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Mit anderen Augen

Kurzgeschichten · Erinnerungen
© Karin B.
Ich hatte bereits viel von Ursula, einer blinden Hobbyautorin, und ihren einfühlsamen Gedichten gehört. Nach der Art wie sie schrieb, musste sie eine beeindruckende Frau sein. Daher war ich gespannt, sie kennen zu lernen.
Die Gelegenheit dazu ergab sich bei einem Workshopwochenende, das vom Kulturzentrum der Stadt organisiert worden war. Ich hörte, dass sie auch teilnehmen würde und freute mich, mitfahren zu dürfen. Auch einige bekannte Schriftsteller sollten anwesend sein und aus ihren neuesten Werken vorlesen. Gespannt machte ich mich auf den Weg.
Bei meinem Eintreffen in dem kleinen Kulturhaus herrschte bereits emsiges Treiben. Offenbar kannte man sich untereinander bereits, man duzte sich. Ich fühlte mich zwar noch ein wenig fremd, lernte aber schnell alle kennen. Leider war die Runde, in der man sich vorstellen sollte, erst für morgen früh geplant. Als wir gemeinsam zu Abend aßen, sah ich mich suchend um. Wer war denn nun Ursula? Doch das Bild, das ich mir von ihr gemacht hatte, wollte zu keiner der anwesenden Frauen passen.
Vielleicht ist sie nicht hier, dachte ich gerade. Da hörte ich jemanden ihren Namen rufen und blickte mich neugierig um. Sie wurde von einem Neuankömmling freudig begrüßt und umarmt, die kleine, unscheinbare, ältere Frau direkt neben mir. Ich war ehrlich überrascht. Blind sollte sie sein? Kaum vorstellbar. Ich ertappte mich dabei, dass ich sie beobachtete. Verwundert stellte ich fest, wie geschickt sie sich Tee eingoss und sich ihr Brot mit Wurst belegte. Sie erzählte Witze, lachte herzhaft und gab sich ganz ungezwungen. Was hatte ich eigentlich erwartet? Eine Frau in schwarz gekleidet, mit dunkler Brille und weißem Stock? Ich wusste es selbst nicht. So jedenfalls hatte ich sie mir nicht vorgestellt.
Sie war etwa sechzig und allem Anschein nach recht lebenslustig. Als sie rauchte, staunte ich, dass ihr nicht ein einziges Mal Asche herabfiel.
Dann lernte ich sie jeden Tag etwas besser kennen – sie und auch viele ihrer poetischen und bildhaften Gedichte. Ich bekam Gänsehaut, wenn sie sie vortrug.
Zum Beispiel hatte ich mir noch nie vorgestellt, wie man einem Blinden den Wind über einem wogenden Kornfeld im Sommer beschreibt. Was war Wind? Was war ein Kornfeld? Und was war das Blau des Himmels? Oder was musste eine blinde Frau empfinden, wenn sie ihr Neugeborenes nicht sehen, sondern nur fühlen konnte?
Da es für mich die erste Begegnung dieser Art war, hatte ich mir nie auch nur annähernd vorstellen können, mit welchen Schwierigkeiten sie wahrscheinlich leben musste. Wieviel Lebensmut musste sie aufbringen, um sich nicht selbst aufzugeben, als sie feststellte, dass sie langsam erblindete?
Ich empfand aufrichtige Bewunderung für Ursel, wie ich sie inzwischen nennen durfte. Sie hatte das, was man Seele nennt.
Sehr offen und selbstverständlich gab sie über sich und ihr Leben Auskunft. Und sie hatte einen umwerfenden Humor! Wenn sie aus ihrem täglichen Leben berichtete, mussten alle lachen. Wer kam schon auf die Idee, nachts Fenster zu putzen? Mitunter wurde sie von den Nachbarn gebremst, die sich verhalten über die Geräuschbelästigung beschwerten. Darüber konnte sie nur lachen.
Mit der Zeit schien mir jedoch, dass das fröhliche Wesen, das sie uns zeigte, wohl nur eine Art Schutzschild für sie war. Und eines ihrer Gedichte endete dann auch:
„. ich möchte meine Einsamkeit lieben lernen.“
Sie sah die Welt mit anderen Augen.
 
