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11 Seiten

Cáriallá - Kap. 1+2

Romane/Serien · Spannendes
© Conva
Erster Teil: Kindheit und Jugend


Das Waisenhaus

Cára lag im Bett und atmete so gleichmäßig wie möglich, um der Vorsteherin des Waisenhauses vorzutäuschen, sie wäre bereits eingeschlafen. Sie bemühte sich, völlig entspannt dazuliegen, was gar nicht so einfach war, denn der Hunger wütete in ihren Eingeweiden und bereitete ihr furchtbare Bauchschmerzen.
Seit zwei Tagen schon hatte sie nichts mehr zu Essen bekommen, als Strafe für ihr „absolut ungeheuerliches Benehmen“, wie die Vorsteherin es ausgedrückt hatte. Die kleine Cára war sich allerdings keiner Schuld bewusst.
Es war Besuchsnachmittag gewesen. Viele Familien kamen, um sich die Kinder im Waisenhaus anzusehen. Manche nahmen abends welche mit nach Hause, entweder, um sie an Stelle ihrer eigenen Kinder aufzuziehen oder, was wesentlich häufiger vorkam, um sie als billige Arbeitskräfte zu nutzen.
Ein Ehepaar interessierte sich auch für die zierliche blonde Cára. Es schien ein reiches Ehepaar zu sein, bestimmt waren sie Min, also Angehörige der Kaufmannsgilde, die aufgrund ihrer Macht oft auch als vierte Kaste bezeichnet wurde. Sie waren sehr freundlich zu Cára, schenkten ihr Süßigkeiten (wahrhaft eine Seltenheit!) und machten ihr Komplimente über ihr Aussehen. Doch ihre Augen blieben dabei kalt und der Mann musterte Cára auf eine ihr unangenehme Weise. Ständig streichelte er über ihr Haar, nahm ihre Hand, ließ seine Hände über ihr Gesicht wandern. Dann erkundigt er sich, ob er wohl einmal allein mit seiner eventuell zukünftigen Tochter sprechen könne. Verschreckt schaute Cára die Vorsteherin an, doch diese erwiderte ihren Blick mit harten strengen Augen und führte die beiden in ihre Stube. Nachdem sie ihnen noch heißen Jizin eingeschenkt hatte, verließ sie Cára und den Min. Cára war sich nicht sicher, was der Mann von ihr wollte, doch es behagte ihr gar nicht. Der Mann fasste sie überall an, sein Atem ging keuchend und dann drückte er seine Lippen auf die ihren. Sie erstarrte vor Schreck, doch dann versuchte sie sich zu wehren. Sie haute mit ihren kleinen Fäusten auf den Mann ein, doch dieser lachte nur. Wieder küsste er sie und sie spürte auf einmal seine gierige Zunge in ihrem Mund. Sie wich zurück und stieß an den Tisch. Etwas Jizin schwappte über den Tassenrand und lief über den Tisch auf ihr Kleidchen. Bevor sie wusste, was sie tat, griff sie die Tasse und schüttete ihm das heiße Getränk ins Gesicht. Der Mann schrie auf und ließ sie endlich los. Wie von Furien gehetzt lief Cára um ihn herum, öffnete die Zimmertür und verschwand im Garten des Waisenhauses. Im hinteren Ende des Gartens standen einige alte Bäume. Cára erreichte sie und kletterte wie eine gejagte Katze so hoch sie nur konnte. Für den Rest des Tages und auch die folgende Nacht traute sie sich nicht hinunter. Dann aber zwangen Erschöpfung und Hunger sie dazu, doch wieder herunter zu klettern. Die Vorsteherin war außer sich.
