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3 Seiten

Macht kaputt was euch kaputt macht

Aktuelles und Alltägliches · Kurzgeschichten
© Ragnarok
Endlich war es soweit: Der erste Mai war gekommen. Seit seine neuen Freunde, allesamt Vertreter der linken Ecke, ihn vor ein paar Wochen gefragt hatten, ob er nicht Lust hätte, an einer, wie sie es nannten, „Demonstration gegen die staatliche Willkür“ teilzunehmen, konnte Peter es kaum mehr abwarten. Das Gefühl der Rebellion und Freiheit war in ihm erwacht. Es war die Zeit seiner aufkommenden „Sturm und Drang Phase“ wie seine Eltern es bezeichneten, so, „wie man mit 15 nun mal so sei“. So war es auch kein Wunder, dass sich Peter schnell in die „Punkszene“ seines Dorfes eingeführt hatte. Dort war er der jüngste gewesen, und auch der einzige mit einem festen Dach über dem Kopf. Trotzdem hatten die anderen ihn immer als vollwertiges Mitglied der Gemeinschaft behandelt, auch wenn er sie immer am Abend verließ.
Wie auch immer, bewaffnet mit Palästinensertuch, Antifa-Aufnähern und seinem Rucksack mit Verpflegung brach Peter schließlich in Richtung Bahnhof auf, um dort auf seine Kumpels zu stoßen. Eine halbe Stunde später saßen sie im Zug nach Berlin.
Bierdosen pflasterten schon bald den Boden und laute Musik von WIZO, Dritte Wahl und ähnlichen Bands dröhnte durch „Stampfies“ Ghettoblaster. Der Schaffner wurde nach Beschwerde ausgelacht und mit leeren Dosen beworfen- die Atmosphäre hätte nicht besser sein können, und Peter genoss es, dazu zu gehören.
Schon bald waren sie an ihrem vorläufigen Ziel dem Alexanderplatz angekommen, wo sich schon mehrere Hundert andere Linksautonome versammelt hatten, und keine Viertelstunde war der Marsch in Bewegung. An dem schönen Frühsommertag hatten sich nun auch andere Schaulustige hinausgewagt, die friedlichen Demonstranten zu beobachten. So vergingen die Stunden mit Parolen brüllen und vor allem Bier trinken. Auch Peter, der einen solchen Alkoholgenuss nicht gewohnt war, trank tapfer- mit der Angst behaftet, andernfalls ausgelacht zu werden. Und eine Seite, die er an seinen Freunden bis dato nicht kannte, zeigte sich: Sie wurden zunehmend aggressiv, pöbelten Leute an und trampelten ganze Gärten nieder. Berauscht von den etlichen Billigbieren jedoch, ließ er sich selbst zu der einen oder anderen Schandtat hinreißen.
Es wurde dämmrig, später dunkel und immer noch floss Bier in Massen. Peters Großhirn hatte schon vor Stunden den Großteil der Arbeit eingestellt, und fing erst wieder an zu rattern, als er bemerkte, dass seine kleine Gruppe gerade eine Bank in den Aldimarkt geschmissen hatte, und rings um sie, etliche Wagen umgestoßen und zahlreiche Feuer ausgebrochen waren. Kurze Zeit später erfüllten Polizeisirenen die kühle Nachtluft.
Fassungslos starrte Peter auf das Ergebniss dessen, was da eben passiert war. Doch zum überlegen war keine Zeit, denn inzwischen waren die Berliner Hundertschaften eingetroffen, die härtesten Truppen der Bundesrepublik. Nein, kampflos würde man sich nicht ergeben, nicht heute. Steine flogen, auch Fahrräder, während die Knüppeltruppen in voller Montur, inklusive Schlagstöcken und Schilden vorpreschten- ja, der erste Mai hatte nun endlich begonnen.
Nach kurzem Infight hatten die“Demonstranten“ es vorgezogen, das Feld unter zahlreichen Verlusten zu räumen, und in etwaige Seitenstraßen zu flüchten- ein großer Fehler. Nur ca. 2 Minuten später fuhren einige Wasserwerfer in die Gasse die Peter und seine Freunde gewählt hatten. Völlig aufgeputscht von Adrenalien konnten er keinen klaren Gedanken fassen.
