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12 Seiten

Wantenburg Teil 2

Romane/Serien · Amüsantes/Satirisches
© Aves
Sogleich die Masse ward bewegt
und die Leiber bebten
und wenn einer Gräuel hegt,
sorgt er für's Seelenleben
des Bruders, Sohns, des Taugenichts
und schickt ihn zu der Meute.
Kämpfende Mäuler fressen nicht
und bringen reiche Beute.

Sichelmond, Schandmaul


„Ein Reinfall!“, schimpfte Tammin „Ein echter Reinfall! Abgesehen von dem guten Essen hat uns diese Unterredung überhaupt nichts gebracht!“
Wenn du wüsstest, dachte Falkengriffel und grinste in sich hinein.
Sie befanden sich auf dem Rückweg zum königlichen Palast in der Hauptstadt und Tammin schickte sich gerade an, Falkengriffel eine Moralpredigt zu halten.
„Und du!“, schnarrte er „Solltest nicht so viel Wein trinken! Beinahe hättest du uns um Kopf und Kragen geredet und dich zum Gespött des Landes gemacht. Wie du die Königin angegrinst hast… einfach widerlich!“
Falkengriffel bemühte sich, nicht laut los zu lachen. Ein Grinsen konnte er allerdings nicht unterdrücken.
„Hör bloss auf zu lachen!“, donnerte Tammin.
„Ach, Tammin, nun gönn meinem General doch seinen Spass.“, sagte der König gütig lächelnd „Immerhin hat er ja nichts von Bedeutung preisgegeben. Und Königin Miriande schien ihm für sein Grinsen auch nicht bös gewesen zu sein.“
Falkengriffel grinste jetzt erst recht, was ihm einen weiteren bösen Blick von Tammin einbrachte.
Nachdem sie in der Hauptstadt angekommen waren, vergingen mehrere Tage ziemlich ereignislos. Beide Seiten leckten ihre Wunden und formierten sich neu.
Falkengriffel ritt von einem Ende Wantenburgs zum anderen, immer darauf bedacht, die Verteidigung zu stärken.
Die neue Einheit der Grenadiere hatte er über die gesamte Frontregion verteilen lassen, um den Bondomnianern möglichst viel Eindruck zu machen.
Tief in seinem Innern wusste er, dass es ziemlich schlimm aussah für Wantenburg. Wo der Wall jahrelang als fester Schutz gedient hatte, an dem sich die Bondomnianer die Zähne ausgebissen hatte, war dieser nun in Feindeshand. Etwas Schlimmeres konnte kaum passieren.
Nun, immerhin war die Ostburg noch nicht in feindlicher Hand.
Falkengriffel war sowieso auf dem Weg zur Burg, um sich die dortigen Verteidigungsanlagen anzusehen. Er fürchtete, dass es zu wenig Munition für die Kanonen dort gäbe.
Und so befand er sich wieder einmal auf einem seiner zahlreichen Ritte quer durch das Land. Seinen Hintern spürte er kaum mehr, so viel war er geritten in der letzten Zeit.
Was man nicht alles für sein Land tut…

Miriande konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Dass es so gut geklappt hatte hätte sie selber nicht gedacht.
Es war ein leichtes gewesen, König Dorendal zu überzeugen, dass sie auf diesen lächerlichen Ball im Süden gehen würde.
Jetzt sass sie in einer Kutsche, die wieder zurück nach Graufurt unterwegs war.
„Freut Ihr Euch, meine Königin?“, fragte Emily, ihre Zofe, als sie das Lächeln Miriandes entdeckt hatte.
Miriande nickte „Und wie!“ Wenn du wüsstest…
Eine gute Viertelstunde holperte die Kutsche weiter, da hielt sie auf einmal an.
Sie standen in einem kleinen Wäldchen, dass nur noch wenige Meilen von Graufurt gelegen war.
„Was ist los?“, fragte die Zofe ängstlich. Die Königin in spe zuckte die Achseln und versuchte verwirrt auszusehen.
„Ich gehe mal raus und sehe nach.“, verkündete Emily und stiess die Wagentüre auf. Sie blickte sich einen Moment ratlos um, dann entfuhr ihr ein spitzer Schrei.
Eine braune Keule flog durch Miriandes Blickfeld und landete mit einem dumpfen Pochen auf Emilys Hinterkopf.
Die Zofe brach zusammen wie ein leerer Mehlsack.
Ein muskulöses, grünes Gesicht tauchte an der offenen Tür auf und grinste bis über beide Ohren.
„Seid gegrüsst, Exkönigin Miriande.“, sagte der Ork und verbeugte sich andeutungsweise.
Miriande lächelte ebenfalls und nickte ihm zu: „Hallo, Na-kter. Können wir?“

