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4 Seiten

Von der Autobahn

Aktuelles und Alltägliches · Kurzgeschichten
© Falcon
„... A67 Darmstadt Richtung Karlsruhe zwischen Gernsheim und Viernheimer Dreieck, 5km ....“
Welcher aufrechte deutsche Berufspendler kann ernsthaft von sich behaupten, nicht schon mindestens tausendmal eine ähnliche Meldung vernommen zu haben? Der Verkehrsfunk gehört zum Leben wie unser täglich Brot. Und trotzdem kommt jeden Tag jeglicher Verkehr auf Deutschlands Autobahnen zum Erliegen, Millionen und Abermillionen leidgeprüfter Autofahrer sitzen apathisch in ihren Fahrzeugen oder knien sämtliche Götter um Hilfe anflehend auf dem Mittelstreifen um dort von durchrasenden Motorradfahrern überrollt zu werden. Einziger Trost – sieht man einmal davon ab, daß der dämliche Easy Rider sich beim unvermeidlich folgenden Sturz sämtliche Knochen bricht – ist die Tatsache, daß man dann auf himmlischen Pfaden wandelt. Und dort gibt es laut unserem Dorfpfarrer keine Verkehrsstockungen!

Mit dem Verkehrsfunk haben Deutschlands Radiosender eine gute Möglichkeit gefunden, uns verzweifelte Kreaturen vor allen möglichen Gefahren zu warnen, die unseren Weg kreuzen. „...Vorsicht, freilaufende Pferde!“ Was zum Henker macht ein Pferd auf der verdammten Autobahn? Ist es suizidgefährdet? Natürlich fährt man entsprechend langsam und vorsichtig, wer hat schon gern Fury als Galionsfigur? Vor allem wenn der Pferdearsch so breit ist (und das ist er ja), daß man die Straße nicht mehr erkennen kann, sobald Mr. Ed es sich auf der Kühlerhaube bequem gemacht hat. Aber das einzige Lebendige, was zu Fuß unterwegs ist, ist seltsamerweise ein dürres Männlein mit einem Benzinkanister, das wahrscheinlich zu dem Golf vor fünf Kilometern gehört, dem ich den Außenspiegel abgefahren habe. Selber schuld, er hätte ja rechtzeitig tanken können.

30 Kilometer später lehne ich völlig erschöpft – den Benzinkanister in der einen, ein Taschentuch in der anderen Hand – an der Leitplanke und wische mir den Schweiß von der Stirn. Es hätte ja gereicht bis zur Raststätte, es hätte allerdings auch gereicht bis zur nächsten Ausfahrt, wo eine viel billigere Tankstelle Kundschaft heischend nur 200 Meter die Landstraße hinunter lauert. Nur leider ist die Ausfahrt wegen einer Wanderbaustelle heute gesperrt. Ein Hinweisschild wäre ja schön gewesen, aber man darf schließlich nicht zuviel verlangen. Also heißt es wandern bis zur nächsten Ausfahrt!
Am nächsten Tag stelle ich übrigens fest, daß tatsächlich ein Hinweisschild aufgestellt war, aber mal ehrlich! Würden sie ein 50 auf 50 Zentimeter großes Schild sehen (oder gar lesen können), wenn sie gerade mit Tempo 130 einen holländischen Tomatentransporter überholen?
Zurück bei meinem Auto frage ich mich, warum ich nicht gleich vorsorglich an der Werkstatt neben der Dorftanke einen neuen Außenspiegel gekauft habe! Ich schalte das Radio wieder ein, vielleicht hört man ja im Verkehrsfunk was Interessantes:
„ ...Vorsicht, das Stauende liegt in einer Kurve!“ Gut gemeint, nützt mir aber leider gar nichts, wenn ich schon den Warnblinker des letzten Autos sehe; und das auch nur deshalb, weil ich gerade auf seiner Rückbank Platz genommen und dabei natürlich den direkten Weg ins Fahrzeuginnere gewählt habe: durch den Kofferraum! Naja, jetzt rentiert es sich wenigstens, einen KFZ-Mechaniker zu konsultieren.

Früher war ich wie all die anderen Autofahrer: „Oh, die geben einen Stau durch, dann fahren wir heute andersherum nach Hause.“ Aber da hat sich ein Stau gebildet, der nicht gemeldet wurde, klasse! Vor allem wenn man eine halbe Stunde später erfahren darf, daß der Stau, den man eigentlich umgehen wollte, sich wohl mittlerweile aufgelöst hat.
Dieses dem deutschen Autofahrer angeborene Verhalten habe ich mühsam mir in der mir eigenen Sturheit abgewöhnt und bin zu einem Staujäger geworden. Sie finden das bescheuert? Ein Stau ist um einiges ungefährlicher als ein Hurrikan, nur so am Rande! Und die werden schließlich auch gejagt. DAS nenne ich bescheuert.
Jedenfalls höre ich alle 30 Minuten mit Hingabe den Verkehrsfunk um mich dann eilig in Richtung Stau zu orientieren! Sobald ich dann so einen 25-Kilometer-Riesen erwischt habe, fädele ich mich sorgfältig am Stauende ein und schalte den Motor ab. So ein Prachtexemplar von einem Stau ist schon aus weiter Ferne wunderschön anzusehen. Jedes Mal gerate ich rückhaltlos ins Schwärmen, wenn ich sehe, wie sich das Sonnenlicht auf glänzenden Wagendächern bricht. Sie ist ein herrlicher Anblick, diese vielfarbig leuchtende Autoschlange, nur ab und zu unterbrochen von Dampffontänen. Der Dampf kommt daher, daß immer noch viel zu wenige regelmäßig ihr Kühlwasser überprüfen. Die Quittung bekommt man dann, wenn man seit fünf Stunden bei 32°C mit laufendem Motor auf der Straße steht und somit dazu beiträgt, daß uns die Blechlawine noch ein bißchen länger erhalten bleibt, als es ohnehin schon der Fall wäre.
Kaum steht der Motor still, springe ich aus dem Auto und gehe spazieren. Das konnte man in den 70ern schon mal, allerdings waren da überhaupt keine Fahrzeuge auf der Autobahn und außerdem hatte es an einer läppischen Ölkrise gelegen und nicht an unserer Unfähigkeit, den Straßenverkehr von einem Autoscooter zu unterscheiden. Man bekäme sogar richtig viel frische Luft ab, nur leider kapieren viele immer noch nicht, daß es einfach nicht schneller geht, obwohl der Motor weiterläuft.

