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Wiesengeschichte

Kurzgeschichten · Sommer/Urlaub/Reise · Romantisches
Wenn durch die Gräser Käfer krabbeln, dicht an meiner Decke vorbei, dann hab ich sie längst geortet. Ich sitze auf dieser Wiese und bin ein Radar für all die Insekten.
Da drüben klettert ein Marienkäfer auf einen Halm, stößt sich ab, fliegt und gewinnt an Höhe. Weg ist er. Es sieht so aus, als wenn Ameisen auf seinen Fersen waren, denn eine streckt ihre Fühler den Halm empor. Fiebrig zittern die schwarzen Sinnesorgane und erkennen, dass die sicher geglaubte Beute weg ist. Die Ameise dreht sich um, schaut verstört und eine andere Ameise haut ihr mit ihrem kleinem Beinchen auf den Kopf. „Hast du in Biologie nicht aufgepasst? Die Käfer können fliegen!“. Hui da war die Ameise wohl nicht da gewesen. Beschämt reiht sie sich wieder ein und sie suchen weiter. „Unsere Königin ein Käfer?“ überlegt sie noch lange.
Meine gestreifte Decke wird gestützt von tausenden Graspflanzen. So schwebe ich zwei Zentimeter über dem Boden und wenn ich meine Adleraugen über den Rand führe, kann ich ganz kleine Einzelheiten erkennen. Winzige Steine, die durchsichtig erscheinen und einen Tausendfüßler der sich zwischen dem Grün entlang schlängelt. Seine Beine wehen wie Wimpern über den Boden und hinterlassen keine Spur. Selbst der Sand wirbelt nicht auf. Der braune Chitinpanzer glänz matt und wird dann wieder vom Grün gefressen. Nun wandert das Insekt im Dunkeln unter meiner Decke. Ich muss aufpassen, dass ich mich nicht allzu stark bewege.
Ein Brummen wird hörbar. Ich hebe den Kopf und sehe über der Wiese einen schwarzen Punkt schweben. Mal hierhin, dann wieder dahin. Der Punkt wird größer und mutiert zu einer Hummel. Auch das brummen wird lauter. Sie bewandert die Löwenzahnblüten. Der dichte Pelz reibt sich an den Kelchen süß und wenn die Hummel dann nachher nach Hause kommt und sich ins Schlafzimmer legt, kommt der Hummelpartner und leckt ihr den ganzen Pelz sauber. Das ist bei denen so. Hummeln die alleine sind, haben dafür eine mechanische Zunge, die sie anschalten und die dann automatisch über die Haare gleitet. Das wissen die meisten Menschen nicht, aber ich hab es selbst schon einmal gesehen.
Die Hummel muss aber aufpassen, mein Radar zeigt eine Taube an, die Hummeln gar nicht auf dem Speiseplan, aber heute noch kein Brot bekommen hat. Die steuert gerade auf das geflügelte Insekt zu. Sieht das die Hummel nicht?
„He Hummel!!“. Ah Gott sei Dank, die Hummel hat mich zwar nicht gehört, aber mein Schrei hat die Taube abgeschreckt. Oder, ach nein, dahinten verteilt ein alter Herr, altes Brot.
Wird auch Zeit. Der ist heute ganz schön unpünktlich.
Jeden Tag kommt der Mann. Mit seinem alten klapprigen Fahrrad, auf dem er die Zeitungen vom Vortag gebunden hat. Manchmal sieht er kurz herüber, aber er grüßt nicht. Er bleibt nie lange, streut sein Brot ins Gras und fährt dann mit seiner Zeitungsbeute wieder nach Hause.
Meine Augen streifen zum Ufer. Libellen surren über dem Schilf und glitzern mit ihren dünnen Flügeln Gestalten in die Luft. Drüben, über dem Weg, im Schilf, ist schon eine ganz andere Welt.
Eine kleine Sommerspinne hat es geschafft auf meine Decke zu steigen. Ihre dünnen Beine bewegen sich schnell. So, als würde der Stoff der Decke brennen. Ihr ist das Gefühl, was sie beim rennen hat, scheinbar unangenehm. Mit einem Finger schneide ich ihr den Weg ab und sie entert meine Haut. Langsam, damit ihr nicht schwindelig wird, hebe ich meine Hand zu meinen Augen. Das ist keine eklige Spinne. Sie hat einen ganz zierlichen Körper. Feine unbehaarte Beine und wache, ruhige Augen. Die kleinen Beine kitzeln meine Handfläche, zeichnen die Linien nach. Sie scheint viel ruhiger zu sein. Auf jeden Fall geht es ihr hier besser, als auf meiner Decke. Schon längst hätte sie versuchen können, sich ins Gras zu seilen, aber nein, sie erklimmt den Daumen, rutscht auf dem Nagel auf die Adern meiner Hand und jetzt legt sie sich in eine Kuhle hinein. Zwischen meiner Lebenslinie und der Liebeslinie. Sie stellt sich nicht tot, denn die Augen schauen mich an. Sehr wach. Da, eben hat auch ein Beinchen gewackelt.
Ich lehne mich nach hinten, meinen Kopf auf die Decke und schaue in den Himmel. Die Hand mit der Spinne lege ich ins Gras. Es sind nur vereinzelt Wolken zu sehen. Ich schaue gerne zu, wie sie sich verändern. Wie aus einem Gesicht auf einmal ein Schwamm wird oder wie Löcher in den Wolken entstehen und sich dann wieder schließen.
Eine Fliege hat sich gerade eben auf meinen Arm gesetzt. Ich spüre dieses Krabbeln und meinen Kopf brauch ich nicht aufrichten. Langsam weiß ich, wie eine Fliege krabbelt.
Sie setzt überall ihren Saugrüssel an und schnüffelt an mir. Zieht durch meinen Haarwald, manche Haare muss sie übersteigen und dann auf einmal gibt es einen Tumult. Als ich eine schöne langgezogene Wolke betrachte, ist die Fliege gerade auf meiner Handinnenfläche angekommen, sieht die Spinne da liegen und ist erbost. Die kleine Spinne ist auch sofort auf den Beinen und krakeelt. Es nützt alles nichts. Die Hand, die ich unter meinem Kopf habe, gebe ich der Fliege hin. So sind beide wieder zufrieden. Die Spinne kuschelt sich in meine Hautfalten und die Fliege saugt Pore für Pore aus.

