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10 Seiten

Titel wird noch gesucht

Romane/Serien · Nachdenkliches
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Der Wecker läutete. Immer wieder. Und das in einem so grässlichen Ton und so laut, dass ich schließlich doch versuchte mich aus dem Dunkel meiner Träume zu kämpfen, um diese Folter zu beenden.
Als ich endlich so weit bei Sinnen war, dass ich es schaffte meinen Arm zu bewegen, taten mir schon die Ohren weh und als ich es dann auch nicht schaffte, den Knopf zu finden, wurde ich zornig, deswegen packte ich das handliche Plastikteil und warf es so fest ich konnte auf den Boden.
Es hörte auf zu läuten aber im nächsten Moment machte sich der Radiowecker an und ein gut gelaunter Moderator rief: „Aufsteh’n Leute! Es ist genau sieben Uhr morgens und das Wetter in San Antonio ist heute wieder einmal fantastisch! Und zum Aufwachen spiele ich euch jetzt Kylie Minouge mit In your eyes!“
Ich streckte schon meine Hand aus, um auch den zweiten Radio von meinem Nachttisch zu fegen, doch dann fiel mir ein, dass er mich fast sechzig Dollar gekostet hatte, deswegen öffnete ich stattdessen lieber die Augen und wartete, bis die Pünktchen, die ich sah, verschwanden und ich langsam wieder klar sehen konnte.
Ich lag mit dem Rücken zu meinem Schlafzimmerfenster, durch das schon helles Sonnenlicht fiel und ich wälzte mich auf den Rücken in dem Versuch, so weit wach zu werden, dass ich mir den Wochentag in Erinnerung rufen konnte.
Meine Katze, Luna, sprang auf mein Bett, dann stampfte sie auf meinen Beinen zu meinem Gesicht hoch. Dass ich in einem Doppelbett lag und genügend Platz vorhanden war, sodass sie nicht auf mir hätte spazieren müssen, schien ihr verborgen zu bleiben.
Direkt vor meinem Kopf blieb sie stehen und starrte mich an, so als wollte sie sagen: „Es ist sieben Uhr, Olivia Peters, Zeit um mich zu füttern!“
Ich starrte zuerst tapfer zurück, aber welcher Mensch hat schon eine Chance gegen diese glühenden Katzenaugen?
Schließlich fielen mir die Augen wieder zu. Nur noch einen Moment liegen bleiben, nur eine Minute, redete ich mir ein.
Luna schmiegte ihren Kopf immer wieder an mein Gesicht und als ich darauf nicht reagierte, legte sie sich langsam auf mein Gesicht, bis ich sie nicht mehr ignorieren konnte, sie wieder von mir schob, die Katzenhaare ausspuckte und die Füße aus dem Bett schwang.
Ich streichelte Luna kurz über den Rücken, weil sie mich jeden Morgen aufs Neue aufweckte (wobei sie natürlich nicht an ihr Futter dachte, natürlich nicht!), dann griff ich nach meinem Morgenmantel und ging hinaus aus meinem Schlafzimmer.
Weil ich ein Morgenmuffel aller erster Klasse bin, habe ich in jeden zweiten Raum einen Radio und während ich durch die Wohnung ging, auf dem Weg in die Küche, drückte ich immer wieder auf die On – Knöpfe und hörte mir weiterhin Kylie an.
In der Küche drückte ich zwei Knöpfchen und hatte frischen Kaffee. Ein Hurra auf das 21. Jahrhundert und den Erfinder dieser Express – Kaffeemaschinen! Ich gab Luna ihr Futter und huschte dann unter die Dusche und ließ mich von einem eigens für die Dusche gebauten Radio nebenbei auch mit Musik berieseln.
Als ich geduscht, geföhnt, geschminkt und bekleidet war, war ich schon wieder spät dran.
Ich drehte alle Radios ab, bis auf einen, den ich leise stellte. Meine Mutter hatte immer mit mir geschimpft, wenn ich es als Jugendliche getan habe, aber ich mag es eben, von Musik empfangen zu werden und es ist eine Macke, die ich mir eigentlich gar nicht abgewöhnen will.
