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Fasching - zweiter Versuch

Aktuelles und Alltägliches · Kurzgeschichten · Winter/Weihnachten/Silvester
© ThiloS
Was dem jugendlichen Piercingheini von heute seine Love-Parade, ist seinen pappgenasten Eltern der Karneval.

Ich verstehe als Unterfranke nicht, was an Fasching (so heisst das bei uns) so toll sein soll: Tausende Proleten stehen in Clown-, Kasper- und Babykostümen am Straßenrand, saufen sich die Hucke zu, hoffend, daß sie irgendeine Schlampe finden, die besoffen genug ist, nicht zu merken, dass der Typ kein Gorillakostüm an, sondern TATSÄCHLICH einen irren Haarwuchs auf dem Rücken hat. An jeder Ecke wimmelt es von gröhlenden und grunzenden Männerballets in den achso witzigen Frauenklamotten, die sich so intelligente Lieder wie "aaner geht noch, aaaner geht noch nei..." aus der
feuchten Kehle schreien. Ganz toll.

Überhaupt die Musik. DJ Ötzi, Jürgen Drews und überhaupt alle, die ihre CD´s an Sozialhilfe- empfänger absetzen, werden treuliche und teuflische Begleiter sein. "10 nackte Friseusen" werden wir zu hören kriegen und "HähähiiiiiiiBäibi" und überhaupt alles, was sich auf einem "Mallorca-Super-Schaumparty-Hits"-Sampler an akkustischer Intelligenzbeleidigung in Plastik brennen lässt.

Und dann diese unsäglichen Rosenmontagszüge der bierernsten Karnevalvereine. Da dürfen das bestimmt schon mal lustige Motivwagen mit einem Papp-Bush über einem Schachbrett sein, der sich fragt, wo seine Türme geblieben sind. Da kann ich mich dann auch ohne Alkohol übergeben. Zwischen den Motivwagen unsäglich miserable Spielmannskapellen mit diesem Schellenbaum, die zu Recht vergessenes deutsches Liedgut leider auch noch falsch intonieren. Und natürlich dürfen zu einem stinkelangweiligen Rosenmontagszug diese Funkenmariechenhupfdohlen-Clubs, in denen die
Fünkchen entweder noch nicht oder nicht mehr ihre Periode haben, fehlen. Ein Festumzug für Pädo- und Nekrophile.

Am heftigsten finde ich aber sogenannte "Prunksitzungen". Da sitzen dann Damen im kleinen Schwarzen und echten Diamanten neben triefäugigen Herren im Smoking, die sich, hach wie lustig, eine Narrenkappe und, der Brüller schlechthin, eine Pappnase aufgesetzt haben.

Und die ganzen Honoratioren, beginnend mit dem Hausmeister der Schule und endend beim Ministerpräsidenten lauschen dann Büttenreden, für die echte Narren im Mittelalter aufgrund fehlender Komik ohne weiteres Federlesen verbrannt worden wären. Wirklich auf den Zeiger dabei geht mir allerdings, daß nach jeder JEDER Zeile ein TUSCH kommt. Das läuft dann so ab:

"Wenn ich weiterhin so dick
TÄTÄÄ
Sacht mei Frau, ich kriech kann KUSS
TÄTÄÄ
Zum Abnehmen da tat sie bitten
TÄTÄÄ
Sonst dürft ich nit mehr an ihr BEINE
TÄTÄÄTÄTÄÄTÄTÄÄ

Undsoweiterundsoweiter. Eine Zote jagt die nächste. Ein unendlicher Strom von geschmacklichen Entgleisungen und aufgekochten Klischees, die 1850 bereits antiquiert waren. Die Herren Redner witzeln über "ihre Olle", übers Abnehmen, über die Leiden des Alters und über Türken, die wenigen und wenig weiblichen Rednerinnen, die sich in die Hölle des Schwachsinns wagen, büttenreden natürlich über die Hausarbeit und Emanzipation in Vorträgen, die, gelinde gesagt, abartig schlecht sind. Der Hausmeister lacht, weil ers eh´ nicht kapiert, der Ministerpräsident, weil eine Kamera auf ihn
gerichtet ist und er ja dem Wahlvolk zeigen will, daß er auch einmal so richtig herzlich lachen kann. Die Selbstmordversucher mit Plastikschwertern und Tortenhebern in den hinteren Reihen werden geflissentlich übergangen.

Interessant dabei ist, daß die Damen und Herren im Grunde ihres Herzens vollkommen humorresistent sind. Ich ging letztes Jahr auf so einen Smoking-Kappenträger zu und sagte: "In meinen Augen machen Sie sich zum Narren" und bekam als Erwiderung "Du kannst auch eine aufs Maul haben, Du Arsch." So ein Narr.

Schlechte Zeiten herrschen an Fasching übrigens für Uniformierte. So finden sich plötzlich biedere Polizisten oder brave Feuerwehrmänner in Erklärungsnot wieder, warum sie so ein Scheiß-Kostüm anhaben. Und auch der ein oder andere Behinderte muß sich fragen lassen, ob er es besonders
witzig fände, an Fasenacht als Rollstuhlfahrer "zu gehen".

Tröstlich ist Fasching eigentlich nur für stramme Neonazis. Die können dann Ur-Opas Wehrmachtsuniform ausführen, ohne verhaftet zu werden.

Ne, Fasching, hör mir auf. Auf jedem regionalen, nationalen, internationalen Sender und wahrscheinlich sogar auf El Dschasira laufen Prunksitzungen, Büttenreden und Umzüge. Und ich muß auf Eurosport ausweichen und mir das Enspiel der Schafkopf-Meisterschaften auf Fidschi ansehen.

Der einzige Mensch, den ich kenne, der an Fasching ein zu seinem Charakter passendes Kostüm trägt, ist mein Banker. Der verkleidet sich regelmäßig als Pirat. Und sieht somit aus wie immer.

Sie wollen halt "einmal im Jahr Mensch sein", die Karnevalsjecken.

Fasching: für mich der einzig verständliche Grund für Terroranschläge.
 
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Kommentare  

richtig, Jürgen Drews würde ich zu gerne Mal in die Finger bekommen*grrr* Wie man so eine Scheiße verzapfen kann.(ich mein die "Fetenknaller")
Ich schließe mich den paar Leuten hier an, Fasching braucht kein Mensch -.-
Wunderbar lustig, leicht geschrieben
5 Punkte


Zimtsternchen (01.07.2005)

Und eins,
dass merkt doch jedes Kind

Sie lachen nur, wenn sie
besoffen sind


Robert (21.06.2005)

Ich schliess mich Eden und dir an: Ich kann Karneval (oder hier bei uns Fasnacht) NICHT LEIDEN!

Aves (29.10.2004)

Du sprichst mir echt aus der Seele! Und das noch auf sehr lustige Art und Weise! Prima!
Gruß,


Eden (24.10.2004)

Sehr schön...

Hab' da im wesentlichen alles wieder gefunden, was der Karneval negatives und nerviges aufzubieten hat. Ich feier diesen "Kappes" zwar auch jedes Jahr, aber es gibt nunmal keine andere Zeit im Jahr in der man für besoffenes Gesäusel eher anerkennende bis verständnisvolle Kommentare erntet als Repressalien jedweder Art.

Gruß

Olli P.


Olli P. (24.10.2004)

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