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Das A und O, der Anfang und das Ende

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Bei einem meiner Klinikaufenthalte hab ich Patrick kennen gelernt. Ein 30jähriger, athletischer Mann mit ewigem Lächeln und klaren, weiten Ozeanaugen.
Wir lagen im gleichen Zimmer, schauten von unseren Betten oft aus dem Fenster den schaukelnden, winkenden Baumkronen zu und unterhielten uns bis in die Sterne.
Egal was ich ihn fragte, er hatte auf alles eine Antwort. Sie war immer ein wenig merkwürdig und naiv, aber gerade darum gewann er schnell meine Freundschaft. Wie ein Kind begeisterte er sich für die kleinsten Dinge. Es gab nichts für ihn, was nicht mit Interesse gestreichelt werden sollte.
Er konnte stundenlang einer Feder zuschauen die durchs Zimmer flog, beobachtete den Staub in den Sonnenstrahlen und wenn er zu Mittag aß wurde jeder Bissen bedächtig betrachtet bevor er auf seiner Zunge landete.
Er war der ruhende, liebenswürdige Pol in all der Hektik.
Als wir eines Tages im Zimmer lagen schaute er mit seinen blauen Augen zwischen Bettdecke und Kissen hervor uns fragte mich:

„Glaubst Du an Gott?“

Das war eine wichtige Frage, die mich erstaunte und so brauchte ich erst einmal ein paar Minuten um zu antworten. Oft hatte ich darüber nachgedacht und oft war ich zu irgendeiner Lösung für mich gekommen, aber sie war nie konstant. In äußerster Not glaubte ich an Gott, weil dann alles viel erträglicher für mich war und wenn es mir gut ging dachte ich in keiner einzigen Sekunde an ihn. Deshalb sagte ich wahrheitsgemäß:

„Ich weiß nicht Patrick“

Seine Augen brandeten kurz ans Lidufer, schlossen sich und er schlief ein. Am nächsten Morgen, beim Frühstück, schaute er mich schmunzelnd an. Ab und zu schüttelte er den Kopf und lachte laut.
Ich wusste nicht, was ich davon zu halten habe. Der restliche Tag zog sich endloser Weite dahin. Als hätte ihn etwas gedehnt. Erst am Abend fand ich heraus, woran es lag. Wir hatten nichts miteinander unternommen. Patrick hatte die ganze Zeit im Zimmer zugebracht und mit den Falten in der Bettdecke gespielt. Er liebte es, sie glatt zu streichen, sie neu zu machen und dann wieder glatt ......
Als ich ihn fragte, ob er was habe lachte er erneut und entflammte in mir eine Frage, die mir noch nie in den Sinn gekommen war.

„Wieso bist Du eigentlich hier?“

Ein Grinsen zog sich über sein Gesicht, er ließ die Falten, Falten sein, erhob sich von seinem Bett und kam auf mich zu. Dabei funkelten seine Augen wie Diamanten und auf einmal war seine gesamte Gestalt kerzengerade. Eine Veränderung nur für Sekunden meinte ich zu sehen, dann stupste er meine Nase und betrachtete meinen verblüfften Gesichtszug. Ganz dicht war sein Gesicht dem meinen. Ich las sein Staunen aus den Augen, schiffte für einen Moment durch die See darin und wurde ganz ruhig und gelöst.

Am nächsten Morgen, vor dem Frühstück, fragte ich bei der Tabletteneinnahme eine der Schwestern:

„Wissen Sie, warum Patrick hier ist?“

Ich guckte zu dem Frühstückstisch an dem er schon saß. Als sich unsere Blicke trafen hob er ganz bedächtig und wissend seine Augenbraue und als er daraufhin meinen verdutzten Gesichtsausdruck sah, fing er an zu kichern.