„Tschüss“, rief ich Luna zu, dann packte ich meine Tasche und meine Schlüssel und machte mich auf den Weg zur Arbeit.
In San Antonio hat jeder Autofahrer einen Traum: einmal eine grüne Welle zu erleben. Alle Ampeln auf Grün, kaum oder wenig Verkehr (die „Realisten“ unter denen, die sich das wünschen, hoffen zumindest auf so wenig Verkehr, dass man nicht die ganze Zeit bremsen muss).
Auch ich hoffe jeden Morgen aufs Neue, dass ich einmal ein solches Wunder erleben darf, denn dann wäre ich innerhalb von zehn Minuten bei der Arbeit. Aber an jedem Tag, an dem das nicht passiert, ist der Verkehr unberechenbar und ich komme regelmäßig zu spät.
Da ich jedoch nicht die Einzige bin und meine Arbeitszeiten relativ flexibel sind, nimmt mir das keiner übel.
Obwohl sich das Chaos auf den Straßen heute ziemlich in Grenzen hielt, kam ich fast zehn Minuten zu spät. Ich parkte meinen Wagen, einen dunkelgrünen Landrover in der Bearegard Street, da ich nirgends einen Parkplatz fand, und spazierte von dort in die Madison und durch die Glastür in ein einstöckiges Gebäude, das meinen Arbeitsplatz darstellte: die Turner – Detektei.
„Zu spät“, wurde ich von Janet gescholten, allerdings mit einem Lächeln, welches ich erwiderte.
Janet war die Sekretärin der Turner – Detektei. Sie war ein wirklich außergewöhnlicher Mensch – vor allem wenn es ums Aussehen und Organisationstalent ging. Janet war etwa eins siebzig groß, also größer als ich, ihre Haare fielen in Locken über ihre Schultern, die Haarfarbe lag irgendwo zwischen Orange und Kupfer. Genauso grell waren ihre Kleiderstücke, heute trug sie eine sonnengelbe Bluse und eine weiße Hose, dazu schwarze High Heels, Perlen und Ohrringe und knallroten Lippenstift. Außer dem Besitzer der Detektei, Ben Turner, der dieses Wissen sorgsam unter Verschluss hält, kennt keiner ihr Alter und man hütet sich davor, sie danach zu fragen, da einem sonst seltsame Dinge passieren können (mal abgesehen von dem Blick der sprichwörtlich Töten kann).
Obwohl ich noch eine DIA bin, eine Detektivin in Ausbildung, habe ich schon mein eigenes Büro. Es bietet zwar kaum Platz für einen Schreibtisch, aber ich bin damit so glücklich, dass ich sogar alle Essensreste wegräume, um es sauber zu halten (und aus Angst ich würde sonst darin ersticken).
Ich stellte also meine Tasche auf den Tisch und begann sie auszuräumen, während ich mein Apple Notebook hochfuhr. Ich hatte einige Akten, Bilder, die ich ausarbeiten hatte lassen, mein Notizbuch und eine CD – ROM mit.
Kaum hatte ich mich hingesetzt riss Tom die Tür auf und füllte mit seiner unglaublichen Präsenz den ganzen Raum aus.
„Hast du die Bilder mit“, fragte er.
„Dir auch einen guten Morgen“, antwortete ich grinsend.
„Gut wäre er, wenn es zehn Uhr wäre“, grinste er.
Ich reichte ihm die Bilder und er sah sich die 15 Fotos schnell durch. „Perfekt“, sagte er dann.
Mir ist vollkommen unklar, wie man nach 20 Jahren noch immer „Perfekt“ sagen kann, wenn man auf den Bildern etwas sieht, dass in unserem Beruf allzu häufig auftritt: Ein Ehepartner der fremdgeht.
„Seine Frau wird nicht perfekt sagen“, mutmaßte ich.
