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Visionen eines Kindes

Romane/Serien · Fantastisches
© Fate
Sing-Pau ist eine Zivilistensiedlung in den hinteren Bezirken des ehemaligen Japans. Mitten in der dort inzwischen vorherrschenden Wüste platziert, wirkt das Bild dieser hochmodernen Siedlung nicht recht passend. Die einstigen Metropolen sind zerfallen zu Staub und Sand. Hier und da ragt noch ein Überbleibsel alter Tage aus den Dünen. Ein Stück Statue oder eine Wand eines der ehemals monströsen Hochhäuser, welche wahrhaftig den Himmel berühren wollten. Doch das Stadtbild von damals existiert nur noch auf Bildern. Bildern in den Köpfen jener, die Erzählungen mit Fantasie anreichern und vor ihrem inneren Auge zu einer fast greifbaren Gestalt formen können.

Sing-Pau: moderne Siedlung in trostloser Landschaft.
So modern die Architektur und die Ausstattung der Gebäude dieser Siedlung auch sind, so haben die meisten Menschen - jene, die dort nicht freiwillig leben - keine Freude daran. Es ist eben nicht alles Gold, was glänzt.

Doch auf der anderen Seite vermag das trostlose Gebiet der Einöde um sie herum - mit seinen weitläufigen Flachlandgebieten, die einen Blick weit in Richtung des Horizonts ermöglichen - zumindest ein Gefühl von Freiheit zu verheissen. So manches Juwel ist eben auch heutzutage noch (oder sogar mehr denn je) unter einem Haufen Dreck verborgen.
Freiheit: Ein Gefühl, welches für die meisten hier wahrlich nur ein Gefühl bleiben wird. Ein Traum, vielleicht sogar ein selbst gesetztes Ziel, doch in unerreichbarerer Ferne, denn nur die Wenigsten erlangen wirkliche Freiheit während ihres Lebens. Die Mehrheit kann sich nur an Glasscheiben die Nasen platt drücken und so wenigstens einen Hauch der dort draussen versprochenen Freiheit in sich aufsaugen.

Sing-Pau: Hier lebt der kleine Bo-Thai mit seiner Familie.
Seine Familie, dass sind seine Mutter Laylia, sein Vater Timor und er selbst. Sie alle gehören zur Arbeiterkaste, man könnte sie aber auch als Sklaven bezeichnen. Sklaven der Clans, das sind sie. Sie erleiden täglich die Unterdrückung und ihnen allen wurde das Recht auf eine eigene Persönlichkeit fast gänzlich entzogen.

Seit einigen Wochen schläft der kleine Junge keine einzige Nacht mehr durch. Immer wieder erwacht der Sechsjährige, vom Schweiss durchtränkt, auf seinem schlichten Feldbett und bekommt kaum Luft. Sein Herz rast und doch sinkt der Sauerstoffgehalt in seinem Blut für wenige Sekunden unerklärlich auf nahezu Null, trotz Atemmaske! Er schreit auf, seine Mutter erwacht, geht zu ihm und redet ihm gut zu - Es ist immer die gleiche Prozedur - Jede Nacht, seit nunmehr fast 50 Tagen!
"Bo, du hast nur schlecht geträumt", beginnt sie gewöhnlich ihre beruhigenden Worte, "mal wieder." Und seine mit tränen verzierten Augen stechen ihr jedes Mal ein Stück weit ins Herz. Jene Augen, die über das Plastik der Atemmaske laufen. Sie kann diesen Anblick nie ertragen, nimmt ihm die Atemmaske, die ihm in diesen Momenten so hoffnungslos erscheinen lässt - als wäre er an Geräte angeschlossen und nur durch diese noch am Leben erhalten - ab.
"Es ist nur ein Traum! War es wieder der Gleiche? Ging es wieder um diese schrecklichen Wesen, die du beschrieben hast?"
Er nickt stumm und sie fährt fort: "Wie hattest du sie noch genannt?"
Und dann einen Moment später, indem er gar keine Zeit zum antworten hat: "Ach ja ... Heuschrecken aus Metall. Es war wieder der gleiche Traum oder? Der mit diesen monströsen Heuschrecken?"
Sie hätte eigentlich nicht fragen brauchen, denn sie kannte die Antwort bereits.
"Ja, er war es. Es ist so schrecklich Mama, so real! Ich sehe es immer noch vor mir. Sehe auch jetzt noch diese Bilder! Sehe wie die Sonne gleich einem glühenden, roten Feuerball, den Horizont berührt, wie der Himmel sich verdunkelt und ..."
"Über dem Grabhügel eine schwarze Wolke auf unser Dorf zukommt, eine Wolke aus Heuschrecken - Heuschrecken aus Metall. Ich weiss", beendet sie seinen Satz, da sie diese Erzählung schon so oft gehört hat.
Man merkt ihr an, dass sie den Berichten über diesen Traum überdrüssig ist. Daran ändert auch Bos bildgewaltige Art sich auszudrücken nichts. Viele hatten ihn schon bewundert, bewundert dafür, wie poetisch er Worte verpacken konnte. Doch selbst die poetischsten Worte der Welt, verlieren an Glanz, wenn man sie andauernd und über Monate hinweg nahezu jede Nacht hört.
"Es gibt keine Heuschrecken aus Metall. Es gibt ja kaum noch echte Heuschrecken!" Dem zweiten Teil ihrer Belehrung versucht sie ein leichtes Lachen beizumischen. Es glückt ihr nicht ganz. Es mochte aufgrund der Müdigkeit sein, es mochte aber auch andere Gründe geben. Es gelingt ihr jedenfalls nicht ohne verkrampft zu wirken.
"Aber Mama, es ist so echt!" Auch dies hatte die Mutter schon oft aus dem Munde ihres Sohnes vernommen.
"Und dennoch bleibt es ein Traum, bloss ein Traum! Es ist nicht real, hörst du? Es ist nur in deinem Kopf. Und nun versuch wieder einzuschlafen, wir müssen morgen sehr früh zur Arbeit!"
Bo-Thai wurde das Gefühl nicht los, dass seine Mutter irgendwie ablenken, beziehungsweise das Thema wechseln wollte.
"Dann siehst du Papa endlich wieder", schliesst sie das Gespräch der beiden und fügt ein Lächeln hinzu, wie es nur eine Mutter auf ihre Lippen zaubern kann, wenn sie ihren Sohn wirklich über alles liebt.

Die gesamte Familie ist auf den Plantagen beschäftigt. Tabakplantagen. Als ob der Schadstoffgehalt der Luft nicht schon so extrem genug wäre, nein die Menschen müssen sich auch immer noch freiwillig den Giften von Tabak aussetzen.
Es ist ein harter Job. Zwölf Stunden-Schichten in Akkordarbeit und alle, die arbeitsfähig sind, werden eingesetzt.
Arbeitsfähig, das war Bo-Thai mit seinem sechsten Geburtstag geworden. Nun ist also auch er seit genau vier Monaten einer der Plantagenarbeiter. Bos Vater arbeitet eigentlich auch auf den Plantagen - Allerdings gibt es eine Umgangsperre von vier Monaten, sobald Kinder das arbeitsfähige Alter erreichen. Warum diese Regelung allerdings nur für die Männer gilt, während die Mütter bei ihren Kindern bleiben dürfen, hat die Führung des ansässigen Clans nie bekannt gegeben. Vermutungen gehen in die Richtung, dass selbst diese Menschenverachtenden, selbstgefälligen Leute irgendwo noch ein Stück Wärme im Herzen haben und ein wenig Mitleid besitzen. Einem Kind von sechs Jahren den Vater zu entziehen mag eine Sache sein, aber die Mutter wegzunehmen ist sicher noch um einiges härter.
Vier Monate lang war Bo von seinem Vater getrennt. Vier Monate musste sein Vater unter Tage in den Mineralerzminen arbeiten und ausserhalb des Schlaftraktes, in dem sich seine Frau und sein Sohn aufhalten, seine kurze Freizeit verbringen. Nach dieser langen Zeit würde Bo seinen Vater also morgen wieder sehen.