Das Feuer nahm vor Falkengriffels Augen lustige Formen an. Er sass im Schneidersitz neben einem Lagerfeuer, eine leere Flasche Rotwein neben sich.
Morgen bei Tagesanbruch sollte er die Ostburg erreichen. Doch bevor er wieder an die Front ging, wollte er sich noch einmal so richtig zusaufen. Wer wusste schon, ob es nicht das letzte Mal war?
Er hatte es auf jeden Fall geschafft, er war breit. Es nahm ihn Wunder, was wohl passieren würde, wenn er die leere Weinflasche seinem Pferd über den Kopf hauen würde.
Oder vielleicht würde es sie ja essen…
Er stand torkelnd auf und schnappte sich die Flasche. Taumelnd stolperte er zum Pferd, wobei er drei Mal der Länge nach hin hinfiel.
„Ich an deiner Stelle würde das lassen.“, sagte eine krächzende Stimme, als er die Flasche dem überraschten Pferd vor die Nüstern hielt.
Er fuhr benommen herum, konnte jedoch niemanden entdecken.
„Hier unten, Blödsack!“, gackerte die Stimme. Verwirrt starrte Falkengriffel auf einen kleinen Hahn, der ihn anfunkelte.
Dann lachte Falkengriffel laut los. Er prustete und setzte sich vor Lachen hin. Er sah in seinem Rausch schon sprechende Hähne.
Das hatte es allerdings noch nie gegeben!
„Was lachst’n so doof?“, fragte der Hahn mürrisch „Noch nie nen Gockel gesehen?“
Falkengriffel grölte und hielt sich seinen vom Lachen schmerzenden Bauch.
„Hör auf!“, stöhnte er und wischte sich eine Lachträne vom Augenwinkel „Geh bloss weg, du Halluzination, bevor ich mich totlache!“
Der Hahn sah ihn empört an, dann sprang er nach vorne und hackte Falkengriffel in die linke Hand.
„Aua!“
„Siehst du.“, plusterte der Hahn sich auf „Ich bin keine von deinen… Alkoholwesen!“
Falkengriffel war todernst geworden. Das gab es doch nicht… Er war noch nicht so betrunken, dass er sich Schmerzen einbildete… Und der Hahn weigerte sich beharrlich wegzugehen.
„Was bist du dann?“, fragte er mit trunkener Zunge.
„Ich“, hob der Hahn an und streckte die gefiederte Brust weit raus „Bin ein magischer Hahn. Hallo, Siegfried.“
„Roy, wenn’s Recht ist.“, murrte Falkengriffel.
„Nicht du.“, gackerte der magische Hahn „Ich habe gerade Siegfried begrüsst.“
„Hallo.“, brummte eine tiefe, kehlige Stimme hinter Falkengriffel.
Falkengriffel fuhr herum und ein leiser Schrei löste sich aus seiner Kehle.
Hinter ihm stand ein grosser, muskulöser weisser Tiger.
Panisch krabbelte Falkengriffel von ihm weg.
Der Tiger seufzte. „Das tun alle Menschen.“, erklärte er dem magischen Hahn „Seltsamerweise nur bei mir… Wieso bei dir nicht?“
Wieder plusterte der Hahn sich auf und lies die Schwanzfedern im Feuerschein glänzen. „Weil ich, ganz im Gegensatz zu dir, du grosser, böser Tiger, nicht Furcht einflössend, sondern Ehrfurcht gebietend bin.“
Der Tiger hob die Pfote und gab dem Hahn einen Schubs, so dass dieser zwei Meter rückwärts flog.
Gackernd zeterte der Hahn, nachdem er sein leicht zerzaustes Federkleid wieder geglättet hatte: „Warte nur, Mieze! Irgendwann verwandle ich dich in ein… ein Ungeheuer! Jawohl!“
Der Tiger lachte grollend. „Du und deine imaginären Zauberkünste, Nap.“
„Napoleon, bitte sehr!“, fauchte der Gockel, dann schien ihm jedoch etwas einzufallen.
„Wir sind doch eigentlich wegen diesem Menschen hier, oder?“, fragte er und blickte den bleichen Falkengriffel an.
Dessen Blick irrte verwirrt zwischen dem Tiger und dem Hahn hin und her.
„Stimmt.“, knurrte der Tiger „Du bist Roy J. Falkengriffel?“
Bleich im Gesicht nickte Falkengriffel.
„Für was steht das ‚J’?“, fragte der Gockel, dessen nasale Stimme Falkengriffel jetzt schon auf die Nerven ging.
„Ich habe keine Ahnung.“, beantwortete er jedoch gehorsam die Frage „Falkengriffel ist sowieso mehr ein Künstlername.“
„Gut, Falkenfeder, kommen wir zum Grund unseres hierseins.“, gackerte der Hahn „der ist… äh…“ Verwirrt brach er ab.
Der Tiger seufzte, was bei einem eineinhalb Meter grossen Tiger recht komisch klang, und sagte: „Ich bin hier, weil ich dich beschützen soll. Was der hier tut weiss ich nicht.“
Falkengriffel starrte die beiden ungleichen Tiere an.
„Was soll der Blödsinn?“, fuhr er den Hahn an „Ich brauche keinen imaginären Tiger um zu überleben!“
Der Gockel rollte mit den Augen. „Wir sind genau so wenig imaginär wie deine doofe Feder an deinem lächerlichen Hut.“, sagte er, ebenso gereizt „Komm, ich beweis es dir!“
Er zupfte sich eine Feder von seinem Federkleid und wedelte damit vor Falkengriffels Nase herum, bis dieser nieste.
Sogleich verschwanden das Lagerfeuer, der überdimensionale Tiger und der dämlich aussehende Gockel.
Schneebedeckte Berge traten an ihre Stelle. Ein gewaltiges Bergmassiv erstreckte sich bis an den Horizont. Es war bitterkalt und eisige Winde strichen heulend um die Gipfel der Berge.
Wie von einem dieser Winde getragen rauschte Falkengriffel den Bergen entgegen. Er fürchtete einen Moment, an einer der Steilwände zu zerschellen, doch dann hielt er wieder regungslos in der eisigen Luft an.
Er starrte auf ein Schneefeld, das im Schatten eines gewaltigen Gipfels lag. Grosse, braune Gestalten wanderten darauf herum. Zuerst dachte Falkengriffel, es seien Sasquatchs, doch bei näherem Hinsehen entpuppten sie sich als Wesen, die er noch nie zuvor gesehen hatte.
Sie waren sicher drei Mal so hoch wie ein Pferd und viel breiter gebaut. Zwei merkwürdige, lange gebogene Zähne ragten aus ihren Mäulern und sie waren über und über mit braunem, zotteligen Fell bedeckt.
Ausserdem hatten sie einen Rüssel.
Bevor Falkengriffel näher hinsehen konnte, machte die Realität einen Satz im rechten Winkel. Einen Augenblick später befand er sich an einem völlig anderen Ort. Eine bräunliche Steppe erstreckte sich so weit Falkengriffels Augen reichten.
Wieder machte die Wirklichkeit einen Sprung und er befand sich – zwar immer noch in der riesigen Steppe – an einem völlig anderen Ort.
Diesmal erstreckte sich wieder etwas bis an den Horizont: Ein Heer.
Millionen von Reitern stampften die ohnehin schon braune Erde vollends zu Matsch. Riesige Tiere mit Hörnern auf dem Kopf zogen noch gewaltigere Planwagen, neben denen die Pferde wie Hunde aussahen.
Das Bild verblasste eben so schnell wie es gekommen war.
Jetzt war er plötzlich wieder in einem Gebirge. Diesmal war es nicht vollends von Schnee bedeckt. Falkengriffel befand sich neben einer Mauer, die mehrere hundert Meter hoch sein musste. Sie erstreckte sich bogenförmig über einen Gebirgskamm, der schliesslich an beiden Seiten an einem Berg endete. Zwischen der gigantischen Mauer und dem Berg war ein kleines, grünes Tal mit einem See.
An den Berg geschmiegt stand eine Burg, die jedoch neben der Mauer wie ein Häuschen aussah. Winzige Gestalten gingen auf der Mauer und im Tal herum.
Dann veränderte sich die Wirklichkeit erneut.
Erschrocken blickte Falkengriffel sich um. Er sass wieder neben dem Lagerfeuer.
Gegenüber der Eiseskälte der Berge und dem ekelhaft feuchten Klima der Steppe und des zweiten Gebirges waren die knapp null Grad der wantenburgischen Nacht richtig angenehm.
„Was…“, stammelte Falkengriffel.
Der Gockel lachte, was ziemlich abstrus klang.
„Nur eine kleine Demonstration meinerseits.“, krächzte er und reckte den langen Hals „Ich nehme an, dein Volk hat sich noch nie sonderliche Gedanken über die Welt ausserhalb eures Landes gemacht, richtig?“
Falkengriffel schüttelte verwirrt den Kopf. Dieser schwirrte ihm noch immer von den Bildern dieser neuen, vollkommen unbekannten Welten.
„Nein.“, sagte er langsam „Wie auch? Wantenburg, die Stadtstaaten und Bondomnia liegen vollkommen eingeschlossen vom purpurnen Gebirge. Niemand kann da rüber!“
Der Vogel lachte leise. „Denkst du.“, meinte er „Ich will dich warnen, Roy O’Bannon, beendet euren Krieg so schnell wie möglich. Die gewaltige Armee, die du gesehen hast, wird sich von euren Bergen nicht aufhalten lassen. Und von eurem Zwist schon gar nicht.“
„Wer sind die?“, fragte Falkengriffel.
Des Gockels Augen leuchteten. „Einst waren sie Menschen. Doch durch die Macht des Ringes…“ Er unterbrach sich verwirrt. „Nein, das ist was anderes. Die Armee, das sind die USA. Unbarmherzige Soldaten Ammoniakiens. Sie sind immer auf Wanderschaft und überfallen – wie Heuschrecken – alles was ihnen im Wege steht.“
Falkengriffels Verwirrtheit wollte nicht weichen. USA? Was war denn das für ein bescheuerter Name?
„Und wo sind die momentan?“, fragte er. Der Gockel meinte: „So genau weiss ich das nicht. Nun, momentan habt ihr ja sowieso eigene Probleme. Man sieht sich.“
Und schon war er vor den Augen des vollends verdutzten Falkengriffel verschwunden.
Diesem schwirrte jetzt plötzlich der Kopf. Mit einem Seufzer legte er sich mit dem Kopf auf den Sattel.
„Ich sollte wirklich nicht so viel Wein trinken…“, nuschelte er noch, dann war er eingeschlafen.
Ein kauendes Geräusch weckte Falkengriffel. Verdutzt hob er den Kopf und stöhnte laut auf. Die Schmerzen waren ziemlich stark, er hatte wieder einmal weit über den Durst getrunken.
Dann fiel ihm sein wirrer Traum von gestern Nacht ein und er musste kichern.
„Morgen.“, mampfte es neben ihm. Erschrocken sprang Falkengriffel auf und tastete nach seinem Schwert.
„Oh nein…“, stöhnte Falkengriffel, als er Siegfried, den Riesentiger, neben sich liegen sah. Das weisse Tier verschlang in aller Ruhe ein paar halb eingefrorene Kohlköpfe.
„Bin Vegetarier.“, sagte der Tiger entschuldigend.
„Du… du bist nicht echt!“, keuchte Falkengriffel.
Der Tiger zuckte mit dien mächtigen Schultern seiner Vorderbeine und kaute seelenruhig weiter.
„Du bist… echt?“, fragte Falkengriffel leise und wimmernd. Der Tiger nickte und verschlang den letzten Kohlkopf mit einem Bissen.
„Ich hoffe, du erinnerst dich noch an das, was der Gockel dir gestern gezeigt hat.“, fragte er dann und stand auf.
Falkengriffel nickte irritiert.
„Vergiss es.“, brummte Siegfried „All den Quatsch, den er da verzapft hat. Vergiss ihn. Das ist’n Haufen Blödsinn, den er jedem erzählt, den er trifft.“
Falkengriffel fragte lieber nicht nach, wer oder was ’jeder’ war.
„Und du…?“, fragte er „Dass du mich beschützen willst, das stimmt aber, oder?“
Der Tiger nickte. Langsam trottete er in Richtung Grenzwall.
„Wo… wo willst du hin?“, rief Falkengriffel „Und wo, bei allen Furbolgs Bondomnias, ist mein Pferd?“
Der Tiger grinste und entblösste dabei riesige Fangzähne.
„Zum Wall. Du wirst da erwartet.“, meinte er „Komm und steig auf, wir müssen uns beeilen.“