„Vermutlich doch. Sie wird sich scheiden lassen und jede Menge Geld absahnen, weil der Idiot sie nicht nur betrogen hat, sondern auch noch dumm genug war, sich dabei erwischen zu lassen“, antwortete Tom und zwinkerte.
Tom ist mein Ausbilder. Schon viel zu lange Detektiv, meiner Meinung nach, denn er sieht alles von diesem Standpunkt aus. Er ist ein riesiger Kerl, gebaut wie ein Kasten, mit dunklen Haaren und hellen Augen und seit er seine Leidenschaft für den Sport Golf entdeckt hat (welcher meiner Ansicht nach gar kein richtiger Sport ist) läuft er immer mit pastellfarbenen Poloshirts herum, heute war es pastell – blau. Passte zu seinen Augen.
„Mrs. Webber kommt so gegen Zehn, bis dahin brauch ich den gesamten Bericht, die restlichen Bilder und das Tonband“, unterbrach Tom meine Gedanken.
„Ja, klar.“
„Heute wird’s nicht so spät, ich habe ein Abendessen mit meiner Frau“, sagte er verschwörerisch.
„Also soll ich dir Blumen besorgen?“
„In der Mittagspause“, fragte er hoffnungsvoll.
„Okay“, antwortete ich etwas zögernd.
Er hielt seinen Daumen nach oben, bevor er aus meinem Büro verschwand und ich mich daran machte, meinen Bericht zu schreiben.

Mrs. Webber reagierte sehr zurückhaltend auf die Nachricht.
„Dieses Schwein! Ich wusste es doch! Na, damit werde ich ihm gehörig in den Arsch treten. Eine Blondine… er ist ja so durchschaubar, dieses Arschloch“, kreischte sie.
Sie ließ sich Zeit damit, jedes Bild genau durchzusehen.
Diese waren aufgereiht wie eine Bildergeschichte.
Mr. Webber geht in eine Bar.
Mr. Webber trifft dort eine blonde Frau in einem engen schwarzen Kleid.
Mr. Webber und Miss X trinken Tequila Sunrise Cocktails.
Mr. Webber und Miss X kommen sich näher.
Und so weiter.
Ich stand neben Toms Schreibtisch, während Mrs. Webber, bald geschieden wie ich vermutete, ihm den Scheck ausstellte.
Als wir schließlich fertig waren, war es etwas nach Mittag, deswegen beschlossen wir, gleich Pause zu machen und fuhren wir mit Toms Chevy zu Taco Bell in der Alamo.
Ich wollte gerade in meinen Burger beißen, als mir jemand von hinten fest auf den Rücken klopfte und mein Burger deswegen auf meiner Nase landete.
„Na, ihr zwei“, sagte eine Stimme hinter mir, die ich nur zu gut kannte.
Sie gehörte Mark Diaz einem „Kautionsdetektiv“.
Ich griff nach hinten und packte sein Shirt mit der einen Hand, während ich eine offene, halb volle, Ketchup – Packung mit der anderen nahm.
„Na, du“, zischte ich und drohte ihm mit der Ketchup – Packung.
„Hey, hey, hey“, stotterte er, „das war nicht mit Absicht. Aber du siehst zum Schreien komisch aus“, fuhr er dann fort.
„Spar dir deine Mäzchen!“
„Seid lieb zu einander, Kinder“, murmelte Tom.
Ich ließ von Mark ab und setzte mich wieder hin, Mark ließ sich auf die Bank neben mir fallen.
„Was gibt’s Neues, Mark“, fragte Tom zwischen zwei Pommes.
„Och, nicht viel. Brunski ist schon wieder nicht zum Gericht erschienen. Langsam wird’s lästig.“
„Er ist doch erst neunzehn und hat keine Ahnung, was er tun soll“, erklärte Tom.
„Ja, aber sich jedes Mal aufs Neue im eigenen Zimmer einzusperren? Das ist schon das dritte, verfluchte Mal.“
„Mein grauenvoller Sohn …“, begann Tom.