Der Grossteil der Menschen, die in Sing-Pau leben, arbeitet auf dem Feld auf den Tabak- oder Obstplantagen, ein weiterer Teil baut unter der Erde Mineralien und Eisenerze ab. Lohn bekommt keiner von ihnen. Die Clans argumentieren immer damit, dass sie den Arbeitern Schutz vor feindlichen Clans und Gesetzlosen bieten würden. Ausserdem haben sie durch ihre Arbeit wenigstens ein Dach über dem Kopf - Eine Wohnnische in einem der grossen Lebensareale der Siedlung.
Die Areale sind riesige Komplexe mit einer Glaskuppel über dem gesamten Bereich. Hier drin kann man atmen, denn es wird über ein Lüftungssystem Sauerstoff herein gepumpt. Sing-Pau ist so klein, dass die gesamte Siedlung nur aus zwei Lebensarealen und fünf Arbeitsarealen, davon zwei unter Tage, besteht. Ausserhalb dieser Bereiche ist die Luftverschmutzung so hoch, dass ein Überleben nahezu unmöglich ist. Dies ist ein weiterer Grund dafür, weshalb der Blick durch das Glas nach Draussen ein Gefühl von Freiheit lediglich vortäuschen kann.
Die Plantagen befinden sich in zwei der Arbeitsareale. Diese Glasgebäude sind eine Art Gewächshaus, nur eben ein überdimensionales. Verbunden sind die Gebäude durch einen Röhrengang, in welchem ein Dampf eingeströmt wird, welcher die Arbeiter auf dem Weg zur und von der Arbeit desinfiziert.
Und ja, sie haben Nahrung, und alleine dieser Umstand ist in den Bezirken des ehemaligen Japans schon sehr selten geworden. Clans versorgen ihre Arbeiter immer seltener mit Nahrung. Die meisten lassen ihre Sklaven schuften, bis diese vor Hunger und Erschöpfung dahinsterben. Doch der Clan, dem Sing-Pau gehört, versorgt seine Arbeiter tatsächlich noch mit Nahrungsmitteln. Sie werden nicht jeden Tag satt, doch die Clans treiben regen Handel mit anderen Kolonien und beschaffen für den abgeernteten Tabak die nötigsten Nahrungsmittel. Unter Betrachtung dieser Umstände hat die Familie des kleinen Jungen mit Sing-Pau nicht das schlechteste Los gezogen.

Nach einiger Zeit im halbwachen Zustand und mit den Gedanken bei seinem Vater schläft Bo-Thai wieder ein. Am nächsten Morgen, sobald die Sonne den, vor der Siedlung liegenden, Grabhügel berührt, bereitet sich die gesamte arbeitende Bevölkerung auf ihr Tageswerk vor.

Tagsüber geschehen eigentlich nie besondere Dinge. Die Menschen gehen ihren Arbeiten nach und versuchen möglichst nicht negativ aufzufallen oder gar ihr Arbeitspensum nicht einhalten zu können. Es ist immer das Gleiche, tagein und tagaus. Ab und an, wenn einer sein Pensum tatsächlich nicht erreicht, wird diese Person gewaltsam von der Arbeitsstelle gezerrt, an einen eigens dafür konstruierten Platz gebracht und vor den Augen der Anderen hingerichtet. So grausam dies auch ist, so sehr haben die hier lebenden Arbeiter sich bereits daran gewöhnt. Also ist auch dies nichts auffälliges oder gar besonderes. Der gesamte Tagesablauf, mit all seinen nur sporadisch auftretenden Ereignissen ist eben Alltag.
Nur nachts, wenn Bo träumt, so scheint es einen Bruch in dem routinierten Leben in der Siedlung zu geben. Dann schwingt eine unerklärliche Macht in der Luft, eine dunkle, verschleierte Vorahnung der Zukunft und den Gestalten, die sie mit sich bringt.

Auf dem Feld begrüsst Bo seinen Vater überschwänglich. Er drückt sich an seine Beine und sein Vater streichelt seinen Kopf.
"Mein Junge, was bist du gross geworden."
"Papa, heb mich hoch, ich will auf deinen Arm."
Nur zu lange darf die Umarmung nicht sein, denn die Aufseher sind streng. Die richtige Wiedersehensfreude muss Bo also bis zum Abend zurückhalten. Seine Mutter ermahnte ihn beim Frühstück noch, er möge seinem Vater nichts über seinen Traum erzählen. Der Junge versteht nicht, warum sein Dad es nicht erfahren sollte, er hinterfragt die Aufforderung seiner Mutter allerdings auch nicht und schweigt sich über die nächtlichen Schlaferlebnisse aus.
Die Eltern selbst begrüssen sich mit einem Lächeln und einem kurzen, flüchtigen Kuss auf den Mund und beginnen gleich darauf mit der Arbeit.

*
Ein paar Tage zuvor, am anderen Ende der bewohnbaren Welt, mitten in Amerika, ist George Stefford in seine Arbeit vertieft.
"Mary", hört man ihn rufen, doch es ertönt keine Reaktion, keine Antwort.
Er blickt sich in seinem, in einem rostbraunen Farbton gehaltenen, Labor um. Aber er kann die gesuchte Person nicht in seiner Nähe entdecken. Seine Augäpfel spielen mit der ihm umgebenden Luft, suchen verzweifelt nach der Gestalt, deren Name sein Mund so eben gerufen hatte.
"Mary", kann man den Ruf wieder vernehmen, dieses Mal lauter.
Seine Hände halten eine nicht erkennbare Substanz fest umschlossen, hinter der Plexiglasscheibe seines Forschungscontainers. Seine Arme sind durch gesicherte Schächte in das Innere des Containers gestreckt. Die in Handschuhe getauchten Finger verbergen ein Geheimnis, etwas zu kostbares um es loszulassen. Mary erscheint sehr zu seinem Missfallen immer noch nicht.
"Was macht diese bescheuerte, saublöde Assistentin eigentlich schon wieder?", murmelt er vor sich hin.
"Mary, beweg deinen Arsch hierher!!!", schreit er nun mit all der Luft, die er aus seinen Lungenflügeln pressen kann.
"Sofort!", fügt er seinem Befehl noch hinzu.
Im Schatten des Rahmens der Labortür erscheint sie dann auch einige Augenblicke später. Mary: Eine liebliche Frauengestalt in der Blüte ihrer Jahre. Bildhübsch und sicher Ursache vieler feuchter Männerträume.
"Was ist denn Professor?", haucht sie die Worte mit einer so schamlos vorgetragenen Unschuld, dass es einem die Nackenhaare zu Berge stehen lässt.
"Na endlich das wurde ja auch langsam mal Zeit!", entgegnet Stefford ihr, ohne ihr weitere Beachtung zu schenken.
"Ruf sofort Memphis an, er soll das Pentagon benachrichtigen. Der lang erwartete Durchbruch - Er ist vollbracht!"
Seine Assistentin hat keinen Schimmer von welchem Durchbruch er spricht. Wenn man ehrlich ist weiss sie nicht einmal wirklich, was das Pentagon ist. Doch es ist ja auch nicht ihre Aufgabe zu verstehen oder zu wissen. Ihre Aufgabe ist es, zu tun, was man ihr aufträgt. Und selbst das übersteigt manches Mal ihren Horizont. Im Groben und Ganzen ist sie allerdings auch nicht die schlechteste Assistentin die George in seiner wissenschaftlichen Laufbahn bisher hatte. Und da sie im Gegenzug aber bei weitem die bisher Hübscheste und Attraktivste ist, verzeiht Stefford ihr ihre Unfähigkeit meist nur allzu gerne.

