AUF DERF WETTKAMPFSTRECKE: Siegessicher/Aminas Versprechen

Das Areal der Wettkampfstrecke lag am nördlichsten Ende des Sultanpalastes in einer weitläufigen Parkanlage. Am Sultanspalast war an dieser Stelle eine weitläufige Terrasse angegliedert. Sie diente als Tribüne, prunkvoll gebaut und verschwenderisch geschmückt, dem Sultan und seinem Gefolge, als Aussichtsplattform für die Wettkämpfe. Eine kleine Treppe führte von außen zu der Loge hinauf und galt dem Siegerempfang. An einer Seite der Loge standen zwei Magnumflasche gefüllt mit dem feinsten Champagner. An diesem Morgen konnte man auf der hochherrschaftlichen Plattform fast alles erblicken, was bei Hofe Rang und Namen hat, einzig der Sultan selbst glänzte wieder einmal, wegen seiner Sportantipathie, mit Abwesenheit. Neben dem Großwesir, der in jedem Wettlauf als erster Kampfrichter amtierte, seinen Lakaien und Höflingen, stand auch Prinzessin Shakira, die es sonst auch nicht zu diesen fragwürdigen Spektakeln zog, mit auf dem festlich wirkenden Rang und blickte mit angstvoller Miene auf den Beginn des Wettkampfes. Murad Marat Hon war schon in den frühen Morgenstunden erschienen, um sich auf den Lauf vorzubereiten. Gerade drehte er seine letzte Trainingsrunde, da erschien Mukhtar in seinen Zauberpantoffeln an der Linie von Start und Ziel. Murad Marat Hon, der seinen Gegner nicht ernst nahm, lächelte Mukhtar böse an und frotzelte:
„Na, mein mutiger, buckliger Freund. Alles fit im Schritt? Passt auf: Der Frühsport beginnt hier, geht bis zu der alten, mächtigen Zeder dort hinten am Horizont. Wird der Wendepunkt von euren kleinen Äugelein erkannt?
Und endet wieder hier vor der Ehrentribüne bei Prinzessin Shakira.
Als Preis winken 1000 Sultanos, also 1 Golddukat und ein Schampus-Bad! Wie es heißt, soll es heute auch noch ein Küsschen von der Prinzessin geben, als Extrabonus! Ach, ich bin schon am Verschmachten. Übrigens, die 1000 Sultanos lege ich wieder in Sklavinnen an. Eine lohnenswerte Investition sage ich Euch!“
Mukhtar hatte das anmaßende Geschwätz Murad Marat Hon`s satt und vernahm es nur wie das Gackern und Krähen eines eitlen Hahnes, denn er war vollauf damit beschäftigt, seinen Wettlaufplan nochmals zu über-denken. Als jedoch der Name „Prinzessin Shakira“ fiel, sah er mit freu-digem Erschrecken, zum ersten Mal auf die Tribüne. Doch dort glaubte er nicht die Prinzessin, sondern seine Nefa in einem leichten Gewand, das wie aus Licht und Luft gewoben schien, mit einer winzigen Krone auf dem Haupt, zu erblicken. Er kniff die Augen zusammen, versuchte so das Bild abzuschütteln, doch das Bild veränderte sich nicht. Nefa? Zofe? Shakira? Was ist los? Wer ist nun wer? In diesem Augenblick ertönte das Startsignal…Doch Mukhtar startete nicht wie Murad Marat Hon nach vorn, sondern lief nach hinten auf die Tribüne zu, die Treppe hinauf und rief vollkommen verwirrt!