„Jon?“
„Ja, Jon. Der verlässt sein Zimmer auch nie … Gott sei Dank“, fuhr er fort.
„Pfffff“, machte Mark und stahl sich einen Schluck Cola von mir. „Hey, habt ihr schon das mit dem jungen McKenzie gehört?“
„Christian“, fragte ich.
Bei dem Namen McKenzie hörte ich immer auf.
„Ja, Chris McKenzie, der Polizist“, antwortete Mark mir genervt, „er wurde gestern festgenommen!“
Gespannt hing ich an Marks Lippen, während er langsam meine Pommes aß. Auch Tom hatte die Ohren gespitzt.
Um die Dramatik ein wenig zu steigern, stopfte sich Mark einige Pommes in den Mund und kaute langsamer, ehe er sie endlich schluckte.
„Angeblich hat er einen Kollegen zu Brei geschlagen, vollkommen grundlos. Man hat ihn gestern auf Urlaub geschickt.“
„Er wurde suspendiert“, klärte mich Tom auf.
McKenzie und Schlägerei? Ich überlegte kurz, was ich so über ihn wusste. Er war ein Draufgänger, zweifellos, aber er war ein guter Polizist, was wohl in der Familie lag. Sein Vater war Polizist gewesen, sein älterer Bruder Ryan und sein Cousin Kyle ebenfalls. Er war siebenundzwanzig, zwei Jahre älter als ich, und vom Typ her, ganz wie alle McKenzies: Gut gebaut, braune Haare, braune Augen, von der Sonne gebräunte Haut, hübsches Gesicht. Und ein Frauenheld.
Vielleicht hatte er tatsächlich eine Schlägerei angefangen, aber ich konnte mir schwer vorstellen, dass es grundlos gewesen war.
Mark schlürfte die letzten Schlucke Cola aus meinem Becher, bis dieses saugende Geräusch ertönte, welches besagte, dass der Becher leer war.
„Im Moment geht’s bei der Polizei heiß zu“, murmelte Mark dann. „Ich hab schon gehört, dass es einen Maulwurf geben soll.“
Das wurde mir zu bunt. Ich nahm mir eine Serviette und wischte mir die Hände ab, während ich sagte: „Du solltest nicht jeden Blödsinn glauben, den man dir erzählt. Besonders von deinen Quellen.“
„Zweifelst du meine Quellen an“, fragte mich Mark mit hochgezogener Augenbraue.
„Sie haben auf mich keinen guten Eindruck gemacht. Ein Punk und ein bekiffter Marley Verschnitt. Das kommt nicht so professionell.“
Damit stand ich auf.
Blumen für Tom besorgen.

Während meines restlichen Tages kamen mir aber weiterhin alle möglichen Gerüchte zu Ohren: Man sprach von Korruption, dem Police Department allgemein und McKenzies beruflichen und privaten Fehltritten. Als ich abends meinen Laptop hinunterfuhr wusste ich von den drei Beziehungen, die Chris geführt hatte, und die länger als einen Monat gedauert hatten, genau Bescheid.
Die gesamte Detektei schien sich dafür zu interessieren und es hatten sich drei Gruppen entwickelt. Diejenigen, die felsenfest von McKenzies Unschuld überzeugt waren (hauptsächlich weibliche Wesen). Diejenigen, die zwischen „Ich weiß nicht“ und „Er ist schuld“ schwankten. Und die Gruppe, die sich nicht dafür interessierte. Also ich.
Kurz bevor ich mein Büro verließ, läutete mein Handy und ich nestelte in meiner riesengroßen Tasche, vorbei an Stiften, Taschentüchern und den Akten, die ich mit nach Hause nehmen wollte.
„Ja“, seufzte ich ins Handy, als ich es endlich gefunden hatte.
„Wie immer gut gelaunt“, antwortete mir jemand.
„Hallo, Jake.“
Ich stöhnte auf. Jake!
Jake arbeitete wie Mark als Kautionsdetektiv für das Büro Sandford, allerdings spielte Jake in einer ganz anderen Liga als Mark.
