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Die Qual der Wahl

Aktuelles und Alltägliches · Kurzgeschichten
© Falcon
Gehen Sie doch mal einkaufen! Aber bitte mit offenen Augen. Sie werden Erstaunliches sehen. Es ist ja schön, wenn man die Freiheit hat, seine eigene Wahl zu treffen. Eines der Ziele, nach denen die Menschheit strebt. Aber wissen Sie, warum Gebete so selten erhört werden? Weil die Menschen gar nicht nachdenken, was dann wirklich passieren würde. Würden sie das tun, hätte der liebe Gott weniger zu tun. Viel weniger. Aber er hat bestimmt seine Mitarbeiter, die für ihn die Post sortieren, das erleichtert die Arbeit erheblich. Schließlich leben wir in einer modernen Gesellschaft.
Sie ist so modern, dass wir den Angriffen auf unsere Seele hilflos ausgeliefert sind. Eben noch in der Haushaltswarenabteilung, jetzt (Nein, nicht auf unserer Showbühne) in einer psychiatrischen Klinik. Und warum? Werfen wir einen Blick in die Abteilung.
Eine lange Reihe von Regalen, in denen nichts ausgestellt ist als Toilettenpapier in allen möglichen Variationen. Menschen stehen davor, in Tränen aufgelöst, weil sie sich nicht entscheiden können. Dreilagig, vierlagig, 150 oder 250 Blatt pro Rolle, 12 Rollen im Paket oder jetzt extra noch vier mehr. Extra soft oder Packpapiergrau und -zart mit „Danke“-Aufdruck (ja, die gibt es tatsächlich noch) und immer so weiter. Selbst gestandene Mathematiker verzweifeln an dem Versuch, die günstigste Version herauszufiltern. Und was ist das Resultat? „Such du dir das Schönste aus, mein Schatz!“ Wenn die Mama zu ihrem Kinderwagenrennfahrer diesen verhängnisvollen Satz sagt, kann man direkt davon ausgehen, dass die Wahl auf eine bestimme Sorte fällt. Da ist zwar eine Rolle weniger drin als in allen anderen, aber dafür ist da ein kleiner Bär dabei. Genau so einer, wie der aus der Werbung, der so lustig tanzt und singt.
Natürlich kostet diese Sorte mindestens fünf Euro mehr als die nächstgünstigere, aber bitte nicht beschweren, sonst schreit der liebe Sprössling den ganzen Supermarkt zusammen. Und dann stünde man ja als Rabenmama da. Also stürzen wir uns lieber in den Ruin – auf Dauer gesehen.
Erklären Sie das mal Ihrer Bank. „Ich brauche einen Kredit, damit ich mir den Hintern abwischen kann.“ Sie werden Geschichte schreiben.

Bei Zigaretten ist es ähnlich. Gut, die schmecken wenigstens unterschiedlich (und vor allem besser als Toilettenpapier). Aber stellen sie sich doch mal meine Situation vor einigen Tagen vor! Nach zehn Jahren Abstinenz hatte ich unbändige Lust, eine Zigarette zu rauchen. Also kam mir folgender Satz über die Lippen: „Tanksäule Nr.5, eine Free&Easy-Karte, ein Feuerzeug und eine Schachtel Kippen, bitte.“
Der Tankwart starrte mich an. „Welche Sorte möchten Sie denn?“
„Das ist mir scheißegal!“ Dachte der Typ etwa, ich hätte mich analytisch mit meinem Wunsch auseinandergesetzt? Ich wollte einfach eine rauchen, nicht darüber philosophieren, welche besser schmeckt. „Greifen Sie einfach irgendeine!“ erwiderte ich lapidar.
Aber so einfach ließ er sich nicht abspeisen. „Aber Sie müssen doch wissen, welche Marke sie rauchen wollen…“ Er war sichtlich fassungslos.
Um den Seelenfrieden des guten Mannes nicht zu stören, habe ich dann die mit der schönsten Verpackung genommen. Und mitsamt dem Feuerzeug direkt wieder weggeworfen, ich fang doch nicht nach einem Jahrzehnt wieder zu rauchen an! Aber das ist eine andere Geschichte.

Es ist schön, die Wahl zu haben, aber man kann es auch übertreiben. Die Freiheit zu wählen sollte nicht zum Selbstzweck werden. Wenn wir mehr Zeit im Supermarkt verbringen, als zu Hause bei unseren Lieben, dann läuft irgendetwas falsch. Aber das Problem stellt sich ja nur, wenn wir es überhaupt schafften, uns für einen Markt zu entscheiden. Gelingt das nicht, ist man wenigstens an der frischen Luft. Außerdem verursachen die Schreie aus dem Kinderwagen in den Straßen auch nicht solche nervenaufreibenden Echos, wenn man dem Drang, das bärige Toilettenpapier zu kaufen, doch widerstanden hat.

Aber irgendwann hat man es geschafft, man ist glücklich in den eigenen vier Wänden angekommen. Das ist die Oase, in der wir unsere Ruhe finden, uns von den Strapazen des Alltags erholen können… „Was möchtest du zum Essen, Schatz? Kommt heut was Schönes im Fernsehen?“ 34 Kanäle…
 
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Kommentare  

Hihihi, köstlich! Oh, ja, so geht es mir auch!

doska (25.05.2009)

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