„Nefa, du meine Lotosblüte. Mein Kopf kann nicht glauben, was meine Augen sehen! Wer bist du nun wirklich? Bist du nun Nefa, Zofe oder Shakira?“
„Ich bin Shakira und ich kann dir alles erklären…“
„Hör auf! Bei allem, was dir heilig ist, wie konntest du mich nur so belügen und gleichzeitig verspotten und verhöhnen?“
Mukhtar schüttelte wütend und verständnislos den Kopf und hob beschwörend beide Hände:
„Bei meinem Buckel, warum hast du dich als Sklavin Nefa, ausgegeben, wenn du doch Shakira, die Tochter des Sultans bist? War es ein schönes Spiel? Hat es euch auch trefflich zerstreut und mächtige Freude bereitet? Haben durchlauchtigste Prinzessin noch andere Spielvorschläge? Etwa: „Fang den kleinen Mukhtar!“, „Mukhtar ärgere dich nicht!“ oder „Der mit dem Buckligen tanzt!“
Prinzessin Shakira antwortete vollkommen verstört:
„Mukhtar, du tust mir Unrecht. Es ist nicht so, wie es aussieht oder du denkst! Ich kann dir alles erklären, aber nicht jetzt! Dafür bleibt uns keine Zeit mehr!“
Ihr Blick wurde dramatisch, ihr Ruf flehentlich: „Du musst dich jetzt auf deinen Lauf konzentrieren! Auf der Stelle läufst zum Startpunkt zurück und Murad Marat Hon hinterher! Lauf um dein Leben, lauf um meinet Willen! Lauf, sie werden dich sonst umbringen!“
„Ich werde nicht laufen!“, rief er mit bockig verschränkten Armen und seine Augen blitzten wie bei einem, dem alles egal ist!
„Wie nicht laufen?“, sie erschrak und wurde kreidebleich.
„Warum sollte ich denn laufen, wenn du nicht meine Frau werden willst?“, verkündete Mukhtar und stampfte ärgerlich mit dem Fuß.
Prinzessin Shakira jammerte bestürzt: „Ich weiß, wir haben beide nicht die Wahrheit gesagt. Aber, ich kann dir versichern, dass unser Wieder-sehen mehr als nur ein schöner Traum war! Schau, Murad Marat Hon ist schon fast an der Zeder und das ist kein Traum. Ich sehe schon das Schwert vom Scharfrichter!“

Aminas Versprechen
Plötzlich geschah ein Zauber um den buckligen Mukhtar, der Shakira einen staunenden und ungläubigen Blick machte und sie bis ins Mark erbeben ließ. Mukhtars Gestalt dehnte und streckte sich, sein Buckel ver-schwand und innerhalb von Sekunden, stand ein gut gewachsener Bursche vor ihr.
„Sag mal Mukhtar, was ist mit dir geschehen?“, rief sie euphorisch aus: „Ich glaube ich träume! Los kneif mich mal! Das kann doch alles nur eine schöne Illusion sein! Allah gib, das es keine Illusion ist!“
Mukhtar, der von seiner Veränderung nichts bemerkt hatte, rief warnend: „Shakira, lenke jetzt ja nicht ab! Treibst du schon wieder ein Spiel mit mir. Ich bleibe dabei und laufe erst los, wenn ich weiß, dass du meine Frau werden willst! Also nochmal: Shakira – ich liebe dich! Willst du meine Frau werden?“
Prinzessin Shakira, die alles wollte, nur nicht Mukhtar verlieren und sterben sehen, hauchte beglückt:
„Ja, von Herzen gern, aber nun beeile dich, sonst kannst du mit dem Scharfrichter Hochzeit halten!“
Mukhtar wandte sich nun endlich von Shakira ab und folgte Murad Marat Hon gemächlich.
Er störte sich nicht an den höhnischen Rufen der Zuschauer, die die Wettkampfstrecke säumten:
„Hey buckliger Mukhtar, meinst du, dass du als buckelloser Mukhtar den schnellen Murad Marat Hon besiegen kannst? Jetzt musst du dich aber sputen, wenn du noch den Sieg davontragen willst!“
Er hörte nicht auf diese Stimmen, sondern sagte sich:
