32


3 Seiten

Mein Tag

Schauriges · Kurzgeschichten
Ich wache auf vom Geräusch des Schlüssels im Schloss. Verschlafen wandert mein Blick auf den Türgriff. Langsam senkt er sich. Ein vorsichtiger Strahl der Morgensonne spiegelt sich für einen Moment im polierten Stahl des Griffes. Mit einem leisen Knarren öffnet sich die Tür. Ich setze mich auf und reibe mir den Schlaf aus den Augen. In der Tür stehen zwei Wärter. Eine beklemmende Ahnung drängt sich in mein Bewusstsein. Heute ist mein Tag. "Heute ist dein Tag." Die Stimme des kleinen, stämmigen Wärters klingt metallen. Der polierte Stahl des Türgriffs blitzt für einen kurzen Moment auf. Nur in meinem Kopf. Eine dunkle Wolke hat sich vor die Sonne geschoben. Ihr Schatten dringt durch das vergitterte Fenster und liegt wie eine schwere Last auf mir. Den anderen Wärter kenne ich. Es ist John, der mir immer das Essen bringt. In seiner tiefen, väterlichen Stimme klingt ein scharfes Pfeifen. Leise. Fast unmerklich. Es bohrt sich durch die Ohren ins Gehirn. Im Zentrum scheint es eine Explosion auszulösen. "Zieh dir die Schuhe an! Geh aufs Klo, wenn du musst." Ich gehorche. Es fällt mir schwer, die Schuhe zu schnüren. Meine Finger sind taub und geschwollen. Wie, wenn man aus dem Schnee kommt und seine Hände mit heißem Wasser abwäscht. Eigentlich muss ich nicht, doch vorsichtshalber gehe ich aufs Klo. Die weiße Schüssel ist kalt.

"So, jetzt komm." Johns Stimme klingt ungeduldig. Selbst das Pfeifen scheint kaum mehr warten zu können. Ich folge den beiden in den Gang. Der kleine Stämmige stellt sich hinter mich. "Joe, lass den Quatsch. Wo soll er den hin?" Joe und John. John und Joe. Heute morgen kann ich mich über nichts amüsieren. Gemächlich gehen wir den Gang hinunter. Schreiten fast wie bei einer Prozession. Unter meinen Füßen weiße Fliesen. Weiße Fliesen an den Wänden. Dazwischen glänzende Stahltüren. Ich zähle die Türen. Alle drei Meter eine. Jetzt sind es fünf. Der Klang der Schritte, der sonst über den ganzen Gang hallt, wird geschluckt von einem unsichtbaren Teppich. In meinem Kopf. Zehn Türen. Mit denen auf der anderen Seite zwanzig. Ich zähle nur die Türen auf der rechten Seite. Fünfzehn. Schweigend gehen wir weiter. In meinem Innern beginnt etwas zu kochen. Etwas will raus. Zwanzig. Der Gang macht einen leichten Knick. Es brodelt. Aus meinem Magen kriecht es höher. Fünfundzwanzig. Am Ende des Ganges eine rote Tür. Auf der rechten Seite. Gegenüber, auf der linken, eine grüne Tür. Es kriecht hoch in meinen Kopf. Es windet sich. Es will raus. Warum? Ich beiße mir auf die Zunge. Es will raus. "Warum tut ihr das? Wie könnt ihr das tun?" John und Joe drehen sich zu mir um. Beide zucken mit den Schultern. Joe sagt: "Heute ist dein Tag." Ich schlucke. Es brennt in mir. Wir gehen weiter. Die rote Tür ist Tür Nummer zweiunddreißig. John greift nach seinem Schlüssel. Das Klimpern tut weh. Er geht auf die grüne Tür zu und schließt sie auf.

Joe schiebt mich in den Raum. Meine Füße wollen weg. Meine Beine wollen hinterher. Mein Kopf hat nichts dagegen. Was hält mich? Ich stehe in der Mitte des Raumes. John links, Joe rechts neben mir. Vor mir steht etwas, das aussieht wie ein Gynäkologenstuhl. Der Sitz, die Lehnen für Arme und Beine sind mit schwarzem Leder gepolstert. Am Ende der Lehnen sind Riemen zum Fixieren der Arme und Beine. Ihre Schnallen glänzen aus poliertem Stahl. Neben dem Stuhl ein Tisch. Zangen, Messer, Skalpelle in unterschiedlicher Form und Größe blinken im Neonlicht.

"Leg dich da rein!" John zeigt in die Ecke rechts hinter mir. Ich drehe mich um und sehe etwas, das aussieht wie eine Mischung aus Sonnenbank und Wasserbett. Die Außenhülle ist wohl aus Plexiglas. Die Liegefläche wird von einem Stahlträger gehalten, der mit einem Pult mit drei Knöpfen verbunden ist. Ein roter, ein gelber und ein blauer Knopf. Kein blauer Knopf. Ein blaues Rädchen. Statt der Solarröhren ist die Liegefläche aus durchsichtiger Folie, die eine geleeartige, durchsichtige Masse einschließt. Wie ein Wasserbett eben. Verwundert stehe ich vor diesem Gebilde.

