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Der Sucher (Endzeit) (Teil 1)

Romane/Serien · Fantastisches
© neohy
Ich ziehe weiter auf den ausgedörrten Feldern Richtung Norden. Dem ewigen Eis entgegen. Seine Schmälzbäche werden dem Land wieder zu neuem Leben verhelfen. Wenn meine rissigen Füße die rote, heiße Erde berühren, wirbeln kleine Staubwolken auf. Ich erklimme einen größeren Kieshaufen und gelange an eine niedrige Mauer, die einmal eine Art Grenzlinie gebildet haben muss. Sie ist bröckelig und verfallen. Dahinter erstreckt sich unendlich weites Land bis zum Horizont hin.

Noch wage ich nicht über die Mauer zu blicken. Stattdessen greife ich noch mal in meinen hellbraunen Lederbeutel und inspiziere seinen Inhalt. Der Beutel fühlt sich warm und glatt an in meinen Händen. Ich fasse mit meiner rechten Hand hinein und befördere ein kleines Päckchen zu Tage, welches mir eine Überlebende geschenkt hat. Sie war ein kleines Mädchen, keine 8 Jahre alt. Hätte ich sie mitnehmen sollen? Sie hätte sich wohl kaum von ihrer Familie getrennt, auch wenn diese kalt neben ihr im Staub lag. Die Reise kann man überhaupt nur bestehen, wenn man erfahren und kräftig genug ist.

Was sich wohl in diesem Päckchen befindet? Ich hatte es damals, wie lange mag es wohl her sein, achtlos eingesteckt und einfach vergessen. Jetzt liegt das nicht ganz Handgroße Ding vor mir. Zeitungspapier ist darum gewickelt und lange Pflanzenfasern halten es zusammen. Ich löse eine der Fasern und betrachte die Zeitung näher.“ 200.000 Tote nach Flächenbrand. Dürrekatastrophe in…“ der Ort ist nicht mehr zu entziffern. Es muss sich um alte Zeitung handeln. Ich breite sie zur Gänze aus und dabei fällt der eingewickelte Gegenstand über die Mauer. Eigenartig.

Ich blicke über die Mauer. Rußgeschwärzte Fassaden eingestürzter Häuser, enge heiße Gassen, dicke Rauchschwaden, Autowracks. Der Wind bläst vom Süden. Ungünstig… Ich verzurre meinen Holzstab auf meinem Rücken und greife automatisch nach dem Jagdmesser in meiner Tasche, nur zur Sicherheit. Dann über die Mauer, den kleinen Gegenstand geschnappt, er ist aus glatt geschliffenem Holz geschnitzt, und eingesteckt. Die Zeitung bleibt achtlos liegen und wird wohl bald vom Sand begraben werden.

Rasch beeile ich mich in den nächsten Hauseingang hinein. Stille. Ich warte angespannt und spüre, wie mein Schweiß vom Ledergriff des Messers ein gesogen wird und sich dort mit getrocknetem Blut vermengt. Ich stehe in der Eingangshalle eines mehrstöckigen Hauses. Die Außenwände weisen mehrere große Löcher auf, durch die ich nach draußen spähe. Der Südwind wird stärker. Er wirbelt Sand in den Straßen auf und erschwert mir so die Sicht.

An den Grenzen meines Sehfeldes nehme ich eine Bewegung wahr. Ein Schatten. Er kreuzt, beinahe unbemerkt, einen drei Block entfernten Platz und verschwindet Richtung Norden. Ich nehme die Verfolgung auf, bin gespannt auf ein Treffen mit einem Lebewesen, welcher Art es auch sein mag.

Gesteinsbrocken, Stahlrohre, Stromleitungen, Baumstämme. Sie alle machen ein Vorankommen mühselig, liegen überall, durcheinander, ineinander verkeilt auf den Straßen. Ich klettere, lasse ein Stück meiner Haut, die sich gerade noch schützend über mein Knie gespannt hat, an einer scharfen Felskante zurück. Doch ich hole auf. Einige Kieselsteine rieseln von einem Schutthaufen, keine zehn Meter vor mir. Als ich den Platz erreiche, erkenne ich die Umrisse eines Tieres. Es lauert im Schatten eines Abwasserrohres auf seine Beute. Hat es mich bereits entdeckt?

Es ist eine grau-schwarze Wölfin. Sie ist größer als die meisten ihrer Artgenossen, ein wenig ausgezehrt, aber muskulös. Ich bin wie verzaubert von diesem anmutigen Wesen, beobachte sie eine Zeit lang. Sie setzt ihren Weg fort. Ich folge ihr, scheine sie nicht weiter zu interessieren, denn meine Anwesenheit hat sie längst bemerkt. Wir gelangen an ein gewaltiges Loch in der Straße, links und rechts davon sind Teile der Häuser hineingerutscht, deren Schutt nun eine Art Rampe in die Tiefe bilden. Ich will nicht weiter. Die Wölfin ist bereits in dem dunklen Loch verschwunden. Ich will nicht in die Dunkelheit blicken, doch meine Seele ist mir wie immer vorausgeeilt und liegt längst an der tiefsten Stelle des Abgrundes. Ich muss zu ihr, sie wartet auf mich.
 
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Kommentare  

Feut mich, dass es dir gefallen hat und danke für dein Lob.

neohy (24.04.2005)

Einfach nur schön...am meißten hat mir gefallen, wie gefühlsbetont du die einzelnen Momente beschrieben hast, richtig einfühlsam! 5 Punkte!

Jessica Reinsch (17.04.2005)

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