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13 Seiten

Brenne Deutsches Vaterland

Schauriges · Kurzgeschichten
© Erik Hart
Ein einsamer junger Mann schlich kurz nach Mitternacht durch die Straßen der Innenstadt. Auf den ersten Blick fiel er kaum auf, nur sein Gang war gebückt und unsicher, und über eine Schulter hatte er eine Tasche gehängt. Dann bog er in den Eingang einer bekannten Disco ein, an den Türstehern vorbei und die Treppe hinunter. Die Türsteher kannten ihn und ließen ihn deshalb mit der Tasche durch. "Das ist ein richtiger Masochist, der kommt immer hierher, um sich fertigmachen zu lassen", zischelte einer von ihnen. Er bemerkte den Spruch nicht, wohl aber das laute, höhnische Gelächter, daß ihm folgte, und die verächtlichen Blicke in seine Richtung. Unten angekommen, betrat er den Tanzraum und wurde gleich von höhnischen Rufen empfangen: "Heey Hallo Thomas! Wie geht's, alter Spacko?" Die Umstehenden sahen sich nach ihm um. So waren sie alle hier, wenn sie ihn denn nicht einfach ignorierten. Doch er ging weiter, und nach wenigen Minuten bezahlte er seinen Eintritt und ging wieder hoch. Am Eingang, genau neben den Türstehern, stellte er seine Tasche ab, um sich die Jacke zuzuknöpfen. Rasch ging er dann weg - seine Tasche schien er zu vergessen. "Na, dem haben sie's wohl heute ganz schnell besorgt", höhnte einer der Türsteher.

Der Gast war gerade eine Minute weg, da ging auf einmal die normale Disco-Musik, kommerzielle Boygroups, aus und wich dem schwülstigen Klang der deutschen Nationalhymne. Offenbar war das Mischpult des DJ angezapft worden, so daß diese Melodie eingespeist wurde. Nur wenige Takte spielte die Hymne, dann gab es einen gewaltigen Blitz und Knall am Eingang. Sekunden später ertönte aus dem Inneren lautes Geschrei, doch eine gewaltige Flammenzunge loderte aus dem Treppenschacht und Eingang, welche diesen einzigen Weg nach draußen blockierte. Unten waren Brandsätze hochgegangen und hatten die Garderobe, die Bar und einen seitlichen Abstellraum mit Brettern und Möbeln in Brand gesetzt. Es gab praktisch keine Möglichkeit, der Feuerhölle zu entkommen. "Zu dieser Stunde sollen ihre Leiber brennen, danach die Seele für die Ewigkeit", flüsterte der Mann, der nun auf ein Fahrrad stieg und sich langsam durch die Nebenstraßen entfernte. Das laute Geräusch der Martinshörner dröhnte schon durch die Nacht, als Feuerwehr, Rettungswagen und Polizei herannahten. Am nächsten Tag füllte das Thema die Zeitungen: "Disco-Inferno: Gesichter in den Flammen, Gestank von Fleisch erfüllt die Luft", wurde einer der wenigen Überlebenden zitiert. Die Polizei fahndete schon seit einiger Zeit mit Hochdruck nach dem Feuerteufel, der schon in einer Reihe von Fällen Großbrände gelegt hatte, denen jedes Mal Dutzende Menschen zum Opfer fielen. 148 waren es dieses Mal, so viele wie bisher noch nie. Offenbar ein fanatischer Deutschlandhasser, denn einige Male hatte er bei seinen Taten die Nationalhymne gespielt, sowie mit Hundekot verschmierte Deutschlandfahnen und "Deutschland verrecke!"-Parolen auf Bekennerschreiben verschickt. Eines der Schreiben veröffentlichte die Polizei: "Ihr verdammten Schweine! Ihr habt mich immer fertiggemacht und dafür nehme ich jetzt Rache! Hinweg mit diesem Scheißland und seinen Scheiß-Bürgern! Brenne Deutsches Vaterland!"