Die Doppelwälle der Grenzmauern erhoben sich gross und gespenstisch aus dem Morgennebel.
Einen guten Kilometer davor hatte sich Wantenburgs Armee hingepflanzt, jedenfalls der Grossteil davon. Eine bunte Anzahl von Zelten erhob sich aus dem matschig getrampelten Gras.
Auf dem langen Grenzwall starrten die bondomnianischen Wachen misstrauisch zu der Zeltstadt hinüber. Nicht dass sie Angst gehabt hätten, nein, ihre Armee war sicher genau so gross und der Grenzwall stellte ein riesiges Hindernis dar. Trotzdem waren sie misstrauisch.
Als dann auch noch drei Gestalten in dunkelgrünen Umhängen aus dem Wall heraus kamen und über die Ebene Wantenburgs gingen, waren sie ziemlich alarmiert.
Doch ein Sergeant beruhigte die Männer, es seien nur drei Flüchtlinge.
„Flüchtlinge, Sire?“, fragte einer der Männer „Aber wir haben doch den Befehl –„
„Blödsinn, Soldat!“, schnauzte der Sergeant „Diese hier dürfen passieren. Anordnung der Königin.“
Der Soldat schwieg betreten.
Die drei Gestalten waren mittlerweile in Bogenschussweite der Wantenburger angekommen. Ein Kontingent von drei Reitern näherte sich ihnen.
„Wer seit ihr?“, fragte der vorderste der Reiter scharf, als sie die Gestalten erreicht hatten.
„Wir möchten gerne mit General Falkengriffel sprechen.“, kam es unter einer der Kapuzen hervor. Die Stimme klang hell.
„Erst will ich eure Gesichter sehen!“, befahl der Reiter barsch.
Darauf legte einer der Gestalten seine Kapuze ab und die Reiter sahen sich einem grossen Ork gegenüber.
„Kommandant Na-kter.“, sagte der Ork und zeigte seine Schärpe „Und jetzt führ mich bitte zum General.“
Der Reiter zuckte erschrocken zusammen. Das war wirklich einer der Grenadiere, die vor einem Tag zu einem Spionageauftrag aufgebrochen waren.
„Es… es tut mir leid, Sire.“, stammelte der Reiter „Aber General Falkengriffel –„
„Steht genau hinter dir.“, unterbrach ihn Falkengriffel. Er war gerade rechtzeitig hinzugekommen und thronte majestätisch auf dem Rücken Siegfrieds.
„Oh, Sire.“, meinte der Reiter und die drei Abgesandten salutierten „Gut, Euch hier zu sehen. Der Spion hier wollte –„ Wieder durfte der Arme nicht ausreden, denn die kleinste der drei Gestalten riss ihre Kapuze vom Kopf und rannte Falkengriffel entgegen.
„Roy!“
„Miriande!“
Wie in einem billigen Schnulzenroman sprang Falkengriffel von Siegfried und nahm die Exkönigin Miriande in die Arme.
Er wollte ihr einen Kuss auf die Lippen drücken, doch sie wich aus und schmiegte sich stattdessen fester an ihn.
Die drei Reiter der Wantenburger starrten mit offenen Mündern auf die Szene. Sie waren wie erschlagen. Ihr eigener General umarmte gerade die Königin des Landes das ihr erbittertster Feind war…
Falkengriffel klärte die Lage auf.

