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6 Seiten

Ein Tauschgeschäft

Spannendes · Kurzgeschichten
Michaelangelo bemalte die Decke meines ausladenden Palastes, die von Marmorsäulen getragen wird. Sie umwölbt orientalische Schönheiten, die mir zu Ehren einen Tanz aufführen, und das Volk, das mir bewundernde Blicke zuwirft. Ich streiche an den Lehnen des Throns, fühle das pure Gold unter den Händen und bin am Ziel meiner Träume.

„Aufstehen!“ Die Stimme meiner Mutter reißt mich aus dem Schlaf. Sie klopft gegen die Tür. ‚Hör auf damit’, denke ich mir und fasse an meinen brummenden Kopf.
„Gabriel! Es ist schon spät! Beeil dich!“
„Ja, ja, ich komm’ ja schon.“
Welcher Tag ist heute? Montag? Verdammt. Das Wochenende ist so weit weg wie …
Wie gerne würde ich jetzt in den Körper eines anderen schlüpfen. Von jemanden, der ausschlafen kann.
„Weil ich ein Mädchen bin …“ singt Mutter, während sie die Holztreppen hinabsteigt.
Sie wirkt glücklich. Kein Wunder, hat sie ja ihr Leben fast schon überstanden. Mir klappen die Augen wieder zu. Blind steige ich aus dem Bett, stolpere über meine herumliegende Jeans und stoße mir an der offenen Schranktür den Kopf an.
„Au!“
Ich packe meine Anziehsachen und schleppe sie und mich ins Bad. Ein Knautschgesicht begegnet mir im Spiegel, mit einem roten Fleck auf der Stirn. „Du siehst toll aus“, murmle ich und halte meine Hände unters kalte Wasser.
„Oh, Mann … noch zwei Jahre Sklave …“
Ich reibe mir mit dem Handtuch die Müdigkeit aus den Augen. Beiläufig werfe ich einen Blick in den Spiegel, … und erstarre.
Eine dunkle Gestalt blickt mir über die Schulter. Mein Ohrläppchen kribbelt. Langsam drehe ich mich zur Seite. Aus meinen Augenwinkeln kann ich nichts erkennen. Mutig fahr ich herum. Nichts. Hab ich Fieber? Ich fasse mir an die Stirn. Oder kommt das davon, dass ich mich vorhin gestoßen habe?
Die Badzimmeruhr mahnt zur Eile. Ich packe Pasta auf die Zahnbürste, führe sie halb zum Mund und erstarre erneut in der Bewegung. Die dunkle Gestalt ist nicht gewichen.
„Du hast mich gerufen!“ Ihr Atem prickelt in meinem Nacken.
Die Zahncreme fällt mir von der zitternden Bürste. Ich werfe meine rotfleckige Stirn in Falten. „Ähm …“
„Du wolltest die Chance, in den Körper eines anderen zu schlüpfen. Und ich biete sie dir!“
Das Ohrläppchenkribbeln wird stärker.
„Ähm …“
„Sieh selbst!", fährt die Stimme fort. Eine Schattenhand deutet zur Duschkabine. In Zeitlupe drehe ich meinen Kopf und sehe, wie an der Glastür ein schwarzer Eingang flimmert.
Mir fällt ein, was ich vorhin geträumt habe. Im Körper eines Königs – das wär’s! Oder was ich noch so alles sein könnte: Ein berühmter Star, ein Bestsellerautor, ein erfolgreicher Geschäftsmann, oder vielleicht Don Juan. Diese Chance liegt einen Moment, einen Schritt weit vor mir - ich muss nur durch diesen Eingang treten.

