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Wenn die Welt untergeht...

Nachdenkliches · Kurzgeschichten
© janevil
Da sass er also, ganz allein auf seinem Hügel und sah zu, wie die Welt unterging. Um ihn herum herrschte ein Brausen und ein Toben, dass er sein eigenes Wort nicht mehr hätte verstehen können. Aber wollte gar nicht reden. Er fühlte sich nicht danach. Seine weisse Tasse war ihm Begleitung genug. Weit in der Ferne sah er die ersten Häuser der Stadt einstürzen und in einem bodenlosen Loch verschwinden. Ein breiter Riss zog sich quer durch die ganze Stadt, dabei bewegte er sich elegant wie eine grosse Schlange vorwärts. Die Dunkelheit kam immer näher, er konnte es sehen. Aber es machte ihm nichts aus. Als ein gewaltiger Schlag den Hügel erzittern liess und sich ein Riss auftat, schwankte die weisse Tasse in seinen Händen bedrohlich. Ein paar Tropfen roten Weines benetzten seine nackten Beine. Er hielt die Tasse so fest im Griff, dass seine Knöchel weiss hervortraten und er insgeheim hoffte, der Henkel möge nicht abbrechen, so lange der letzte Schluck Wein noch nicht getrunken war. Der Wein war von dunkelroter Farbe und hinterliess violette Ränder am weissen Porzellan der Tasse. Langsam hob er seinen Arm und führte die Tasse nahe an seinen Mund. Erst als das kalte Porzellan seine Lippen berührte, hielt er inne und blickte wieder auf das Treiben unter ihm. Ein unendlich grosses Loch hatte sich aufgetan und verschlang alles. In Windeseile verschwanden die Hochhäuser, deren Anblick er immer so verabscheut hatte. Tagein, tagaus hatte er daran vorbeigemusst und sich jedes Mal gewünscht, dass sie verschwinden mochten. Er hatte immer geglaubt, ihr Verschwinden würde ihn mit Freude oder wenigstens mit Genugtuung erfüllen. Als er sie jetzt einstürzen und verschwinden sah, fühlte er aber keine Freude, und auch keine Genugtuung. Es geschah einfach. Er spürte nur das glatte, kalte Porzellan an seinen Lippen. Der leicht säuerliche Geruch des Weins stieg ihm in die Nase und er nahm bedächtig einen kleinen Schluck. Ebenso langsam wie er ihn angehoben hatte, liess er seinen Arm wieder sinken, bis seine Hand den Boden berührte. Trotzdem liess er die Tasse nicht los, sondern hielt ihren Griff fest umklammert. Den Wein hatte er im Mund behalten, er wollte noch einmal wissen, wie er schmeckte. Das Tosen war einem dumpfen Grollen gewichen, das immer näher kam. Er sah, wie die Welt um ihn herum verschwand und es war, als wäre sein Hügel bald von einem bodenlosen Nichts umgeben, das ihn noch solange verschonte, wie Wein in seiner Tasse war. Das einzige Haus, das noch stand, war das letzte Hochhaus der Stadt, an dem die breite Strasse vorbeiging, auf der er hergefahren war. Ein Knirschen und Knacken erklang und plötzlich brach Dunkelheit aus der Strasse hervor. In ihr waberten verschiedene Töne von schwarz. Er beobachtete das Geschehen gebannt, er war aber mehr von einer kalten Neugier getrieben, als von sonst einem Gefühl. Und wieder fühlte er nur, wie der Wein in seinem Mund warm geworden war. Es war ein schwerer, erdiger Wein, der in erwärmte, sobald er ihn heruntergeschluckt hatte. Er kannte sich mit Wein nicht aus, darum versuchte er gar nicht erst, seinen Geschmack zu beschreiben. Er wusste nur, dass es ein Wein war, den er gerne getrunken hatte. Es war einer der Weine, die auf ganz spezielle Tage warten. Heute war wohl so ein spezieller Tag. Er wusste es nicht, aber als er im Keller gestanden hatte, um sich eine Flasche für den Abend auszusuchen, hatte er diese Flasche gesehen. Die Trauben waren von diesem Hügel, so war er hergefahren. An den abscheulichen Hochhäusern vorbei. Und nun sass er hier oben auf dem Hügel und spürte wie der Wein seine Kehle herunter rann. Das letzte Hochhaus verschwand in der Dunkelheit. Schon bald hatte sie den Hügel erreicht und umkreiste ihn, wie es der Nebel im Herbst manchmal tat. Er sah sich langsam um: Nur er, sein Hügel und der letzte Schluck Wein waren geblieben. Milde blickte er auf die Tasse und ein Lächeln huschte über seine Lippen, als er feierlich die Tasse erhob. Er tat einen letzten, kräftigen Zug und die Dunkelheit hüllte ihn in einen dicken Mantel aus sanfter Stille. Nur ganz weit in der Ferne konnte er noch das Zerbrechen seiner weissen Tasse hören.
 
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Klasse geschrieben. Ruhe herrscht dort, wo eigentlich Panik und Angst regieren sollten.

Destiny (29.04.2007)

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