Zufällig ist das Kautionsbüro das Gebäude, das der Detektei genau gegenüber lag, deswegen waren wir alle dicke Freunde. Meistens.
Bei Jacob Evans und mir war das etwas anderes.
Jake und ich haben uns bei meinem ersten großen Fall kennen gelernt. Hauptsächlich deswegen, weil wir gegeneinander intrigiert haben.
„Wo bist du“, fragte er mich.
„Ich gehe gerade aus dem Büro heraus.“
„Oh gut“, sagte er, dann legte er auf.
Kurz darauf sah ich ihn an mein Auto gelehnt.
Jake war drei Jahre älter als ich, hatte haselnussbraunes Haar und grüne Augen und einen Dreitagebart, der nicht wachsen zu schien.
Heute trug er eine schwarze Jeans, Chucks und ein Baseballshirt in weiß und hellblau und um seinen Coolness Faktor zu steigern eine Sonnenbrille.
„Guten Tag, meine Liebste“, empfing er mich.
Ich schloss den Wagen auf, warf die Tasche auf den Rücksitz und grüßte freundlich zurück: „Was willst du, Jake?“
„Hast du schon das mit ….“
„McKenzie gehört“, unterbrach ich ihn. „Ja, und langsam ödet es mich an. Was findet alle Welt an dem nur so interessant?“ Natürlich wusste ich das ganz genau. Er war eben einer dieser Männer, der von anderen Männern bewundert wurde und von Frauen begehrt. Er stach immer aus der Menge heraus.
„Ich bin weder weiblich noch schwul, also der Falsche um dir das zu beantworten. Aber das habe ich gar nicht gemeint.
Es gab einen Banküberfall gestern Nacht. Es fehlen rund fünf Millionen.“
„Oh“, machte ich.

Später saßen Jake und ich in einem Café mitten in River Walk, wo die meisten Touristen zu finden waren.
Das Café hieß Kommodore und gehörte Ruben Fernandez und war eines der wenigen Cafés in denen man Kaffee bekam, der nicht aussah wie Schwarztee und man bekam ein Oreo – Plätzchen gratis dazu. Im Hintergrund lief bei Kommodore immer ein Mix aus 40er Musik (hauptsächlich die Andrew Sisters) und Latino Musik.
Und die Kellner sahen auch nicht schlecht aus.
Jake nahm einen Schluck von seinem Kaffee. „Also, was hälst du von der Einbruch – Geschichte?“
„Naja, was soll ich schon davon halten? Hat man schon eine Ahnung, wer es war?“
„Ich hab so meine Kontakte, die Vermutungen haben“, sagte Jake und grinste.
„Ich frage besser gar nicht…“
Er überdrehte die Augen. „Sehe ich aus wie jemand, der viel mit Kriminellen zu tun hat?“
„Jake, du bist Kopfgeldjäger.“
Er machte eine wegwerfende Handbewegung. „Was man so hört, war da ein Insider am Werk!“
„Solang mich das beruflich nicht betrifft, bringe ich der Sache kein Interesse entgegen“, unterbrach ich ihn, „Und jetzt sag endlich, was du wirklich willst.“
„Ist das nicht offensichtlich“, antwortete er mir mit sarkastischem Ton. Er starrte mich an, als wäre ich ein kleines Törtchen. Eines mit Karamelfüllung.
Ich zog die Augenbraue hoch: „Komm mir jetzt nicht mit oh, Baby, ich will nur dich.“
Jake setzte sich aufrecht hin und verkniff sich sein Lachen. „Informationen.“
Ich überlegte kurz. Sandford war zwar ein kleines Kautionsbüro, aber Fleur, die Sekretärin dort, war gerissen, wenn es um Informationen ging. Davon mal abgesehen ist Jake selbst auch keiner, der davor zurückschreckt, sich Informationen zu besorgen, egal wo.