Später am Mittag sassen Falkengriffel, der eiligst angereiste König, Tammin O’Bannon, Miriande und Siegfried in einem der grösseren Zelte.
Die Menschen assen gegrillte Schweine und Siegfried mampfte aus einer Schubkarre Salat.
„Sag mal.“, fragte Falkengriffel den Tiger „Wieso bist du eigentlich Vegetarier? Ich meine, Tiger fressen doch sonst eher was mit Fleisch dran…“
Siegfried schaute etwas beschämt – so beschämt wie ein Tiger eben schauen kann – und nuschelte: „Es gab da mal so einen Typen… den hab ich aus Versehen gefressen. Deswegen heiss ich auch Siegfried.“
Die Menschen gingen einfühlsam nicht weiter darauf ein.
Tammin fragte schlussendlich, was jetzt zu tun sei. Immerhin war die – nach der allgemeinen Meinung des Volkes – Königin Bondomnias zum Feind übergelaufen.
Das musste man doch irgendwie ausnutzen können.
„Ich schlage vor, wir marschieren noch heute auf.“, meinte Tammin „Ihr, Miriande, geht an der Spitze unseres Heeres. Forderte Eure Leute auf, sich zu ergeben. Ihr habt doch treue Anhänger, oder?“
Irgendwie waren ausser Falkengriffel und Siegfried alle ziemlich misstrauisch ob des Verrats Miriandes an ihrem Land.
Die Exkönigin nickte. „Ja. Ich denke, viele werden sich kampflos ergeben. Doch Ihr müsst mir versprechen, meinem Volk nicht unnötig Leid zu zufügen.“
Sananton XIII. nickte langsam.
„Wir sind keine Unmenschen.“, meinte er mit seiner brummigen Magierstimme „Doch ihr seid mit Pauken und Trompeten in unser Land eingefallen, habt uns belagert und sogar den Wall besetzt… das werden viele meiner Soldaten nicht vergessen. Doch ich werde sehn, was ich tun kann.“
„Und wie erklären wir das den Wantenburgern?“, fragte Tammin O’Bannon.
Sananton runzelte die Stirn. „Ich könnte natürlich einen Verwirrungszauber sprechen…“
„Oder ein Vergessenszauber…“, grübelte Miriande.
Falkengriffel schnaubte genervt.
„Hier werden gar keine Zauber gesprochen!“, sagte er entrüstet „Wir sagen den Wantenburgern ganz einfach die Wahrheit!“
„Das machst dann aber du…“, sagte O’Bannon.