Als Memphis die Nachricht erhält macht er sich sofort persönlich auf den Weg in das Labor. Mit zwei Abgeordneten des Pentagons betritt er kurz darauf die sterilen Räumlichkeiten.
"Du hast es also geschafft George?", stellt er gleich zu Beginn die wichtigste Frage - Eine Begrüssung scheint zwischen den beiden Männern nicht notwendig zu sein.
"Ja Rick, das habe ich. Hier in meinen Händen halte ich es! Ich habe es seit der Fertigstellung nicht aus der Hand gelegt!"
In der Tat, Professor Steffords Hände befinden sich noch immer in dem Plexiglascontainer und umschliessen noch immer das kostbare Gut. Dabei sind über zwei Stunden vergangen, seitdem Mary den Anruf getätigt hatte. Stunden, in denen der Wissenschaftler nicht eine Sekunde seine Hände geöffnet hatte.
"Und ist es wie erwartet, George?"
"Das ist es Rick, das ist es!"
"Wirklich, ich kann es kaum glauben."
"Aber es ist so. Alles was wir erhofft haben und noch vieles mehr."
Rick Memphis überkommt ein wohliges Gefühl und seine Lippen breiten sich zu einem beherzten Lächeln aus.
Es ist soweit, nach acht Jahren Forschung ist es nun soweit. Wir haben es geschafft, die Welt gehört so gut wie uns, denkt er sich während er auch schon wieder das Wort ergreift: "Zeig es mir!"
Sein Ton hat einen militärischen Klang angenommen, so besessen ist er von der Aussicht auf Macht. Jene Macht, die diese neue Entwicklung ihm und seinem Land verleihen würde.
Als Stefford nicht unverzüglich reagiert, vergisst Memphis augenblicklich alle freundschaftliche Zuneigung, die ihn und George verbindet, und beschränkt sich nun auf die Gesprächsebene Vorgesetzter zu Untergebener: "Los zeig es mir!"
Der Professor hebt vorsichtig seine linke Hand von dem ab, was er in der schützenden Höhle seiner Hände verborgen hält. Es schimmert leicht grünlich, hat aber zeitgleich einen metallischen Ansatz an sich. Es scheint nicht sehr dick, aber macht doch einen sehr massiven Eindruck. Und vor allem ist es geladen, geladen mit einer Energie, so gebündelt und immens, wie die Strahlen der Sonne sie selbst nicht entfachen könnten.

"Wie hast du es geschafft?", will Rick nun von George Stefford wissen.
"Zufall, wie so oft in der Forschung."
"…", die vom Professor erhoffte Nachfrage bleibt aus.
"Ich habe einfach andere Umstände geschaffen. Statt mit dem Magnesiumstrahler habe ich die Substanzen noch einmal mit einem normalen Bunsenbrenner erwärmt."
"Das hat doch vorher auch nie funktioniert. Ich meine Frank hatte doch relativ früh diese Idee und ist mit wehenden Fahnen untergegangen."
Frank, Rick hätte ihn nicht erwähnen sollen. Frank Richards war Georges Vorgänger. Ein ruhmreicher Forscher auf dem Gebiet der Radiologie und der Strahlenforschung. Er war nicht nur der ehemalige leitende Professor dieses geheimen Labors des Pentagons, sondern auch Steffords Mentor. Von ihm hatte George den Grossteil seines heutigen Wissens. Nachdem - es in den Augen der Geldgeber - zu viele fehlgeschlagene Experimente gab, wurde ihm der Auftrag entzogen und an George übergeben. Ihm, der noch visionäre Ansätze hatte, vertrauten sie inzwischen mehr als dem alten Hasen Richards. George hat Frank seitdem nie wieder gesehen und hegt den Verdacht, dass mit ihm mehr passiert ist, als nur ein Ausschluss aus der Forschung in diesem Labor.
Nach einigen Momenten des Abdriftens in vergangene Zeiten fasst sich der Professor wieder. Es ist sicher nicht gut über die geschehenen Dinge nachzudenken. Und sich in den Vermutungen zu vertiefen, Frank könnte etwas passiert sein, ist mit Sicherheit ein Fehler.
"Frank hat einen entscheidenden Fehler gemacht", platzte aus dem, in die Realität zurückgekehrten, George heraus.
"Und was soll das gewesen sein? Oder, lass mich die Frage anders stellen: Was hast du anders gemacht?"
"Ich habe zwar die Erhitzung mit konventionellen Mitteln vorgenommen, wie Frank es auch getan hat, aber ich habe nicht auf die Wirkung des Magnesiums als Katalysator verzichtet."
"…?"
"Ich habe den Substanzen noch Magnesiumpulver beigemischt. Es hätte schief gehen können, hätte weitreichende negative Folgen haben können, aber es hat das gewünschte Ergebnis gebracht. Ich habe lange gebraucht, dass richtige Mischverhältnis zwischen dem Magnesium und den übrigen Substanzen herauszufinden, doch am Ende hatte ich einfach Glück."
Voller Hochachtung schauen die beiden Mitarbeiter des Pentagons den Professor an. Sie verstehen zwar nur einen Bruchteil des Forschergeschwätzes, welches er von sich gibt, aber ihren Respekt vor seinem erfolg können ihre Gesichter nicht verbergen. Stolz lächelt George zu ihnen zurück und für einen Moment ist alles vergessen: die ganzen arbeit, die vielen Rückschläge, frank - und was auch immer mit ihm passiert sein sollte - einfach alles Negative während den ganzen vier Jahren, die er nun an diesem Projekt beteiligt war.

"Vitanon“, entfährt Rick der Name des Stoffes ehrfürchtig.
Ein Name, den sie vorab schon aus den wichtigsten Eigenschaften des Versuchzieles gebildet hatten: Kraft, rein und pur, wie das Leben und ein immenses radioaktives Potenzial.