Thomas Krauß war in einer spießigen Kleinstadt aufgewachsen, wo die Erwachsenen ständig über die Kleidung, die Autos, die Beziehungen und Affären ihrer Nachbarn tratschten. Thomas lebte die ersten Kinderjahre noch relativ normal, doch am Gymnasium hatte er dann zuviele Pickel, war zu einzelgängerisch und nicht selbstbewußt genug. So wurde er gerade von den populären Jungs in der Klasse ständig gehänselt, fertiggemacht und letztlich auch verprügelt. Die waren oft mit schwarz-rot-goldenen Fahnen unterwegs, bei Fußballspielen schrien sie immer "Deutschland, Deutschland!". Und sie hatten diese typische Spießereinstellung, mit der sie von ihrer Norm abweichende Leute niedermachten. Dadurch wurde sein Bild von diesem Land geprägt, und es entwickelte sich ein wohl verständlicher, in letzter Konsequenz dann tödlicher Haß. Während er sonst nur an Plätzen fernab menschlicher Siedlungen heimlich gezündelt hatte, ging er nun nachts in die Siedlungen und zündete Anbauten, Schuppen und vor Häusern gelagertes Material an. Womöglich wäre es schon damals härter gekommen, wenn er nicht irgendwie an Flugblätter aus der linksradikalen Szene gekommen wäre. Darin standen all die Ansichten, die Thomas auf seinem Lebensweg gewonnen hatte: Deutschland und die Deutschen waren böse, eine Jahrhunderte alte Tradition von Scheußlichkeiten, die in den Massenmorden des Dritten Reiches ihren Gipfel fanden und die nun in Spießern und rechtsradikalen Gewalttätern fortleben. Darunter stand die Parole, die er sich schon tausende Male beim Einschlafen, leise oder in Gedanken, aufgesagt hatte: "Deutschland verrecke!" Endlich hatte er mit Mühe und Not sein Abi geschafft, so daß er nun in die Großstadt zog, um Arbeit zu finden. In dieser Stadt war aber auch die Kontaktstelle der Linksradikalen angegeben: Das Antifa-Cafe in einem linksalternativen Kulturzentrum. Es dauerte nicht lange, bis Thomas an einem solchen Treffen der Szene teilnahm. Am Anfang konnte er nicht bei allem dabei sein, weil offenbar auch illegale Sachen besprochen wurden, doch das Mißtrauen legte sich nach ein paar Wochen. Die Autonomen machten ihm klar, daß sie Antideutsche Linke wären. Nicht antideutsch, weil sie von Gegnern so bezeichnet wurden, wie viele Linke, sondern aus eigenem Selbstverständnis. "Die deutsche Tradition und das deutsche Wesen sind die Wurzel des Faschismus, und solange sie nicht ausgerottet sind, bleibt der Schoß fruchtbar", lautete eine der Indoktrinationssätze, die Thomas vorgebetet wurden. Einmal gab es eine Veranstaltung zur Bombardierung Dresdens im zweiten Weltkrieg: "Keine Träne für Dresden! Die britischen Bomber haben mit ihrem Feuersturm die notwendige Vernichtungsarbeit gegen die Nazibrut und ihre Mitläufer geleistet!", referierte ein in der Szene bekannte Autor namens Jörg Elsaß. Der Gedanke an einen großen Feuersturm, der ganze Städte mitsamt den ihm so verhaßten Menschen wegfegte, faszinierte ihn. Zwar war ihm die Ideologie der Antifa etwas zu kryptisch, aber der fanatische Haß auf dieses Land und seine Bürger, die ihn sein ganzes Leben lang fertig gemacht hatten, ließ ihn sich hervorragend in diese Szene einpassen. Er las nun regelmäßig die Publikationen der Antideutschen Linken, welche seinem Haß so scheinbar passend entgegen kamen, Blätter wie "Concrete" und "Jungle Words". Und am Ende schrieb er sogar selbst Artikel für sie, sowie eine ganze Reihe von Flugblättern für die örtliche Szene.

Allerdings kamen ihm langsam auch Zweifel. Viele in der Gruppe waren nur darauf aus, andere zu verprügeln, zu terrorisieren oder sonstwie niederzumachen. Nicht aus nachvollziehbarem und gerechtfertigtem Haß, sondern aus rein krimineller Lust am Quälen und Niedermachen. Der Tod von Frauen und Kindern bei Bombenangriffen bereitete ihnen nicht aus berechtigtem Haß Freude, sondern, weil sie so ihre Skrupellosigkeit zur Schau stellen und sich als besonders harte Typen hinstellen konnten. Im Prinzip kaum anders als gewöhnliche Gangster oder die Kahlschädel vom anderen politischen Ufer, nur, daß sie die Verbrechen der Nazizeit hierfür als Vorwand nutzten. Und letztlich machte er einen kapitalen Fehler: Er bezeichnete einen prominenten jüdischen Funktionär als arrogant und unsympathisch, was ihm sofort den Vorwurf des Antisemitismus einbrachte. Rasch hatte er die ganze Gruppe gegen sich und wurde letztlich unter Drohungen und einem Tritt in den Hintern aus dem Cafe gejagt: "Verpiß Dich, Antisemitensau! Wir wollen Dich hier nie wieder sehen!"