"Leg dich darein!" Das Pfeifen in Johns Stimmer wird lauter. Ich lege mich auf die Liegefläche. Sanft passt sie sich an meinen Körper an. Ich liege wie auf einer Wolke. Joe sieht die Verwunderung in meinen Augen. "Das ist unser neuestes Gerät. Sehr praktisch. Sehr wirkungsvoll. Sehr sauber. Die geleeartige Masse, die dich umgibt, ist ein elektronischer Pulsgeber. Er leitet die Schläge, die wir auf die Außenhaut ausüben, weiter an die Innenhaut. Die Innenhaut ist mit winzigen Elektroden bestückt, die den Schlag auf die Nervenzellen übertragen. Du wirst keinen Unterschied bemerken. Wenn ich an diesem blauen Rädchen drehe, wird der Effekt verstärkt. Sehr praktisch. Sehr wirkungsvoll. Sehr sauber." Joe scheint sichtlich erfreut über diese Erfindung.

Etwas zieht sich in mir zusammen. Die Erwartung des Schmerzes ist unerträglich. John drückt den roten Knopf. Das Oberteil senkt sich. Auf der Höhe meines Kopfes ist eine Maske. Die geleeartige Masse umschließt meinen Körper. Ich kann mich keinen Millimeter mehr rühren. Es ist eng. Von der Magengegend verbreitet sich ein dumpfes Nichts in meinem Körper. Ich kann nicht mehr atmen. Mir wird schwarz vor Augen. John drückt den gelben Knopf. Die Maske legt sich auf mein Gesicht. Luft strömt in meine Nase. Langsam lichtet sich der Schleier. Durch die Masse sehe ich John und Joe. Die beiden stehen bedrohlich über mir. Beide haben Baseballschläger in der Hand. Simple Baseballschläger. Aus Holz. Joe holt aus. Wie in Zeitlupe senkt sich der Schläger. Plexiglas splittert. Ein kleines Stück beißt sich durch die Masse. Es schneidet einen winzigen Riss in meinen Arm. Warm läuft das Blut über die Haut.

John drückt den gelben Knopf. Dann den roten. Das Oberteil hebt sich. Joe ist ohnmächtig zusammengefallen. Er kann kein Blut sehen. John kramt aus einer Ecke einen Verbandskasten hervor. Ich setze mich auf und halte ihm meinen Arm entgegen. Mit einem Taschentuch wischt er das Blut ab. Er verbindet die Wunde mit einer überdimensionierten Mullbinde. Ein Pflaster hätte gereicht. "Ich wusste es." Er spricht mehr mit sich selbst. "Tausendmal habe ich es Joe gesagt: Schläge in die Seite sind gefährlich. Was ist, wenn du die Plexiglashalterung triffst?" Er schlägt Joe ein paar mal auf die Wange. Joe rappelt sich hoch. "Und nun?" Fragend schaut er in Johns Richtung. John zuckt mit den Schultern. "Morgen ist auch noch ein Tag." Joe und John begleiten mich zu meiner Zelle. Vorbei an einunddreißig Türen. Die zweiunddreißigste ist meine. Die Tür fällt hinter mir zu. Ich höre das Geräusch des Schlüssels im Schloss. Stille. © Philipp Pulger (30.4.1998)
 
Wenn du registriert und angemeldet bist und selbst eine Story veröffentlicht hast, kannst du die Stories bewerten, oder Kommentieren. Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diese Story kommentieren.
Weitere Aktionen
Wenn du registriert und angemeldet bist, kannst du diesen Autoren abonnieren (zu deinen Favouriten hinzufügen) und / oder per Email weiterempfehlen.
Ausdrucken
Kommentare  

*etwasratlosist* was ist das denn für ein Knast? Ahhh, is ja grausig *g* Hat mir wirklich gut gefallen!

Maegumi (12.07.2002)

*fg* ... köstlich ... gefällt mir!

Hubert (01.10.2001)

...und das Ende lässt den Leser ziemlich ratlos zurück. Ich finds spannend, aber das Ende ist einfach zu früh! was passiert weiter???

Lea (12.07.2001)

Login
Username: 
Passwort:   
 
Permanent 
Registrieren · Passwort anfordern
Mehr vom Autor
Die Weihnachtsgeschichte fortgesetzt  
Ein himmlisches Festmahl  
Zum Wohl! (der Menschheit)  
Kälte  
Der Kampf gegen den Egoismus  
Empfehlungen
Andere Leser dieser Story haben auch folgende gelesen:
---
Das Kleingedruckte | Kontakt © 2000-2006 www.webstories.eu
www.gratis-besucherzaehler.de

Counter Web De