Die vergilbten Gardinen zittern, als der Wind durch das undichte Fenster wispert. Um die Glühbirne, die ohne Schirm nackt an der Decke hängt, schwirren hungrige Fliegen. Auf dem kleinen Schwarzweiß-Fernseher flimmern tonlos verzerrte Bilder und in der Ecke knabbert eine graufleckige Maus an einem verschimmelten Käsestück.
Brandlöcher, Alkoholflecken, Schweißgeruch.
Ich liege auf einem Sofa, das ähnlich verwahrlost scheint, wie der Körper, der es in Anspruch nimmt und den ich nun mein eigen Fleisch und Blut nennen muß.
“Scheiße …“, höre ich mich murmeln, während ich meine Hände betrachte, die einer Schwielenlandschaft gleichen. Graue Härchen, Schmutz unter den Fingernägeln und keine Kraft zu spüren, als ich sie zu Fäusten balle. Ich hebe den T-Shirt-Kragen an und lasse ihn schnell wieder los. Hühnerbrüstchen mit Bierkugel kombiniert, garniert mit ein paar Haaren.
Eben war ich noch der jugendliche Gabriel, mit müdem, aber gesundem Elan und gut situiertem Elternhaus.
Und nun?
„Waldemar …“, höre ich eine mir unbekannte Stimme in meinem Kopf. „Komm schon!“ Dicke Gesichter mit Haarkranz erscheinen in meinem Gedächtnis. Die Männer lachen hämisch, heben Gläser, prosten mir zu. „Los! Nimm dir die Schlampe! Und zieh jetzt bloß nicht deinen Schwanz ein, Waldi.“
Ich presse meine Augen zusammen, schüttle meinen Kopf. „Ich bin also einer mit einem Hundenamen.“
Mein Hals brennt. Ich streiche über die schmerzende Stelle, fühle die Kruste einiger Kratzer. Noch bevor ich mir einen kühlenden Lappen besorge, muss ich meine Gedanken ordnen, nach einem Ausweg suchen.
Was hab ich mit dem Wesen ausgemacht? Wenn es mir nicht gefällt, kann ich zurückkehren. Gut!
Ich seufze, als ich mir die Auflagen vergegenwärtigte:
„Natürlich kannst du zurück, solange du dich an einen Funken deines vorherigen Lebens erinnerst, und auch nur dann“, äffte ich sie nach. „wenn du jemanden findest, der dir diese Geschichte glaubt.“
Du blöder Schatten! Wie soll ich das denn machen?
Mit jedem Atemzug verblasst die Erinnerung an mein Leben als Gabriel - wovon kann ich dann noch erzählen, wenn ich vergessen habe, woher ich komme und wohin ich zurück will?
Und selbst wenn?
Wer soll so einer Gestalt eine derart irre Geschichte glauben? Ein Fremder sicherlich nicht!
Als Gabriel hätte ich zumindest einen besten Freund, der mir wirklich alles glauben würde.
„Was er wohl in diesem Moment macht?", frage ich mich wehmütig. Doch im nächsten Moment fühle ich, wie mir das Blut aus dem Gesicht weicht. Trotz größtmöglicher Anstrengung fällt mir der Name meines besten Freundes nicht mehr ein.
„Alfons? Thomas? Natascha?“
Verdammt. Mit einem Ruck setze ich mich auf, presse die Handballen gegen die Augen.
‚Denk nach! Denk nach!' Doch der Name fällt mir nicht mehr ein. Das Vergessen hat also schon eingesetzt!
Mein Atem geht schwer, während ich umherblicke, die Handflächen aneinander reibe.
‚Ich hab`s! Ich ruf Gabriel an! Waldemar ist sicher in meinem Körper. Ihm erzähl ich die Geschichte und er glaub es, weil er es weiß!’
Singend eile ich zum Telefon, halte den Hörer an mein Ohr und will die Nummer tippen. Aber - welche Nummer?’ Ich presse den Hörer gegen meine Ohrmuschel, dass es mich schmerzt, verkrampfe die Finger über den Tasten!
‚Wie ist die Nummer?’, schreit es in mir.
Der gleich bleibende Ton vom Telefon erinnert mich an die Herzfrequenz eines Toten.
„Muss ich Gabriel begraben?“, frage ich mich, als ich mich aufs Sofa fallen lasse.
„Es gibt noch eine Möglichkeit. Ich muss Waldemars Vergangenheit annehmen und so erfahren, wer mir glauben könnte. Muss mir aber eine Ahnung von Gabriel bewahren, sonst bin ich für immer Waldemar.
Die Maus, die mir aus der Ecke entgegen schielt, ist in einem beschwingten Moment mit Bier auf den Namen „Rosie" getauft worden. Bemerkenswerte Information, nur leider nutzlos.
Mein Blick wandert der bröckelnden Gipswand entlang, entdeckt einen eingerahmten Kontoauszug. Ich kann nicht sehen, was darauf zu lesen ist, dafür sind meine Augen zu schwach. Doch ein wehmütiges Gefühl lässt es mich ahnen: etwas mehr als eine halbe Million Euro auf der Habenseite.
In Sekundenschnelle durchläuft mein Gedächtnis ein wahres Bilderfeuerwerk. Hochaufgeschossene Schönheiten, mit glitzernden Abendkleidern, die mir ein Lächeln zuwerfen. Vornehme Kellner, die sich nach meinen Wünschen erkundigen. Rouletttische. Unbeschwertes Gelächter, vermischt mit Klavierstücken von Bruckner. Spielkarten, die in Großaufnahme auf mich zusegeln, wobei ich angespannt auf eine Reihe Asse hoffe.
Es endet mit dem hämischen Grinsen eines Bankangestellten und den Worten. „Tut mir leid, aber wir können Ihnen keinen weiteren Kredit gewähren.“
Waldemar hat scheinbar sein Leben verzockt. Eine Seelenverwandtschaft will ich nicht bestreiten, dafür fehlt mir die Zeit.
Da erinnere ich mich plötzlich an Menschen, die Waldemar wohl gesonnen scheinen: seine Frau Beate und sein Bruder Reiner.
Doch mein Lächeln erstirbt. Die Bilder in meinem Kopf erinnern an schlechte Kinofilme.
„Hier!“, ruft Beate, streift den Ehering vom Finger und wirft ihn nach Waldemar. Sie packt ihre Koffer und schlägt die Tür hinter sich zu. „Jetzt kannst dich mit ruhigem Gewissen deinen Huren widmen, brauchst keine Ausreden mehr zu finden“, hallt es gedämpft im Raum wider.
„Bei Geld hört die Bruderschaft auf“, knurrt Reiner. „Du lügst doch wie gedruckt. Von mir bekommst du keinen Cent mehr.“
Ich fühle im Herzen mehrere Stiche, die von weiteren Gedankenblitzen herrühren und starre irritiert auf die Fingerkuppe, mit der ich mir eine Träne von der Wange gestrichen habe.
Was kümmert es mich? Er hat sie verloren und nicht ich.
Ich taste mein Gesicht ab, hab es deutlich vor meinem inneren Auge. Es scheint mir so vertraut. Jede einzelne Hautpartie.
„Waldemar - bin das vielleicht doch ich? Schon immer gewesen? Und was ist mit Gabriel? Ist er nur ein Trugbild?", frage ich mich und versuche den Kloß in meinem Hals hinunter zu schlucken. „Belüge ich mich gar selbst?"
„Die Grenzen dürfen nicht überschritten werden!", gebe ich mich kämpferisch, schließlich darf es mit Gabriel nicht enden, wie mit einem Traum, an den man sich nicht mehr erinnern kann.
Ich balle die Faust, mehr unsicher, als entschlossen. Zu real drücken die Erinnerungen von Waldemar in mein Bewusstsein.
Gabriel, das Bad, die dunkle Gestalt - ein Hirngespinst?
„Nein!“, schreie ich verzweifelt auf. „Nein! Nein!“
Ich war Gabriel. Ich bin Gabriel, berichtige ich meine Gedanken, fühle mich in seinem Körper geboren. Meine Mutter kann ich schließlich noch deutlich an die Zimmertüre klopfen hören, so als würde es gerade eben geschehen.
Es klopft gerade tatsächlich jemand an der Tür.
Ein Saufkumpan? Ich quäle mich vom Sofa, mit brummendem Kopf und brennendem Schmerz am Hals. Als ich so zur Tür wackle, fällt es mir wieder ein, wer mich da besuchen kommt: Oliver – ein Freund!
Waldemar hat sich um diese Zeit mit ihm verabredet. Er ist meine einzige Chance. Wird er mir die Geschichte glauben, werde ich wissen, ob ich Gabriel bin, oder nur der Traum eines Säufers von einem neuen Leben. Der Moment der Wahrheit liegt einen Schritt weit vor mir. Ich reiße ungeduldig die Wohnungstüre auf und sehe Oliver vor mir stehen. In seinen stahlblauen Augen hält sich entschlossen ein eiskalter Blick und ich sehe betröpfelt in die Mündung einer großkalibrigen Pistole.
Da fällt mir ein, dass ich gestern Nacht als Waldemar Olivers Frau vergewaltigt habe …

