würde.
Nur eines war Justus im letzten Moment noch gelungen - er hatte Küfer eine Nachricht geschickt:
„Du wusstest genau, dass ich kaputt gehen würde und hast mir trotzdem nicht aufgeholfen. Wie bist du doch ungerecht!“

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