„Aufhängen!“, rief der wütende Mob „Lyncht sie!“
Falkengriffel fing an zu schwitzen. Er hatte seinen Soldaten die Sachlage erklärt und diese schien ihnen gar nicht zu gefallen.
„Nun hört mal, Leute…“, begann er, doch die Menge liess ihn nicht zu Wort kommen.
„Gemeinsame Sache mit dem Feind machen!“, grölten sie „Darauf steht ebenfalls die Todesstrafe!“
Die Gardisten des Königs hatten alle Mühe, die wütenden Soldaten von Falkengriffel fern zu halten. Eine Tomate flog haarscharf an Falkengriffels Kopf vorbei.
„Aber wir haben doch gar keine Todesstrafe in Wantenburg!“, rief Falkengriffel.
Plötzlich verstummte die Menge.
„Keine Todesstrafe?“, fragte dann einer mit unsicherer Stimme.
Falkengriffel schüttelte den Kopf. „Nö“
Die Männer schauten sich verdutzt an. Wenn man die Königin nicht umbringen konnte, was dann…?
„Wie wäre es, wenn wir ganz einfach den Wall zurückerobern?“, fragte Falkengriffel. Die Menge jubelte. Welch grandioser Einfall! Zum Glück hatten sie diesen genialen Anführer!
Ehe Falkengriffel jedoch die Truppen mobil machen konnte, kam Tammin O’Bannon heran gerannt.
„Es gibt Ärger, Roy.“, sagte er keuchend.