„Ach der, der glaubt er sei Gott“

Das fand ich ziemlich lustig. Setzte mich gegenüber von ihm hin und betrachtete ihn. Wie er langsam das Brot in seinen Mund schob und jedes Kauen einzeln plante. Patrick ein Gott. Als er zwischen Teewurstbrotbiss und Milchschluck kurz aufschaute, tippte ich sacht auf seine Stirn und sagte:

„Ich würde gerne einmal wissen, was da drinnen vor sich geht“

Er nickte kurz und erstaunlich ernst und dann war sein Gesicht weg. Auch der Speisesaal und alle Geräusche waren verschwunden.

Mit einem Mal strahlte und glitzerte es um mich herum. Aus meinem Sitzen war ein Liegen geworden. Ich konnte es nicht fassen, sprang auf, klopfte mit meinen Sohlen auf die Erde und schrie und schrie. Die Schreie vibrierten durch meine Kehle aber ich hörte sie nicht. Übermächtige Angst durchströmte mich, aber mit einem Male war sie wieder weg. So wie Kohlensäure aus einer Sektflasche entweicht. Mit einem einzigen Plopp.
Bis zum Horizont erstreckte sich unter mir ein silberner Boden, der Himmel, die Decke oder was es war, war aus reinstem Weiß. Mein Herzschlag und meine Atemzüge waren die einzigen Töne die, die Stille durchschnitten. Es war nicht kalt und auch nicht warm.

Mein eigenes Spiegelbild zu meinen Füßen hielt mich an, mich zu beruhigen. Und das komische war, ich richtete mich nach dem was „ich“ mir sagte. Die Stimme erreichte mich direkt im Kopf. Ganz ohne Umwege durch die Ohren. Auch dass nahm ich als selbstverständlich hin. Als hätte ich noch nie eine andere Kommunikationsart genossen.

Dann deutete das Spiegelbild nach rechts und eine riesige Schaltzentrale mit bunten Knöpfen, flackernden Lichtern, wippenden Balken und springenden Skalen wuchs aus dem Silber heraus. Ganz langsam formten sich ein paar Monitore dazu, zwei große Mikrophone und allerlei andere technischen Geräte. Abgeschlossen wurde der Prozess indem vom Himmel ein Stuhl regnete. Das kann ich gar nicht anders beschreiben. In der Geschwindigkeit eines Wassertropfens leckte er aufs Silber und es gingen ein paar Ringe von ihm aus. Das war für mich gemacht. Das war mir völlig klar. Hier sollte ich mich hinsetzen und ich tat es. Von ganz allein floss der Stuhl an den ersten Monitor heran. Auf den Bedienungsgeräten hingen überall kleine leuchtende Aufkleber. Ich kann mich jetzt nur noch an drei Sachen erinnern, die ich darauf lesen konnte:

„Die Natur ist ein unendlich geteilter Gott“

„Als Gott den Menschen erschuf, war er bereits müde; das erklärt vieles“

„Wenn Gott nicht verzeihen würde, blieb sein Paradies wohl leer“

Der Bildschirm rauschte ein grauweiß und je mehr ich ihm meine Aufmerksamkeit schenkte, desto deutlicher konnte ich etwas sehen. Dann war das Bild klar, ich sah, erschrak und sackte verbraucht vom Stuhl. Mein Herz klopfte wie wild und ich hatte Mühe überhaupt zu atmen. Ein nie gekannter Brechreiz überforderte meinen Körper und Tränen liefen unkontrolliert über mein Gesicht. Ich schrie mein Leben aus, aber es blieb stumm.

Ein winziger Blick hatte genügt um alles Leid der Erde zu sehen. Ich hatte Kinder in Afrika sterben sehen, ihren Hunger geteilt, einen Matrosen ertrinken fühlen und gespürt wie mich ein Jäger auf seinen Hänger knallte. Kleine und große Nöte, Ängste, Schmerz und Tod hatten sich tief in mich gebrannt. Die gesamte abstoßende Welt hatte sich mir gezeigt. Ein bitterer Nachgeschmack zog sich durch meinen Kopf. Angewidert setzte ich mich wieder auf den Stuhl, drehte ihn vom Monitor weg und weinte auf mein Spiegelbild. Sein Blick sagte mir;