*
Sie haben am Abend noch viel gelacht und im Rahmen der Möglichkeiten in ihrem Areal gefeiert, dass die Familie endlich wieder komplett ist. Sehr erschöpft ist Bo schliesslich in den Armen seines Vaters eingeschlafen. Doch wieder einmal ist er nun erwacht. Kein schrei durchdringt dieses Mal die Stille im Schlafbereich. Die Erschöpfung vom Vorabend sitzt noch tief in seinen Knochen. Doch auch der so eben erlebte Traum zerrt an seinen Energiereserven. Wie auch immer, er hat nicht die Kraft zu schreien und so wacht er zwar ruckartig auf, doch der gewohnte Schrei bleibt aus und so sieht Bo seine Eltern einige Meter neben ihm schlafend daliegen.
Er beobachtet, wie sich die Brust seines Vaters, den er erst am Abend zuvor nach vier Monaten der Trennung wieder sehen durfte, langsam und ruhig hebt, um sich gleich darauf wieder zu senken. Die Atmung seines Vaters fasziniert ihn. Er geniesst das Spiel der Lunge, wie sie den Brustkorb sanft anhebt und wieder sinken lässt.
"Bo"
Die Stimme kommt nicht aus diesem Raum, sie kommt nicht einmal von einer körperlichen gestalt, sondern erwächst tief aus seinem Inneren.
"Bo, du musst aufwachen. Du schläfst, und du musst aufwachen."
Die körperlose Stimme erinnert ihn an seine Grossmutter. Der Haken an der Sache ist aber, dass Bo seine Grossmutter nie persönlich kennen lernen durfte. Dies war ihm nicht vergönnt, sie starb vor seiner Geburt. Doch diese Stimme, so zart in ihrem Klang, sie hätte zu der Person gepasst, die in seinen Gedanken seine Oma war. Oft hatte seine Mutter von ihr gesprochen und mit der Zeit hatte er ein klares Bild von ihr vor Augen. So stellte er sich seine Grossmutter einfach vor. Und wenn sie eine Stimme hatte, dann muss diese wie die geklungen haben, die nun in seinem Ohr ertönt.
"Bo, wach bitte auf", kann er es wieder vernehmen.
Und dann, nach einer Sekunde der Stille: "Bo, du musst! Sonst wirst du fallen."
"Wer ist da?"
"Bo, ich bin es. Du weißt wer."
"Oma?"
"…"
Obwohl die Stimme die Frage nicht beantwortet, manifestiert sich nun wieder, vor seinem inneren Auge, jenes Bild seiner Grossmutter, dass durch jede neue Geschichte, die seine Mutter ihm über sie erzählt hatte, klarer und stabiler wurde. Nun konnte er es oftmals wie ein Foto abrufen. So deutlich sah er sie vor sich, jede einzelne Pore ihres Gesichtes. Ihre leuchtenden grünen Augen, ihr blassgraues Haar.
Bo liebt die Geschichten über seine Grossmutter und auch die Geschichten von ihr, die sie damals seiner Mutter erzählt hat. Geschichten, in denen es noch nicht nur Krieg und Kampf ums Überleben gab. Geschichten aus einer Zeit, in der die Welt sich noch weiterdrehte, als würde es kein Morgen geben. Doch das Morgen kam und in diesem morgen lebt Bo.
"Bo, wach auf mein schatz, bitte", flehte die Stimme seiner Grossmutter nun förmlich.
"Schnell, gleich ist es zu spät."
"Aber ich bin doch wach Oma."
"Nein mein Junge, du schläfst."
"Nein, ich bin wach. Schau doch."
Wie, um zu demonstrieren, dass er wirklich wach ist, streckt er seinen linken arm hervor und kneift sich mit Zeigefinger und Daumen der rechten Hand hinein.
"Siehst du?", fragt er.
"Glaube mir Bo, du schläfst. So glaube mir doch bitte. Du musst aufwachen."
"Sieh nur", entgegnet er ihr und zeigt mit dem Finger auf seine Eltern.
"Wenn die schlafen, wie kann ich sie dann sehen, ohne selbst wach zu sein?"
"Bo, bitte"
Der kleine Junge fühlt sich überfordert. Sämtliche Sinne sagen ihm, dass er wach ist und doch möchte er dieser Stimme vertrauen.
"Wo bist du?", fragt er in die Leere vor sich.
"Hier, in deinem Herzen, siehst du mich denn nicht?"
Der Junge konzentriert sich, versucht das Bild in seinem Kopf zu ertasten, danach zu greifen. Er schafft es und kann die Nähe seiner Grossmutter nun beinahe spüren. Mit der ersten Berührung, die ihm tatsächlich gelingt, erwacht das Bild zu leben. Seine Oma ist nicht mehr nur ein stillstehendes Foto, sie lebt - in seinem Herzen.
"Bo, bitte, bevor es zu spät ist …"
Doch es ist bereits zu spät. Vor seinen Augen verschwimmt die Gestalt seiner Grossmutter zusehends.
"Was passiert? Was ist das?"
"Du musst stark sein, mein Junge", kann sie ihm nur noch zurufen, bevor sie sich in Nebel auflöst.
"Oma!"
Der Schrei des Jungen ist flehend und fragend zugleich. Bo versteht nicht, was mit ihm und seiner eben erst zurück gewonnenen Grossmutter passiert. Der Nebel verdichtet sich um ihn herum, nun kann er auch seine Eltern nicht mehr sehen.
"Oma, wo bist du?"
Doch es kommt keine Antwort. Der Boden unter ihm wird weicher, verflüssigt sich, löst sich auf. Dann fällt er, fällt in ein tiefes Loch unter ihm, welches keinen Boden zu haben scheint.

Schweissgebadet wacht Bo auf und vernimmt ein lautes Brummen. Er blickt sich um, doch die Beiden anderen Betten im Raum sind leer. Weder seine Mutter noch sein Vater sind anwesend. Er steht auf, will sie suchen gehen. Ein Verdacht keimt in ihm auf, der Verdacht, dass er noch immer schläft und träumt, denn diese Situation kommt ihm bekannt vor. Das Brummen, das alleine sein beim Erwachen.
Schnurstracks geht er zum Arbeitsareal und sein Verdacht bestätigt sich. Es ist der Traum, der ihn jede Nacht immer wieder plagt und dafür sorgt, dass er die bekannten Gespräche mit seiner Mutter hat. der Traum mit den Heuschrecken.
Doch dieses Mal ist der Traum anders.

Als Bo dann schliesslich wirklich in seinem Bett erwacht, steht ihm die Panik im Gesicht. Dennoch schreit er wirklich nicht, fast so wie in dem eben hinter sich gebrachten Traum. Es wirkte fast, als hatte ihm sein Traum aufgetragen, auf diese Art zu erwachen und er befürchtete schon, er würde immer noch träumen. Für einen Augenblick dachte er, er wäre in einer endlosen Schleife gefangen. Einer Schleife, in der er andauernd aufwachen würde, nur um festzustellen, dass er noch schläft und alles nur ein Traum ist. Doch es passierte nichts, weswegen er an diesem Gedanken festhalten sollte. Dieses Mal ist er tatsächlich aufgewacht.
Er benötigt einige Minuten um seine Atmung zu beruhigen. Sobald sein Puls wieder gleichmässig arbeitet, nimmt er die Atemmaske von seinem Gesicht und wischt sich den gröbsten Schweiss aus demselben. Seine Decke und auch seine Matratze sind durchnässt.
Er beschliesst seine Eltern nicht zu wecken, wegen der Bitte seiner Mutter, der Vater solle nichts von den Träumen erfahren. Doch dieses Mal ist der Traum anders gewesen und dies lässt ihn zögern. Soll er seine Eltern trotz der Bitte wecken? Kann er nicht wenigstens mit seiner Mutter über das erlebte reden?
Einige Zeit, sie kommt ihn vor wie stunden, später entschliesst er sich letztendlich doch, seine Mutter aus dem schlaf zu reissen - zu sehr nagen die neuen Bilder des Traumes an seinem kleinen Herzen. Er muss es sich von der Seele reden, sonst zerfrisst es ihn bestimmt noch vor dem Morgengrauen und er müsste sterben, so zumindest glaubt es der kleine verängstigte Junge, dem eine mehr als lebhafte Fantasie nachgesagt wird.
Doch er will nicht alles erzählen. Die Tatsache, dass der Traum in zweifacher Hinsicht anders war, würde ihn wieder unglaubwürdig machen. Eins nach dem anderen, wie sein Vater immer zu sagen pflegte. Er würde mit dem erzählen des Traums über seine Oma noch warten. erst einmal würde er den anderen Traum mit ihr besprechen, den bekannten. Dem Traum, der dieses Mal, so bekannt er ihm bereits war, doch anders verlief als die vielen Nächte zuvor.

"Mama", versucht er es erst leise.
"Mama, wach auf."
Da seine Mutter immer noch reagiert, legt er die Hand an ihre Schulter und beginnt sie leicht aber bestimmt wachzurütteln. Sein Vater dreht sich auf die andere Seite und murmelt im schlaf. Sofort zieht Bo die Hand wieder weg. Er darf seinen Vater nicht wecken, nicht, bevor er sich seiner Mutter anvertraut hat.
Nach einigen Minuten, die endlos dahinschleichend verstreichen, als ob sie träge durch einen Sumpf aus Zeit wandern müssten, versucht er es erneut.
"Mama, bitte wach auf."
"Zzzzzzzzzzzz"
"Mama." Dieses Mal befindet sich Bo mit seinem Mund direkt an ihrem Ohr. "Wach auf!"
Seine Mutter schlägt benommen die Augen auf und will eigentlich gleich laut losfragen was ist? Doch sie kann den ersten Impuls unterdrücken und setzt sich erst einmal auf. Sie betrachtet ihren Sohn, reibt sich die Augen um wenigstens ein stück weit wach zu werden. Sie schaut in das Gesicht ihres jungen und sieht, dass er seinen linken Zeigefinger an den Mund legt und ihr so signalisiert nicht lauter als notwendig zu sein.
"Wieder der Traum?", fragt sie ihn flüsternd, immer noch schlaftrunken.
"Ja, aber er war nicht wie immer."
Nun war sie schlagartig wach und klar im Kopf.
"Nicht wie immer?"
"Psssst."
Sie war lauter geworden, als sie es beabsichtigt hatte.
"Nein, nicht ganz. Er geht weiter."
"Du hast weiter geträumt?", fragt Bo-Thais Mutter nachdem ihr Sohn diesen Satz ausgesprochen hatte.
Etwas Besorgnis hat sich in ihre, in der Vergangenheit meist so besänftigende, Stimme gemischt.
"Was genau hast du geträumt? Sag schon, wie geht es weiter?"
Bo hört da eine Sache aus ihrem Ton, die er so noch nie gehört hatte. Es scheint Panik mitzuschwingen. Es ist nicht blosse Verwunderung, weil er dieses eine Mal nicht wieder bis zu dem gleichen Punkt wie immer geträumt hat. Nein es ist definitiv etwas Panisches. Er versteht es nicht, wieso kann ein Traum sie auf einmal in Panik versetzen? Ein Traum, dessen Anfang er schon etliche Male geträumt hatte. Ein Traum, bei dem sie ihm immer versuchte einzubläuen er sei nicht real. Und er gestand sich ein, dass es ein Guter Entschluss war, ihr nicht von seiner Grossmutter zu berichten, denn wie würde sie erst darauf reagieren? Eine Oma, die aus dem Reich der Toten im Traum zu ihrem Enkel spricht um ihm vor dem kommenden Traum zu warnen? Nein, dass würde sie nicht verkraften.
"Mama, bitte, ruhig."
Er hat noch gar nicht erzählt, wie es weitergeht. Die blosse Erwähnung, dass es überhaupt weitergeht beunruhigt sie scheinbar sehr. Augenblicklich schiessen Laylia die Gedanken in den Kopf: Was ist, wenn die Prophezeiung stimmt? Was ist, wenn die alten Schriften Recht haben? Was ist, wenn es diese Kreaturen doch gibt?