Nun war Thomas mit seinem Haß auf die Menschen wieder alleine. Doch der Gedanke an einen Feuersturm wie in Dresden faszinierte ihn. Man mußte am Boden auf einer genügend großen Fläche Brände legen, so daß daraus ein einziges Großfeuer entstand, welches die Feuerwehr hoffnungslos überforderte. Alle Leute in diesem Scheißland verachten ihn und machen ihn fertig; so konnte er ihnen endlich die gerechte Strafe dafür geben. Und so ging er eines Tages durch ein Hochhausviertel am Rande der Nachbarstadt, wo ihn ein paar asoziale Jugendliche anpöbelten und beinahe zusammenschlugen. Wieder war er das ideale Opfer für solchen Schmutz, und so beschloß er, hier Rache zu nehmen. Die Treppenhäuser hatten zwar kaum Brennbares, aber in den Kellern gab es viel. Und so deponierte Klaus zentral ferngezündete Brandsätze in vieren der Hochhäuser. Der Rauch, so dachte er sich, würde Treppenhäuser und Aufzüge blockieren und damit eine maximale Tötungseffizienz gewährleisten. Zu diesem Zweck stellte er im Treppenhaus präparierte Mülleimer auf, mit Reifengummi, PVC-Kunststoff und Brandsätzen darin. Als er dann in der kommenden Nacht die Brandsätze zündete, dauerte es schon eine ganze Weile, bis die Feuerwehr kam. Der Brand breitete sich langsam in den Gebäuden aus, und so hörte Thomas lange das Schreien eingeschlossener, verzweifelter Menschen. Die Flammen loderten aus den unteren Etagen der Plattenbauten und fraßen sich langsam nach oben vor. Ständig hatten ihn die Menschen gemobbt und geschnitten, alle waren in ihrem Charakter so, ohne Ausnahme, nur, daß einige das für längere Zeit nicht gegen ihn richteten. Und so war es ihm auch etwas Schönes, sie elendig verrecken zu sehen. Etliche sprangen aus den Fenstern, denn der erste Löschzug konnte die Flammen allein nicht löschen. Trotzdem gelang es, viele mit Leitern und einem Hubschrauber aus den Bauten zu retten, was Thomas ärgerte. Und nach einer Stunde waren auch genug Feuerwehren da, um den Brand unter Kontrolle zu bekommen. Trotzdem sollte ihm diese Aktion gut drei Dutzend Tote einbringen. "Ich allein weiß, warum ich dies tue, die Zahl ihrer Leichen ist mir Lohn genug!", dachte sich Thomas, als er den Ort seiner Tat verließ. Als er sich etwas entfernt hatte, stürzte der erste der Wohnblocks krachend in sich zusammen. Die Nacht ließ ihn nur hervorstiebende Flammen und Funken in der Dunkelheit sehen, sowie eine riesige Masse brennender, aufgewirbelter Kleinteile. Der Himmel bekam eine orangene Farbe, als ihn die Flammen erleuchteten.