„Was ist mit Fleur?“
„Sie konnte nichts finden.“
„Nichts?“
„Nichts.“
„Und warum fragst du dann mich“, sagte ich ernst. Ich wusste natürlich ganz genau, warum er ausgerechnet mich fragte.
„Dein Kumpel. Greg DeShaye.“
Ich kannte Greg schon seit Ewigkeiten und egal, was mit meinem Computer nicht stimmte, ich rief ihn an. Und seit ich als DIA arbeitete, war er es, den ich anrief, wenn es darum ging, ein wenig zu hacken.
„Glaubst du wirklich, ich gebe ausgerechnet dir seine Nummer?“
„Nein, deswegen frage ich ja so nett.“
„Um wen geht es“, fragte ich.
„Andrew Sherwin.“
Ich riss die Augen auf. Andy? Schneller als ich mich zusammenreißen konnte, begann ich laut zu lachen.
Jake beäugte mich skeptisch. „Alles klar?“
Ich wischte mir die Tränen aus den Augenwinkeln und versuchte, mich wieder ein zu kriegen. „Ja, klar.“
Ich kannte Andy von der High School, damals war er ein kluges Kerlchen gewesen. Kannte sich gut aus mit Technik und war immer bei der Sache im Französisch – Unterricht. Blöd nur, dass er aus einer Familie kam, die selbst Britney Spears zur Kriminellen machen konnte.
„Was hat er denn angestellt“, fragte ich.
„Autodiebstahl.“
„Autodiebstahl!“ Wieder brach ich in Gelächter aus. Wenn ich das meiner Familie erzählen würde!
„Hörst du jetzt auf“, forderte Jake, „du blamierst mich ja. Hör sofort auf oder ich nehme dir deinen Oreo weg!“
Augenblicklich riss ich mich zusammen, biss mir auf die Lippen und freute mich darauf, meine Mutter anzurufen.
„Meine Güte, dir muss man drohen wie einem kleinen Kind! Was ist an der Sache so lustig?“
Ich erzählte ihm von meinen Erfahrungen mit Andy und von seiner Familie. „Hat dir dein lieber Chef gar nicht erzählt, dass er mit Andy schon der dritten Generation der Familie die Kaution stellt?“
„Dann liegt Kriminalität doch an den Genen“, winkte Jake ab, aber ich merkte genau, dass ihn das durchaus erheiterte. „Krieg ich jetzt die Nummer von Greg?“
„Unter der Bedingung, dass ich dir dabei helfen darf, Andy zu fangen!“
Das verlangte ich aus mehreren Gründen.
Erstens wollte ich Andy unbedingt fangen und ihm eine Standpauke halten. Davon abgesehen wäre es eine gute Geschichte, die ich immer wieder Verwandten und Freunden erzählen konnte.
Zweitens hatte ich dieses Wochenende sowieso nichts vor, wieso also nicht die Zeit nutzen und ein wenig Arbeitserfahrung sammeln?
Und drittens wollte ich Jake ein wenig auf die Pelle rücken.
Dieser starrte mich an, als hätte ich von ihm gerade verlangt, sich genauso vielen Operationen zu unterziehen, wie Michael Jackson. „Kommt nicht in Frage.“
„Na gut“, sagte ich, zuckte mit den Schultern und stand auf, während ich meinen Oreo aß.
„Dany! Ach komm schon! Du bist Anfängerin und außerdem weißt du doch sowieso, dass das total langweilig ist.“
Ich starrte ihn an. „Nein, das weiß ich nicht. Mein Beruf ist es, untreue Ehepartner zu enttarnen und das oft sieben Tage die Woche.“
Jake lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. „Ich kriege die Nummer von DeShaye und ein Heineken im Shiver und du kannst mitkommen, Deal?“
Er hielt mir die Hand hin und ich ergriff sie und schüttelte. „Deal.“
Ich zog ein Stück Papier aus meiner Tasche und schrieb Gregs Nummer auf.
„Warte mit dem Anrufen, bis ich ihm gesagt habe, dass du ein Bekannter von mir bist.“
Während ich schrieb, fiel mir auf, dass Jake seinen Oreo noch nicht gegessen hatte.
