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2 Seiten

Nach einer wahren Begebenheit

Trauriges · Kurzgeschichten
Susanne war ein trauriges Mädchen.
Als sie zehn war, fing ihr Vater an, sie zu schlagen. In der Schule hatte sie eine Freundin, Conny, die wurde von ihrem eigenen Vater jahrelang sexuell missbraucht. Irgendwann hat sie sich dann umgebracht.
Susanne hatte Angst, ihr Vater könne auch mal so zu ihr werden. Deshalb hatte sie Angst vor ihm, und das wiederum machte ihm Spass, sie zu quälen. Psychisch so wie körperlich.
Mit fünfzehn verliebte sie sich in Stefan. Doch er war 2 Jahre älter und ausserdem männlich – da hatte ihr Vater einfach was dagegen. Also verheimlichte sie die Beziehung zu Stefan, bis ihr Vater es herausfand und ihr den Umgang mit ihm und sämtlichen ihrer langjährigen Freunde verbot.
Ein Jahr später durfte sie Stefan wieder sehen, stellte aber bald fest, dass sie sich selbst so sehr verändert hatte, dass sie ihm gegenüber überhaupt nichts mehr fühlte. Die Narbe auf ihrer rechten Augenbraue konnte sie perfekt mit ihrem langen Haar verstecken. Eine schlechte Erinnerung. So wie jede andere Erinnerung aus ihrem Leben.

Einmal, da dachte Susanne wieder, sie sei verliebt und war ein Jahr mit ihrem Freund Mario zusammen. Doch ihr Vater setzte alles daran, diese Beziehung ebenfalls zu beenden. Schlussendlich schaffte er es. Jahre später dachte Susanne einmal daran zurück und musste lachen: hatten sie sich doch nie gesagt, dass sie sich liebten oder lieb hätten. Also konnte sie ja für ihn auch nichts empfunden haben.

Die Narbe auf ihrer Augenbraue war nun nicht mehr zu sehen, war sie doch klein gewesen, aber nun war sie fast nicht mehr zu sehen. Genauso wie die Spuren, die ihr Vater in ihrer Psyche hinterlassen hatte. Sie spielte Sonnenschein, das konnte sie am Besten. Sie hatte es im Laufe der Zeit gelernt.
Wenn ihr Vater jegliche Gefühlsregungen in ihr merkte, Traurigkeit, Anspannung, Angst, Fröhlichkeit oder Skepsis, fiel er über sie her und zerstörte sie ein Stück mehr.
Es ist so, als würde man Laufen lernen – mit der Zeit machst du es automatisch ohne drüber nachzudenken. Immer Lächeln.
Susanne sagte nur „Es geht mir immer gut“ wenn sie jemand fragte. Und lächelte. Ein Sonnenschein.
Als sie maturierte, liessen sich ihre Eltern scheiden. Eine Woche nach ihrem 18. Geburtstag. Auf diesen Tag hatte sie sich ihr Leben lang gefreut, aber er wurde ignoriert. Wie jeder andere Geburtstag. Was hatte sie denn gedacht – eine grosse Party zu ihren Ehren, weil sie endlich die familiären Pflichten erledigt hatte und nun die Chance bekam, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen?
Zu Ostern zog ihre Mutter von einem Tag auf den anderen aus, Susanne stand plötzlich vor dem vollgeräumten Van ihres Onkels und sagte zu ihrer Mutter „Ich dachte, du nimmst mich mit“, diese schüttelte nur den Kopf und sagte „Ich hab jetzt mein eigenes Leben“.
Sie sahen sich ein halbes Jahr lang nicht und Susanne übernahm von nun an die Rolle der Mutter (für ihre um zehn Jahre jüngere Schwester Julia) und die der Hausfrau.
Nach einem heftigen Streit mit ihrem Vater zog sie aus, stellte ihre Sachen bei ihrer Mutter im Keller unter und verschwand aus beider Leben.
Sporadisch stand sie dann wieder vor der Tür ihrer Mutter, um ihr wieder von einem Exfreund zu berichten, mit dem sie Schluss gemacht hatte, weil sie merkte, dass keine Gefühle entstehen konnten.

Nach einem Jahr fand sie dann endlich einen Job, ihre Mutter zog in ein anderes Bundesland und Susanne war bereit, ihr Leben so zu leben wie sie wollte.
Aber es kamen immer Männer dazwischen. Sie war unglücklich. Ihr ganzes Leben lang. Sie hatte viele Liebhaber, aber keiner von ihnen war es wert, weitere Zeit mit ihnen zu vergeuden.
Irgendwann merkte sie, dass sie gefühllos war. Das Einzige, das sie fühlte, war Bedauern. Sie bedauerte sich selbst um ihre verlorene Kindheit, ihr verlorenes Glück und ihre verlorene Zukunft.
Sie hatte sich nie wirklich verliebt, hatte nie etwas empfunden, nie etwas gewollt. Sie freute sich nur auf jeden Schritt, den sie dem Tod entgegenkam.

Eines verlernte Susanne nie: das Glücklichsein. Sie dachte, dass sie glücklich sein könnte, wenn sie sich nur stark genug anstrengte. Aber das Kämpfen um die Liebe zu ihrem Vater hatte ihr sämtliche Lebenskraft geraubt und eines Tages stand sie komplett alleine da.
Was sie nicht verwunderte.
Als ihr Vater starb, starb das letzte bisschen Hoffnung, jemals zu lieben.
Sie starb mit 24 an einem Gehirntumor als das traurigste Mädchen, das ich je kannte.
 
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Kommentare  

traurig. der sachliche erzählstil passt sehr gut. es ist mir ein bisschen zu shcnell "runtererzählt", du könntest vllt ein paar details einbringen. 4p hast du aber auf jeden fall verdient.
lg darkangel


darkangel (02.08.2007)

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