„Einen Min derart zu beleidigen... Den kostbaren Jizin in sein Gesicht zu schütten... Den Ruf unseres Hauses derart zu ruinieren...!“ keuchte sie. „Niemand hat nach diesem Vorfall ein Kind mitgenommen! Die Einnahmeverluste, die wir dadurch haben...!“
Cára versuchte, ihr zu erklären, was passiert war. Doch die ehrenwerte Giza Mari te Trang, Vorsteherin und Besitzerin des Waisenhauses, wollte nichts davon hören. Ihr war es herzlich egal, was aus den Kindern wurde, für sie zählte nur, dass jede Familie etwas Geld für den Erwerb des neuen Familienmitglieds – oder der neuen Arbeitskraft – zahlen musste. Daher war dieser Vorfall für sie doppelt ärgerlich. Die Interessenten an diesem Nachmittag waren über das Benehmen dieses Waisenkindes derart entsetzt und dachten nun, dass alle Kinder so aufsässig wären, dass keiner mehr eines mitnehmen wollte. Außerdem drohte der verärgerte Min mit gerichtlichen Konsequenzen. Giza te Trang hatte ihm versprechen müssen, die Kleine aufs Härteste zu strafen. Ein Versprechen, was sie nur zu gerne gab, denn genau dies hatte sie ohnehin vorgehabt. Ein solch aufsässiges Benehmen konnte und wollte sie nicht dulden und sie gedachte, an Cára ein Exempel zu statuieren.
Cára wurde von der Gartenarbeit in die Wäscherei verbannt. Die Arbeit dort war die Unbeliebteste im Waisenhaus, denn man verbrannte sich schnell die Hände im heißen Waschwasser, bekam Rückenschmerzen, die Hände wurden rissig und der Dampf aus den Bottichen biss wegen der reinigenden Zusätze in den Augen. Außerdem musste sie morgens helfen, das Frühstück vorzubereiten. Dies bedeutete, zwei Stunden früher aufzustehen und unter den erbarmungslosen Augen der Köchin Kohlen für den Ofen zu schleppen, das Feuer zu entzünden und dann den Haferschleim zu rühren. Während der Mahlzeiten musste Cára als warnendes Beispiel am Kamin stehen, wo alle anderen Waisen sie sehen konnten. Die meisten beachteten sie jedoch gar nicht, sondern stürzten sich sofort auf ihre magere Portion Haferschleim oder Suppe.
Beim heutigen Abendessen hatte Cára sich vor Müdigkeit und Hunger kaum noch auf den Beinen halten können. Ihre Augen tränten unablässig von den ätzenden Laugen im Waschhaus und an ihren Händen waren Blasen. Daher fasste sie den verzweifelten Entschluss, in dieser Nacht in die Speisekammer einzubrechen und sich etwas zu Essen zu stehlen.
Nachdem die Vorsteherin sich überzeugt hatte, dass alle Mädchen im Schlafsaal schliefen, verließ sie das Zimmer wieder. Cára wartete noch etwa eine Stunde, dann glitt sie leise aus dem Bett, huschte zur Tür, drückte die Klinke herunter und – musste feststellen, dass abgeschlossen war! Vor Enttäuschung hätte Cára heulen können. Sie hatte nie mitbekommen, dass der Schlafsaal nachts verschlossen wurde. Doch dann fiel ihr Blick aufs Fenster. Direkt davor stand ein Baum, dessen leises Raunen im Wind sie schon oft beruhigt hatte, wenn sie aufgewühlt gewesen war. Jetzt im Sommer waren die Fenster weit geöffnet, um nachts kühle Luft in den sonst so stickigen Raum zu lassen. Da der Schlafsaal im zweiten Stock des steinernen Hauses lag, war Giza te Trang sicher, dass keines der Kinder auf diesem Weg entkommen konnte. Sie war sehr stolz auf ihr großes steinernes Haus, in dessen großen Garten Gemüse und Obst für den Verkauf gezogen wurde, dass einen eigenen Stall für die Pferde von Besuchern hatte und so groß war wie nur irgend ein Haus in der Hauptstadt, in Thetsa.
