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5 Seiten

Die Platzkatze

Aktuelles und Alltägliches · Kurzgeschichten
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Pippo Bizzarri ist tot. Eigentlich hiess Pippo gar nicht Pippo, sondern Marino, er starb im Alter von mageren 62 Jahren, alle nannten ihn nur Pippo, und anlässlich seines Todes haben Familienangehörige und Freunde kleine Plakate drucken lassen, wie das überall in Italien so gemacht wird, um ihre Trauer zu bekunden und dem Verblichenen die letzte Ehre zu erweisen, und damit seines Heimatstädtchens Montefalco schiefe Wände zugepflastert. Die Massierung zeugt von Pippos Beliebtheit, Leider künden sie nicht von seiner Todesursache. Nicht herauszufinden bzw -lesen war, ob er sich eines natürlichen, oder wie sein Familienname vielleicht suggeriert, etwas ungewöhnlichen, nicht handelsüblichen Todes vom Erdenrund verabschiedete. Oder ob er sich ins Grab geraucht hat. Denn das scheint momentan die größte Sorge des italienischen Gesundheitswesens zu sein, dass sich das Volk quasi qua Qualm dezimiert. Weshalb die Regierung seit Anfang des Jahres ein totales Rauchverbot in öffentlichen Gebäuden und insbesondere Stätten der geselligen Zusammenkunft ausgesprochen hat. Auf der anderen Seite bekam die Gastronomie ebenfalls die größte anzunehmende Sorge, dass Ihnen durch das harsche Gesetz die Kundschaft wegbleibt, niemand will das eigenartige Strafmaß, die krumme Summe von 27,50 Euro bis 275 Euro riskieren, oder verschärfter: in Gegenwart einer “offensichtlich Schwangeren” das doppelte, aber woher wissen die herumstreunenden Rauchkontrollorgane oder ihre Denunziantendivisionen, dass die anwesende, werdende Mutter nicht justament Zwillinge austrägt? Wenn sie es wüssten, wäre dann eine weitere Erhöhung des Strafmaßes fällig? Was mit der rauchenden Schwangeren, muss sie sich selbst die Strafe zahlen? Und was ist mit den armen nichtoffensichtlichen Schwangeren, mit Drillingen gar?
Die künftig darbende Aschenbecherindustrie – Bilder der Apokalypse tun sich da auf. Also das ganze Konzept ist offenbar noch nicht so recht ausgegoren. Ein Profiteur ist jedenfalls jetzt schon auszumachen, nämlich der Hersteller der Rauchverbotstafeln, die per Gesetz gut sichtbar in jedem Lokal, Betrieb, Büro, ja selbst in Telefonzellen aufgehängt werden müssen, da und dort sieht man aber auch Wirte, die offenbar zähneknirschend lediglich eine blasse Fotokopie des Schildes an die Wand geklebt haben. Aber die Sorge um die ausbleibenden Schluckspechte ist unbegründet, man geht halt kurz vor die Tür, oder steht halb draußen, halb drinnen, einige parken auch noch den letzten Zug in ihren Lungenschächten und nehmen ihn dann mit ins Lokal, als privatanarchistischer Kommentar, man gewinnt sogar den Eindruck, dass das kleine aktionistische Spektakel als spannend empfunden wird, die Geächteten gehen vor die Tür, und je widriger die witterungsbedingten Umstände, desto besser. Wie die zugigen Raucherecken auf dem Schulhof, da standen ja auch nur die mit allen Wassern Gewaschenen. Der gesundheitspolitsche Volksbildungsauftrag hat wieder mal, wie so oft das genaue Gegenteil bewirkt, wie bei den unübersehbaren Warnhinweisen auf den Schachteln, das Verbotene wird durch die Maßnahme nur geadelt.
Aber vielleicht ist man bei Schildern im Allgemeinen in Italien sowieso ein bisschen lax in der Rezeption. Gibts denn eine andere Nation weltweit, die so vollgemöbelt mit Schildern, Hinweistafeln und Piktogrammen ist?