Die Prophezeiung. Bo-Thai kennt sie nicht, hat noch nie von ihr gehört. Und seine Eltern haben sie nie erwähnt. Es hat niemals auch nur den kleinsten Hinweis darauf gegeben, dass sein Traum mehr sein könnte als bloss Fantasie eines Kindes.
Und doch gibt es sie! Niedergeschrieben in fast vergessene Bücher. Es wird von jenem Tag erzählt, an dem der Schatten der Finsternis die Grenze des Grabhügels überschreitet. Eine Finsternis in Form einer uralten Plage, einer Insektenplage. Tod soll diese Plage, diese Ausgeburt der Hölle, mit sich bringen, nichts als Tod.

>>Wenn die Sonne den Mond küsst um die Welt zu verfinstern,
wenn die schatten aus dem Schutz des Lichtes eine brennende Finsternis schaffen,
wenn die Toten ihrer Ruhe gestört, weil Wesen ihre Gräber überschreiten,
dann wird die Welt in Trümmern liegen.
Die Ruhenden werden Gesellschaft bekommen, mehr als sie ertragen können.
Unnatürlich viele Menschen werden ihr Leben lassen.
In die tiefe Schlucht der Schwärze gerissen von Wesen aus einer anderen Welt, geflügelten Wesen.
Insekten, die dem Wort Schrecken eine neue Bedeutung geben.
Kein Schutz vermag dann die Lebenden noch zu schützen, keine Liebe vermag sie dann mehr unter ihre Fittiche zu nehmen, bis es alles vorbei ist.
Die Sonne verlischt, der Mond verblasst.
Die Erde dreht sich weiter, doch nicht für jene Menschen, die die Ankunft der Todesengel miterleben müssen.
Sie alle werden ihre Ahnen wieder sehen, an dem Tag, an dem der Schatten den Grabhügel überschreitet und ein giftiges grün mit sich trägt.<<

Schon als Bo das erste Mal von seinem Traum erzählte überkam sie dieses unbehagliche Gefühl, welches sie jetzt gerade wieder verspürt. Doch sie versteckte es damals hinter der Fassade einer tröstenden Mutter. Sie hörte ihrem Sohn zu, ohne zu zeigen was seine Worte in ihr auslösten.
Sie erinnert sich noch an jedes seiner Worte:
"Ich bin mitten in der Nacht durch ein lautes Brummen wach geworden", begann er zu erzählen.
"Die ganze Siedlung war aufgebracht, aufgeschreckt und in Panik. Alle liefen durcheinander und ich wusste nicht warum. Ich habe dich gesucht, aber du warst nicht da."
"Aber jetzt bin ich hier. Ich bin bei dir, siehst du?", hatte sie ihm beruhigend zugesprochen und seinen Kopf schützend an ihre Brust gedrückt.
"Mama", riss er sich aus ihrer Umarmung.
"Ich habe nach dir gerufen, aber du hast nicht geantwortet. Und auch Papa konnte ich nirgendwo entdecken. Also habe ich dich weiter gesucht. Als ich dich gefunden hatte standest du am Fenster, nicht eines dieser kleinen Bullaugen hier im Areal, nein, du standest vor einer der riesigen Scheiben im Gewächshaus und hast mit offenem Mund hinaus gestarrt. Dies tat dir etwa die halbe Siedlung gleich. Ihr alle habt in die Finsternis gestarrt in die Richtung aus der das Brummen kam. Ihr alle habt in die Richtung des Grabhügels gestarrt."
Brummen? Grabhügel? Sie hatte schon damals sofort an die Prophezeiung denken müssen. Sie versuchte den spontanen Gedanken wieder unter der Aufmerksamkeit für ihren Sohn zu begraben und es gelang ihr. Sie konnte seinen weiteren Folgen ohne erneut diese Angst aufkochen zu lassen.
"Vom Hügel her kam ein Licht, ein grünes Leuchten, eine dunkelgrüne leuchtende Wolke. Sie kam näher und schien sich direkt vor dem Hügel zu befinden als ich erkannte, dass es Heuschrecken waren. Riesige Heuschrecken. Heuschrecken die aus Metall zu sein schienen. Dann bin ich aufgewacht."

Welch eine Erleichterung hatte sie damals überflutet, als sie hörte, dass der Ansturm der Finsternis nur bis vor den Hügel reichte. Sprach die Prophezeiung doch von der Überschreitung der Grabgrenze. Immer wieder träumte Bo-Thai den gleichen Ablauf mit nur wenigen Änderungen, die auch einfach tagesabhängige Auslegung sein konnten. Immer erwachte er schreiend und nach Luft keuchend an der exakt gleichen Stelle.
Erst jetzt, wo sie in Gedanken zurückreiste zu jener Nacht, bemerkte sie, dass sie bereits durch den Umstand, dass sie dieses Mal nicht von einem schreien geweckt worden ist, sondern von Bo selbst - aktiv - warnen müssen, dass etwas ganz entschieden nicht stimmte.
Immer, bis heute Nacht, schien keine Gefahr in Sicht. Doch in dieser Nacht ging der Traum weiter, er blieb nicht genau vor der Grenze des Grabhügels stehen. Er liess sich nicht abschalten wie ein schlechter Film, nein er wurde weiter gespielt. Sie wusste noch nicht genau wie er weiterging, aber die anderen Male fand er im letzten Augenblick ein Ende, also konnte es nicht gut weitergehen.

Sie wischt ihre Tränen weg, erblickt die treuen Augen ihres Sohnes und gibt sich schliesslich dem hin, was er zu verkünden hat. Mag kommen was wolle, sie hatte ihn und sie hatte ihren Mann. Egal wie die Zukunft aussehen mag und ob an der Prophezeiung etwas dran ist oder nicht, sie hat ihre Familie um sich.

*
Einige Tage vor diesem Bruch im Alltag der Kolonie Sing-Pau offenbart Professor George Stefford in Amerika - genauer gesagt in einem geheimen Pentagonlabor - seine Entdeckung, die nicht flüchtige Formel des Vitanon, Rick Memphis und zwei Abgeordneten des Pentagons.
Genau vier Tage darauf hetzt man ihm einen Attentäter auf den Hals. Er stirbt an seinem Arbeitsplatz. Das komplette Labor wird in die Luft gesprengt. Offiziell sind feindliche Spione für diese Katastrophe verantwortlich - China ist ein gern gesehenes Feindbild zu dieser Zeit und somit Lieblingsschuldiger der vereinigten Staaten -, doch in Wahrheit ist es ein Einsatz des Pentagons. Man hält den genialen Wissenschaftler nicht für vertrauenswürdig. Er ist ein Mitwisser, ein Dorn im Auge, das Salz in der Wunde. Er muss beseitigt werden. Wie wohl auch Frank Richards vor ihm beseitigt worden war. Denn es gibt eine Waffe zu schützen. Eine Waffe mächtiger als alle, die die Welt bisher zu Gesicht bekommen hat.