Giza te Trang hatte allerdings nicht mit der verzweifelten Cára gerechnet. Diese kauerte nun auf dem Fenstersims, versuchte die Entfernung zum nächstgelegenen Ast abzuschätzen und sprang dann. Ihre Hände klammerten sich um einen dicken Ast und sie musste einen Schmerzenslaut unterdrücken, als eine ihrer Blasen aufriss. Ihr wurde für einen kurzen Augenblick schwindelig, doch die Angst verhalf ihr zu ungeahnten Kräften. Sie hangelte sich an dem Ast entlang und kletterte dann vorsichtig den Baum hinunter.
Cára wusste, dass der Kohlenkeller immer offen stand.
Das Waisenhaus lag ein gutes Stück außerhalb der Stadt und niemand lebte in der Nähe, so dass nicht zu befürchten stand, jemand könne die Kohlen stehlen. Die abgelegene Lage verhinderte übrigens auch die erfolgreiche Flucht verzweifelter Kinder, denn in der flachen, öden Umgebung waren sie, sollte jemals einem die Flucht aus dem Anwesen gelingen, stets schnell aufgespürt und eingeholt. Es hieß, Giza te Trang habe vor langer Zeit mit Hilfe eines Zauberers die Umgebung kahl werden lassen und die gesamte Fruchtbarkeit in ihren eigenen Garten transferiert.
In diesem Fall war das jedoch für Cára ein Glück, da aus eben diesem Umstand die Kohlenkellertür offen stand und sie auf diesem Weg in die Speisekammer gelangte. Vorne waren die Zutaten für die ärmlichen Speisen der Waisen gelagert, weiter hinten jedoch gab es unsägliche Kostbarkeiten für Giza te Trangs eigenen Bedarf. Es erschien Cára wie ein Wunderland, jedoch war sie sorgfältig darauf bedacht, überall nur gerade soviel wegzunehmen, dass der Verlust nicht sofort auffiel. Als sie sich schließlich satt gegessen hatte, nahm sie sich noch einige Sachen und band diese in ihre Schürze, die sie zu diesem Zweck mitgenommen hatte. Dann trat sie den Rückweg an. Den Baum wieder hochzuklettern war leicht, dann jedoch stellte sich ihr die Frage, wie sie wieder in den Schlafsaal gelangen sollte. Ängstlich schaute sie auf die Hauswand, die so beängstigend weit weg war. Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen, hangelte sie an einem Ast, der etwas über der Höhe ihres Fensters war, so nah es ging an das Haus heran, schaukelte einige Male hin und her und sprang. Ihre Finger krallten sie an den steinernen Fenstersims, den sie gerade so eben erwischt hatte. Hätte sie nicht zwischen ihren Zähnen die zusammengebundene Schürze mit dem Essen gehabt, so hätte sie vor Schmerz sicher aufgeschrieen. Dennoch war sie sehr erleichtert, es soweit schon geschafft zu haben. Mühsam zog sie sich hoch und kroch leise in das Zimmer hinein. Dann schlich sie zu ihrem Bett und versteckte das Essen unter einem losen Brett im Boden. Erschöpft aber glücklich legte sie sich ins Bett und fiel sofort in einen traumlosen Schlaf.2. Die Schänke



Die Reise

Wieder einmal war Besuchstag. Seit dem Erlebnis vor einigen Jahren fürchtete Cára sich davor und versuchte jedes Mal, sich so unsichtbar wie nur möglich zu machen. Dies war nicht gerade einfach, denn mit ihren mittlerweile zwölf Jahren war sie schon ausgesprochen groß für ihr Alter. Doch ihr scheinbar dümmliches Benehmen und ihre große Tollpatschigkeit ließen sie für alle Interessenten uninteressant werden. Wer ein Kind als Familienmitglied mitnehmen wollte fand sie dadurch zu unattraktiv und wer eine Arbeitskraft suchte, wurde durch ihr unbeholfenes Benehmen und ihre dünne Gestalt abgeschreckt. Diese Schauspielerei hatte Cára schon bei vielen Besuchstagen geholfen, in Ruhe gelassen zu werden.
Diesmal nützte es ihr jedoch nichts.