Straßenschilder, massenhaft, alles voller Schilder, und das stimmt alles hinten und vorne nicht! Da stehen zB drei Hinweisschilder nach sagen wir mal Bevagna, in unmittelbarer Naehe voneinander, und alle drei haben verschiedene Kilometerangaben, 10km, 13km, 14km. Auch werden Schilder komplett unlogisch aufgestellt, bzw gereiht, da sind 6 Orte untereinander, alle gleichgross geschrieben, weisse Schrift auf blau, da stehen aber gleichberechtigt Rom unter einem Dorf mit 200 Einwohnen, wie das drollige Bastardo, dann wieder Milano, und dann ein Kloster. Prima auch das omnipräsente Schild “Tutte Le Direzioni”, damit kann man ja nun GAR NICHTS falsch machen, das koennte auch zum Mond gehen, oder ins Nirvana, warum schaffen sie nicht einfach alle Schilder ab und ersetzen sie durch Tutte Le Direzioni? Oder warum nicht gleich Vietano Fumare (Rauchen verboten)?
Aber der Groll gegen die Behördenwillkür oder eine ominöse Schildermafia ist buchstäblich rasch verraucht, wenn man innere Einkehr hält, mal kurz durchatmet, zur Ruhe kommt zB in Montefalco, eine kleine Stadt, die noch von dicken Mauern umschlossen ist. Sie trägt den liebevollen Namen “La Ringhiera dell´Umbria“, was soviel heißt wie “der Balkon Umbriens“, von dem man über die sanften Landschaft, in erster Linie bestehend aus Wein- und Olivenbaumhügeln, die sich wie eine Steppdecke über das Land gelegt hat, oder gelegt wurde, wie man das auch immer gerne sehen mag, unten im Tal die größere Schwester Montefalcos Bevagna, eher nicht der Balkon, sondern allenfalls die Balustrade Umbriens.
Da muss man hin, ist auch nicht so museal wie Montefalco, in dem man aber dennoch seine ganz individuellen Ecken gefunden hat, wie bei Allessandro im “Caffee del Castalano”, wo an der Decke ein Plüschnilpferd baumelt, weil der Radiohit der verwichenen Saison, der den Wirt zum Weinen, Zähneklappern und fast in den Wahnsinn trieb, die italienische Version des debilen “Schnappi das Nilpferd” war.
Unten in Bevagna huldigen sie keinem Nilpferd, hier ist man ernsteren Dingen zugewandt, hier haben sie dem großen Sohn des Städtchens ein Denkmal gesetzt, Filippo Silvestri, dem berühmten Entomologen, der Koryphäe auf dem Sektor der Schnurfüßler und Saftkugler (Glomeris marginata), Scherzkekse stecken ihm regelmäßig nicht wie es woanders barbarischer und respektloser Brauch ist, eine Zigarette in den Mund, sondern ein Gänseblümchen, vielleicht aber auch als ein Kommentar zur neuen Zeit.
Überhaupt hat das Städtchen etwas sehr entspanntes, zurückgelehntes, beim Fleischer baumeln die beschrifteten Trüffelsalamis vor sich hindorrend von der Decke, jede mit Namen beschriftet, bestellt und noch nicht abgeholt, wie Stalagtiten. Und über den mittelalterlichen Hauptplatz, der natürlich nach der Kerbtierkoryphäe Piazza Filippo Silvestri heisst, im Schatten der Franziskanerkirche San Michele latscht eine weisse Katze, und zwar alle zwei Stunden, man kann die Uhr danach stellen, so als sähe sie nach dem rechten, bei den Einwohnern heißt die Platzkatze nur “Il Borgomastro”, also der Bürgermeister, wiewohl der richtige Bürgermeister mit seinen silbrigen, im Nacken nach Art der saisonalen Mode etwas länger gehaltenen Locken das lockere Schwätzchen mit Baltazar dem Bürstenbinder und dessen Bruder sucht, emsig damit beschäftigt nichts zu tun, und dabei auch noch gut auszusehen, eigentlich die Hauptbeschäftigung ganz Italiens, mirakulös, dass ein Staat es mit der Haltung zur sechstgrößten Industrienation der Welt gebracht hat.
Aber die, die emsig sind, sieht man nicht, vor allem nicht, wenn die Sonne, die gelbe Sau, die Stadt und das Land malträtiert.