Er grinste mich an. „Nimm dir den Oreo, da hab ich nichts dagegen.“
Ich bin zwar naiv, aber nicht naiv genug, um nicht zu verstehen, dass er etwas anderes meinte, als den Oreo.
Ich rollte mit den Augen. „Nein, vielen Dank.“

Als ich zu Hause ankam war es schon fast sieben Uhr, obwohl ich eigentlich um Vier hätte daheim sein können.
Luna empfing mich, indem sie sich vor die Haustür setzte und mich mit ihren grünen Augen anstarrte als wolle sie sagen: „Du kommst zu spät. Wo ist mein Futter?“ Ich schwöre, diese Katze hat denselben Blick wie meine Mutter, wenn sie mir wieder vorwirft, ich wäre eine furchtbare Tochter.
Da ich diesen Blick nicht länger auf mich gerichtet haben wollte, gab ich Luna ihr Fressen, noch bevor ich meine Haustür abschlossen hatte.
Ich wohne in einer Wohngegend, in einem schon etwas älteren Wohnhaus mit sechs Stöcken. Da ich noch nicht wirklich gut verdiene ist meine Einrichtung etwas eigen. Die Stücke passten nicht zu einander, waren Second Hand oder so billig, dass ich es nicht wagte, sie wirklich zu belasten, davon abgesehen war meine Wohnung in Großen und Ganzen recht spärlich möbliert.
Das einzige, worauf ich wirklich stolz war, war mein Bett. Es war groß und weich und kuschelig und neu und teuer. Aber das war es wert.
Ich legte mich, so wie ich war, in Jeans und schwarzer Bluse ins Bett und döste eine Weile vor mich hin, ehe mein Handy klingelte.
Ich holte es aus meiner Hosentasche und hob ab, ohne auf das Display zu sehen, wer es war.
Ein großer Fehler.
„Wir gehen auuuuuuauuuuuus“, kreischte mir Linda ins Ohr.
Ich saß auf. „Linda, hallo“, sagte ich etwas nervös.
Ein Seufzen am anderen Ende der Leitung. „Na hör mal! Du hast mir gesagt, ich solle wieder ausgehen, wenn ich mich recht erinnere, und dass du jederzeit mit mir weggehen würdest, wenn ich bereit bin. Jetzt bin ich bereit.“
„Ich weiß, aber…“
„Kein aber! Heute gehen wir auf Männerfang.“
„Du gehst auf Männerfang. Ich brauche keinen Mann.“
„Süße, und wie du einen Mann brauchst.“
Linda und ich sind beste Freundinnen seit der High School Zeit. Es war immer schon so gewesen, dass sie diejenige war, die gerne was unternahm, anstatt, wie ich, zu Hause zu sitzen und fern zu sehen. Sie war öfter als ich beschwipst, sie hatte die hübscheren Freunde (in der High School ging sie mit drei verschiedenen Footballern aus) und ihr flogen die Blicke der Männer nur so zu.
Aber Wunder oh Wunder, sie war vor mir verheiratet. Gewesen. Vor einem halben Jahr hatte sie sich von ihrem Mann getrennt und bei einem meiner Tröstungsversuche, bei dem ich ihr erklärt hatte, dass sie jeden Mann haben könne, ist es mir wohl herausgerutscht, dass ich jederzeit mit ihr auf Achse gehen würde, sobald sie wieder bereit dafür war.
„Dany“, fragte Linda, „bist du noch dran?“
„Ja. Wo willst du denn hin?“
„Irgendwo hin, wo viel zu viel Testosteron herumschwirrt.“
Ich wusste genau was das bedeutete. „Ach, bitte, bitte nicht ins Shiver“, bettelte ich.
Das Shiver war die Polizistenkneipe überhaupt.
„Ich hole dich in einer Dreiviertelstunde ab“, sagte Linda, „und zieh dir was an, dass nicht aussieht, als ob du eine Nonne wärst.“
 
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