Giza te Trang schaute sie mit einem falschen Lächeln an. In ihren Augen stand deutlich geschrieben ’Und das du mir diesmal ja nichts vermasselst!’
„Dies ist Giz te Groot, mein Kind. Er sucht jemanden, der seiner Frau und seiner Tochter Gesellschaft leisten kann.“
Der Giz musterte sie aufmerksam. Cára versuchte, noch dümmlicher auszusehen, doch der Mann nickte und sagte: „Ich werde sie mitnehmen.“
Die Vorsteherin nickte zufrieden und meinte: „Sie ist ein gutes Kind. Sie braucht nur etwas Strenge, dann wird sie schnell merken, was sie zutun hat. Kommen Sie, Giz te Groot, gehen wir in mein Arbeitszimmer und erledigen wir das geschäftliche.“ Und an Cára gewandt fügte sie hinzu: „Pack deine Sachen!“
Cára war starr vor Schreck. Im Waisenhaus war es ihr nicht besonders gut gegangen, doch wenigstens wusste sie hier, woran sie war. Doch was würde die Zukunft ihr nun bringen, wohin würde der Giz sie bringen?
Wie betäubt packte sie ihre wenigen Habseligkeiten, zwei Kleider, zwei Nachthemden und drei Schürzen, in ein Bündel und ging dann zum Büro der Vorsteherin.
Cára klopfte an die Tür und öffnete sie, als von drinnen ein „Herein!“ erklang. Giz te Groot war gerade dabei ein Pergament zu unterzeichnen. Die Vorsteherin lächelte wieder falsch, als sie das Mädchen erblickte und meinte dann widerstrebend: „Nun Cáriallá, ich bin eine ehrliche Frau und deshalb habe ich Giz te Groot alles gegeben, was du bei dir hattest, als du als Baby hier abgegeben wurdest.“
Cára sah sie mit großen Augen an. Sie hatte etwas bei sich gehabt?
Der Giz lachte und meinte: „Sieht so aus, als habe ich das bessere Geschäft gemacht, Giza te Trang. Diese Kette ist allein schon einiges Wert, scheint echtes Silber zu sein. Und erst der Anhänger...!“ Giza te Trang lächelte säuerlich. Sie war nie auf die Idee gekommen, die angelaufene Kette und der verschmutzte Anhänger einer Waisen könne irgend etwas wert sein.
Der Giz ließ die Kette mit dem Medaillon von seiner Hand baumeln und neugierig starrte Cára darauf. Wie war sie nur an ein echt silbernes Schmuckstück wie dieses gekommen? Giz te Groot bemerkte ihren Blick und ließ die Kette in seinem Wams verschwinden. „Da ich jetzt die Vormundschaft über dich habe, gehört die Kette mir, also guck nicht so.“ Dann verabschiedete er sich von Giza te Trang und verließ zusammen mit Cára das Waisenhaus. Der Giz war mit einem einfachen Wagen vor den ein mageres Pferd gespannt war gekommen.
Cára kletterte neben dem Giz auf den Kutschbock, Groot schnalzte mit der Peitsche und der Wagen setzte sich in Bewegung.
Trotz aller Angst vor der Zukunft blickte Cára aufgeregt um sich. Sie war noch nie aus dem Waisenhaus herausgekommen und konnte es kaum erwarten, mehr von der Welt zu sehen. Groot hatte der Vorsteherin gegenüber erwähnt, sie würden die Nacht in Thetsa verbringen, da er dort noch Einkäufe für sein Geschäft tätigen wolle. Cára fragte sich, was für ein Geschäft der Giz wohl besaß. Er schien zumindest Gewinn damit zu machen, sonst hätte er den Titel „Giz“ nicht führen dürfen.