Die Läden machen dicht, das ganze Land macht dicht über Mittag, pure Notwehr, am späten Nachmittag bzw Frühabend wird das Tagwerk wieder aufgenommen, beim Friseur geht die Post ab, ein Kommen und Gehen, selbst der struppige Nestling, den der Friseur vor seinem Salon auf dem Pflaster gefunden hat, bevor der Bürgermeister, der inoffizielle ihn entdecken konnte, und ihn jetzt mit Mehlwürmern hochpäppelt, wird rege und fällt in das unstoppbare Gebrabbel um Nichts mit einem gutturalen Krächzen ein. Immer noch Gesprächsthema Nummer 1, vor allem wenn Fremde den Ort besuchen, ist der Film. Nicht der Film per se, sondern, der der hier im Ort Anfang des Jahres abgedreht wurde, auch inzwischen bereits bei einigen renommierten Festivals lief, und kurzfristig Glanz und Gloria in das Örtchen brachte, nicht zuletzt durch eine Nebendarstellerin, keiner geringeren als das würdevoll in die Jahre gekommenen Bondgirl Ursula Andress. Der Film “Die Vogelpredigt” von Clemens Klopfenstein, einem schweizer Regisseur, der in Bevagna mit seiner Familie eine zweite Heimat fand, handelt von Clemens Klopfenstein selbst, er karrikiert auf eine etwas behäbige Art das schweizer Filmförderungswesen, von Bergen von Formularen, die auszufüllen sind, alles sehr anstrengend, am Ende wird der Regisseur von einem Wolf gefressen, als trivialkafkaeske Metapher, Andress spielt eine lebende Madonna, die das Geschehen zu kommentieren hat, alles in allem ein braver, wenngleich etwas zäher Film, aber er macht die Leute im Ort sehr stolz, und gibt dem Regisseur wohl die Narrenfreiheit eine alljährlich am 24. Dezember stattfindende bizarre Privatprozession durch den Ort abzuhalten – einen Dudelsack quetschend, dem ein quäkendes “Leise rieselt der Schnee” entweicht.
Einer, der Klopfenstein inzwischen als seinen Freund bezeichnet, ist der junge Schmied Fabrizio Palini. Er schmiedete für den Film einen Phantasiealtar, und hat sich unlängst einen kleinen verwaisten Blumenladen in unmittelbarer Nähe zum Hauptplatz angemietet, um seine wundervollen, kleinen, rohen Schmiedestücke feilzubieten, die er neben seinen Auftragsschweissarbeiten von Ziergittern und Bettgestellen so produziert, Büstenhalter aus Blech, dürre Jesusfiguren aus Sargnägeln, eine entspannt auf einem, einer Sonnenliege nachempfundenen Stück Backblech sich räkelnden Zange usw. Seine Unterarme sind so dick wie Doppelliter-Weinflaschen und übersät mit Tätowierfragmenten, die aussehen wie hastig hingeworfene Notizen oder Telefonkritzeleien, ein kleines Herz, ein paar Kringel. Vor ein paar Tagen ist ihm beim Herumprügeln auf einem Werkstück eine glühende Eisenspäne ins Auge geflogen, jetzt trägt er eine dicke blickdichte Blindenbrille, und zeigt stolz die vier in der Bauchbanane aufbewarten Tropfen und Salben, die ihm der Doktor aufgetragen hat ins wunde Auge zu träufeln. Fabrizio wohnt noch bei seinen Eltern, die gerade nicht da sind, weil sie wilden Spargel sammeln, der so vereinzelt und schwer zu finden, im Dornengestrüpp wie ein seltener Pilz wächst, und auch nur für einen Monat und in der Region als Delikatesse gilt, ansonsten sind sie Weinbauern, und hier ist ihre Spezialität ein besonders kostbarer und edler Wein, der zu den besten Rotweinen Umbriens zählt und aus den autochthonen Sagrantino-Trauben hergestellt wird. Die Lese erfolgt noch von Hand und das Resultat ist dementsprechend teuer, was Fabrizio nicht davon abhält, uns mal eben drei Flaschen davon zu schenken, weil wir ihm mit Zigaretten aushelfen, die ihm gerade ausgegangen sind.
Und bei Palinis kann man noch rauchen, ohne dafür vor die Tür zu müssen.
 