Jetzt sitz ich immer noch hier. Seit fünf Stunden warte ich darauf, dass die Spinne erwacht und die Fliege endlich fertig ist. Ich muss nach Hause. Morgen bin ich ja wieder da, aber jetzt muss ich los. Was mache ich? „Fliege?“ frage ich? Sie antwortet nicht, schaut nicht einmal nach oben. „Spinne“ flüstre ich, sie dreht sich um. Wenn ich die kleine Spinne jetzt einfach fallen lass, dann tut sie sich noch was. Außerdem wäre sie sehr enttäuscht von mir. Auch die Fliege kann ich nicht so einfach wegschicken. Ich sehe doch, wie sie dass genießt. Ich muss auf die Abendkühle warten. Dann wird es ihnen zu kalt und sie werden auch nach Hause gehen und fliegen.
Der Mond ist schon aufgestiegen. Mein Shirt reicht nun nicht mehr aus. Mit meinen Zähnen hole ich vom anderen Ende der Decke meinen Pullover, balle meine Hände vorsichtig zur Faust und ziehe mir den Pullover an. Als ich die rechte Hand wieder öffne, fliegt die Fliege surrend davon und verschwindet in der Ferne. Das klappt ja wie auf Kommando freue ich mich und öffne die andere Hand. Das heißt, ich versuche es. Was ist das denn? Irgendwie geht das nicht. Meine Hand kann ich bewegen und ich spüre auch noch alles. Was ist das denn? Ein wenig weiß, lugt zwischen Daumen und Zeigefinger heraus. Mit den Fingern kratze ich daran und erkenne, dass es Spinnweben sind.
Es scheint, da will Jemand bleiben. Es bleibt mir nichts anderes übrig, ich gehe mit geballter Faust nach Hause.
 
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Kommentare  

Die Geschichte gefällt mir sehr :)

Du hast einen schönen Blick fürs Detail und die wundersamen Augenblicke in der Natur:
"Libellen surren über dem Schilf und glitzern mit ihren dünnen Flügeln Gestalten in die Luft"

Dein Protagonist ist ein faszinierender Mensch. Er kann stundenlang auf einer Wiese sitzen und die kleine Tierwelt beobachten, sogar für die kleine Spinne hat er eine Schwäche :)
Das muss mir schon allein deshalb so gut gefallen, weil ich noch nciht einmal eine Mücke totschlage.


Jana Kühle (21.01.2004)

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