Die Medien brachten den Anschlag mit großer Aufregung. Alle schimpften auf den Pyromanen und hatten einen ohnmächtigen Haß. Denn da war jemand, der gegen die alltäglichen Schikanen und Demütigungen dieser Welt zurückschlug und dessen sie nicht habhaft werden konnten. Dieser Erfolg spornte Thomas zu weiteren Taten an. Er suchte sich ein Wohnviertel mit vielen Altbauten, darunter noch viele mit Holztreppen. Es dauerte eine ganze Weile, bis er genügend Brandsätze gebastelt hatte, die alle gemeinsam durch ein Radiosignal zünden sollten. Dann ging er von Haus zu Haus, als wolle er Werbeprospekte oder kostenlose Zeitungen verteilen. Letztlich gelang es ihm überall, die Feuerbomben zu deponieren. Ein Zeitzünder war mit der Magnesiumwolle aus Foto-Blitzwürfeln verbunden, welche etwas Schwarzpulver entzündete. Dieses schmolz eine Plastikflasche mit Benzin auf, außerdem erzeugte wachsgetränktes Papier einen kleinen Anfangsbrand. Den letzten Brandsatz befestigte Thomas oben am Fahnenmasten vor einem Amtsgebäude, auf dem eine schwarz-rot-goldene Fahne hing. Dann ging er nach Hause, wohl wissend, daß ein zentraler Zeitgeber um zwei Uhr nachts über Funk das Zündsignal geben würde. Das Stadtviertel umfaßte mehrere Straßen und Häuserblocks und war flächenmäßig viel größer als die Wohnblocks, die er das erste Mal angezündet hatte. Beruhigt ging er am Abend schlafen, denn er wußte, daß er sich nicht zu oft am Tatort sehen lassen durfte. Anders als sonst quälte ihn die Einsamkeit und die Erinnerungen an all die Demütigungen der Menschen nicht mehr so sehr, denn er hatte nun begonnen, Rache zu nehmen. In der Nacht schließlich wurde er von Martinshörnern und Hubschrauberlärm geweckt. Er zog sich notdürftig Kleidung über und ging auf den Dachboden, wo er durch eine Dachluke in den Nachthimmel, in Richtung des angegriffenen Stadtviertels, sah. Schnell fiel ihm auf, daß draußen orangenes Dämmerlicht herrschte. Doch der Himmel über der Stadt bot den erhabensten Anblick: Riesige Flammen loderten gut hundert Meter in den Himmel und vereinigten sich über dem Stadtviertel zu einem gewaltigen Tornado aus Feuer, Rauch und aufgewirbelten, brennenden Trümmerstücken. Das Licht der Flammen war so hell, daß er die Sachen auf dem Dachboden auch ohne Lampe gut erkennen konnte. "Da habt ihr die Hölle zurück, die ihr mir gegeben habt!", sagte Thomas leise vor sich hin. Offensichtlich hatte es diesmal richtig gut geklappt: Die vielen Brände auf einer Fläche vereinigten sich zu einem einzigen Großbrand, der die Feuerwehr total überforderte und so alles auf dieser Fläche vernichtete. Scheinbar war das Feuer auch schon über die Fläche des ursprünglichen Zielgebietes herausgegangen und hatte umliegende Gebäude in Brand gesetzt. Hoffentlich waren nicht zuviele Menschen aus den brennenden Häusern entkommen, denn ihnen galt ja schließlich sein Haß. "Hoffenlich brennt das ganze Land bald so!", dachte sich Thomas noch, als er wieder herunter in sein Schlafzimmer ging.

Am nächsten Morgen stellte er das Radio ein und lauschte den Berichten: "Der wahnsinnige Feuerteufel schlägt wieder zu. Ein ganzes Stadtviertel wurde bei diesem heimtückischen Anschlag ein Raub der Flammen. Derzeit besteht noch gar keine Klarheit. Die Anzahl der Toten läßt sich nicht zählen." Thomas ging am Mittag an den Rand des niedergebrannten Viertels, wo er eine Trümmerlandschaft erblickte, wie man sie aus Bildern nach dem Krieg kannte. Erst nach über zwei Wochen stand fest, daß 54 Menschen bei diesem Anschlag getötet worden waren. Thomas war davon enttäuscht, denn der Brand war doch viel größer als vorher und sollte doch auch entsprechend mehr von der Menschenbrut vernichten. Da waren ihm viel zuviele entkommen. Interessanterweise berichteten die Medien auch über den Brandsatz an der Fahne und spekulierten, ob wohl politische Motive, etwa eine feindliche Haltung zu diesem Land, eine Rolle spielen könnten. Ja, und das stimmte. Thomas haßte dieses Land wie die Pest und wünschte allen seinen Bürgern den Tod. Ob andere Länder oder Menschen wohl besser seien, hatte er sich allerdings bisher nie gefragt.

Aus Enttäuschung über die geringe Opferzahl beim letzten Anschlag entschloß er sich, auch mal etwas anderes zu versuchen. In einer südlich der großen gelegenen Kleinstadt hatten viele reiche und angesehene Bürger ihre Häuser und Villen. Thomas entschloß sich, gegen die Eliten Deutschlands vorzugehen, zumindest gegen jene, die in dieser Gegend wohnten. Er entschied, brennbares Gas in die Häuser einzuleiten, dieses sich mit der Luft mischen zu lassen und dann zur Explosion zu bringen. Propan wäre am einfachsten zu beschaffen, aber es war nicht richtig stark. Und so kam er zum Entschluß, Acetylen zu nehmen, welches man normalerweise zum Schweißen verwendete. Es würde die stärkste Explosion liefern und auch bei einem nicht ganz genauen Mischungsverhältnis hochgehen. Also besorgte er sich einige Acetylenflaschen und baute sich kleine Propellerturbinen, welche das Gas mit der Luft vermischten. Dann fuhr er am Abend mit seinem alten Geländewagen los, den er sich von seinem Lohn gekauft hatte, und schlich sich an die Häuser der Reichen. Irgendwie gelang es ihm, die Gasflaschen in die Gebäude zu befördern oder das Gas von außen einzuleiten, so daß sich die Räume mit dem brisanten Gemisch füllten. Kleine Zünder mit Fernsteuerung sollten dann die Explosion auslösen. Nachdem er alle Gasflaschen deponiert und sich entfernt hatte, drückte er den Knopf auf seiner Fernsteuerung und beobachtete mit Vergnügen, wie die Häuser regelrecht explodierten. Aus den massiven Steinhäusern schossen die Flammen seitlich heraus; bei einem einstöckigen Bungalow, der einem neureichen Immobilienhai gehörte, wurde das ganze Dach ein paar Meter angehoben, um leicht verdreht wieder auf die brennende Ruine zu krachen. Thomas war schon weit genug weg, so daß kein direkter Verdacht entstand.