Er spürt, wie sich der Dampf des Gases in seine Nebenhöhlen brennt. Er realisiert instinktiv, dass nicht alles so ist, wie es sein sollte. Doch er weiss nicht, was dieses Gefühl verursacht. Im ersten Moment hält er es für einen handelsüblichen Migräneanfall, doch George hatte noch nie Migräne. Das Gas ist geruchlos und doch tödlich - tödlich explosiv. Sie missbrauchen das Verteilersystem der Belüftungsanlage, damit der gewünschte Effekt eintritt. Ein Gas durch ein solches System strömen zu lassen, welch alte Methode. Sauber, ohne Zeugen, doch beinahe garantierter Erfolg. Da es sich um ein Regierungsgebäude handelt, wird man es für einen Unfall oder einen Anschlag halten, aber niemals die Schuld in den eigenen Reihen vermuten. Das Gas füllt den Raum. Laut Dienstplan ist niemand mehr im Gebäude, doch Rick weiss, dass George Freitagabends Ruhe hier immer dafür nutzt um ohne Störungen zu forschen. Ist das Gas erst einmal an Ort und stelle und schön verdichtet, dann reicht ein einziger Funke, ein Knopfdruck auf die Fernauslösung des manipulierten Reinigungsroboters, um alles zu entzünden.
Ein Knall, helle Lichter gefolgt von kurzer Dunkelheit. Doch dann, nicht einmal einen halbe Sekunde später steht die ganze Luft in Flammen. Nein, nicht die Luft steht in Flammen, sie ist Feuer.

Stefford spürt, wie sich seine Gehirnzellen innerhalb kürzester Zeit, durch die enorme Hitze, verflüssigen, spürt den grausamen und brennenden Schmerz. Ein Schmerz, wie von einem tollwütigen, alles vernichtenden Tier ausgelöst, das mit seinen rasiermesserscharfen Klauen und Fangzähnen jede einzelne Nervenbahn im Gehirn genüsslich durchtrennt. Er spürt den Schmerz, so unerträglich stark, doch er hat nicht einmal die Zeit zum schreien - seine Lungenflügel verätzen augenblicklich, als er die brennende Luft einatmet.
Es dauert nur wenige Sekunden, ehe sein Herz seine lebenswichtige Aufgabe einstellte. Doch dem Gepeinigten kommt es wie eine grausame Ewigkeit vor.

Vor seinem inneren Auge laufen Bilder. Nein, es ist eher ein Film. Ein Streifen, der niemals für einen Oscar nominiert worden wäre.
Ein Film, welcher sämtliche Fassaden und Nischen des dreckigen Hollywood-Kinos der alten Tage abdeckt: Gewalt, Pornographie, Verrat, Hinterlist, dreckige Kulissen, all das ist vorhanden.
Er selbst ist Hauptdarsteller dieses Machwerkes. Er war noch nie ein Actionheld, ein durchgestylter Kriminologe, nicht mal ein guter Liebhaber, und so auch hier und jetzt nicht - aber immerhin: er hat im Augenblick seines eigenen Dahinsiechens auch seinen eigenen Film.
Die Szenen haben kaum Zusammenhänge, sind vermischt aus Erinnerungen, Träumen, Ängsten und reiner Fantasie. Je mehr er diese Bilder auf sich einwirken sieht, desto mehr verschwindet auch die Trennlinie zwischen Realität und Fiktion. Er versinkt im Zehntel-Sekundentakt immer tiefer in seinem eigenen Bewusstsein, verliert selbiges aber mit jedem Bild, jeden Schnipsel der visuellen Eindrücke, die geballt auf ihn einschlagen, immer mehr.

Er weiss wirklich nicht, ob es wahr ist. Seine Sinne sind bereits so verwirrt und benebelt, dass sein Gehirn ihm genauso gut auch lediglich einen Streich spielen könnte, einen perversen zugegeben, aber es könnte sich dennoch um eine Täuschung handeln. Und doch sieht er sie, diese ekelhafte Brutalität mit der er selbst seine eigenen Kinder halb totschlägt. Es kann tatsächlich Erinnerung sein, die Tat, die er sieht kann Realität sein, er weiss es nicht.
Blut, überall Blut. An seinen Händen, seinen Kleidern, ja sogar seinem nacktem Schoss. Ein Blick in Richtung seiner Kinder zeigt, dass diese ebenfalls unbekleidet daliegen. Hat er seine eigenen Kinder misshandelt? Geschlagen und vergewaltigt?
Wie auch immer, er ist jedenfalls sehr froh, dass sein inneres Kino, gleich einem Stummfilm, keinen Klang hervorbringt. Er hat auch wirklich keine Lust das Geschrei der Kinder, welches man sich so schon genug vorstellen kann, wenn man diese bewegten Bilder sieht, wahrhaftig wie ein Echo in seinem Schädelinneren zu hören.

Szenenwechsel. Er sieht sich und Rick, Rick Memphis. Sie sind jünger, um einiges jünger. So um die 25 müssen sie sein. Er kann sie beobachten, sie beide, wie sie völlig zugekifft bei ihm zu Hause sitzen. Vage tauchen Erinnerungen auf, dass zumindest dies wahr ist, aber bestimmt kann er es nicht sagen, es könnte war sein, doch wer weiss das schon? Sie tauschen ihre Gedanken aus. Scheinen eine Art Meinungsverschiedenheit zu haben. Jetzt würde er den Ton gerne lauter drehen, ja ihn überhaupt erst mal einschalten. Doch diese Macht ist ihm nicht vergönnt, sein Kino bleibt still. In den Momenten, wo es ihm ganz Recht ist, aber auch in jenen, in denen er den Ton vermisst. Schade nur zu gerne hätte er gewusst, was Rick so aufwühlt, welche Worte ihn so provozieren. Weswegen er sich die Hände an der Wand blutig schlägt.

Einen schlecht geschnittenen Übergang und die Kulisse ist schon wieder eine andere. Er erblickt sich selbst, wie er vor seiner Frau steht. Sie kniet vor ihm, den Kopf auf Höhe seines Beckens. Doch diese Position hat sie nicht aus einem Akt der Sexualität heraus eingenommen, wie Stefford selbst zu Beginn dieses Szenarios noch vermutet.
Nein, das Blut läuft ihr die Schläfen entlang, zu beiden Seiten das Gesicht herunter. In der Mitte ihrer Schädeldecke thront ein Dolch. Ein makelloses Werkzeug, so rein in seiner glänzenden Pracht. Ein Phallus der Macht, welcher in ihrem Schädelknochen seine Vulva gefunden hat. Pulsierend strömt das rote Lebenselixier aus der neu geschaffenen Öffnung. Eine Ejakulation des Lebens, welches durch diesen warmen Orgasmus aus ihrem Körper gepumpt wird.
Und wieder ist er sich nicht sicher. Hat er seine eigene Frau umgebracht? Er versucht sich zu erinnern, doch er kann keine tatsächlich als real einzustufende Erinnerung finden, in der seine Frau jemals ihren Kopf so nah an seinem Becken hat - weder in Momenten der Sinnlichkeit, noch in Momenten des Streites. Und doch kann er nicht ausschliessen, dass die bewegten Bilder, in denen er seine tote Frau im Schoss liegen hat, der Wahrheit entsprechen. Ist er ein Kindervergewaltiger und auch noch ein Frauenmörder? Gar schlimmer noch: Vergewaltiger seiner eigenen Kinder und Mörder seiner eigenen Frau?