Als Falkengriffel sah, wer den Ärger verursachte, verdrehte er entnervt die Augen.
Nicht schon wieder diese verdammten Ökofritzen…
Drei hoch gewachsene Elfen standen mit verschränkten Armen am Rand des Lagers. Ihre makellosen Gesichter hatten einen pikierten Ausdruck.
„Was ist euer Problem?“, fragte Falkengriffel die grün gekleideten Gestalten.
Einer räusperte sich und sagte dann in jenem hochnäsigen Tonfall, der allen Elfen angeboren schien: „Euer Lager ist unser Problem.“
Falkengriffel schüttelte irritiert den Kopf.
„Unser Lager?“, fragte er „Aber wieso? Es befindet sich ja weit weg zu euren Wäldern.“
„Aber das Gras.“, sagte der Elf.
„Das Gras?“, fragte Tammin O’Bannon, der hinter Falkengriffel aufgetaucht war „Was ist mit ihm? Ich sehe gar keines hier im Lager.“
„Natürlich nicht.“, gab er Elf zurück „Weil ihr es kaputt gemacht habt, Umweltsünder.“
„Was willst du denn machen, wenn du einen Krieg führen musst?“, fragte Falkengriffel erhitzt. Diese Spitzohren machten ihn wütend.
„Keinen Krieg führen.“, sagte der Elf „Krieg ist sinnlos.“
Die beiden anderen nickten und streckten ihre Hände vor. Sie bildeten mit ihren Mittel, - und Zeigefingern ein V.
„Peace, Love und Happiness!“, sagten sie im Chor.
„Ach, geht Scheissen!“, schnauzte Falkengriffel und drehte sich um.
Die Elfen sahen ihm entrüstet nach und machten mit den Händen sehr unhöfliche Zeichen.
„Das werden wir der V.E.U.B., der Vereinigten Elfen Umweltschutz Behörde, sagen.“, rief einer Falkengriffel nach.
Dieser drehte sich um und zeigte ihnen seine Feuersteine. Dann schritt er zu einem nahen Busch und steckte diesen in Brand.
„Sagt eurer Grünenpartei das auch.“, sagte grinsend „Und schöne Grüsse von mir.“
Die Elfen brachen in lautes Wehklagen aus und rannten zum brennenden Busch.
Als einer ihn löschen wollte, atmete er den Rauch der Pflanze aus Versehen ein.
Sofort nahmen seine Augen einen glasigen Ausdruck an.
„Oooohh…“, rief er verzückt. Seine Kameraden waren neugierig geworden und atmeten den Rauch ebenfalls ein.
„Oooohh…“
„Was haben sie denn?“, fragte Falkengriffel verwirrt. Tammin konnte sich vor Lachen kaum halten.
„Du Dödel hast einen Wildhampferbusch angezündet.“, gluckste er „Ist mit der Hanfpflanze verwandt, nur ist seine Wirkung etwa zehnmal stärker.“
Falkengriffel lachte laut auf und die beiden entfernten sich von den total zu gedröhnten Umweltaktivisten.