„Gabriel!“ Meine Mutter hämmert gegen die Schlafzimmertür. „Du hast verschlafen.“
Mit einem Ruck fahre ich aus dem Schlaf, springe aus dem Bett. Etwas Warmes rinnt mir die Stirnfalten hinunter. „Blut!“, entfährt es mir panisch und ich wische es mit dem Schlafanzugsärmel ab. Erleichtert schnaufe ich aus, als ich sehe, dass ich den Stoff mir Schweiß getränkt habe.
„Gabriel? Lebst du noch?“
Unweigerlich muss ich lachen.
„Ja Mama. Rufst du schnell in der Arbeit an, dass ich verschlafen habe und etwas später komme?“
„Begeistert werden sie nicht sein.“
„Sie werden mich schon nicht erschießen.“
„Aber beeil dich, dein Cappuccino ist auch bald kalt, wenn du nicht gleich kommst.“
Ich höre, wie die Holztreppe unter ihren Schritten knarrt. „Morning has broken“, singt meine Mutter fröhlich und ich hoffe, dass sie noch lange Leben wird, während ich mitsamt Jeans und T-Shirt ins Bad haste. Mulmig ist mir schon, als ich es betrete.
Doch als meine Zahnbürste und die Pasta sich an der Stelle befinden, an der ich sie gestern Nacht zurück gelassen habe, verscheuche ich meine Bedenken.

