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Der Dauergast

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
Sie hatte geklopft und ich hatte sie herein gelassen. Mal wieder. Dabei war ich an diesem Abend wirklich bemüht gewesen, sie von mir fernzuhalten. Sie drückte mir einen sanften Kuss auf die Lippen, lächelte ein wenig mitleidig und trat ein. Mit zielstrebigen, festen Schritten ging sie auf das Sofa zu, rückte ihr Kleid zurecht und setzte sich hin. "Wehre Dich doch nicht immer so" brachte sie mit einem liebevollen Blick hervor und schenkte sich ein Glas von dem schweren Rotwein ein. "Komm zu mir und nimm Dir auch einen Schluck." drängte sie.
Das kannte ich schon. Seite Wochen besuchte sie mich fast täglich. Ich wußte um die Tatsache, dass etliche Menschen sich nach ihrer Anwesenheit sehnten, ich gehörte aber eindeutig nicht zu diesen.
Was hatte ich nicht alles versucht. Ich hatte Kurzgeschichten geschrieben, mir mithilfe eines Buchs Gebärdensprache angeeignet, stumpfsinnige Ballerorgien auf der Playstation veranstaltet, mir alle möglichen Filme, Reportagen und Serien im TV angesehen, DVDs ausgeliehen, mich auf gähnend langweilige Kunstausstellungen begeben, meiner Katze durch ausgiebiges Spielen und Höhlenbauen den Himmel auf Erden bereitet - es hatte nichts genützt. Früher oder später am Abend stand sie vor der Tür, freundlich aber unerbittlich. Ja, auch unlautere Mittel wie Alkohol hatte ich schon probiert - mit dem Ergebnis, dass sie gerne ein zwei Gläser Rotwein oder Wodka Lemon zu sich nahm - und bis zum Morgen blieb.
Gelegentlich halfen mir Freunde sie loszuwerden - und sei es nur für einen jämmerlichen Tag. Wenn ich dann spät nachts von einem Kinobesuch oder Kneipenbummel wiederkam, war sie nicht da - auch wenn ich jedesmal meinte, den Duft ihres schweren Parfums wahrzunehmen.
Ich gab mich auch heute wieder geschlagen und nahm mir fest vor, ihr morgen endlich den Garaus zu machen. Vielleicht würde ich einen Kampfsportkurs belegen. Dieses Duell jetzt aber hatte ich verloren. Seufzend gab ich mich meinem Schicksal hin und setzte mich zu ihr.
"Guten Abend Einsamkeit" grüßte ich und ließ mich fallen.



© Brennender Junge
 
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Kommentare  

toll, man erwartet irgendwie was ganz anderes...^^

darkangel (18.01.2007)

meine Vrredner haben eigentlich schon alles gesagt, so schließe ich mich an.
Gute Geschichte, die man gerne liest. :-)


Eldwyn (17.09.2006)

Ein cooler kleiner Text. Nicht schlecht. Ich bin begeistert !

Gulliver Assi (15.09.2006)

hallo, gefällt mir gut, diese kleine geschichte. ich sage nur - wie gut, dass es die einsamkeit gibt. zwingt sie uns doch, mal nachzudenken, still zu halten. das allerschönste ist, wenn man einsam und allein eins mit der natur wird. jedenfalls das gefühl hat. und, wir als schreiber, brauchen sie doch so dringend. sitzen doch oft einsam vor dem computer. wir müssen sie lieben, um uns dann wieder ins volle menschenleben stürzen zu können, zu wollen, zu müssen.
wenn die einsamkeit allerdings aufgezwungen ist, sieht die sache schon wieder ganz anders aus. einsame, alte menschen. einsam leben, einsam sterben. das ist schrecklich. denke ich.
lg
rosmarin


rosmarin (15.09.2006)

gelungener einstand mit schmunzelfaktor

sabine hat recht
auf dauer ist dieser gast vielleicht belastend
aber manchmal auch sehr willkommen


cronos (14.09.2006)

Ich würde dir gern Gesellschaft leisten - hehe.
Nett geschrieben, die Story.
Aber der Einsamkeit beraubt werden (kennst du das Lied - "you, who stole my solitude" von "The Ark" ist auch nicht immer das Beste.
Wüsche einen schönen Tag

LG Sabine


Sabine Müller (14.09.2006)

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