„Bitte verlassen sie die Straße durch eine Seitengasse und zersteuen sie sich!“ klang es durch ein Megaphon, dann begann der Wasserwerfer mit seiner Arbeit. Peter sah sich um.
Einmal, zweimal, dreimal. Da war kein Seitenausgang, dies war eine Sackgasse. Sekunden später sah er sich völlig durchnässt, mit chlordurchsetzten Augen auf den Boden geworfen. „Ja, spinnen die denn?“ war das einzige an was er denken konnte, bevor er das Dutzend Polizisten auf sich zukommen sah. Der erste packte ihn am Arm, der zweite am Fuß. Peter wehrte sich so gut er konnte, doch es half alles nichts: Es waren einfach zu viele.
Etwa eine halbe Stunde später fanden er und seine sämtlichen Kameraden sich in einer Zelle wieder, mit der Information, dass seine Eltern benachrichtigt sein würden. Endlich wurde er sich ob seiner Taten bewusst, als er seine geschundenen Freunde in der Zelle warnahm. Seltsamerweise schienen sie alles andere als gestresst zu sein, ja sie wirkten sogar fröhlich. Gerade als er sie darauf ansprechen wollte, ertönte die wohlbekannte Stimme seines Vaters, einem einflussreichen Anwalts, hinter ihm:
„Peter, komm sofort her!“
Die ganze Fahrt über wurde kein Wort gesprochen, und Peter dachte in dieser Zeit daran, wie er seine Freunde im Stich lassen musste, dort im Knast. Und wie verdutzt sie alle geschaut hatten als da jemand aus ihrer eingeschworenen Gemeinschaft abgeholt wurde, Stampfie, Ole, Breitie, Knolle und wie sie alle hießen. Sofort, ohne mit seinen Eltern zu sprechen, verschwand Peter in seinem Zimmer als sie zuhause ankamen. Er war eben doch anders als diese Heimatlosen Punks.
Als er dann jedoch sein mit Wunden und Kratzern übersähtes Gesicht im Spiegel begutachtete, flammte der Geist der Revolution in ihm endgültig auf. Die Zeilen ergaben plötzlich einen Sinn:
„Nehmt euch, was sie Euch genommen, nehmt Euch das, was Euch gehört! Macht kaputt, was Euch kaputt macht, macht kaputt was Euch zerstört!“
Peter schlich sich aus dem Haus, und machte sich auf den Weg- zu einem offensichtlichen Ziel.
„Macht kaputt was Euch kaputt macht, macht kaputt, was Euch zerstört!“
 
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Kommentare  

richtig guter text!
sehr realistisch und anschaullisch erzählt!!
richtig motivierend....
macht echt lust auf mehr!!!
nur dumm, wenn man schon polizeibekannt ist und keinen vater hat, der anwalt ist...
dennoch großartiger text!!!


Ulrich Meinhof (03.06.2005)

danke für die blumen....das mit dem vater..er hat es nicht gewusst...oder realisiert..kommt nicht rüber ok......da hab ich gepennt...aber ist auch ein sehr frühes werk von mir, und eine der wenigen geschichten...muss noch ein wenig üben am storyaufbauen

Ragnarok (01.05.2004)

Erschreckend realistische Vorstellung! Super Idee, genial verwirklicht! Gefaelt mir auf jeden Fall.
Nur eine Frage: Wieso hat der einflussreiche Anwalt nicht schon frueher reagiert? Solche Leute wissen entweder immer, was aus solchen Anzaetzen wird oder sie machen sich Sorgen um ihren Ruf. Aber sie nehmen ein solches Verhalten doch eigentlich niemals als Phase, die vorruebergeht auf die leichte Schulter, oder?

Trotzdem 5 Punkte, kann mir nicht helfen, der Rest ist einfach zu gut!


Regina (29.04.2004)

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