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4 Seiten

Tröpfchen rettet eine Blüte

Romane/Serien · Für Kinder
Der neue Tag wollte sich noch nicht so richtig zeigen und so verhüllte er sich und alles was sonst so schön zu sehen war in eine undurchdringliche kühle weiße Nebelwand. Selbst die liebe Sonne musste sich an diesem Tag besonders anstrengen, um ihre Strahlen bis auf die Erde zu bringen, doch bisher war sie vom Fenster des alten Mannes noch nicht zu sehen. Tröpfchen hatte es sich an der Fensterscheibe bequem gemacht und schaute sich in der Wohnung seines Gastgebers um.
Die Stube war liebevoll und äußerst gemütlich eingerichtet und wie schon vorher im Garten hatte Tröpfchen sofort das Gefühl, dass es sich hier gut leben lassen würde. Gleich neben dem Fenster stand ein großer mit rotbraunem Samt bezogener Sessel. Auf seiner Kopfstütze lag ein wunderschönes gehäkeltes rundes Deckchen, das in dezenten, aber lebendigen Farben leuchtend eine Blume darstellte. Tröpfchen sah sofort, dass dieser Sessel schon über viele Jahre ein Ort der Ruhe und Erholung war. Neben dem Sessel stand ein kleiner hölzerner Beistelltisch auf dem eine zusammengeklappte Brille auf einem Märchenbuch lag. Der Buchdeckel war schon stark abgegriffen und so spürte Tröpfchen, dass es schon oft zur Hand genommen worden war. Es war fast noch die Wärme der liebevollen Hände zu spüren, die es immer wieder hoch genommen hatten um den Kindern und später den Enkeln und Urenkeln daraus vor zu lesen. Vor dem Sessel standen eine hölzerne, ebenfalls mit einem Samtstoff überzogene Fußstütze auf die Oma Hedwig immer ihre müden Füße gelegt hatte und etwas daneben, eine kleine mit einem Kissen gepolsterte Fußbank, auf denen die Kinder so gerne gesessen hatten um der Oma beim Geschichten erzählen zu lauschen. Tröpfchen spürte die viele Liebe und Geborgenheit die an diesem Ort verschenkt worden war, er spürte aber auch die große Traurigkeit die ihm zur Zeit anhing. Es war, als würde er Oma Hedwig dort sitzen sehen, die Augen dankbar und voll Freude auf ihre üppig blühenden Blumentöpfe auf der Fensterbank gerichtet und den singenden Vögeln im Garten lauschend. Sie war immer wieder von ganzem Herzen froh darüber gewesen, dass auch noch im hohen Alter ihre Ohren und Augen, ihren Dienst taten und ihr es ermöglichten, die Schönheit ihres kleinen Reiches empfinden zu können. Jedes mal wieder hatte sie sich, nach dem kalten und oftmals grauen Winter, auf den Frühling gefreut, der wie mit einem großen, aber liebevoll geschwungenem Pinsel die Welt wieder mit neuen Farben anmalte. Die Erde, die sich nun wochenlang unter dem Schnee versteckt und ausgeruht hatte, öffnete sich jetzt, um es den kleinen und jungen Trieben der ersten Blumen nicht zu schwer zu machen, ihre Köpfchen raus zu strecken, um nach der noch nicht so starken Sonne schauen zu können. Auch wenn es die letzten Jahre immer schwerer geworden war den Garten für dieses Frühlingserwachen vorzubereiten, so hatte sie es doch immer wieder mit der Gewissheit gemacht, dass der Lohn für diese Mühen, mit diesem unbeschreiblichem Glücksgefühl im Frühjahr bezahlt wurde. Wie viel Freude hatte sie auf diese Weise empfangen dürfen, und wie viel Freude hatte sie mit all den bunten Blumensträußchen verschenken können.
Tröpfchen wendete einen Augenblick lang seinen Blick vom Sessel zum Fenster, um zu schauen, ob der Nebel sich nicht langsam niederlegen und den Blick auf die Sonne und den schönen Garten frei geben würde, als jedoch sein Blick an dem traurig aussehenden Blumentopf auf der Fensterbank hängen blieb. Erst wusste er nicht, ob die Blume vor Trauer oder vor Durst ihren Kopf so hängen ließ, doch als er die total vertrocknete Erde sah, da war ihm sofort klar, die Blume braucht ganz schnell Wasser, sonst würde auch sie bald sterben.

