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3 Seiten

Fortgeweht

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Angenehm schmiegte sich der trockene, körnige Sand um ihre Zehen. Sie schloss für einen Moment die Augen, und die Sonne, die durch ihre Lider drang, tauchte die Welt in ein dunkel leuchtendes Rot. Blutgefäße - kam es ihr in den Sinn - tausende winziger Kanälchen, die den Körper durchzogen, ohne dass man ihnen besondere Beachtung schenkte. Bewusst wurden sie einem meist erst dann, wenn man sich verletzte... Sie ließ von dem Gedanken ab, als sie spürte, wie sein Daumen ihre Handfläche liebkoste. Ihre Finger waren ineinander verschlungen und sie gingen im Gleichschritt: langsam, ein wenig wankend und wie so oft ohne Ziel. Sie hatte das Meer schon immer besonders gemocht und war glücklich, dass er diese Vorliebe teilte. Plötzlich blieb er stehen und zog sie an sich. Als er ihr behutsam eine lose Haarsträhne hinter das Ohr strich, musste er unwillkürlich lächeln.

"Du siehst ein bisschen wirr aus... wie eine verschlafene Fee."

"Findest du?" Sie betastete automatisch ihre mühsam gebändigten Locken.

"Hmmm..." Er hörte ihr allerdings schon nicht mehr richtig zu und sein Blick fand einen Punkt in der Ferne.

Seine abwesende Art schien sie nicht weiter zu verwundern. Sie löste sich ein wenig von ihm und betrachtete nun ebenfalls ihre Umgebung. Der Strand war relativ verlassen, was daran liegen mochte, dass es für einen Julinachmittag ungewöhnlich kühl war. Die Sonne war einfach nicht in der Lage, sich gegen die kühle Brise durchzusetzen. Nur hier und dort schlenderten Menschen entlang; sie sah auch Kinder, die weiter vorne im nassen Sand nach Muscheln suchten. Sie machte noch ein paar Schritte vorwärts und setzte sich nieder. Abermals schloss sie die Augen, ließ sich vom Rauschen davontragen, das sie wie ein Wiegenlied einhüllte. Als sie die Augen wieder öffnete, saß er neben ihr und betrachtete sie. Leise begann er zu erzählen:

"Weißt du, mein Großvater fuhr früher zur See. Er liebte jede Art von Gewässer, aber das Meer hatte es ihm besonders angetan. Er meinte immer, das sei der einzige Ort, an dem er sich wirklich wohl fühlte. Meine Großmutter sagte mir später, dass er regelrecht unausstehlich wurde, wenn er längere Zeit an Land war." Er schmunzelte kurz, dann wurden seine Gesichtszüge wieder ernst. "Er wollte, dass man ihn auf See beisetzte. Zuerst fand ich die Vorstellung schon etwas seltsam, doch dann gefiel mir der Gedanke, dass sich seine Asche im Wind verteilen würde, unheimlich gut. Ich dachte mir, so könnte er überallhin reisen, genau so, wie er es früher getan hatte - nur eben an mehrere Orte gleichzeitig. Als ich später auf der Beerdigung sah, was sie taten, war ich ziemlich überrascht: Man setzte ihn in einer Urne bei, die man einfach ins Meer hinab ließ. Die Stelle wurde dann auf einer Karte markiert und meiner Großmutter überreicht." Selbst jetzt war ihm noch anzusehen, wie enttäuscht er damals gewesen sein musste. "Ich konnte bis heute nicht herausfinden, ob es auch möglich ist, die Asche richtig in den Wind streuen zu lassen, aber wenn das ginge...
Meinst du, du könntest dich dann darum kümmern, sollte ich vor dir...?"

Er blickte sie fragend an. Sie hatte schon die ganze Zeit über seine Hand gehalten, jetzt drückte sie sie leicht.