Diese Aktion löste bei den Politikern und Journalisten noch viel mehr Entsetzen aus als die anderen vorher, obwohl es gerade einmal dreizehn Tote gab. Natürlich fürchtete sich die Prominenz aus Politik und Medien jetzt selbst, daß es ihr auch an den Kragen gehen könnte, und da war die Berichterstattung noch fanatischer als bei der viel größereren Opferzahl in dem asozialen Hochhausviertel. Und so machte Thomas weiter, mal setzte er auf Quantität bei den Opfern, indem er möglichst viele in großen Wohnblocks tötete, mal auf Qualität, indem er weniger, dafür aber reiche und prominente Persönlichkeiten den Flammen übergab. Hinweg mit der verdammten deutschen Menschenbrut! Er schickte Bekennerschreiben mit besudelten deutschen Fahnen und Haßparolen gegen das Land an Presse und Polizei. Zunehmend fuhr er auch weitere Wege, bemüht, seinen Standort nicht zu verraten. Letztlich sah es so aus, als könne er überall in Deutschland zuschlagen. Einmal legte er in einer weit entfernten Stadt in den unteren Etagen eines Bürohochhauses einen Großbrand, bei dem über hundert Menschen draufgingen. Panik und Hysterie gingen durch die Presse, angesichts dieses Ein-Mann-Krieges gegen die Gesellschaft: "Welche Stadt wird heute nacht verglühen, wieviele sehen den morgigen Tag?", titelte eine Zeitung. Gut anderthalb Monate waren so vergangen, alle paar Tage ein neuer Anschlag. Der letzte war in einer großen Discothek in der Nachbarstadt, in die er jeden Tag gegangen war und in der sie ihn jedes Mal verarschten und fertigmachten. Das Problem war, daß sie ihn dort schon kannten, und so tötete er die Türsteher mit einer Sprengbombe am Eingang und sorgte dafür, daß fast niemand aus dem Clubraum entkommen konnte. Anschließend fuhr er mit dem Fahrrad fort, welches er dann in den Wagen lud, um zurückzufahren. Dies war sein bisher tödlichster Anschlag.

Nun reizte Thomas der Gedanke, Rache an jenen zu nehmen, die ihm all die Jahre eine Hölle bereitet hatten. Das Kaff, aus dem er stammte, dieses widerliche Spießernest, sollte in einen qualmenden Haufen Asche verwandelt werden! Doch zuvor wollte er sich noch an dieser blöden Antifa rächen, von der er so enttäuscht und letztlich rausgeworfen worden war. Ja, sie wie auch er haßten Deutschland, aber diese Idioten nutzten das nur als Vorwand, um sich kriminell zu betätigen. Gut, wahrscheinlich nicht alle, aber auf jeden Fall jene, die in dieser Gruppe den Ton angaben. Und er bekam den Eindruck, daß diese Antifas mit ihrer tyrannischen Art doch genau jene Eigenschaften hatten, für die er Deutschland so haßte. Außerdem: Warum sollte man eigentlich nur Deutschland und die Deutschen hassen? Sind andere Menschen etwa besser, weil sie keine Deutschen sind? Haß auf Deutschland bedeutete für Thomas nur, das Naheliegende zu bekämpfen. Global denken, lokal handeln! Also bereitete er eine Aktion gegen das Antifa-Cafe vor. Er kannte das Gebäude und die Zeit, wann sie sich trafen. Dann wollte er Acetylengas einleiten, welches den Raum zur Explosion bringen sollte. Einen Zünder brauchte er nicht, denn viele von denen rauchten, und die Zigaretten würden früher oder später den großen Knall zünden.