„Was reden die nur alle für ein Quatsch: „Buckelloser Mukhtar!“. Also veräppeln kann ich mich selbst. Jetzt ist nur eins wichtig, dass mein Plan funktioniert! Noch kann ich die Hilfe der Pantoffeln nicht nutzen. Erst muss ich noch den Weg Murad Marat Hon´s kreuzen, dessen Hohn grinsende Fratze schon triumphierend auf das Ziel gerichtet ist. So, gleich, gleich, gleich! Halt, hooo, hooo! Sooo, jetzt kann die Post abgehen! Pan-toffeln los, zeigt, was in euch steckt. Geschwind wie der Wind! Ho, ho, was für eine Geschwindigkeit! Die nimmt mir ja fast alle Luft! Egal, da muss ich jetzt durch. Bei allem, was mir heilig ist, jetzt nur nicht schlapp machen Mukhtar, du musst durchhalten! Ja! Schon naht die Zeder. Ho, ho, wie sich der mächtige Baum biegt, wie morsches Pappelholz, der wird mir nicht doch noch wegknicken? Nein! Ja, du bist ein braver Baum! Das wäre absolviert! Oh, ihr tüchtigen Pantoffeln, ja, ihr macht eure Sache gut! Weiter so Hoppla, Murad Marat Hon ist ja fast schon am Ziel, sein Fuß berührt gleich die Ziellinie, aber ich muss, ich werde schneller sein...!“
Die Prinzessin biss sich in Fäuste und rief voller Leidenschaft: „Mukhtar, mein Großer, mein Starker, mein Lieber, du schaffst es, schneller, schneller, schneller…!“
Mukhtar hatte sein Ziel fast erreicht. Nun galt es den Endspurt noch zu erhöhen, um den Lauf, so nah am Ziel, nicht doch noch zu verlieren:
„Ich muss mein Tempo steigern. Jaaaa, es könnte reichen! Noch 10 Fuß. Da ist Murad Marat Hon und da das Ziel! Letzte Reserven mobilisieren, los! Zisch...vorbei! Geschafft, zwei Fuß vor Murad Marat Hon! Gewonnen! Ich habe gewonnen!“
Prinzessin Shakira jubelte befreit und voller Freude. Mukhtar kam direkt vor der Tribüne zum Stehen, empfing von Shakira den Siegerkuss und riss beide Arme in die Luft!
„Mukhtar, du bist der Sieger“, jubelte sie. „Nun wird alles gut!“
Der Großwesir rieb sich ungläubig die Augen, schaute verblüfft und fragte verwundert:
„Mukhtar, was ist denn mit dir geschehen? Hat dich der Lauf so angestrengt, dass er dich gestreckt und gereckt hat? Nein, also Dinge gib es, die gibt es gar nicht! Wie auch immer, Mukhtar ist Sieger, ich sah es mit meinen eigenen Augen und kann es als Wettkampfrichter bezeugen! Wachen, ergreift Murad Marat Hon diesen Scharlatan und Linksläufer, der Scharfrichter wartet bereits ungeduldig! Das Schampus-Bad für Mukhtar, dem verdienten Sieger!“
Fassungslos begriff Murad Marat Hon, dass er und sein Schnelllauf-Gen von Mukhtar, diesem Erdwurm, diesem Nichts, besiegt wurde. Jam-mernd warf er sich vor dem Großwesir nieder und flehte: „Großwesir, bei allem, was euch heilig ist, Gnade, habt Erbarmen!!! Der Prof muss eine falsche Diagnose gestellt haben. Er hat mich belogen! Und außerdem ging der Wettkampf doch nicht mit rechten Dingen zu! Habt ihr nicht gesehen, wie der Kerl plötzlich gewachsen ist? Und dann dieses Tempo! Das kann doch alles nicht wahr sein! Ich habe die Pantoffeln im Verdacht!“
Seine Stimme überschlug sich, als er rief: „Beim Scheitan, das war Hexenwerk!“
Der Großwesir lächelte verächtlich: „Ihr redet wirr Murad Marat Hon! Hat euch das Doping doch weich in der Birne gemacht? Prof, Hexenwerk, Tempo, plötzliches Wachstum, Schnickschnack, Papperlapapp. Und außerdem seid ihr ein schlechter Verlierer – Murad Marat Hon! Das ist euer Problem. Wie viel Läufer mussten unter euren Großfüßen sterben? Habt ihr euch mal die Mühe gemacht, sie zu zählen? Nun seid ihr auch mal an der Reihe und, bei Allah, es trifft dieses Mal nicht den Falschen! Murad Marat Hon, ihr kennt die Regeln. Scharfrichter, waltet eures Amtes!“
„Beim Leben aller Kreaturen, haltet ein, Großwesir!“, rief die Prinzessin, die sich ihre Hochstimmung nicht durch eine Hinrichtung trüben lassen wollte: „Wir wollen, bis zum rechtmäßigen Urteilsspruch des Sultans, Gnade walten lassen!“
Und sie fügte mit kessem Augenaufschlag und schmollender Stimme hinzu: „Außerdem wäre er bestimmt sauer auf euch, wenn ihr ihn um das Vergnügen brächtet, einer Hinrichtung beizuwohnen!“