"Denkst du nicht, dass wir später noch genügend Zeit haben werden, uns über solche Dinge den Kopf zu zerbrechen? Wir sind doch noch jung." Sie bemerkte seinen gekränkten Blick und setzte schnell hinzu: "Es tut mir leid, ich meine nur... ach, ich weiß auch nicht - ich glaube, ich kann dir manchmal gedanklich nicht ganz folgen."

"Also, das war mir schon länger klar!" Er grinste.

Nun war es an ihr, ihn böse anzuschauen. Sie konnte diese Fassade allerdings nicht lange aufrechterhalten und so zeichneten sich schon bald die ihm vertrauten Grübchen auf ihren Wangen ab. Schließlich nahm er sie liebevoll in die Arme und das Meeresrauschen trug die seltsamen Gefühle fort, gemeinsam mit den leisen Worten, die sie in sein Ohr flüsterte.



Als sie erwachte, war es stickig und heiß in ihrem Zimmer - der Sommer war zurückgekehrt. Sie hatte wieder einen dieser Träume gehabt, war, wie so oft in letzter Zeit, plötzlich hochgeschreckt.

20jähriger bei Motorradunfall ums Leben gekommen.

Manchmal sah sie im Schlaf nur die Sätze, die damals in der Zeitung gestanden hatten. Doch meistens wurden daraus Bilder, Schreckgespenster, die sie verfolgten. Sie sah ihn stürzen, spürte den Schmerz des Aufpralls, nahm den metallenen Blutgeruch wahr, der sich langsam ausbreitete.
Angestrengt sog sie Luft ein und starrte an die Decke, unfähig, wieder Ruhe zum Einschlafen zu finden.

Ein Geräusch riss sie aus ihren Gedanken. Sie sah sich nervös um, dann entspannte sie sich plötzlich: Er war da. Erst konnte sie nur seine Anwesenheit spüren, doch bald darauf beugte er sich über sie, um den Tränenfilm auf ihren Wangen fortzuwischen. Seine Fingerspitzen wanderten sachte über ihren Hals, er strich ihr ein Haarsträhne hinter das Ohr. Als er sie küsste, war ihr, als würde sie zerfließen. Die Einsamkeit, der Schmerz, die Enttäuschung - all das fiel von ihr ab und machte einer Wärme Platz, die ihr durch alle Glieder fuhr. Ihre Hände verschränkten sich hinter seinem Rücken und sie hielt ihn so fest sie konnte...

Sie brauchte eine Weile um zu registrieren, dass sie wieder allein war. Langsam schlug sie die Decke zurück und setzte sich auf die Kante ihres Bettes. Irgendwann stand sie auf, schlüpfte aus dem verschwitzten Nachthemd, das ihr am Körper klebte, und öffnete die Balkontür. Die Luft war immer noch warm, aber mittlerweile wehte ein leichter Wind; ehe sie sich versah, überzog Gänsehaut ihren Körper. Sie lehnte an der Brüstung, blickte nach unten: Eine verlassene Straße, Mülltonnen, hier und da ein Auto.

Der Stein unter ihren Füßen fühlte sich rauh und kühl an, als sie auf die schmale Brüstung kletterte - wie Sand.

Jetzt konnte sie auch das Rauschen und die entfernten Schreie der Möwen hören. Das Wasser schwappte ihr gegen die Zehen und spülte eine Muschel an. Der Wind blies ihr Locken ins Gesicht, als sie den Horizont betrachtete.

Er schwamm. Sie sah, wie er lachte, er sie zu sich winkte. Lächelnd schloss sie die Augen, atmete noch einmal die salzige Luft und tauchte ins Meer.
 
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Kommentare  

Schöne Geschichte, Traurig-schön ...

Middel (17.07.2005)

@ rosmarin
die habe ich ursprünglich für einen wettbewerb geschrieben. denen gefiel sie aber wohl nicht ganz so gut wie dir ;)
freut mich, wenn ich dich damit berühren konnte...


HijaDelSol (30.04.2005)

wunderschön, diese todtraurige geschichte. ich bin ganz gerührt.
fünf punkte
lg
rosmarin


rosmarin (22.04.2005)

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