Die Regeln der Thetsa waren in dieser Hinsicht sehr streng. Ein Giz war nur, wer ein eigenes Geschäft besaß. Angestellte führten hingegen den Titel Diz und wer in Schulden geriet wurde zu einem Og und war nicht besser als Leibeigene und Sklaven. Im Gegensatz zu den Adelstiteln und dem Titel der Leibeigenen und Sklaven waren die bürgerlichen Titel Giz und Diz nicht erblich sondern hingen vom Einkommen ab. Ein Mann, der in Schulden geriet und diese nicht zahlen konnte wurde Og auf Zeit.
Cára wusste dies, da einige der Kinder im Waisenhaus, die erst spät ihre Eltern verloren hatten, manchmal von den Städten und dem Leben der Menschen dort erzählten.
Sie warf einen Blick auf den Mann neben sich. Giz te Groot war ein kleiner, stämmiger Mann mit einem roten Gesicht, roten Haaren und gewaltigem roten Schnurrbart. Seine Augen waren zwei winzige schwarze Punkte in dem feisten Gesicht. Seine Kleidung war zwar nicht gerade preiswert, doch schmutzig und ungepflegt. Alles in allem war er Cára nicht besonders sympathisch.
Ohne ein Wort miteinander zu wechseln rumpelten sie auf der Straße dahin. Bald wurde Cára langweilig, denn um sie herum war nur öde Wildnis zu sehen. Doch nach etwa drei Stunden erblickte sie in der Ferne einen grünen Streifen und wirklich lugten aus dem sandigen Boden bald einzelne Grashalme. Nach und nach verwandelte die Ödnis sich in eine grüne Fläche voller Leben. Einzelne Büsche säumten den Wegesrand und ein erschrockener Hase hoppelte vor ihnen über den Weg. Und dann sah sie in der Ferne einen dunklen Punkt, der immer größer und breiter wurde. Erste Anzeichen menschlichen Lebens machten sich breit, sie kreuzten andere Wege und begegneten anderen Menschen, die auf dem Weg in die Stadt waren oder ihnen entgegen kamen. Meistens überholten die anderen Wagen sie, denn Groot hatte es nicht eilig und das magere Pferd war ohnehin zu nicht mehr als einem langsamen Trab in der Lage.
Staunend blickte Cára auf die riesige Stadtmauer, die Thetsa umgab. Sie näherten sich der Stadt von Süden her und passierten endlich das riesige Stadttor. Es stand zu dieser Zeit weit offen und ließ Händler, Frauen von außerhalb auf dem Weg zum Markt, Krieger, die von ihren Übungen außerhalb der Stadt zurückkamen und Reisende hindurch. Ein buntes Wirrwarr von Farben, Gerüchen und Klängen traf auf Cáras Sinne. Frauen lachten und kicherten, Männer priesen Waren an, Kinder riefen durcheinander, Pferde wieherten, Schweine grunzten, Hühner gackerten und bunt angezogene Musikanten spielten fröhliche Tanzweisen. In Thetsa war Markttag.
Cára blickte sich um und versuchte, die vielen verschiedenen Eindrücke in sich aufzunehmen. Die hohen Häuser hätten bedrückend auf sie gewirkt, wären sie nicht bunt angemalt gewesen.
Groot suchte sich langsam seinen Weg durch die Marktbesucher hindurch und fuhr bis in den nördlichen Teil der Stadt. Hier waren die Häuser nicht ganz so hoch und auch nicht so schön bemalt. Dennoch erschien es Cára noch immer beeindruckend, wie alltägliche Szenen und Ornamente an den Frontseiten der Häuser dargestellt waren.
Endlich hielt Groot vor einem Haus, das seinen Bemalungen nach zu urteilen einen Herberge war.
„Du wartest hier!“ knurrte er Cára an. Es waren seine ersten Worte an sie, seit sie vom Waisenhaus aufgebrochen waren. Sie nickte.
Groot verschwand im Inneren der Herberge und bald darauf erschien ein schmächtiger Junge.
„Du sollst reingehen.“ wies er Cára an. Sie sprang vom Wagen und reckte ihre von der langen Fahrt schmerzenden Glieder. Sie sah gerade noch, dass der Junge das Pferd mit den Wagen zum angrenzenden Stall führte, bevor sie ins Haus ging.