Für den Bruchteil eines Momentes fällt der Vorhang. Die Vorstellung im Todeskino ist unterbrochen. Wer will kann sich jetzt am, Kiosk ein eis holen, die Vorstellung geht gleich weiter.
Er kann die ihn umgebenden Flammen wahrnehmen, wieder den absolut unerträglichen Schmerz spüren. Ein paar kurze Wimpernschläge lang ist er wieder vollkommen im Hier und Jetzt und erlebt die tatsächlichen Vorkommnisse der Gegenwart. Die Fragen die ihn so eben beschäftigten sind weggeblasen - Ausgelöscht! Weg geschaltet wie beim Zapping im TV. In den Reihen der um ihn tanzenden Flammen interessiert ihn derart belangloses Zeug nicht mehr, hier hat er genug damit zu tun seine Atmung möglichst stabil und sich selbst wach zu halten. Doch so lang ihm die erste Serie von Bildgewittern auch vorkommt, sie dauerte nur unbedeutend länger, als diese klaren Augenblicke, die ihm wiederum bloss wie ein einziger Atemzug erschienen. Es gelingt ihm nur einen Augenblick lang das Bewusstsein beizubehalten, dann hat ihn die Ohnmacht wieder und das Kino bittet zur zweiten Halbzeit der Vorstellung.

Der Professor geht seiner Arbeit nach. Noch ist der Durchbruch in der Forschung beim Projekt 685, welches sich mit dem Vitanon beschäftigt, nicht gelungen. Die Bestandteile reagieren einfach nicht auf die Weise, wie sie es sich errechnet und ausgemalt haben. Und doch weiss er, er wird es schaffen, oder bei dem Versuch sterben. Das er es schafft und genau deswegen sterben sollte, so hat er es nie vermutet. Er hat einfach nicht damit gerechnet.
Das Bild veränderte sich wieder, dieses Mal kein Wechsel der Kulisse sondern nur ein Szenen- und Beleuchtungswechsel.
Die Räumlichkeiten werden in schwaches grünes Neonlicht gerückt. Er sieht sich und kann auch Mary erkennen. Doch er sieht sich nicht lediglich bei seiner Assistentin stehen, wie sie es bei der Arbeit oftmals taten, er sieht sich auf Mary - vielmehr sogar in Mary. Er nimmt sie in allen Positionen, ihre verwinkelten, umschlungenen Körper machen dem Kamasutra alle Ehre. Er missbraucht seine Position als ihr Vorgesetzter, missbraucht ihre Naivität für sein persönliches Vergnügen. Oft spielt er mit dem Gedanken, ihr einfach den Arbeitskittel von den prallen, runden Brüsten zu reissen und sie zu ficken. Fast jeden Tag, den er in dem Labor mit ihr zusammen verbringt, weckt mindestens einmal diesen Gedanken in ihm. Er will sie durchnehmen, bis sie halbtot ist. Will voller wollüstigem Verlangen ihre Schenkel spreizen und sein Familienzepter bis zum Anschlag in ihre feuchte Mitte hämmern. Er will sie schon ficken, in dem Moment, wo seine Augen sie das erste Mal erblicken. Deswegen ist sie eingestellt worden, weil sie hübsch ist und er sie als eine art Muse sieht. Sie macht ihn geil, törnt ihn an. Verführt ihn in Gedanken, so dass er lächelnd arbeitet, zufrieden arbeitet. Er kann sich nicht erinnern, es jemals getan zu haben, doch hier, in seinem eigenen Kinosaal tut er es - er, der er Frau und Kinder hat, vögelt seine Assistentin mitten auf dem Tisch seines Büros.

Hat er zu dieser Zeit überhaupt noch eine Frau? Hat sie ihn nicht verlassen? Oder hat er sie doch getötet, wie diese grauenhafte Vision aus der ersten Spielzeit ihm suggerieren will? Und seine Kinder? Leben sie zu dieser Zeit noch oder hat er sie totgeschlagen? Hat er sie überhaupt jemals geschlagen? Und hat er wirklich mit Mary geschlafen? Er weiss es nicht, er will es aber auch gar nicht mehr wissen. Es spielt auf einmal alles keine Rolle mehr.
Sein Lebensatem ist ausgehaucht, das weiss er. Noch einmal tauchen sie alle vor dem Spiegel seines Selbst auf: Seine beiden Kinder, seine Frau, Mary, Rick. Sie alle lächeln ihn an - Nein sie lachen ihn aus! Spotten lautlos über ihn.
Sein letzter Gedanke fräst sich in die Grundmauern der ausgebrannten Forschungsanlage: Wichser. Ihr dummen, verschissenen Wichser!

*
Nein, dieses Mal ist es wirklich nicht wie die anderen Nächte. Es hat nicht wieder just in dem Moment, wo der Schatten der Heuschreckenarmada den Fuss des Grabhügels küsst, aufgehört und die Realität ihn wieder. Nein, dieses Mal ist es nicht so.
Diese Nacht hat er Bilder gesehen, die er so noch nicht kannte. Bilder die er erst einmal sortieren muss. Die Luft scheint in seinen Adern zusammengepresst zu werden, er kann die Bläschen förmlich spüren, wie sie zerplatzen in den Transportstrecken seines Körpers. Sein Schädel dröhnt. Er kennt es nicht, das Gefühl, den Rausch, den Kater, nach einer durchzechten Nacht, nach dem Delirium des Alkohols. Und doch, würde er sich diesen Zustand irgendwie vorstellen müssen, so würde er dem gleich kommen, wie er sich gerade fühlt.
Ja er sah sie, sieht sie noch immer. Eingebrannt in die Innenseite seiner Stirn. Ein Bild, ein Panorama der Verwüstung. Er weiss es instinktiv. Die Reaktion seiner Mutter und sein Instinkt, sie sprechen gerade jetzt zum ersten Mal dieselbe Sprache. Angst, er kann sie riechen. Angst erfüllt den Raum, dringt durch jede Ritze. Sie verdichtet sich. Wer weiss noch davon? Wer weiss, was sie wissen? Sie - er und seine Mutter.
Jedenfalls ist es für ihn nun klar, es ist alles andere als nur ein Traum! Es wird wahr werden. Sie werden kommen, ja sie werden kommen. Diese Klarheit lässt ihn innerlich verstummen, doch nach Aussen muss er seiner Mutter mitteilen, was er gesehen hat. Sie muss einfach wissen, was sie alle erwartet. Sie muss vorbereitet sein. Viel Zeit bleibt nicht mehr.

Er spart sich die Erzählung über jene Teile des Traumes, die sie zur Genüge kennt und setzt sofort dort an, wo er bisher jedes Mal aufgehört hat: "Sie kommen! Es sind viele, zu viele."
"Wer kommt?", fragt Laylia, nur um überhaupt etwas zu sagen, denn sie ist innerlich so nervös, dass sie die Anspannung kaum erträgt.
"Die Heuschrecken, riesig und aus Metall. Sie kommen nicht um zu reden, sie wollen keinen Frieden. Sie bringen Zerstörung. Tod und Zerstörung! Sie sind bewaffnet. Schwer bewaffnet! Sie schiessen auf alles! Alles was sich bewegt und auch alles, was still daliegt. Sie zerstören die ganze Kolonie!"
Tränen drängen sich durch die Drüsen hervor. Während Bo weiter erzählt entwischen sie ihm durch die Augen. Seine Mutter weint ebenso, kennt sie doch den Wahrheitsgehalt seiner Worte. Alles dies geschieht, nur wenige Meter neben dem schlafenden Timor. Leise genug, ihn nicht zu wecken und doch mit Emotionen, die einen schlafenden Drachen aus den Träumen reissen könnten.
Sie beruhigt den Jungen so gut es irgendwie geht. Sie drückt in an ihre Brust und streichelt sein Haar. Irgendwann hat sie keine Tränen mehr um ihrer Angst Ausdruck zu verleihen. Erst jetzt realisiert sie, dass der kleine Bo bereits wieder eingeschlafen ist, vor Erschöpfung wie es scheint.