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Kommentare  

hallo steinchen, auch ich bin von deiner geschichte nicht begeistert, weil die nebenstränge die story total erdrücken.
lg


holdriander (03.07.2011)

das ist ja sehr schön für dich , liebes steinchen. aber es wurde schon der größte mist gedruckt, nur, weil die herausgeber es nicht verstanden haben und somit origenell fanden. die erfahrung habeich aus provokation auch schon gemacht. lol.
aber ich sage in meiner kindersprache allen verständlich, hoffe ich, was ich meine. ich bin keine lektorin und fühle mich daher nicht befugt, einen text nach meiner fasson zu verbessern. ich sage nur, wie ich ihn finde und weise auf rechtschreibfehler hin.
vielleicht bist du ja gar nicht so mies, wenn du nur deine überheblichkeit etwas zügeln könntest.
lg
rosmarin


rosmarin (30.05.2005)

Hallo Rosmarin,
danke für den Kommentar. Wie geht die Regel? Lieber ein schlechter Kommentar als gar keiner.
Ich freue mich auch, dass Sie so pathetisch sind zu glauben, ich könne glauben, dass Sie Ihren Kommentar aus Rache geschrieben hätten. Das ist wirklich rührend.
Nur eine Sache, die ich ja leider immer wieder gezwungen werde zu wiederholen, es gibt Lektoren, die, wenn Texte gedruckt werden sollen, nochmal drüber gehen, die Syntax, das was Sie in Ihrer Kindersprache "Sätze sind zu lang, verschachtelt und unverständlich" nennen, aber möglichst nicht anfassen oder verändern. Und da hab ich eine sehr interssante Erfahrung gemacht, je größer das Haus ist, und das von ihm angestellte Lektorat, desto weniger nimmt es Eingriff in die Geschichte, nur die paar Grammatikfehler werden ausgebügelt, der Text wird als originärer Text so genommen, wie er auch gedacht war. Je kleiner der Verlag hingegen, desto pingeliger pinzettieren sie in der Syntax herum, schlimmes Beispiel sind Lektoren von Fachverlagen und Gratiszeitungen, wenn sie mal mit Literatur oder journalistischen Texten betraut werden.
Diese, meine 4 Texte, habe ich nicht, wie mir das ein User hier empfahl "in die Tonne gekloppt", sondern sie einer großen deutsche, überregionalen Zeitung, einer österreichischen und einer schweizer Zeitung verkauft, ich werde jetzt nicht auswalzen, was wohin ging, und an welche Adresse, weil man hier, wie ich las, Eigenwerbung nicht so gern gesehen wird, aber kann eine Sache zumindest sagen: Die Texte kamen so, wie sie hier stehen, exklusive natürlich die marginalen Fehlerchen, was Orthografie und Interpunktion betrifft


steinchen (30.05.2005)

total langweilig und flach. das ist doch keine geschichte. bin sehr enttäuscht. nach deiner, pardon, IHRER, aufschneiderei im forum habe ich etwas besseres erwartet. auch der stil gefällt mir nicht. die sätze sind zu lang. verschachtelt und zum teil unverständlich. aber das wird wohl an meiner unterintelligenz liegen.
und der schluss ist kein schluss. also alles in allem einen punkt, na ja, zwei. ich will mal kulant sein. etwas substanz hat der text ja. aber mit den sssßßten haben Sie so ihre schwierigkeiten. wiedermal grins.
ich habe noch niemals nur zwei punkte gegeben. dann lieber gar keinen, war mein prinzip. aber Sie haben es geschafft, dieses zu durchbrechen. ja. das will schon etwas heißen.
lg
rosmarin

ps. das ist nicht als rache für Ihr niedermachen zu verstehen. nein, darüber bin ich erhaben.


rosmarin (29.05.2005)

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