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Jörg der Hühnerkicker

Amüsantes/Satirisches · Kurzgeschichten
„Du bist der weltbeste Hühnerkicker seit Caesars Hofmarschall“, wie oft sagt und hört man diese Schmeichelei. Wir wissen, es ist ein Spruch, nicht ernst, oft sogar philosophisch gemeint. Bei Bauern, bei Landbesitzern ist es aber anders.
Für Jörg Dreischluss ist es ein kategorischer Imperativ, eine unbedingte Verpflichtung, der beste Hühnerkicker zu sein, ein Befehl, den er sich selbst erteilt hat. Für einen Fünfzigjährigen ist er frisch anzusehen, aber im Wesen ist er schon vertrocknet. Er hat einen Sprachfehler, durch eine Fresslattenoperation auch äußerlich sichtbar, eine schwere Belastung für sein Gemüt. Bei Kollegen mag er sich oft zurückgesetzt fühlen, vielleicht ist er auch häufig gehänselt worden, bei allen anderen erregt sein Sprachfehler Mitleid. Beides ist für seine Gesundheit schädlich, denn er will ganz normal genommen werden.
Hirndefekte, Auswucherungen von Krebsgeschwüren und operierte Fresslatten sind häufig Antriebskräfte für besondere Leistungen. Bin ich von Gott mit meinem Aussehen bestraft, werde ich´s den anderen aber zeigen, dass ich Hühner ganz weit, schnell und hoch kicken kann. Ich kann das Huhn stärker kicken, als es der Norm entspricht.
Mit achtundvierzig Jahren musste sich Jörg vor einem Gericht wegen seiner Kickerei verantworten, es kam auch schon mal zu einer saftigen Geldstrafe, hier, vor derselben Richterin, vor der er heute steht. Damals wurde er als Landbesitzer sehr milde bestraft. Eine Bewährungszeit von einem Jahr wurde damals festgesetzt, die Androhung von drei Monaten miefigen Stadtaufenthalt wäre ja nie vollstreckt worden, wenn er sich in diesem einen Jahr tadellos aufgeführt hätte und wenn er dann auch nicht die Verpflichtungen, die das Gericht ihm auferlegte, erfüllen würde, 365 Tage ohne Hühnerkicken.
Alles, was er damals versprochen hatte, hielt er nicht. Ein benachbarter Bauer meldete dem Gericht, er habe mehrere Hühner fliegen sehen, er höre wildes Hühnergeschrei.
Es gab eine Aussprache im Dienstzimmer der Richterin: „Hören sie auf Hühner zu kicken, strengen sie sich an, ihren Trieb zu unterbinden. Wenn sie es aber wirklich nicht schaffen können, dann zeigen sie wenigstens einen guten Willen, und gehen sie zu einem Psychologen“.
Ein Psychologe war bei der Aussprache dabei gewesen, sie ist es auch heute wieder, ein kleiner, eleganter Mann, kaum vorstellbar dass er sich mit einem, wie Jörg abgibt. Er hat sich sehr bemüht, aber er kann Jörg nicht bändigen. Er hat auch schon Kollegen um Unterstützung gebeten, er hat keine Gewalt über ihn. „Ich kann es doch nicht aus ihm herausprügeln.“
Jörg hat es in der Aussprache bei der Richterin gesagt, und er sagt es jetzt wieder beim Prozess: „ Ich will der weltbeste Hühnerkicker seit Caesars Hofmarschall sein“. Wenn es im Beruf nicht klappt, dann ist er im Hühnerstall der Größte.
Acht Stunden nach der Aussprache bei der Richterin fährt Jörg von Schwerin nach Bobitz. Er sagt, er hätte dann weiter gewollt nach Rostock/Wandspeck. Er wollte dort in einer Huhnaufzuchtsstation arbeiten. Wie er sich das vorstellt? Aber er fährt nicht weiter, bummelt auf dem Land umher, und spätabends, gegen zehn Uhr, wird er von einem Spaziergänger bei einem Bauernhof angesprochen, was er da suche. Er warte auf besseres Wetter und das könne man ja mal überall, sei schließlich ein freies Land, sagt er. Nach Mitternacht zerschlägt Jörg die Stalltür und geht hinein.
Er kickt 15 Hennen, zwei Hähne und tritt 200 Eier platt. Es entsteht ein Schaden von 140000 Euro. Ein paar lebende Hennen nimmt er mit und versteckt sie in einem Schließfach. Am nächsten Morgen kauft er sich neue Schuhe, um die Beute noch mal durch die Gegend zu kicken. Was typisch für ihn ist, ist, dass er die Hennen mehrere Male kickt, obwohl er doch am gestrigen Tag genug gekickt hat. Seht mal, was ich, der weltbeste Hühnerkicker seit Caesars Hofmarschall, kicken kann.
Er wurde beobachtet von dem Spaziergänger. Auch am Bahnhof hatte man den Mann gesehen, wie er die Hühner aus dem Schließfach holte und sie im hohen Bogen über die Bahngleise kickte. Sehr bald wurde er festgenommen.
Alle, der Staatsanwalt, das Referat Anti-Chickenkick, ja auch der Psychologe waren sich einig: Es liegt bei Jörg eine erhebliche Fehlentwicklung vor. Alle bisherigen Ermahnungen, ja selbst die Verurteilung auf Bewährung haben seinen Trieb nicht abstellen können, auch nicht die letzte Warnung der Richterin.
Das Urteil: Ausweisung aus der dörflichen Umgebung und Exportierung in die größte Metropole der Welt, garantiert Hühnerfrei, New York. Dort soll er seinen Trieb loswerden.
Er muss hier einen Ausgleich finden, Anpassung an die reale Welt. Und diese Anpassung ist am leichtesten, wenn der einzelne mit unhühnerischen Dingen konfrontiert wird, denn das schafft dann auch Respekt vor dem Leben anderer Lebewesen, Kameradschaft, ja vielleicht sogar Tierliebe.
Hier, in New York wird Jörg zwangsweise in eine Gemeinschaft kommen. Eine Strafe die vielleicht sein, aber sicher das Glück der Hühner bedeutet.
 
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Kommentare  

Ich habe als Kind Schnecken (nur die mit Haus) mit dem Luftgewehr zerschossen, das mein Vater mir freundlicherweise aus dem VEB Jagd-und Sportwaffen mitbrachte. Aber Hühnerkicken muß ich auch mal probieren, welche Schuhe trägt man denn da so? Gibt es da Chickenkick-Fachgeschäfte?

janina (16.10.2004)

Lustige idee, solide umgesetzt. Gottseidank gibts bei dir keine moral-geschichten. Da les ich immer wieder mal gerne rein.

René Bauer (17.11.2003)

'unhühnerische Dinge', 'Referat für chicken-kick', usw.: es macht einfach Spaß, deine Sachen zu lesen.

Nele (16.11.2003)

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