An dem Tag, an dem sich die Autonomen trafen, packte er eine Gasflasche in den Wagen und fuhr in Richtung des Szenezentrums Einen Block weiter parkte er und fuhr die Flasche von dort aus, nur mit einer Decke verhüllt, mit einer Sackkarre zum Zentrum. Durch einen Hintereingang kam er ohne Probleme hinein. Im Versammlungsraum saßen sie schon alle beieinander und diskutierten, während Punkrock aus den Boxen plärrte. Thomas wurde durch verwinkelte Gänge vor dem Blick der Teilnehmer geschützt, so daß er eine Weile ungestört arbeiten konnte. Er legte einen Schlauch an die Decke nahe dem Durchgang und drehte das Gas auf. Oben würde es sich besser mit der Luft vermischen und auch nicht so schnell zünden wie am Boden, so daß die Explosion durch mehr Gas größer würde. Dann ging er vorsichtig aus dem Gebäude heraus. Gerade stieg er in seinen Wagen, als er in der Ferne einen lauten, dumpfen Knall hörte. Er fuhr nicht mehr an dem Gebäude vorbei, sondern machte sich gleich auf den Weg nach Hause. In den Radionachrichten wurde die Meldung gebracht, daß das gesamte Gebäude des alternativen Kulturzentrums infolge einer Explosion eingestürzt war. Spekuliert wurde, ob es sich um Trittbrettfahrer aus der rechten Szene handelte. Oder sollte das etwa der echte Feuerteufel gewesen sein, der aus irgendeinem Grund Rache an den Antifas genommen hatte? Thomas ahnte, daß ihm nach dieser Aktion eine große Gefahr der Entdeckung drohte, und so schlief er die Nacht nur wenig, sondern bereitete seine nächste, ganz große Aktion vor: Die Einäscherung seines Heimatortes! Er nahm volle Benzinkanister und steckte in Plastik verhüllte Sprengkörper hinein, welche das Brandmittel nach ein paar Sekunden in alle Richtungen schleudern sollten. Den ganzen Wagen packte er voll mit diesen Brandsätzen, dazu bastelte er auch etliche Rohrbomben, die er in die Kneipen seiner Stadt werfen wollte. Nur etwa die Hälfte der Brandsätze hatte er, wie sonst, mit Fernzündern ausgestattet, denn er schien damit zu rechnen, daß er dieses Mal erwischt werden würde. Und er hatte einen großen Benzintank fest hinter dem Fahrersitz. Mit ihm würde er alles in die Luft jagen, wenn sie ihn denn erwischten. Am nächsten Abend machte er sich dann auf den Weg: Er bestieg seinen Wagen und startete durch in Richtung seiner Kleinstadt, in der er die Menschen so zu hassen gelernt hatte. Hoffentlich würde dies seine größte Aktion in seiner Aktivität werden! Sein Wagen fuhr über die Stadtstraßen in Richtung der Autobahn, welche ihn zum Ziel führte. Als er gerade eine halbe Stunde unterwegs war, klopfte es hart an seine Tür: "Aufmachen, Polizei!", tönte es herein. Als niemand öffnete, wurde die Tür eingetreten, und ein Sondereinsatzkommando schwer bewaffneter Polizisten stürmte herein. Doch sie fanden nur die leere Wohnung, keine Brandsätze und keine Gasflaschen mehr. "Der Vogel ist ausgeflogen", bemerkte ein Beamter.