Jeden Morgen fahre ich von Ludwigshafen aus auf der A6 in Richtung Viernheimer Dreieck. Jeden Morgen passiere ich kurz vor besagtem Viernheimer Dreieck ein riesiges Hinweisschild des Landes Baden Württemberg. Darauf steht: Wir bauen für Sie! Straßenausbesserung bis August 2001! Wenn man die Baustelle dann durchquert hat (und das kann dauern, weil ja jeden Morgen noch unzählige andere die gleiche Strecke fahren, möglichst gleichzeitig natürlich!), passiert man ein weiteres Schild: Vielen Dank für Ihr Verständnis! Dieses Schild werde ich wohl demnächst mit irgendeinem schweren harten Gegenstand traktieren. Dieses dämliche Schild lacht uns Autofahrern nicht nur ins Gesicht, nein, es streckt uns – im übertragenen Sinne – die Zunge heraus. Diese Baustelle existiert seit drei Monaten. Seit drei Monaten habe ich genau an einem Tag jemanden dort arbeiten sehen. Es war der erste Morgen, an dem jemand dazu verdonnert worden war, diese rot und weiß gestreiften senkrechten Metallscheiben mit den gräßlich hell blinkenden gelben Leuchten obendrauf aufzustellen. Seither ist der Streckenabschnitt verlassen. Jedenfalls wenn man den Durchgangsverkehr mal außer acht läßt. Wenn sie wenigstens drei Hänselchen hinsetzen würden, die dort jeden Morgen frühstücken, dann hätte man immerhin das Gefühl, daß hier vielleicht doch gearbeitet wird, auch wenn man es nicht sehen kann.

Seit einiger Zeit liegen mitten in der Baustelle die sterblichen Überreste einer Katze. Am ersten Tag, als ich sie sah, streckte das Tier in seiner Leichenstarre noch hilflos die rechte Vorderpfote gen Himmel, als wollte sie ihrem Katzengott sagen, daß er noch ein Weilchen auf sie hätte verzichten müssen, wenn diese dumme Sau im Toyota die erlaubten 60 gefahren wäre. Aber der Fahrer des fernöstlichen Reiskochers hat vermutlich extra aufs Gas getreten, als er des süßen Kätzchens ansichtig wurde. Jaja die Japse und ihre Eßgewohnheiten.
Am vermutlich zweiten Tag nach dem tragischen Ableben unserer kleinen Katze war die Pfote nicht mehr ausgestreckt, sondern abgerissen. Am dritten Tag als ich vorbeifuhr, konnte ich deutlich das Profil eines Uniroyalreifens in der Leibesmitte der verschiedenen Pussy erkennen. Am vierten Tag ....
Inzwischen kann man nur noch erkennen, daß es mal eine Katze war, wenn man von seiner Erinnerung zehrt. Jetzt liegt da nämlich nur noch ein ziemlich zermanschter Klumpen Fell. Was man halt so Fell nennt, wenn dreitausendsiebenhundertachtundvierzig Autoreifen drübergepoltert sind. Ich bitte um Verzeihung, liebe Katzenfreunde, daß die hier vorliegende Beschreibung einer Leichenschändung so drastisch ausgefallen ist, aber was ich damit deutlich machen will, ist, daß entweder alle an der Baustelle beschäftigten Arbeiter fundamentalistische Hundeliebhaber sind, die täglich wetten, wieviel den von dem einstmals lieblichen Geschöpf übriggeblieben ist, oder, und das ist meine Meinung, es gibt schlicht und ergreifend keine Arbeiter, die an dieser Baustelle beschäftigt sind.


Im Straßenverkehr (und natürlich auch was das sonstige Leben betrifft) könnten so viele Dinge – meistens Kleinigkeiten – vollkommen reibungslos ablaufen, wenn der Mensch als Individuum versuchen würde, logisch zu denken. Aber, dann wäre er ja kein Mensch mehr! Also darf ich weiterhin gespannt sein, was es denn in Zukunft Ergreifendes von der Autobahn zu berichten gibt. Bis dahin Gute Fahrt!
 
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Kommentare  

*lol*

Schön sarkastisch und LEIDER absolut wahr. Wer kennt sie nicht, diese kilometerlangen Baustellen, auf denen kein Schwein arbeitet.
Gut, dass du es trotzdem (noch) mit Humor nimmst.
5 Points!


Stefan Steinmetz (20.08.2006)

Von einigen Formulierungen abgesehen (z.B.: "Japsen") eine echt gelungene Geschichte... man leidet praktisch mir, vor allem wenn man den Staualltag auf der bundesdeutschen Autobahn selbst zur genüge kennt... *Daumen hoch

Parker (29.06.2005)

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