Zwei Stunden später waren die Soldaten Wantenburgs gefechtsbereit.
Etwa siebenhundert Männer standen in Reih und Glied vor ihren Anführern Tammin O’Bannon, König Sananton XIII und Roy Falkengriffel.
„Hört zu, Männer!“, rief Falkengriffel „Wir werden wahrscheinlich nicht kämpfen müssen, wenn alles glatt über die Bühne läuft.“
Er zeigte auf Miriande, die neben ihm stand, in ihren Kapuzenmantel gehüllt.
„Meine Begleiterin hier ist die ehemalige Königin Bondomnias, Miriande.“
Ein Raunen ging durch die Reihen der Soldaten. Nur etwa die Hälfte hatte davon gewusst und die andere Hälfte hatte auch nur Gerüchte gehört.
„Sie wird dafür sorgen, dass wir den Wall ohne Blutvergiessen einnehmen können.“, fuhr Falkengriffel fort „Und nein, die Todesstrafe ist bei uns abgeschafft…“
Einige senkten murrend die Köpfe.
„Also, auf geht’s!“, rief Falkengriffel laut und schwang sich auf Siegfried „Für Wantenburg!“
„Für Wantenburg!“, dröhnten die Stimmen der Soldaten.
Langsam setzte sich die Armee der Wantenburger in Bewegung.
Als sie noch zweihundert Meter vom Wall entfernt waren, liess Falkengriffel anhalten.
Er setzte Miriande hinter sich auf Siegfried und ritt langsam näher.
„Bondomnianer!“, rief Falkengriffel laut „Hört mich an!“
Mehrere rot gewandete Bondomnianer erschienen an der Brustwehr.
„Eure Königin ist zu uns übergetreten!“, rief Falkengriffel ohne Vorwarnung „Ihr habt schon so gut wie verloren!“
Miriande zog die Kapuze vom Kopf und zeigte sich den Männern.
„Dorendal ist ein Lügner!“, rief sie mit ihrer klaren Stimme „Er wird euch alle in den Tod schicken!“
Für einen Moment glotzten die Männer auf den Mauern sie verwirrt an. Dann sagte einer: „Gibst du Opi Opium, bringt das Opium Opi um.“
Miriande und Falkengriffel schauten sich verdutzt an.
„Hä?“, fragte Falkengriffel.
Über der Brustwehr erschienen nun zwei Elfen und lächelten ihnen glücksselig zu. Einer hielt eine Kohlenpfanne hoch, aus dem Rauch kam. Es roch plötzlich verdächtig nach Wildhampfer…