Nach dem Anschlag auf das Antifa-Cafe hatte sich die Sonderkommission für den Feuerteufel endlich mit dem Staatsschutz kurzgeschlossen, der militante Linksextreme und Autonome beobachtete. Dabei war recht bald herausgekommen, daß Thomas Krauß einerseits fanatischer Deutschlandhasser war, andererseits aber aus der Antifa-Gruppe mit Schimpf und Schande herausgeflogen war, weil ablehnende Kommentare zu jüdischen Funktionären dort nunmal eine Todsünde sind. Der Rest war nur noch Formsache, jetzt galt es, ihn so schnell wie möglich zu finden und an weiteren Anschlägen zu hindern. Als die Beamten die Wohnung leer sahen, lösten sie sofort die Fahndung nach dem Geländewagen von Thomas aus. Der war inzwischen auf der Autobahn und näherte sich der Abfahrt, die zu seiner Kleinstadt führte. Noch war er in einem Auto von vielen, doch Überwachungskameras entlang der Strecke hatten ihn erfaßt; Verkehrspolizisten hatten sein Kennzeichen herangezoomt und Meldung erstattet. Jetzt fuhr Thomas ab auf die Landstraße, hin zu seiner Heimatstadt. Die Abenddämmerung war schon fast der Nacht gewichen, als er sich dem Ortseingang näherte. Hier sollten in wenigen Stunden die Flammen gen Himmel lodern. Doch als Thomas noch näher kam, gingen auf einmal Blaulichter an und Polizeiautos fuhren auf die Straße, um sie zu blockieren. Die Häuser am Ortsanfang waren ganz in das blaue Flackern getaucht. "Hier spricht die Polizei, geben Sie auf!", dröhnte es ihm entgegen. Einen kurzen Moment überlegte er, was er tun sollte, dann stoppte er den Wagen und machte auf der Straße kehrt. Doch in diesem Moment gingen auf der Straße vor ihm, wo er jetzt zurückfahren wollte, Scheinwerfer und Blaulichter an. Mehrere Polizeiwagen hatten sich in der Dunkelheit am Waldrand versteckt und blockierten nun den Rückweg. Da riß er das Lenkrad zur Seite und fuhr einfach in den Wald hinein. Er kannte alle Pfade hier, und der geländegängige Wagen verschaffte ihm einen großen Vorteil. Die Scheinwerfer stellte er ab, denn noch konnte er schemenhaft die Bäume erkennen. Einige hundert Meter raste er über Forstwege, dann war der Wald zuende und er war auf freiem Feld. Die Polizei konnte nur langsam folgen, und als das Gelände sehr buckelig wurde, hatte er sie endlich abgehängt. Einige Minuten fuhr er durch die Dunkelheit, dann hatte er den Ortsrand erreicht und fuhr über eine Nebenstraße hinein. Es zog ihn zu den bürgerlichen Kneipen am Rathausplatz, wo sich die ganzen Leute versammelten, die ihn stets hatten Spießruten laufen lassen. Die ganzen Schleimer und Spießer und Arschlochtypen, die ihm seine Jugend versaut hatten.

Er hielt seinen Wagen mitten auf dem Rathausplatz und warf die erste Benzinbombe in den Eingang der großen Kneipe. Ihr folgten zwei weitere, die weiter in den Innenraum flogen. Dann rannte Thomas um den Platz herum und warf in jedes der dortigen Häuser eine Brandbombe. Schon loderten aus der Kneipe die Flammen, als er Benzinkanister und Rohrbomben in eine andere Kneipe am Platz warf. Nun fuhr er mit dem Wagen in eine Nebenstraße und zündete auch dort Häuser an, indem er zunächst die Scheiben zerstörte und dann Benzinbomben hineinwarf. Auf dem Rathausplatz versammelten sich mittlerweile die Leute und rannten wütend auf den Pyromanen los. Der verschwand in seinem Geländewagen und raste damit genau in die heranstürmende Masse. Nun kam auch die Polizei mit Blaulicht, und nachdem Thomas noch ein paar Leute überfahren und Brandsätze genau auf sie geworfen hatte, blieb er mitten auf dem Platz stehen, während sich die Polizeiautos in einem Ring um ihn aufstellten und die Polizisten ihre Waffen auf ihn richteten. "Sie werden mich nie lebend erwischen, bevor dies geschieht sind sie längst verbrannt", rief er laut ein seinen Wagen, wobei er sich duckte und nach einem Benzinkanister griff. Er übergoß sich ganz mit der brennbaren Flüssigkeit, so daß er triefte, als käme er gerade mit vollständiger Bekleidung aus der Dusche. Noch zögerten die Polizisten zu schießen, als Thomas wieder ans Lenkrad ging und in geduckter Haltung den Wagen in die Polizisten rasen ließ. Jetzt kam das Trommelfeuer, aber zu spät, denn die Kugeln töteten Thomas nicht. Als der Wagen in die Reihen der Polizei krachte, zündete er die große Benzinbombe in seinem Auto. Ein gewaltiger Feuerball erhob sich über dem Platz, brennende Flüssigkeit bespritzte alle im Umkreis. Die Polizisten rannten wie lebende Fackeln herum, aber das Feuer ging nicht aus.

Der Rathausplatz war hell erleuchtet von diesem Feuersturm und den brennenden Häusern. Es waren zwar nicht so viele Tote wie bei anderen Aktionen, aber dafür die, welche ihn in diesen Wahnsinn getrieben hatten. Und das bereitete Thomas in den letzten Sekunden seines Lebens die größte Befriedigung. Er hatte Rache genommen, es dieser bösen Welt gezeigt, während alle anderen Spießer, die ein normales Leben führten und irgendwann von Krebs, Alter oder Herzinfarkt dahingerafft wurden, nur wie Vieh vegetierten und gar nichts erreichten. Die Medien berichteten mit Jubel vom Flammentod des Feuerteufels, doch der Preis, den die Gesellschaft zahlen mußte, war gigantisch. Und es war zu erwarten, daß Thomas Krauß, wie auch so viele andere Täter, die einen Ein-Mann-Krieg gegen die Gesellschaft führten, Nachahmer finden würde, die durch seine Tat inspiriert und ermutigt würden.