„Kopf hoch. Schau weiter.“

Schlimmer konnte es nicht mehr kommen und bevor ich dem Wahnsinn die Hand reichte, er klopfte schon gegen eine imaginäre innere Tür, lenkte ich mich ab und schaute weiter.
Der Monitor daneben war schwarz wie die Nacht. Ich konnte mich konzentrieren wie ich wollte. Er ging und ging nicht an. Wahllos drückte ich ein paar bunte Knöpfe darunter und siehe da, es wirkte. Er flammte rot auf und mit der Helligkeit die sich verstärkte wanderten meine Mundwinkel nach oben. Das war das Schönste was ich je gesehen hatte. Genau das Gegenteil vom anderen Bild.

Liebe drang in mich ein. Zärtlichkeit von Millionen Herzen. Ich fühlte mich vielbeküsst, sah strahlende Paare in Sonnen laufen, spürte unsichtbare Fingerchen über mich kribbeln und empfand mich in einem Meer aus liebevollen Kissen in vollster Geborgenheit. Eine Frau mit dunklen Locken sah in mich hinein, baute einen sanften Brunnen in mein Herz der Glück aussprudelte. Ich lebte und fühlte so intensiv und dann explodierte in all der Farbe und Emotionen wieder das kalte Schwarz.
Fassungslos starrte ich auf den Monitor. Wie besessen hämmerte ich abermals auf die Knöpfe, aber nichts geschah. Ich drehte mich zu dem Spiegelbild um. Es lächelte keck.
Ich wurde wütend, begann mit den Fäusten auf die Instrumente zu hämmern. Nichts geschah. Das Nichts um mich herum war jetzt noch trostloser geworden. Eine riesige liebevolle Gemeinschaft dessen Mitglied ich noch eben war, war nun verflogen. Ich allein. Nie wieder wollte ich von diesen Bildern weg. Nie wieder diese Gefühle verlassen. Die Tränen die nun über meine Wangen liefen brannten noch tiefere Furchen in meine Seele.

An den Enden waren Lautsprecher angebracht. Sie wurden mir jetzt bewusst, weil sie knisterten. Es hörte sich so an als würde ein Handy neben einem Lautsprecher gleich eine SMS bekommen. Dann ertönte eine herbe Frauenstimme:

„Sie haben ein Gebet erhalten!“

Als der Satz endete leuchtete der dritte und letzte Bildschirm auf. Eine alte Rentnerin war da zu sehen. Sie saß oder lag mehr in ihrem Sessel und schaute bedächtig auf das Kreuz in ihrer Hand. Unter diesem bewegten Bild lief das Gebet in einer goldenen Handschrift entlang.

„Lieber Herrgott, bitte lösche mir meine Leiden. Nehme mich zu Dir und sende Erlösung. Erhöre mein Flehen. Stets hab ich Dir gedient, nie etwas in meinem Leben verlangt. Jetzt bitte ich um mein Ende.“

Es schloss mit einem bekannten „Amen“.
Neben dem Monitor, der sich jetzt automatisch ausgeschaltet hatte, blinkte ein Pfeil der auf vier Knöpfe deutete.

- Erhören und erfüllen.

- Gebet nicht stark genug. Auf ein weiteres warten.

- In 10 Jahren erfüllen.

- Menschen überprüfen.

Der Pfeil glänzte nun schneller und auch die Knöpfe leuchteten im Takt. Ich sollte mich jetzt entscheiden. Ich sah mich noch mal um, schaute auf den Boden, das Spiegelbild nickte und ich drückte einen Knopf.
Es sirrte kurz, knackte und dann ging der Monitor erneut an. Das Leben der alten Frau zog an mir vorbei. Ich befand mich an jedem wichtigen Punkt in ihrer Zeit. Erlebte ihr Dasein noch einmal mit eigener Haut. Am Ende wusste ich genau, dass ihre Zeit gekommen war. Das es richtig war und drückte ein zweites Mal. Den ersten Knopf.