Am Frühstückstisch frage ich mich, wie wohl mein Chef auf mein zu spätes Erscheinen reagieren wird, während ich meinen Cappuccino schlurfe.
Meine Mutter sitzt mir gegenüber, ganz in Zeitungslesen versunken. Ihr Gesicht wirkt angespannt.
„Was gibt’s neues?“, frage ich sie.
Sie schüttelt den Kopf, während sie aus der Zeitung liest:
„Oliver H. hat am helllichten Tage den arbeitslosen Waldemar P. erschossen. Wahrscheinlich handelte es sich um Lynchjustiz, denn …“
Eine am Fliesenboden zerspringende Tasse schneidet ihr das Wort ab.
Sie sieht mich entgeistert an. „Was ist mit dir los?“
Ich schaue mich um, entdecke meinen Cappuccino, der sich am Boden verteilt, in den Fugen verläuft.
„… denn Waldemar P. hat zuvor Olivers Frau vergewaltigt.“, murmle ich.
„Hast du die Zeitung schon gelesen und sie wieder in den Briefkasten zurück gesteckt?“, fragt sie mit ungläubigem Ton.
„Ich ... ich hab es in den Nachrichten gehört.“
Sie steht auf, holt Lappen und wischt den Boden sauber. „Jetzt komm, oder willst du noch später kommen?!“
„Steht da zufällig, wo das passiert ist?“, frage ich sie, nachdem ich mich wieder einigermaßen gefangen habe.

Tage später klopft meine Mutter gegen meine Schlafzimmertür. „Gabriel! Willst du schon wieder verschlafen?“
„Ich bin schon wach“, erwidere ich und höre ihr gespannt nach.
Die Treppe knarrt zur Begleitung, während Mutter „Wenn ich König von Deutschland wäre ..“ singt. Ich ziehe mir ein T-Shirt über und knie mich vor dem Käfig nieder, in dem mir eine graufleckige Maus entgegen blickt. Ihre Augen glänzen, als wäre sie biertrunken.
„Hier, Rosie. Bei mir sollst du dich wie zuhause fühlen“, lächle ich und werfe ihr ein Stück Emmentaler zu, dessen Haltbarkeitsdatum schon längst abgelaufen ist.
 
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Kommentare  

Ach übrigens, ich glaube dir! (Nur so für alle Fälle)

Lena N. (23.02.2005)

liebe lena, dank dir fürs lob und die punkte!

lieber chris, es ging nicht darum, dass gabriel ausschlafen kann, sondern dass er ein besseres leben leben kann. dass es schlechter sein könnte, hat er nur teilweise bedacht. gabriel kehrt in seinen körper zurück, weil es das schicksal nunmal so wollte. und was den abgelaufenen käse betrifft: zuvor hatte sich die maus ja an einem verschimmelten käsestück sattgefressen und sie sollte sich eben bei ihm heimisch fühlen.. +zwinker* mercy auch dir fürs kommentieren!


Stefan Fischer (15.02.2005)

Interessant, nur teilweise etwas verwirrend.
Warum tauscht Gabriel seinen Körper Bzw. sein Leben mit einem heruntergekommenen Penner? Nur, weil er so ausschlafen kann? Er hätte wohl besser vorher das "Kleingedruckte" gelesen.
Und warum kehrt Gabriel in seinen Körper zurück, als Waldemar erschossen wird?
Und wieso bekommt die Maus nur abgelaufenen Käse?


Chris Stone (15.02.2005)

Cooles Ende!
Und super geschrieben. 5 Punkte.


Lena N. (24.01.2005)

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