Im Inneren der Herberge war es schummerig-dunkel und sie erblickte einige Männer, die offensichtlich Karten spielten. Groot sprach mit einem Mann, der wohl der Besitzer der Herberge war. Als er Cára erblickte, rief er sie zu sich.
„Giz te Turt, dies ist Cára.“ sagte Groot. Und zu Cára gewandt fügte er hinzu: „Kannst dich gleich nützlich machen. Ich möchte, dass du ihn in der Küche unterstützt, dafür hat er sich bereit erklärt, die Zimmermiete zu mindern. Und benimm dich!“
Ängstlich nickte Cára, obwohl sie insgeheim nur noch wünschte, ins Bett fallen zu können. Doch sie folgte gehorsam Turt, der sie in die Küche führte. Dort überließ er sie der Obhut einer alten Frau, die er als Diza te Faah vorstellte. Die nächsten Stunden verbrachte Cára mit dem Waschen und Schneiden von Gemüse für die Suppe, die Diza te Faah daraus kochte. Währenddessen verwünschte sie ihr Schicksal und fragte sich, warum sie nicht von einer netten Familie mitgenommen werden konnte. Oder wenigstens im Waisenhaus hatte bleiben können. Dort hatte sie nach einem furchtbaren Jahr im Waschhaus wieder zu ihrer geliebten Gartenarbeit zurückkehren können. Es hatte ihr viel Freude gemacht, den Pflanzen beim Wachsen zuzusehen und es ergab sich immer wieder die Gelegenheit, Obst und Gemüse zu stibitzen so das sie nur noch selten hungrig zu Bett gehen musste.
Als sie sich kaum noch auf den Beinen halten konnte, schickte die Köchin sie endlich ins Bett. Cára kehrte also in den Schankraum zurück. Abgestandene Luft, die nach Alkohol, Zwiebeln und Schweiß stank schlug ihr entgegen. Männerstimmen gröhlten vor Lachen und irgendjemand sang ein anzügliches Lied. Sie schauderte, doch musste sie sich wohl oder übel zwischen den stinkenden Männerleibern hindurch zwängen, um Groot zu erreichen. Dieser saß bei einer Gruppe in der Nähe der Tür und war in ein Kartenspiel vertieft.
Vorsichtig tippte Cára ihn an. Als er sich ihr zuwandte starrte er sie mit zusammengekniffenen, blutunterlaufenden Augen an. Dann schien er sie zu erkennen.
„Heda!“ polterte er und alkoholgeschwängerte Atem schlug ihr entgegen. „Solltest du nicht in der Küche sein? Zurück an die Arbeit mit dir, du faules Stück!“
Cára schluckte ihren Ekel herunter und erwiderte, so fest sie konnte: „Diza te Faah hat gesagt, sie brauche mich nicht mehr, ich könne gehen.“
„So.“ Er starrte sie misstrauisch an, doch dann sagte er zu ihrer großen Erleichterung: „Dann geh halt ins Bett.“ Groot erhob sich, entschuldigte sich bei seinen Spielkameraden und brachte sie ins Zimmer. Ohne ein weiteres Wort drehte er sich dann um und ging wieder. Cára hörte, wie der Schlüssel von außen ins Schloss geschoben wurde und umgedreht wurde. Als sie daraufhin die Klinke hinunterdrückte, merkte sie, dass sie eingeschlossen war. Dies erschien ihr jedoch nicht weiter tragisch, denn sie hätte kaum fliehen können, selbst wenn sie es gewollt hätte. Doch sie war viel zu müde dazu und so kroch sie in eines der zwei Betten und fiel sofort in einen unruhigen Schlaf.