Tröpfchen war auf einmal hell wach und festen Willens dieser Blume zu helfen. Schnell rief er, so laut wie es ein Wassertröpfchen eben kann, allen seinen Kameraden, die mit ihm an der Fensterscheibe geschlafen hatten zu, sie mögen ihm doch helfen, dieser armen Blume das Leben zu retten. Prompt fassten sich diese, gleich bei den Händen, um enger zusammen zu rücken und siehe da, aus den vielen kleinen Wassertröpfchen wurden immer größere und schwerere Tropfen, die bald so groß waren, dass sie sich nicht mehr an der Fensterscheibe halten konnten. Schon wenige Augenblicke, nachdem Tröpfchen um Hilfe gebeten hatte, liefen immer mehr und mehr Tropfen zusammen und so bildete sich auf der unteren Fensterkante eine immer größer werdende Wasserlache. Alle Tropfen mussten sich mächtig anstrengen, um nicht zu früh loszulassen. Nein erst wenn es genug waren, durften sie sich auf die, auf der Fensterbank stehende, Untertasse fallen lassen, denn nur so konnten sie der Blume helfen. Doch endlich war es dann soweit, alle Tropfen hatten sich nun versammelt und so konnten die Untersten sich von der Kante des Fensterrahmens abstoßen. Alle hielten zusammen und folgten gemeinsam den Ersten, die gesprungen waren. Mit einem kleinen kaum hörbaren Plätschern, landeten auch alle auf dem Tellerchen, auf dem der Blumentopf stand. Hurra, Hurra riefen sie nun vor Freude aus, das haben wir erst einmal geschafft. Nun mussten sie nur noch zu der Pflanze kommen. Doch bevor sie, darüber nachdenken konnten, hatte die Pflanze schon ihre Wurzeln durch das kleine Loch im Blumentopf gesteckt und begonnen ganz langsam und vorsichtig, die Wassertropfen aufzusaugen. Bei den noch ganz jungen Wurzeln, mussten sich die Tropfen wieder loslassen, um durch diese, ach so kleine Öffnung zu passen, doch jeder wusste genau, was er zu tun hatte, und so krochen sie, einer nach dem Anderen, durch die Wurzel in den Stängel und dann in diesem hoch, bis in die kleinsten Spitzen der Blätter. Tröpfchen hatte, mit einigen seiner Kameraden, einen noch verschlossenen Weg entdeckt und neugierig wie sie waren, hatten sie ihn geöffnet. Nun waren sie ganz neugierig, wo er wohl hin führen würde. Es war unbeschreiblich eng, aber schon jetzt forderte ein betörender Duft zum weitermachen auf und als sie es dann, bis in die Spitze geschafft hatten, da erkannten sie mit großer Freude, dass sie in einer Blüte angekommen waren. Diese hatte es wahrhaft dringend nötig, Wasser zu bekommen, denn sie war schon so schwach, dass es ihr nur noch mit Mühe gelang, sich an der Pflanze fest zu halten. Jetzt aber fühlte sie neue Kraft in sich aufkommen und mit der neuen dieser kam auch sofort der Wunsch, endlich nach der Sonne zu schauen, von der sie schon viel gehört, die sie jedoch noch nie gesehen hatte. Behutsam und ganz langsam, öffnete sie ihre Blätter, gerade in dem Augenblick, als der alte Mann an das Fenster getreten war, um nach dem Nebel zu schauen und siehe da, er hatte es bemerkt. Eben noch von großer Traurigkeit beherrscht, zog nun ein glückliches Lächeln auf sein Gesicht und er sprach mit leiser, aber von Freude erfüllter Stimme vor sich hin: „Sieh mal einer an, du schaust auch wo die liebevollen Hände deiner Pflegerin geblieben sind. Schade sie werden wohl nicht mehr kommen, aber auch ich werde euch nicht vergessen und verdursten lassen, auch wenn es die letzten Tage vielleicht so ausgesehen hat. Schön das du mir zeigst, dass es weiter geht und wenn ich nachher Hedwig besuchen werde, dann erzähle ich ihr, dass du nach ihr gesehen hast.“ Ganz überrascht und verlegen, war die Blüte sogar ein wenig rot geworden, doch sie wusste auch von der Mutterpflanze, dass Oma Hedwig genau dieses zarte Rot so ganz besonders gemocht hatte und so belies sie es nun auch dabei. Zur Belohnung, für soviel bereitete Freude, kamen nun auch die ersten Sonnenstrahlen durch die Scheibe, um die junge Blüte zu streicheln.
 
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Kommentare  

wow, wunderschön klasse
ich freue mich schon auf mehr von Tröpfchen
Heidi


heidi (30.10.2002)

Sehr schöner Schreibstil. Der Inhalt sehr schlicht, unspektakulär, friedlich und süss. Aber wirklich gut geschrieben.

Pascal Gut (25.10.2002)

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