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Kommentare  

hallo, karin, -Wieviel Lebensmut musste sie aufbringen, um sich nicht selbst aufzugeben, als sie feststellte, dass sie langsam erblindete? - dieser satz ist das kernstück in der geschichte. und deswegen steht alles andere zu ihm im widerspruch. weißt du, wieviel menschen täglich langsam erblinden? sei es alterswegen oder aus einem anderen grund. was also ist dann daran so besonders.
gruß von rosmarin


rosmarin (15.03.2007)

Hallo Karin,
Wir sind hier alle Schreiberlinge aus Spass an der Freude, keine großen Meister, die ihre Werke hier veröffentlichen wollen. Von dem her darf jeder seine Geschichten hier vorstellen, muss sich jeder auch manchmal mit konstruktiver Kritik auseinandersetzen. Du wirst noch die Erfahrung machen, dass es wesentlich mehr Leser Deiner Geschichten gibt als Menschen, die kommentieren. Wenn Du Deine Leser nun mit solchen Aussagen vergraulst, brauchst Du Dich nicht zu wundern, wenn entsprechende Reaktionen kommen. Oder gar keine mehr. Außerdem wäre es schön, wenn Du nicht anonym schreiben würdest. Wir haben alle einen Namen, eine Anrede und eine Unterschrift wäre einfach nur höflich.
Und setz Dich nicht unter Erfolgszwang. Auch Geschichten, die vielleicht nicht perfekt, aber interessant, witzig und unterhaltsam sind werden hier immer gerne gelesen.
Grüsse
Christa


CC Huber (15.03.2007)

hallo karin,

ich finde deinen beitrag gut, allerdings fehlt mir auch etwas. vor allem, wenn die version mit dem langsam erblinden stehen bleibt. ich kenne persönlich so einen fall und es ist für die angehörigen eine sehr angespannte situation: das mit dem schutzschild ist gut beobachtet. das sollte dem leser aber nicht als ergebnis vermittelt werden, sondern es sollte bestandteil deiner erzählung sein.

lg


Nicolas van Bruenen (15.03.2007)

Ich wollte doch auf keinen Fall jemanden verärgern! Ich bin aber noch nicht lange dabei bzw. habe ich noch nicht so viel geschrieben und demzufolge kaum Kommentare erhalten. Es hätte ja auch sein können, dass keiner sich für meine Texte intressiert. Man weiß ja sonst nicht, ob man gut genug für eine Veröffentlichung ist. Aber Danke und sorry, wenn ich jemanden gekränkt haben sollte.

 (15.03.2007)

Hallo Karin,
habe gerade Deine Antwort auf Nathans Kommentar gelesen. Was meinst Du damit, wenn Du sagst, Du freust Dich, wenn mal Jemand mitdenkt? Bedeutet das, dass wir anderen Leser eben nicht mitdenken? Diese Aussage wirkt auf mich recht überheblich und vielleicht wärst Du gut beraten, selbst mal über Deine Aussagen "nachzudenken", weil ich fürchte, so schaffst Du Dir nicht unbedingt Freunde.
CC


CC Huber (15.03.2007)

Hallo Nathan, danke für Deinen Kommentar. Freut mich, dass Dir die Geschichte gefällt und auch, dass mal jemand mitdenkt. Die Geschichte ist schon ein wenig älter und ich habe sie überarbeitet. Ich habe aber noch die vielen Gespräche im Ohr, auch von einem wogenden Kornfeld. Habe wohl etwas durcheinander gebracht. Werde mal meine Hausaufgaben machen und korrigieren. Danke nochmals! Lg Karin

 (14.03.2007)

hallo karin,

der text gefällt mir auch sehr gut und ich muss gerade daran denken, dass in hamburg eine "erlebnisausstellung/präsentation" ist, die DIALOG IM DUNKELN heißt und man als sehender "blind gemacht" wird und von einem blinden menschen durch seine alltägliche welt geführt wird - sehr empfehlenswert !!!

auf eine sache möchte ich noch hinweisen, du schreibst einerseits, wie soll man ein wogendes kornfeld erklären (z.b.) und einige sätze später, dass ursel erst langsam erblindete.
wenn jemand vorher sehen konnte, brauch man das nicht erklären. nur bei von geburt an blinden wird es schwierig.

es ist schon klar, was du damit ausdrücken willst, aber es ist nicht glücklich formuliert - vielleicht fällt dir ja noch eine verbesserung ein.

trotzdem volle punktzahl.

lieben gruß
nathan


Nathanahel Compte de Lampeé (14.03.2007)

Hallo Karin,
ein Blick hinter die Fassade, Anregungen zum Nachdenken. Blindheit als eine andere Form des Sehens. Gefällt mir gut und ich habe mich spontan erinnert an das Zitat von Antoine de Saint- Exupéry:
"man sieht nur mit dem Herzen gut".
LG
Christa


CC Huber (13.03.2007)

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