Als sie aufwachte dauerte es eine Weile, bis ihr einfiel wo sie war. Dann erkannte sie, was sie geweckt hatte: Das Geräusch eines anderen Menschen in ihrem Zimmer und das Licht der Kerze, die er in der Hand hielt! Cára hielt den Atem an, als sie Groot erkannte, der sich auszog. Sie schloss schnell die Augen und betete panisch zu Fridiana, dem gelben Mutterdrachen, dass er ihr nichts tun würde, sie nicht berühren würde. Doch wenig später hörte sie das Knarren des anderen Bettes und fing vor Erleichterung fast an zu weinen. Noch einige Zeit später lag sie zitternd im Dunkeln bis die Natur ihr Recht forderte und sie wieder in Schlaf fiel.
Am nächsten Morgen wurde sie unsanft von Giz te Groot wachgerüttelt. „Aufstehen, oder willst du nichts frühstücken?“ knurrte er.
Mit einem Satz war Cára aus dem Bett und wusch sich schnell Gesicht und Hände in dem Wasser, das er im Krug gelassen hatte. Dann lief sie hinter ihm her in den Schankraum.
Dort waren um diese frühe Zeit nur zwei alte Männer anwesend, die sich an Brot und Käse gütlich taten. Auch Cára und Groot aßen Brot und Käse, dazu gab es für Groot dunkles Bier und für Cára Wasser. Da sie am vorigen Abend nichts zu essen bekommen hatte, schlang Cára nun soviel wie in der kurzen Zeit möglich war hinunter.
Als sie nach dem Frühstück aus der Herberge traten, wartete dort schon der schmächtige Junge vom Vortag mit Groots Karren. Auf der Ladefläche des Karrens stapelten sich einige Säcke, die Groot offensichtlich am vorigen Abend, als Cára in der Küche gearbeitet hatte, erstanden hatte.
Wieder schaukelten sie sich langsam ihren Weg durch die Menschen, die trotz der frühen Zeit – die Sonne ging gerade erst auf – schon unterwegs waren.
Sie verließen die Stadt diesmal durch das Osttor und folgten der Straße entlang des Thisá. Dieser plätscherte munter und hin und wieder sah man ein Boot auf ihm entlang gleiten. Wieder schaute Cára sich mit weitaufgerissenen Augen um. Schließlich mündete der Thisá in den Fukasá. Die Namen der Flüsse wusste sie aus den Erzählungen einiger anderer Mädchen im Waisenhaus, die vorher in Thetsa gelebt hatten. Eine hatte vom Fukasá, dem Großen Fluss, erzählt, dessen Ursprung im angrenzenden Unbekannten Königreich war und in dessen Wasser die vier Fuka von Witaialár standen. Cára starrte auf die an dieser Stelle reißende Strömung, die blaugrauen Fluten und die Wirbel, die dort entstanden, wo sich die Wasser des Fukasá und des Thisá vermischten, und schaute dann auf das gegenüberliegende Ufer, das kaum noch zu sehen war. Sie hatte noch nie das Meer gesehen und in diesem Moment schien es ihr, als könne unmöglich irgendwo noch mehr Wasser existieren. Der Weg, dem sie folgten, führte immer am Ufer des gewaltigen Stroms entlang. Sie kamen an einer Sásáhütte vorbei, vor der die Fische in speziellen Räucherhügeln mit Kräutern schmackhaft und haltbar gemacht wurden. Auch auf dem Fukasá fuhren einige große Schiffe, doch hielten sie sich eher an die andere Uferseite, wo das Wasser nicht so flach war. Wie Cára aus Erzählungen wusste, kamen die großen Schiffe selten den Thisá hinauf, sondern legten etwas unterhalb seiner Mündung an. Die Waren wurden dann mit Lastkarren über den Landweg zu kleineren Booten gebracht, die vor der Mündung warteten. Das Wasser an der Mündung selbst war zu unsicher und manch einer, der die Passage hatte wagen wollen, verlor sein Schiff und sein Leben bei dem Versuch.
 
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Kommentare  

Na, das fängt ja ganz nett an und macht Lust auf mehr.

Petra (04.03.2009)

Klassischer Anfang... gefällt mir. Bin gespannt wie's weitergeht und werd sogleich weiterlesen =)

Aves (12.07.2004)

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