***Ende***

Dieser Text entstand, weil ich bei einer ekelhaften Erkältung am 2./3.Oktober 2002 zuhause festgesetzt war, kaum etwas anderes machen konnte und mir dies als passender Beitrag zum 3.10. des Jahres erschien.

Erik Hart
 
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Kommentare  

WoW, echt harter Stoff, aber is man von dir ja gewohnt. Spitzenklasse jedenfalls..."Deutschland in Flammen... brenne... brenne, deutsches Vaterland..."
Was so ein Text von "Eisregen doch alles bewirken kann."
Wirklich stark!!!!


Destiny (24.10.2002)

Aber hallo, "Weltenbrand" scheint bei Dir ja ein ganz besonderes Thema zu sein. Die Figuren Deiner Stories hassen alle durchweg die Menschheit. Wie dieses?
Die Besorgnis meiner Vorschreiber bezüglich der Technik der Brandbomben-Herstellung halte ich für überzogen. Denn dann dürfte man auch keinen Krimi mehr schreiben, in dem jemand mit Kissen erstickt oder mit Messern erstochen wird. Denn Kissen und Messer besitzen wir alle, und kaum jemand braucht dafür eine komplizierte Gebrauchsanweisung. Ob die Entschuldigung: "Habe ich auf webstories.cc gelesen" als Anstiftung für einen Mord dann aber ausreichend sein dürfte, wage ich zu bezweifeln. Jedenfalls sehr gut recherchiert, oder - falls die technischen Daten aus den Fingern gesogen waren, hören sie sich zumindest glaubwürdig an. Und allein das ist wichtig.
5 Punkte


Gwenhwyfar (15.10.2002)

Hi!
Also erstmal ein dickes Lob an eine Geschichte, die gut geschrieben ist, spannend, und noch dazu zum denken anregt, in welche Richtung auch immer.
Alle Argumente, dass solche Geschichten zum Nachahmen animieren könnten, finde ich zu weit hergeholt und übervorsichtig. Wenn jemand Feuer legen will, dann tut er es auch, egal, was er vorher gelesen hat, und wenn jemand das nicht will, dann stiftet ihn auch eine Kurzgeschichte nicht dazu an, denke ich.
Mehr will ich dazu auch nicht sagen, denn die ganze Diskussion ist echt zu ausgelutscht, und eigentlich wollte ich ja auch nur die Geschichte loben.
cu


Christian (09.10.2002)

Ob die Bomben und Anschläge so funktionieren, weiß ich nicht; das waren alles schnelle Gedanken, die ich da niedergeschrieben habe. Wenn jemand die Brandsätze einfach so nachbauen sollte, was ich nicht erwarte, dürften die so einfach nicht funktionieren.

Ich meine, wenn man immer fürchtet, daß jemand was nachmachen könnte, dürfte man ja gar nichts mehr mit düsterem oder psychopathischem Hintergrund schreiben. Und die Leiden des jungen Werther werden doch auch frei verkauft (naja, die alte Diskussion...).

Inspiriert ist das Ganze durch einen Songtext.


Erik Hart (05.10.2002)

Gut geschrieben . Aber ich finde , deine Story könnte besser in eine andere Kategorie passen ,z.b. Spannendes

Stephan Cemetery (05.10.2002)

Bist Du Brandexperte ? Deine Bauanweisungen für Brandsätze, Brandbomben etc. dürften wohl der Realität entsprechen, nehme ich an.
Diese Anleitungen hier fein säuberlich aufzuschreiben ist nicht so gut, denn es gibt immer Quertreiber, Panik und Hassdenker die es jetzt leicht haben so ein Ding herzustellen.
Im Internet haben viele die Möglichkeit Deine Zeilen zu lesen, nicht nur mehr oder weniger friedliche Webstories Autoren.
Die Geschichte könnten ein paar Menschen als Anleitung zum Terrorismus verstehen.
Hoffentlich hast Du mit der Geschichte keine Brandbombe gelegt!
Geschrieben hast Du die Geschichte in einem flüssigen Stil der sich gut lesen läßt. Kommt mir wie ein Nachruf, eine Dokumentation vor.


Wolzenburg (05.10.2002)

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