Langsam wurden all die Lichter, Knöpfe und Diagramme zu einem verständlichem Konstrukt. Es schien als würde diese Schaltanlage zu mir sprechen, sich mir vertraut machen. Vorsichtig wurde Nichtwissen zum Erahnen und dann zum Verstehen.
Ich entdeckte weitere Funktionen.

Eine blaue Skala mitten in all den Lichtern wies in seiner Höhe darauf hin, dass wieder einmal ein Wunder von Nöten sei. Eine angebrachte Tastatur diente dazu ein geeignetes Geschehen direkt einzugeben.
Ich tat es.

Andere Diagramme zeigten Aufteilungen von Energien. Dem Menschen hatte man die meiste Kraft zugeteilt. So hatte er sich recht gut entfalten können. Hier konnte man an einem Rädchen drehen und einem anderen Tier die nötigen Werkzeuge zuteilen. Als ich gerade überlegte, ob ich..

„Und wie gefällt es Dir in meinem Kopf?“

Ich fuhr erschrocken zusammen. Patrick war wie von Geisterhand neben mir aufgetaucht, lächelte wie immer, aber verströmte jetzt eine ungeheure Macht. Um seinen Kopf leuchtete ein Regenbogenband und aus seinen Händen hingen flammende Strahlen. Schnell stand ich von seinem Stuhl auf, als hätte ich etwas Verbotenes getan und versuchte etwas zu sagen. Wie die Male vorher, presste ich Wörter hinaus und konnte sie nicht vernehmen.

„Denken reicht“ half er mir.

„Du bist also wirklich Gott?“ dachte ich und deutete mit meiner Hand fragend auf die Armaturen.
Er schnippte einmal mit den Fingern, hielt dann ein Kärtchen dazwischen und reichte es mir.
Es war eine Visitenkarte aus braunem Papier.

Gott
Initiator der Erde
Zuständig für sämtliche
Weltenbelange

Als PS. war hinzugefügt: „Bevor Du mich erreichst, erreiche ich Dich“.

Im nächsten Moment, es hatte kurz geblitzt, lag ich in meinem Bett und schaute aus dem Fenster in unserem Zimmer. Ich schüttelte ein paar Mal den Kopf, sah um mich herum ein paar Maschinen und betätigte nach ein paar Minuten die Schwesterklingel. Patricks Bett war leer und mit einer Folie überdeckt.
Die Krankenschwester erzählte mir, dass ich am Frühstückstisch auf einmal zusammengebrochen war. Zwei Wochen seien seitdem vergangen, Patrick wäre auf eigene Gefahr entlassen worden und ich hätte im Dämmerzustand wirres Zeug geredet.
Die Lebenserhaltungsinstrumente wurden von mir abgetrennt und ein paar ungewisse Tage gingen ins Jahr.
War es nun eine Einbildung, eine schizophrene Wahrnehmung, die ich mir da unbewusst zur Realität gemacht hatte oder nur ein Traum?

Ich machte einen Test. Dazu setzte ich mich auf das Krankenhausbett, dachte ein Gebet und hoffte auf Patricks richtige Knopfwahl. Es passierte nichts. Noch einmal versuchte ich es. Das selbe Ergebnis.

Als ich es aufgab und meinem Tagebuch meinen Schmerz geben wollte, flatterte ein brauner Zettel heraus.

Gott
Initiator der Erde
Zuständig für sämtliche
Weltenbelange

„Bevor Du mich erreichst, erreiche ich Dich“.

Auf der Rückseite war in seiner, der Handschrift geschrieben:

„Ich bin zufällig der Gott dieser Welt. Auch Du bist ein Herr über eine Welt. Horch in Dich hinein und Du wirst Sie irgendwann besuchen.“

Unendliche Liebe durchströmte mich in diesem Moment, ich fühlte seine Hand über meinem Kopf und dann einen kleinen Nasenstupser und ein Lachen.

Ein paar Wochen später verwirklichte sich auch das von mir eingegebene Wunder. Heute bin ich der erste Mensch, der vier Mal hintereinander den Lottojackpot abgeräumt hat.
 
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