Am Abend hatten Falkengriffel und O’Bannon endlich einen Offizier wach bekommen.
Die Soldaten Wantenburgs hatten die Doppelwälle ohne Gegenwehr einnehmen können. Praktisch alle Bondomnianer waren total zugedröhnt gewesen und diejenigen, die es nicht waren, ergaben sich ziemlich schnell.
„Unterschreiben Sie bitte hier.“, sagte O’Bannon zu dem Offizier, der sehr verkatert aussah.
„Nicht so laut…“, stöhnte er „Mein Kopf explodiert gleich.“
„Unterschreiben Sie bitte hier.“, flüsterte Falkengriffel.
Der Offizier ergriff mit zitternder Hand die Feder und malte ein paar Striche auf das Dokument, dass die Kapitulation der Truppen auf dem Wall bescheinigte.
Falkengriffel und O’Bannon unterschrieben ebenfalls.
„So, das wäre geschafft.“, seufzte Falkengriffel erleichtert „Gehen wir uns besaufen?“
Tammin seufzte.
„Hier wird sich nicht besoffen.“, erklärte er „Wir müssen die neuen Truppen mit unseren Uniformen versehen und uns für einen Gegenangriff vorbereiten. An die Arbeit.“

In der Hauptstadt Bondomnias herrschte helle Aufregung.
König Dorendal Silbereisen schnaubte vor Wut.
„Diese miese, kleine…“, fauchte er und hieb mit der Faust auf den Tisch.
Sein Berater, ein Zwerg namens Schürfrecht, sagte: „Wenn wir jetzt unsere Truppen zusammenziehen, könnten wir die Wälle zurückerobern, Sire.“
Dorendal hatte aufgehört zu fluchen und ging mit hinter dem Rücken verschränkten Armen rastlos im Zimmer umher.
„Nein, das geht nicht.“, sagte er „Wenn wir unsere eigenen Truppen angreifen, wird das Volk uns lynchen.“
Schürfrecht – bei dem Gedanken an einen Strick um seinen kurzen Hals war ihm ein wenig anders zu Mute geworden – wechselte das Thema: „Wollt Ihr vielleicht jemanden erschiessen lassen, Sire? Nur um Euch abzuregen, versteht sich.“
Dorendal sah ihn an und lächelte dann.
„Klar doch, gute Idee.“, sagte er bittersüss „Willst du dabei aktiv mitmachen?“
Schürfrecht wurde blass.
„Äh, Sire.“, sagte er und schluckte nervös „Vielleicht sollten wir das mit der Hinrichtung vergessen…“
Dorendal beachtete ihn gar nicht. Diese verdammte Miriande!
„Wir ziehen die Truppen zurück.“, sagte er dann „Lass Anweisungen geben, dass sich alle zurückzuziehen haben. Und versetz das Krachbumm-Bataillon nahe an den Wall.“
„Das… das Krachbumm-Bataillon?“, stotterte Schürfrecht und schluckte wieder „Ich weiss ja dass Ihr grausam seit, Eure Grausamkeit, aber gleich das Krachbumm-Bataillon?“
Dorendal funkelte ihn an.
„Natürlich, Schürfrecht.“, sagte er und lächelte amüsiert „Wenn das den Feind nicht aufhält, dann die magischen Stadtmauern oder gar nichts mehr. An die Arbeit!“

First Sergeant Untergrundorganisation, ein Zwerg mit einem grauen Bart, lächelte dreckig. Endlich würden sie zum Eins atz kommen!
„Männer!“, liess Untergrundorganisation seine brummige Stimme hören „Heute zeigen wir diesen lächerlichen Wantenburgen einmal, was es heisst, sich mit uns anzulegen!“
Die Soldaten des Krachbumm-Bataillons, hauptsächlich Zwerge und ein paar Orks, grölten zustimmend.
Untergrundorganisation rieb sich in freudiger Erwartung die breiten Hände. Es würde ein schwarzer Tag für Wantenburg werden…
 
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Kommentare  

Wow, Aves, ich muss ganz ehrlich sagen, der Teil gefällt mir noch besser als der letzte. Am geilsten sind die Elfen...und die USA, echt, ich hab mich gekringelt vor Lachen! DAs schreit nach Fortsetzung!!!!!

Eden (09.01.2005)

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