Sie weckt sie Ihren Mann: "Timor. Timor wach auf"
Obwohl der Schlafende die ganze Unterhaltung hindurch tief im Schlaf versunken blieb, reisst ihn nun ein leises direkt an ihn gewendetes Wort aus diesem. Er dreht sich auf die ihr zugewandte Seite, öffnet seine Augen langsam und reibt sich mit den Zeigefingern die Selbigen.
"Hmm ... Was ist denn? Ist was passiert?"
"Ja."
Sie erzählt ihrem Mann alles - Angefangen von der ersten Nacht, in der ihr gemeinsamer Sohn erstmalig den an die Prophezeiung erinnernden, Traum hatte, über die Wiederholungen, bis hin zur Veränderung jetzt.
Und auch ihm steht das blanke Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Am liebsten würde er seine Frau ohrfeigen. Ohrfeigen dafür, dass sie ihm diese Dinge nicht direkt nach dem Wiedersehen auf der Plantage erzählt hat.
Er will sie anschreien, beschimpfen, aufs übelste zusammenstauchen. Er holt mit seiner Hand aus, setzt zu einem Schlag an. Er blickt in ihre Augen, sieht ihre Tränen ... er zögert, zögert nur einen Moment. Doch dieser Moment reicht aus um ihm klar zu machen, dass diese Gewalt gegen einen Menschen den er liebt nichts verändern kann. Alle Hoffnung ist verloren. Er lässt seine Hand wieder sinken ohne den Schlag ausgeführt zu haben. Langsam, wie ein alter Mann, nimmt er seine Frau in den Arm und drückt sie fest an sich, während er sich nun auch, wie seine Liebste vor ihm, den Tränen hingibt.

*
Rick Memphis grinst in den militärischen Lagerhallen der US-Streitkräfte. Das Vitanon übertrifft selbst die kühnsten Vorstellungen. Ein Material, welches unzerstörbar scheint - zumindest haben sie selbst mit Panzergranaten keinen Kratzer in eine mit der Legierung überzogenen Metallplatte bringen können - und dann diese Energie! Eine Maschine, egal welcher Art, mit einem Anstrich dieser Legierung, brauchte keine Batterien, keine Brennstoffzellen. Sie war ihr eigener Generator. Durch die Leichtigkeit des Materials können nun Kriegsmaschinen gebaut werden, welche ein Vielfaches der bisher möglichen Panzerung aufweisen, aber nur einen Bruchteil des Gewichtes aufbringen.
"George du Sauhund, du hast es tatsächlich geschafft!", denkt Rick laut, als er die positiven Ergebnisse des ersten Materialtests miterlebt.
Und nun ist es soweit: Der erste Kampfmech, welcher eine Vitanonlegierung verwendet verlässt die Fertigungsanlage. Das Ganze ist immer noch eine Geheimaktion und sämtliche Tests mit den neuartigen Mechs finden unter strengen Auflagen statt. Nur die Besten der Mechpiloten dürfen den Aufnahmetests der neu gebildeten Spezialeinheit beiwohnen. Und nur die Besten der Besten schaffen es letztendlich, wirklich in die elitäre Truppe aufgenommen zu werden.

Rick Memphis hält vor dem ersten Einsatz vor der versammelten Truppe eine, in seinen Augen ruhmreiche, Ansprache. So hat er es bisher immer gemacht, und so wird er es bis an sein Lebensende halten.
"Männer. Ihr wisst, was es bedeutet, dass ihr hier vor mir steht. Es bedeutet, dass ihr die Besten seid, die unser Land zu bieten hat!"
Mit diesem Satz beginnt er immer, denn die Soldaten so zu würdigen heisst sich ihrer vollen Aufmerksamkeit zu versichern. Jeder fühlt sich geschmeichelt, wenn er als einer der Besten bezeichnet wird, das liegt in der menschlichen Natur. Und Rick ist sich nach den ganzen Testverfahren sicher, dass es nicht einmal eine Lüge ist.
"Es bedeutet, dass wir die Fertigung der ersten Serie neuartiger Mechs abgeschlossen haben. Flugfähige Mechs! Es bedeutet, dass ihr euch mit der Technik der neuen Maschinen vertraut gemacht habt. Es bedeutet, dass wir siegen werden!"
Er macht eine kurze Pause, um mit seinen Armen in eine bedeutungsschwangere Pose zu gleiten und in die erwartungsvollen Gesichter seiner Zuhörer zu blicken, die gebannt seinen Worten lauschen.
"Doch bevor wir die grossen Städte angreifen, benötigen wir einen Waffentest unter realistischen Bedingungen."
Bereits bei dem Wort Waffentest beginnt es in der Menge einige laute Stimmen hervorzubringen. Ein Grummeln in der Menge der Soldaten, welches ihre Vorfreude ankündigt. Als dann noch die realistischen Bedingungen direkt mit diesem Wort verknüpft werden sind kurze begeisterte Aufschreie zu hören. Rick lässt ihnen diesen Moment und fährt erst fort, als die letzten Tuscheleien unter den aufgebrachten Solddaten verstummen.
"Ich habe da eine kleine Siedlung ins Auge gefasst, ein Vorzeigeangriffsziel. Und dabei tun wir auch noch eine gute Tat, denn wir löschen einen dieser nutzlosen, dreckigen Clans aus, die das Angesicht der Erde besudeln!"
Laute Zustimmung erfüllt den Hangar.
"Scheiss Rebellenpack!", ertönt aus den Reihen.
"Genau, scheiss Rebellenpack!", setzt Memphis seine Ansprache fort.
"Ich könnte kotzen, wenn ich nur daran denke. Ja, Rotten wir sie aus!"
Der Jubel steigt zu einem durchdringen Schwall von Stimmen an. Rick Memphis weiss, wie man Soldaten motiviert. Diese Männer würden für ihn in den sicheren Tod schreiten, wenn sie nur vorher einer seiner Reden beigewohnt haben.
"Memphis ist unser Mann!", schreit einer der Soldaten aus der ersten Reihe und Rick kann sich ein stolzes Grinsen nicht ganz unterdrücken. Er muss seinen Kopf senken und in schneller Bewegung einige Male hin- und herschütteln, damit sich seine Wangenknochen wieder entspannen.
"Ich habe eine abgelegene Kolonie als Ziel gewählt, damit der Angriff nicht zu viel Aufsehen erregt. Detaillierte Karten findet ihr direkt auf den Terminalscreens eurer Kampfmaschinen. Und jetzt setzt die Helme auf, bemannt eure Mechs und auf in den Kampf! Unser Ziel heisst Sing-Pau!"
 
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Kommentare  

Nein, bin kein Schweizer.
Aber viele der Storys, die ich bsiher geschriehben habe, sind einem (teilweise mehreren Personen) aus der Schweiz gewidmet.
So, dass schreiben in schweizer-deutsch eine Art ist, meinen Tribut zu zollen.


Fate (28.01.2006)

hallo Fate
So, jetzt musste ich einmal eine deiner Storys lesen. Bist du eigentlich schweizer (wegen der Anmerkung)? Dann hätten wir schon mal was gemeinsam.
aber zur Story: also eins ist sicher, sprachlich ist die Geschichte 1a. Vor allem die Beschreibungen am Anfang sind echt wunderschön gemacht. Die Geschichte selbst hat mir auch recht gut gefallen. Auch wenn einem die Figuren dennoch etwas fremd blieben. Aber das ist wohl ein wenig das Los einer Kurzgeschichte.
Was mich etwas gestört hat, war der Teil mit dem Bilderkino im Kopf des sterbenden Wissenschaftlers. Du schreibst ja schon in deiner Beschreibung, dass du einen Hang zu härteren Szenen hast, aber ich fand, dass sie hier nicht so recht reinpassten.
Der Aufbau und das Zusammenbringen der beiden Stränge hingegegen ist dann wieder top.
soviel zu meiner Meinung, an dieser Stelle noch vielen dank für deine Kommentare (bin riesig happy darüber)
gruss presko


presko (28.01.2006)

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